Chronik des Bauvorhabens
Technischer Ablauf
Wenn deutsche Gemeinden Bauaufträge vergeben, müssen sie sich an die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB) halten. Es gibt also ein klares und auch für die LEG gültiges Regelwerk. Dieses schreibt für den gegebenen Fall eine öffentliche Ausschreibung vor, die entsprechend auch durchgeführt wurde.
Aus der ebenfalls öffentlichen Submission im August 2007 ergab sich, dass nur zwei Angebote für das Bauvorhaben eingegangen waren. Das Angebot der BBF lag bei rund 718.000 Euro und war mit Abstand das günstigere.
Damit hätte die Sache eigentlich entschieden sein müssen. Stattdessen wurde die BBF nachdrücklich zu einem Preisnachlass gedrängt. Dem widersetzte sie sich aus zwei einfachen Gründen. Erstens, weil ihr Angebot bereits gut kalkuliert war, und zweitens, weil eine solche Einflussnahme nicht der Idee eines öffentlichen Ausschreibungsverfahrens entsprach.
Die LEG kündigte daraufhin an, den Auftrag freihändig zu vergeben. Ein Blick in die VOB zeigt jedoch, dass eine freihändige Vergabe nur unter Umständen möglich ist, die hier nicht gegeben waren. Dass dem Bauherrn das Ergebnis der Ausschreibung nicht gefällt, reicht dafür jedenfalls nicht.
Dessen ungeachtet wurde die Ausschreibung aufgehoben und dies mit der Aufforderung verbunden, ein neues Angebot abzugeben. Die BBF widersprach der Aufhebung und bestand auf ihrem ursprünglichen Angebot. Anschließend hakte sie die Sache ab, weil aufgrund der Vorgeschichte nicht mit einem Vertragsabschluss zu rechnen war.
Die Ingenieurgruppe, die das Projekt geplant und nun auch dessen Leitung übernommen hatte, schloss die BBF dann auch von der Vergabe aus. Angeblich wegen eines fehlenden Schweißzertifikats.
Wäre dies ein aufrichtiger Grund gewesen, hätte es dieses Buch nie gegeben. Insofern ist nicht nur der Ablauf des Verfahrens fragwürdig, sondern auch der Umstand, dass der Auftrag plötzlich doch an die BBF vergeben wurde19. Dabei dürfte es nie um ein Schweißzertifikat gegangen sein, da dieses nur ein marginales und vor allem technisch lösbares Problem darstellt. Rückblickend steht zu vermuten, dass die BBF nicht nur am billigsten war, sondern auch versprach, am wenigsten problematisch zu sein. Schließlich handelte sich um ein mittelständisches Unternehmen ohne eigene Pressestelle oder Rechtsabteilung, das zudem nicht in Distadt angesiedelt war und deshalb auch nicht zwingend eine Option für zukünftige Baumaßnahmen der LEG oder DVB darstellte.
Neben der seltsamen Form der Vergabe gab es aber noch eine zweite Merkwürdigkeit. Denn bereits am ersten Vergabegespräch nahm eine zwielichtige Person teil, deren eigentliche Rolle erst im Laufe der Zeit erkennbar wurde. Rechtsanwalt Rail20 hatte nämlich eine eigene Kanzlei in Distadt, war aber federführend und entscheidungsbefugt am Vergabeverfahren und sämtlichen noch folgenden Vorgängen beteiligt. Juristisch gesehen agierte er deshalb als „de facto“ Geschäftsführer der LEG. Kenntlich gemacht hat er dies allerdings nie. Und auch seine Legitimation als Rechtsvertreter der LEG erfolgte der BBF gegenüber nicht formgerecht.
Dass die BBF darüber im Unklaren gelassen wurde, ob sie es mit einen Justiziar der LEG oder einem extern beauftragten Rechtsanwalt zu tun hatte, legt die Vermutung nahe, dass Rechtsanwalt Rail eigentlich hatte im Hintergrund bleiben wollen. Dafür spricht auch eine Liste der Ansprechpartner, die von der Bauoberleitung erstellt worden war. Daraus gehen der Auftraggeber (LEG), die Bauoberleitung (Die Ingenieurgruppe), die Projektleitung (DVB), der Prüfingenieur und der Auftragnehmer (BBF) hervor. Von einem Rechtsanwalt Rail oder irgendeiner ihm zugeordneten Funktion ist dort keine Rede.
