Teil 1
Spekulationsblasen als Zeichen fĂŒr Marktanomalien
Im ersten Kapitel stehen die Spekulationsblasen als Anzeichen fĂŒr wiederkehrende und anhaltende Marktanomalien im Fokus der Betrachtung. Sie werden neben der Entstehung und den Ursachen fĂŒr die Bildung von Spekulationsblasen die unterschiedlichen Phasen und Arten von Spekulationsblasen kennenlernen. DarĂŒber hinaus werden Sie die Rolle des Herdentriebs als Triebfeder von Spekulationsblasen in das GefĂŒge wiederkehrender Marktanomalien einordnen können. SchlieĂlich werden Sie die bedeutendsten Kapitalmarktanomalien kennenlernen, die teilweise nur kurzfristig andauern, wĂ€hrend andere mittelbis langfristig auf den KapitalmĂ€rkten zu beobachten sind.
Spekulationsblasen â die in der Standarddefinition als eine starke und lang andauernde Fehlbewertung einer finanziellen oder realen Kapitalanlage bezeichnet werden (vgl. M. Brunnermeier/M. Oehmke, 2012) â ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der FinanzmĂ€rkte. Die erste bedeutende und dokumentierte Spekulationsblase entstand im 17. Jahrhundert in Holland als weit bekannte Tulpenmanie (1634â1637). Weitere sollten in den nĂ€chsten Jahrhunderten folgen (vgl. Kap. 5). Wie entstehen jedoch diese zumeist euphorischen und schlussendlich panikartigen Marktentwicklungen? Dieses Kapitel erkundet die Ursachen der immer wiederkehrenden Spekulationsblasen.
1 Ursachen fĂŒr Entstehung und VerstĂ€rkung von Spekulationsblasen
Spekulationsblasen entstehen nicht aufgrund eines plötzlichen Ereignisses. Es handelt sich um eine Verkettung vielfĂ€ltiger Sachverhalte, die zu einer langfristigen Ăbertreibung der Wertpapierkurse, Anlagepreise oder aber auch der WirtschaftsaktivitĂ€t eines Landes fĂŒhren.
Ein wichtiger Aspekt, welcher berĂŒcksichtigt werden muss, um Blasen zu verstehen, ist die soziale Ansteckung durch das Boom-Denken. Sie wird durch die allgemeine Beobachtung und medialer Berichterstattung von schnell steigenden Wertpapierkursen ĂŒbertragen. In der Folge entstehen Geschichten, die den Glauben an die Fortsetzung des Booms bestĂ€rken und ihm immer mehr GlaubwĂŒrdigkeit verleihen (vgl. Shiller, 2008, S. 56 ff.). Diese als Feedback-Theorie bezeichnete Entwicklung an den KapitalmĂ€rkten ist eine der Ursachen fĂŒr Spekulationsblasen.
Alan Greenspan, US-Notenbankchef zwischen 1987 und 2006, erkannte im MĂ€rz 2008 â also nach dem Ende der Hypothekenblase in den USA â, dass es in der Tat âBegeisterungâ und âSpekulationsfieberâ gegeben habe. Er schrieb fĂŒr die Financial Times:
âDas eigentliche Problem ist, dass unsere Modelle [âŠ] immer noch zu einfach sind, als dass sie die gesamte Palette der bestimmenden Variablen erfassen könnten, die hinter der globalen wirtschaftlichen RealitĂ€t stehen. Ein Modell muss notgedrungen von der vollstĂ€ndigen Detailliertheit der wirklichen Welt abstrahieren.â (Greenspan, zit. nach Shiller, 2008, S. 42)
Greenspan hat zwar die RealitÀt von Spekulationsblasen anerkannt, jedoch ist er ein Verfechter der Annahme geblieben, dass die formal-mathematischen Modelle die einzigen Möglichkeiten sind, die ökonomischen VorgÀnge zu verstehen. Die einzige BeschrÀnkung, die er sieht, sind nicht die Annahmen, die getroffen wurden, sondern die BeschrÀnkung der Menge und Art der Daten sowie unsere FÀhigkeit, diese auszuwerten.
Die Aussage Greenspans verdeutlicht im Weiteren, dass die Mehrheit der Ăkonomen die Ansteckung der Marktteilnehmer durch Ideen/Geschichten nicht unbedingt fĂŒr systematisch relevant hĂ€lt.
Blasenbildung entsprechend einer Epidemie
Wie bereits Greenspan âSpekulationsfieberâ als Ursache fĂŒr eine Blasenbildung eingerĂ€umt hat, so lĂ€sst sich die gesellschaftliche Ansteckung mit dem Beispiel einer Epidemie beschreiben.
