Vierter Teil
Weiterungen des umweltökonomischen Grundmodells
A. Umweltschutz als unreines öffentliches Gut
I. Kuppelproduktion mit Outputs von verschiedenen Graden an Öffentlichkeit
Jeder Produktionsprozess ist ein Kuppelproduktionsprozess (Baumgärtner et al. 2001). Dies bedeutet, dass die Transformation von Inputs in einem Produktionsprozess mehrere Outputs mit verschiedenen Effekten/Eigenschaften generiert. Einige dieser Effekte mögen erwünscht, andere unerwünscht sein.
Selbst die Zubereitung scheinbar homogener Güter wie Hühnereier kann als Kuppelproduktion beschrieben werden. Durch die Zubereitung von Eiern werden – je nach Klassifizierung – unterschiedliche Niveaus messbarer, konsumierbarer Eigenschaften »produziert«, etwa unterschiedliche Vitamingehalte (Gorman 1980).234 Wie Lancaster (1966, 1971) in seinem Charakteristika-Ansatz herausstellt, sind Akteure wie bspw. Konsumenten an nutzenstiftenden Eigenschaften von Gütern interessiert und nicht an den Gütern selbst. Er beschreibt die Verbindung zwischen Gütern und Menschen als eine zweistufige Angelegenheit: Ein Gut besitzt bestimmte Eigenschaften (erste Stufe), und es sind diese Eigenschaften, an denen der Konsument (auf der zweiten Stufe) interessiert ist und aus denen er Nutzen zieht. Er interessiert sich also nicht für das Ei selbst, sondern für Eigenschaften des Eis wie Vitamingehalt oder Geschmack.
Überträgt man dieses Schema auf die »Produktion« von Umweltschutz, kann man die verschiedenen relevanten Eigenschaften – oder besser: verschiedene Effekte – von Umweltpolitiken komfortabel erfassen. Im Klimaschutzkontext geschieht dies über Koeffekt-Ansätze (Buchholz et al. 2020b).
Die Nutzen von Ko-Effekten, die zusätzlich zu den klimaschützenden Effekten von Klimapolitiken auftreten, werden in der englischsprachigen Literatur je nach Gewichtung dieser Zusatznutzen als ancillary benefits, co-benefits oder secondary benefits bezeichnet. Nebeneffekte können auch mit Kosten verbunden sein und man spricht in diesem Zusammenhang von ancillary cost (Buchholz et al. 2020a). Den Nutzen aus Klimaschutzeffekten, der durch Klimapolitiken in der Regel primär angestrebt wird, nennt man Primärnutzen. Sieht man den Klimaschutznutzen einer Umweltschutzpolitik nicht als vorrangig (gegenüber den übrigen Nutzen) an, findet der Ausdruck multiple benefits Anwendung, d. h. keine Benefit-Kategorie wird besonders betont (Kerr/Gouldson/Barrett 2017).235
Abb. 18
Im Einklang mit dem zweistufigen Charakteristika-Ansatz von Lancaster kann man die Kuppelproduktion im Umweltschutz und die dadurch generierten Nutzen wie folgt darstellen:
Abb. 19
Mayrhofer und Gupta (2016) bezeichnen co-benefits als ein übergreifendes Konzept, welches multiple positive Effekte erfasst. Ko-Effekte von Klimaschutzmaßnahmen sind beispielsweise lokale oder regionale Luftqualitätsverbesserungen (Burtraw et al. 2003), Arbeitsmarkteffekte und die »Doppelte Dividende« der Entzerrung des Steuersystems (Bovenberg 1999, Goulder 1995), Energiesicherheitsauswirkungen (Lefèvre 2007), Armutsreduktion (Rive/Rübbelke 2010) und Hervorrufen eines Warm-Glow-Gefühls (Schleich/Schwirplies/Ziegler 2018, Taufik/Bolderdijk/Steg 2015). Zu immateriellen Ko-Effekten wie dem Warm-Glow, also dem wohligen Gefühl, das man spürt, wenn man etwas Gutes vollbringt, sei auch auf Abschnitt F. dieses Teils des Buches hingewiesen.
Die verschiedenen Effekte von Klimaschutzmaßnahmen besitzen unterschiedliche Grade an »Öffentlichkeit«. Während der Klimaschutz ein globales öffentliches Gut darstellt, werden die sekundären Effekte zumeist nur lokal/regional wirksam, d. h. sie sind für das Land, in dem die Klimaschutzmaßnahme durchgeführt wird, häufig »privat«. Wegen seiner Effekte mit unterschiedlichen Graden an Öffentlichkeit wird Klimaschutz in vielen Studien als unreines öffentliches Gut (impure public good) bezeichnet.236 Das Standardmodell zur Analyse der freiwilligen Bereitstellung solcher unreinen öffentlichen Güter, lässt sich komfortabel dem entsprechenden Standardansatz bei reinen öffentlichen Gütern gegenüberstellen.