Am merkwürdigsten aber war der Zeitpunkt, an dem dieser die Bühne betrat. Dabei ist klar, dass manchmal Probleme entstehen, die anwaltlicher Hilfe bedürfen. Aber dass ein Rechtsanwalt bereits vor Auftragsvergabe eingesetzt und mit sämtlichen Befugnissen ausgestattet wird, ist ein durchaus erwähnenswerter Sonderfall. Entweder misstraute die LEG also allen potenziellen Auftragnehmern, oder sie hatte von Beginn an das Gefühl, sich rechtlich auf dünnem Eis zu bewegen. Nicht umsonst haderte sie einerseits mit den Kosten, setzte andererseits aber Terminvorgaben, die nur vier Monate bis zur endgültigen Fertigstellung vorsahen.
Entsprechend war die BBF alarmiert, als ihr Rechtsanwalt Rail eröffnete, es müssten noch “zweckgebundene Mittel” bis zum Jahresende verbraucht werden. Es sei daher erforderlich, bereits jetzt den stählernen Brückenüberbau zu übereignen. Hierfür sollten sämtliche Lieferscheine, Gütezeugnisse und sonstige Unterlagen übergeben werden.
Der Wunsch nach Übereignung war zunächst nicht ungewöhnlich. Er diente dazu, Eigentumsrechte an einem vom Auftragnehmer gefertigten und vorfinanzierten Bauteil auf den Auftraggeber zu übertragen. Die Eile aber, mit der dies nun geschehen sollte, war beachtlich. Denn zu diesem Zeitpunkt war der Überbau noch gar nicht fertig, sondern lag noch zur weiteren Bearbeitung auf dem Gelände der BBF.
Zumal das Anliegen auch sonst nicht vertretbar erschien. Denn der ohnehin schon straffe Zeitplan wurde dadurch weiter verdichtet. Außerdem fehlten noch Unterlagen der Zulieferer, wodurch die spontane Übereignung nicht rechtzeitig realisiert werden konnte – aller Bemühungen zum Trotz.
Stattdessen stand plötzlich die Frage im Raum, wie das Projekt eigentlich finanziert war. Denn zweckgebundene Mittel fallen nicht einfach vom Himmel. Wären sie also Teil des ursprünglichen Budgets gewesen, hätte man die Übereignung auch rechtzeitig ankündigen und von Beginn an in die Planung mit einbeziehen können. Dass dies nicht geschehen war, ließ nichts Gutes erahnen.
Dass das Misstrauen gerechtfertigt war, lässt sich zeigen, indem man der Chronik an dieser Stelle ein wenig vorgreift. Denn als die Übereignung später nachgeholt wurde, wollte Rechtsanwalt Rail kein Vertragswerk vorlegen, das die vorgeschriebene Zahlungsklausel enthielt. Wäre es also nach ihm gegangen, hätte die BBF den nahezu fertigen Hauptgegenstand des Bauvorhabens per Unterschrift übertragen sollen, ohne dafür die Garantie einer Gegenleistung zu erhalten.
Man kann gar nicht genug betonen, was dies bedeutet hätte. Denn dann wäre es der LEG möglich gewesen, eine Zahlung vollständig zu verweigern – etwa unter Vorgabe von Mängeln. Wie sich noch zeigen wird, war gerade dies wohl auch angestrebt worden. Aber dazu später.
Ende 2007, also zeitgleich mit dem Scheitern des ersten Übereignungsversuchs, wurde die LEG plötzlich massiv unfreundlich. Wie sich dies äußerte, lässt sich in vier Punkten zusammenfassen:
Erstens: Obwohl es sich um eine Pflicht des Auftraggebers handelte, wurden die vierte und die fünfte Abschlagsrechnung gar nicht mehr geprüft. Entsprechend erfolgte auch keine Zahlung in vertragskonformer Weise. Stattdessen wurde nur ein völlig unzureichender Betrag überwiesen, der bis heute nicht spezifiziert wurde.
Zweitens: Es wurden Abmachungen nicht eingehalten und durch ein Sperrfeuer von unsinnigen und vertragswidrigen Anordnungen ersetzt. So hatte man sich etwa darauf geeinigt, die Spundwände mit Zugbändern zu fixieren, aber schon eine Woche später, also nachdem die Übereignung gescheitert war, wollte die LEG davon nichts mehr wissen. Sie forderte stattdessen, vierundvierzig Mannlöcher zu graben, um die Spundwände von außen verschrauben zu können. Dass dies weder zulässig noch geplant noch ausgeschrieben noch Teil des vom Auftraggeber akzeptierten Angebots war, focht auf Seiten der LEG niemanden an.