So wie Epidemien brechen auch Spekulationsblasen von Zeit zu Zeit aus. FĂŒr die Ausbreitung einer Epidemie wurde eine Theorie entwickelt, welche es den Medizinern ermöglicht, die Epidemie besser zu verstehen: die Epidemiologie.
Diese Theorie basiert im Grunde auf zwei Aspekten. Zum einen die Ansteckungsrate und zum anderen die Abklingrate. Die Ansteckungsrate gibt die Rate an, mit der die Ansteckung von Person zu Person ĂŒbertragen wird. Die Abklingrate gibt die Rate an, mit der die Individuen genesen oder der Krankheit zum Opfer fallen und daher nicht mehr ansteckend sind. Wenn die Ansteckungsrate die Abklingrate ĂŒbersteigt, so bricht eine Epidemie aus. Die Ansteckungsrate entwickelt sich auf Basis bestimmter Faktoren â wie z.B. die Witterung. So ist im Winter ist die Ansteckungsrate der Grippe höher, da das Virus aufgrund der niedrigen Temperaturen sich besser ausbreiten kann.
In der Gesellschaft ist die Ausbreitung einer Spekulationsepidemie Ă€hnlich. FrĂŒher oder spĂ€ter steigt die Ansteckungsrate aufgrund eines bestimmten Faktors ĂŒber die Abklingrate und eine optimistische MarkteinschĂ€tzung breitet sich aus. Die Epidemie gerĂ€t im Weiteren auĂer Kontrolle, sobald die Akzeptanz von Argumenten, welche die steigenden Kurse stĂŒtzen, in der breiten Gesellschaft zunimmt.
Beispiel 1: Ansteckung durch Interpretation als Form der Meinungsbildung wÀhrend des Immobilienbooms Mitte der 2000er Jahre
Karl Case und Robert Shiller fĂŒhrten im Jahre 2005 eine Erhebung unter HauskĂ€ufern in San Francisco durch. Das Ergebnis verdeutlichte eindrĂŒcklich, wie stark die Ansichten ĂŒber steigende Hauspreise eskalierten und den Immobilienboom befeuerten.
Die mittlere Preissteigerung, welche die HauskĂ€ufer fĂŒr die nĂ€chsten 10 Jahre erwarteten, lag bei 9 Prozent p.a. Etwa ein Drittel der Befragten vertraten sogar Erwartungen von bis zu 50 Prozent p.a.
Die Befragten haben erhebliche PreiszuwÀchse beobachtet und die Interpretation von anderen HauskÀufern gehört. Sie wurden scheinbar durch diese Interpretation als Form der Meinungsbildung angesteckt.
Das eben aufgefĂŒhrte Beispiel verdeutlicht zunĂ€chst, wie stark die EinschĂ€tzung der Marktteilnehmer von anderen Investoren abhĂ€ngen kann. Ein weiterer zentraler Punkt, der zur VerstĂ€rkung einer Spekulationsblase beitrĂ€gt, ist die mediale Berichterstattung.
Die Medien verstÀrken ihre Berichterstattung mit zunehmend steigenden Kursen. Die steigenden Kurse wiederum fördern den Glauben an die Geschichte des Booms. Es kommt in Folge zu weiteren Preisanstiegen. Diese Entwicklung wird auch als Preis-Story-Preis-Schleife bezeichnet. Eine Preis-Story-Preis-Schleife kann mit der self-fulfilling prophecy verglichen werden. Bei beiden PhÀnomenen nehmen die Marktteilnehmer die jeweilige Entwicklung der Wertpapiere vorweg und handeln dementsprechend.
Die beschriebene Feedback-Schleife kann auch in Form von Preis-WirtschaftsaktivitĂ€t-Preis-Schleifen auftreten. In diesem Fall steigt das Wirtschaftswachstum aufgrund steigender Preise, die durch zunehmenden wirtschaftlichen Optimismus zu weiteren Schleifen fĂŒhrt. Dadurch steigt die WirtschafsaktivitĂ€t eines Landes weiter.
Die Entstehung von Spekulationsblasen muss nicht zwangslĂ€ufig auf begrenzt rationales Verhalten zurĂŒckzufĂŒhren sein. Im Anfangsstadium kann die Blase auch als Ergebnis rationalen Handelns betrachtet werden. Dies ist dann der Fall, wenn Marktteilnehmer durch Beobachtung des Verhaltens anderer Marktteilnehmer Informationen erhalten, welche diese anderen durch ihr Verhalten preisgeben. Die rationalen Marktteilnehmer wĂŒrden ihre Entscheidungen auf das Handeln der anderen Marktteilnehmer grĂŒnden und durch die rationale Interpretation Informationskosten sparen und so an der Blasenbildung teilnehmen.