Wenden wir uns zunächst dem Fall eines reinen öffentlichen Gutes zu, wobei wir die Standardannahme nutzen, dass sich die insgesamt von einem Akteur konsumierbare Menge
G des reinen öffentlichen Gutes über eine Summationstechnologie beschreiben lässt, d. h.
G ist einfach die Summe der Einzelbeiträge
gi, mit
i = 1,…,
n, der
n Akteure (Länder) zu diesem Gut. Die Nutzenfunktion
sei stetig, streng monoton steigend, strikt quasi-konkav und durchgehend zweifach differenzierbar.
G−i steht für die Bereitstellungsmenge aller Akteure außer
i und
yi ist der Konsum eines privaten Gutes durch den Akteur
i. Das private Gut sei ein Numéraire-Gut, d. h. sein Preis ist gleich eins. Der Preis des öffentlichen Gutes sei gleich
p.
Das Nutzenmaximierungsproblem des Akteurs i stellt sich dar als
unter der Nebenbedingung
wobei Ii für das Einkommen des nutzenmaximierenden Akteurs steht. Wir erhalten die folgende Bedingung erster Ordnung:
Der betrachtete Akteur wird somit den Klimaschutz (das öffentliche Gut) bis zu dem Niveau bereitstellen, bei dem die Grenzrate der Substitution
zwischen öffentlichem und privatem Gut gleich dem Preisverhältnis
p beider Güter wird.
Ein globales Optimum, also ein Klimaschutzniveau, welches global den Nutzen maximiert, würde dadurch nicht erreicht. Im Folgenden werden wir ein Pareto-Optimum bestimmen, also ein Ergebnis, bei dem sich kein Akteur mehr besserstellen kann, ohne jemand anderen schlechter zu stellen. Das Konzept des Pareto-Optimums haben wir bereits im ersten Teil dieses Buches vorgestellt.
Dazu lösen wir das Nutzenmaximierungsproblem für alle Akteure (Länder). Daraus leiten wir dasjenige individuelle Bereitstellungsniveau ab, welches die globale Wohlfahrt maximiert. Wir nehmen an, dass die Einzelakteure in der sozialen Nutzenfunktion U gleichgewichtet sind, so dass wir das folgende Maximierungsproblem lösen müssen:
unter der Nebenbedingung
Die Lösung dieses Problems ist die Samuelson-Bedingung (vgl. Samuelson 1954), welche besagt, dass die Bereitstellung des öffentlichen Gutes pareto-effizient erfolgt, wenn die Summe der Grenzraten der Substitution zwischen öffentlichem und privatem Gut aller Akteure gleich dem Preisverhältnis beider Güter ist:
Diese Bedingung weicht ab von der zuvor bestimmten Bedingung für den Fall, dass der Akteur nur seinen eigenen Nutzen maximiert, da nun auch die positiven (externe) Effekte der Bereitstellung auf andere Akteure berücksichtigt werden und entsprechend mit der Samuelson-Bedingung ein höheres Bereitstellungsniveau verbunden ist. Es besteht also eine suboptimal niedrige Bereitstellung des Klimaschutzes, wenn Akteure individuell rational agieren. Eine solche Lücke zwischen individuell und kollektiv rationalen Bereitstellungsniveaus bleibt auch im Fall unreiner öffentlicher Güter bestehen, wie wird im Folgenden zeigen werden.
Die folgende Darstellung basiert auf dem Standardmodell zur Analyse unreiner öffentlicher Güter von Cornes/Sandler (1984), das die Abbildung der Nutzenfunktion um das private Charakteristikum z erweitert, welches durch das unreine öffentliche Gut generiert wird. Es sei angenommen, dass eine Einheit des öffentlichen Gutes α Einheiten von z generiert. Die Variable G steht weiterhin für die Menge des öffentlichen Gutes, aber zudem (ebenfalls weiterhin) für die Menge des dadurch generierten öffentlichen Charakteristikums. Das durch das unreine öffentliche Gut generierte private Charakteristikum sei ein anderes, als das durch das private Gut erzeugte Charakteristikum.
Das Maximierungsproblem eines einzelnen Akteurs liest sich wie folgt:
unter den beiden Nebenbedingungen
und
Die Lösung dieses Problems ergibt:
Das individuell-rationale Bereitstellungsniveau des öffentlichen Gutes Klimaschutz wird also infolge der Berücksichtigung der (privaten) Zusatznutzen (co-benefits) höher ausfallen als im Fall, in dem lediglich global-öffentliche Effekte (primary effects) Beachtung finden.
Analog zur Bestimmung der Samuelson-Bedingung weiter oben können wir nun auch im Fall eines...