Drittens: Die Ingenieurgruppe weigerte sich, angemessen auf Verstöße gegen planerische Richtlinien zu reagieren. So waren etwa die Querträgerabstände des Brückenüberbaus so gering bemessen, dass Schweißarbeiten nur unter grenzwertigen Bedingungen möglich waren und deshalb mehr als doppelt so viel Zeit benötigten als veranschlagt. Selbstverständlich führte dies zu einem erheblichen Kostennachteil für die BBF. Obwohl die Querträgerabstände nachweislich die vorgeschriebenen Mindestabstände unterschritten, und obwohl das Problem auch dadurch hätte behoben werden können, dass man einfach die unsinnig breiten Flansche auf ein statisch gleichwertiges Normalmaß reduzierte, wurde jegliche Veränderung vom Planer kategorisch abgelehnt. Ohne eine ersichtliche statisch-konstruktive Notwendigkeit, und vor allem ohne rechtliche Abdeckung durch das Regelwerk, erschien dieses Vorgehen unseriös, schikanös und kontraproduktiv.
Viertens: Weitere offensichtliche Planungsfehler wurden so dargestellt, als handele es sich um Fehler der BBF. Dies hatte gleich doppelte Wirkung: Einerseits wurden entsprechende Mehrkosten, wie sie etwa durch zusätzliche Mengen an Material anfielen, grundsätzlich als „strittig” deklariert und blieben entsprechend zu Lasten der BBF unbeglichen. Andererseits war die BBF gezwungen, sich ebenfalls anwaltlich vertreten zu lassen, um Mängelbehauptungen und vertragsrechtlichen Vorwürfen begegnen zu können.
Über die von der LEG unterstellten Mängel wird später noch ausführlicher zu reden sein. Dies ist aber ein guter Moment, um zunächst etwas Grundsätzliches klarzustellen. Sollte nämlich der Auftraggeber Gründe haben, die ausführende Firma in ein schlechtes Licht zu rücken, geht dies am besten über „Pfusch am Bau“. Davon weiß jeder bereits eine Geschichte zu erzählen, die Empörung ist groß und der Bauunternehmer ist diskreditiert, ohne dass sich irgendjemand um die Fakten scheren würde.
Dieser Ansatz funktioniert fast immer, vor allem, wenn schwere Maschinen zum Einsatz kommen, große Mengen an Stahl und Beton bewegt werden müssen und die Gefahr, irgendwo anzuecken, besonders hoch ist. Zudem besteht das Publikum selten aus Fachleuten. Daher lassen sich auch geringfügige Schäden leicht zu einem handfesten Skandal aufblasen. Eine objektive Prüfung erfolgt dann, wenn überhaupt, erst später, so dass es höchstens noch um Schadensbegrenzung gehen kann. Insofern ist verständlich, dass zwar häufig von angeblichen Mängeln die Rede ist, aber nur selten davon, dass Probleme lediglich vorgeschoben wurden.
Das heißt nicht, das schwere Mängel nicht vorkommen können. Es wird jedoch leicht übersehen, dass auch diese durch das Regelwerk erfasst und gewöhnlich durch entsprechende Sicherheiten abgedeckt werden, etwa durch eine Vertragserfüllungsbürgschaft. Treten also während der Bauphase Probleme auf, hat die ausführende Firma das Recht, erforderliche Nacharbeiten selbst zu erledigen (und tut dies in der Regel auch).
Noch häufiger wird übersehen, dass auch Planungsfehler nicht unüblich sind. So kann es passieren, dass Arbeitsschritte vergessen, Materialmengen unterschätzt oder DIN-Normen missachtet werden. Außerdem ist es leichter, zeichnerische Vorgaben zu machen, als diese dann auch praktisch umzusetzen. Entsprechend gibt es gängige Verfahrensweisen, um auftretende Widersprüche zwischen Planung und Ausführung einvernehmlich zu beheben.
Dass dies meist gut funktioniert, liegt daran, dass ein Mindestmaß an Kooperation allen Beteiligten zugutekommen sollte. Umso erstaunlicher war, dass die LEG plötzlich unverhohlen auf Eskalation und Behinderung setzte.
Die BBF wandte sich deshalb an Adorfs Bürgermeister, der in seiner Funktion als Verwaltungschef auch eine Gesellschafterin der LEG vertrat. Es kam zu einem Treffen im Rathaus, bei dem vor allem das Vorgehen der Bauleitung thematisiert wurde. Der Bürgermeister wurde insbesondere über die ungeprüften Abschlagsrechnungen und den regelwidrigen Einbehalt entsprechender Zahlungen informiert. Auf explizite Nachfrage erklärte er dann, ihm sei bewusst, dass die Liquidität der BBF gefährdet sei. Er sagte deshalb zu, sich persönlich um die Angelegenheit zu kümmern.
