Der lange Weg nach Hause
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Der lange Weg nach Hause

Der Sohn des Bundeskanzlers erinnert sich

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Der lange Weg nach Hause

Der Sohn des Bundeskanzlers erinnert sich

About this book

Kurt von Schuschnigg erlebt bis zu seinem neunten Lebensjahr eine behütete Kindheit als Sohn eines Innsbrucker Anwalts. Nach der Ermordung von Bundeskanzler Dollfuß wird sein Vater 1934 dessen Nachfolger. Ein Jahr später erleidet die Familie einen schweren Autounfall, bei dem Kurts Mutter Herma von Schuschnigg tödlich verunglückt. Als Bundeskanzler bemüht sich Schuschnigg vergeblich, die westeuropäischen Demokratien für Österreich zu sensibilisieren. Unmittelbar nach dem Anschluß im März 1938 wird er mitsamt seiner Familie im Belvedere "unter Hausarrest" gestellt und schließlich ins Münchner Gestapo-Hauptquartier gebracht. Ende 1941 verlegt man ihn ins Konzentrationslager Sachsenhausen, wohin ihm Vera von Schuschnigg mit der kleinen Tochter Sissi freiwillig folgt. Sohn Kurt, der mit der Verhaftung seines Vaters ebenso zu einer "Unperson" im Dritten Reich wird, erhält Zutritt als Besucher und wohnt dort während seiner Schulferien.In seiner Biografie erinnert sich Kurt von Schuschnigg an seine Beobachtungen und Erfahrungen sowie an seine Begegnungen mit Himmler und Hitler. Er berichtet in diesem spannenden Zeitzeugenbericht von einem ungewöhnlichen Familienleben als Sohn des Bundeskanzlers in einer politisch unruhigen Zeit, seinen Erlebnissen als Luftwaffenhelfer und Marinesoldat auf der "Prinz Eugen" sowie seiner abenteuerlichen Flucht nach Südtirol.