Die anfĂ€nglich rational interpretierte Information kann sich jedoch im Nachhinein als irrtĂŒmlich beurteilt herausstellen. Dies ist dann der Fall, wenn die rationalen Marktteilnehmer die ĂŒbertrieben optimistische/pessimistische Ansicht anderer ĂŒbernehmen und dadurch ihre eigenen, unabhĂ€ngig gesammelten Informationen missachten. Dieses als Informationskaskade bezeichnetes Verhalten fĂŒhrt zum Absinken der QualitĂ€t der Informationen in der Gruppe. Dieser QualitĂ€tsverlust tritt ein, da nun zunehmend Angehörige einer Gruppe ihre unabhĂ€ngig und persönlich gesammelten Informationen missachten und sich verstĂ€rkt auf ihre allgemeine Wahrnehmung konzentrieren. Als Resultat kommen sie nicht mehr in der kollektiven Urteilsbildung der Gruppe vor, wodurch sich die QualitĂ€t der Information in der Gruppe zunehmend verschlechtert (vgl. Shiller, 2008, S. 56 ff.).
Durch die allgemeine Beobachtung und mediale Berichterstattung wird das Boom-Denken oft gefördert. In der Folge entstehen Geschichten, die den Glauben an die Fortsetzung des Booms bestĂ€rken. Diese als Feedback-Theorie bezeichnete Entwicklung an den KapitalmĂ€rkten ist eine der Ursachen fĂŒr Spekulationsblasen als Folge ungezĂŒgelten Handels von Marktteilnehmern.
In den AnfĂ€ngen der Behavioral-Finance-Forschung dominierte die Auffassung, dass die Fehler einzelner Marktteilnehmer in der ĂŒbergeordneten Marktentwicklung nicht weiter ins Gewicht fallen. Diese Sichtweise verkennt jedoch, wie systematisch Preise verzerrt werden können, wenn nicht nur einzelne Anleger, sondern die gesamte Masse der Marktteilnehmer aus dem Markt aus- oder in den Markt einsteigen.
Dies kann zur Folge haben, dass ein Börsentrend wie eine Hausse oder eine Baisse verstĂ€rkt wird. Eine Hausse kennzeichnet den Kapitalmarkt ĂŒber lang anhaltend steigende Wertpapierkurse (Baisse â sinkende Wertpapierkurse). Eine durchschnittliche Hausse betrĂ€gt dabei 52 Monate, eine Baisse nur durchschnittlich 10 Monate (vgl. Kitzmann, 2009, S. 22).
1.1 Herdentrieb
Spekulationsblasen basieren, wie im vorherigen Unterkapitel beschrieben, zumeist auf Boom-Geschichten, die durch ihre Verbreitung unter den Anlegern immer mehr Aufmerksamkeit generieren und schlussendlich die Preise in die Höhe treiben. Dabei spielen die Marktteilnehmer, die einander beobachten und sich auch dementsprechend ausrichten, eine groĂe Rolle. Menschen, als soziale Wesen, richten sich nicht nur nach anderen aus, sie suchen auch Leitfiguren und âschwimmen mit dem Stromâ. Shiller beschreibt die Bedeutung des Herdenverhaltens wie folgt:
âThe meaning of herd behaviour is that investors tend to do as other investors do. They imitate the behaviour of others and disregard their own information.â (Shiller, zit. nach Redhead, 2008, S. 542)
In der Masse ergeben sich Verhaltensweisen, die eine Spekulationsblase weiter antreiben können. Die wichtigsten Aussagen ĂŒber den Herdentrieb werden nachfolgend aufgefĂŒhrt. Diese basieren auf den Aussagen von Gustave Le Bon (1841â1931), einem der BegrĂŒnder der Massenpsychologie.
- Massen entwickeln eine Kollektivseele â Handlungsweisen werden aufeinander abgestimmt. Es herrscht hohe Verbundenheit innerhalb der Masse.
- Gesamtinteresse infiziert Einzelinteressen â emotionale Ansteckung im Rahmen der Feedback-Theorie.
- Einfache GefĂŒhle herrschen vor â Individuen in der Masse sind durch ImpulsivitĂ€t und Reizbarkeit gekennzeichnet.
- Meinungen und GerĂŒchte schaukeln sich hoch und fĂŒhren zu Meinungsbildung auf Basis einzelner GerĂŒchte, Vermutungen.
MassenphÀnomene sind ganz besonders beim Platzen einer Blase oder plötzlichen Kursverlusten ersichtlich. In solchen Momenten, wie es auch am 11. September 2001 und in den Folgetagen nach Wiederaufnahme des regulÀren Handelns an den Weltbörsen zu erkennen war, handel...