Was genau er darunter verstand, ist rückblickend eine Frage wert. Denn Tatsache ist, dass er nie wieder von sich hören ließ. Erst als die BBF tatsächlich zum Aufgeben gezwungen war, wurde er vom Kreisanzeiger folgendermaßen zitiert: „Allerdings bedaure ich sehr, dass ein mittelständisches Unternehmen aufgeben musste. Das tut mir sehr leid.“
Besser kann man die Vorgehensweise der LEG wohl kaum veranschaulichen. Denn was Adorfs Bürgermeister so medienwirksam bedauerte, hätte er doch selbst verhindern müssen. Schließlich wusste er nicht nur rechtzeitig von der Zahlungsverweigerung, sondern ihm war ebenfalls bekannt, dass die BBF einen Folgeauftrag hatte, den man hätte vorziehen können. Die LEG hätte damit ausreichend Zeit gehabt, um die Ursachen ihrer Blockadehaltung zu beheben. Stattdessen wurde Adorfs Bürgermeister wortbrüchig und tat sich mit Aussagen hervor, die in den Ohren der BBF wie blanker Hohn klingen mussten. Denn die Ausflucht, man habe sich nicht in das Tagesgeschäft der LEG eingemischt, stand im krassen Gegensatz zu dem zuvor abgegebenen Versprechen.
Weil das Treffen im Rathaus ohne Wirkung blieb, geriet die BBF weiter in Schwierigkeiten. Denn auf die ersten fünf Abschlagsrechnungen hatte die LEG nur Zahlungen in Höhe von 218.000 Euro geleistet, dafür aber weitere 360.000 Euro einbehalten. Zu diesem Zeitpunkt war der Stahlüberbau bereits komplett vorgefertigt und vom Prüfingenieur zur Beschichtung freigegeben, aber noch gar nicht vollständig in den Abschlagsrechnungen enthalten. Gleichzeitig hatte die BBF eine Vertragserfüllungsbürgschaft über 35.000 Euro gestellt, die auch für Mängelbeseitigungsansprüche galt, ohne dass sich dadurch etwas an der Verweigerungshaltung der LEG geändert hätte21. Und nicht zuletzt hatte sich in der Zwischenzeit auch das tatsächliche Auftragsvolumen um etwa 40.000 Euro erhöht, da einige Mengenangaben im Leistungsverzeichnis zu niedrig angesetzt waren und somit höhere Kosten anfielen als bei der Kalkulation des Angebots vorherzusehen gewesen war. Entsprechend war die Liquidität der BBF zeitweise um fast eine halbe Million Euro reduziert.
Sie sah sich daraufhin gezwungen, die Arbeiten einzustellen. Dies geschah nach anwaltlicher Vorankündigung und einer angemessenen Nachfrist, also genau so, wie es die VOB für solche Fälle vorschreibt. Die LEG stand entsprechend unter Zugzwang.
So traf man sich erneut im Adorfer Rathaus, diesmal unter Federführung des Bauherrn. Das Ziel war angeblich, eine „gütliche Fortsetzung des Vertragsverhältnisses“ zu erreichen. Dazu wurde die BBF gebeten, den bisher gefertigten Brückenüberbau zu übereignen und die Arbeiten wieder aufzunehmen. Allerdings sprach Bände, was die LEG dafür anbieten wollte.
Denn zum einen tat sie so, als sei die Prüfung und Bezahlung von Abschlagsrechnungen Teil der Verhandlungsmasse. Dabei gehörte beides zu den unverzichtbaren und selbstverständlichen Grundbedingungen, um überhaupt eine Verhandlung zu führen.
Zum anderen versprach die LEG, das bereits eingeleitete Beweissicherungsverfahren zur Feststellung baulicher Mängel zurückzunehmen. Die BBF nahm dies mit Erstaunen zur Kenntnis. Denn über ein solches Verfahren hatte man sie bis dahin noch gar nicht informiert.
Weil aber klar war, dass ein Baustopp niemandem weiterhalf, ging die BBF auf die Vorschläge ein. Allerdings entpuppte sich das, was zunächst wie ein Einlenken der LEG oder zumindest wie eine brauchbare Lösung ausgesehen hatte, als perfides Täuschungsmanöver. Denn tatsächlich blieb die LEG alles schuldig, was sie zugesagt hatte.
Zumal auch die Übereignung der Brücke alles andere als reibungslos verlief. Denn der bereits erwähnte Versuch, Verträge ohne Zahlungsklausel zur Unterschrift zu bringen, genügte weder den Anforderungen der VOB noch entsprach er den guten Sitten. Erst als die BBF selbst einen Vertragsentwurf vorlegte, wurde die Übereignung realisiert. Dann allerdings erfolgte die Bezahlung erneut nicht fristgerecht, sondern erst eine volle Woche später. Zudem wurde aus Journalistenkreisen berichtet, das Geld stamme gar nicht von der LEG, sondern von einem „Investor“. Daher ist auch nicht ersichtlich, dass die LEG jemals die erforderlichen Mittel bereitgestellt hatte.
Entsprechend hielt sie auch ihre Zusage nicht ein, die letzten beiden Abschlagsrechnungen zu prüfen. So blieben...