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Sommerfrische

In diesen Weihnachtstagen 1941 hatte ich mein erstes Erwachsenengespräch mit Vera. Während Sissi schlief und Vater las, rief sie mich in die Küche.
»Setz dich, Kurtl. Ich möchte unsere Situation mit dir besprechen.«
Das kam überraschend.
»Ich muß schauen, was sich machen läßt, denke auch an einen Brief an Hitler, in dem ich ihm deine Spielsachen, die Eisenbahn, deine Soldaten und was sonst noch eingelagert ist, für arme Kinder des Reiches anbiete.«
»Er kann natürlich alles haben, aber glaubst du, daß ihn das interessiert?« – Sie antwortete nicht. »Der Vermeer würde ihn mehr reizen.« Diesen Teil ihrer Familiengeschichte kannte ich von Rudi. Sein Großvater hatte das Herzstück der Czernin-Sammlung, Vermeers weltberühmtes Werk »Die Kunst der Malerei« oder »Die Malerei« geerbt. Es stellt einen Künstler dar, vermutlich Vermeer selbst, der eine blaugekleidete junge Frau malt, die ein Buch in einer Hand und eine Trompete in der anderen hält. Dieses Bild schien mir eine jedenfalls größere Verlokkung als meine Spielzeugsammlung zu sein. Veras Antwort traf mich unvorbereitet.
»Kurtl, du weißt, daß ich als ›Unperson‹ gelte.« Sie hielt inne, starrte auf einen Punkt irgendwo über meinem Kopf, holte tief Luft und sagte: »Das Bild ist weg. Die Nazis haben es längst.« Ihrem vier Jahre jüngeren Bruder Jaromir Czernin hatte man angedroht, das Bild zu beschlagnahmen, wenn es nicht »zum Verkauf stehe«. Es war unglaublich. Früher hatte Vera dieses Bild gelegentlich als ihre finanzielle Zukunft bezeichnet. Ob Rudi das wußte? Er hatte mir erzählt, Andrew W. Mellon, einer der reichsten Amerikaner, habe im Jahr 1935 eine Million Dollar für das Gemälde geboten. Aber die österreichischen Gesetze verboten die Ausfuhr von »nationalem Kulturgut«, und dazu zählte auch der Vermeer, der heute im Kunsthistorischen Museum in Wien hängt.
Ich sah, wie Veras Augen feucht wurden, und versuchte verzweifelt, sie zu trösten. Sie ging zur Abwasch, um sich mit Hausarbeit abzulenken. Ich streichelte ihren Arm.
»Bitte, weine nicht. Es wird schon alles werden. Die Alliierten werden siegen und das Bild zurückbringen.«
Vera umarmte mich und strich meine Haare zurück.
»Du hast recht. Das glaube ich auch. Ich bin nur dumm. Aber ich schreibe Hitler doch und biete ihm deine Spielsachen an. Haben wir Glück, bekommst du die auch nach dem Krieg zurück.«
Wir mußten beide lachen. Der Führer würde alles für die unterprivilegierten Kinder des Reiches bekommen. Nur hatten wir etwas Entscheidendes übersehen: Im Dritten Reich durfte es keine »armen, unterprivilegierten Kinder« geben. Etwas anderes zu behaupten, grenzte an Blasphemie.
Es war fast unbegreiflich, daß Vera aus freien Stücken dieses Leben mit uns teilte. Als Gräfin Czernin von Chudenitz war sie in eine Welt des Wohlstands und gesellschaftlicher Privilegien hineingeboren worden, ihre Familie besaß seit Jahrhunderten erhebliches Vermögen, ja Reichtum. Ihre Mutter war eine geborene Prinzessin zu Hohenlohe-Waldenburg-Schillingsfürst-Kaunitz. Vera war durch und durch Aristokratin und hatte dieses dazugehörende Selbstbewußtsein, das ich an ihr von Anfang an bewunderte. Selbst ein paar Spritzer Schlagobers im Gesicht sahen bei ihr so aus, als gehörten sie genau dorthin. Dumm oder lächerlich auszusehen, war ihr ein Ding der Unmöglichkeit. Obwohl sie fünf Kinder zur Welt gebracht hatte, war sie noch immer gertenschlank. Das kleine Einkommen, über das sie verfügte, kam uns in unserer Lage besonders zugute, zwang aber zu knappster Kalkulation, freilich mit einer Ausnahme: Da in ihrem Denken jeder, der armselig wirkte, auch so behandelt wurde, hat sie ihre Ausgaben für Friseur und Maniküre mitnichten eingeschränkt. Das Resultat verfehlte nicht einmal im Lager seine Wirkung. In ihrer Anwesenheit schlug jeder Wärter die Hacken zusammen.
Wenn sich unsere Umstände in Grenzen verbessert hatten, war das vor allem Veras Verdienst. Sie trug eine unglaubliche Verantwortung. Wohl deshalb ertrug sie es auch nur schwer, wenn ich ihr ungehorsam schien. Wortgefechte, die dann entstanden, gingen regelmäßig zu meinen Ungunsten aus. Bei Fräulein Alice war das anders gewesen; sie war zwar gutmütig und geduldig, aber auch schlau wie ein Fuchs und mir immer einen Schritt voraus. Wenn ich bei ihr auch selten die Oberhand gewann, entmutigten mich Niederlagen doch weniger.
Sachsenhausen lag nahe am Zentrum des Reiches. Umso energischer bemühte sich Vera mit viel Planung, Energie und Entschlußkraft um Vaters Freilassung. Weder durch Einschüchterung noch mit Charme, wenn es bei Nazis so etwas überhaupt gab, konnte man ihr etwas anhaben. Und sie verstand die vorherrschende Mentalität, hielt sich nicht mit subalternen Rängen auf, richtete ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Spitze der Hierarchie.
Auf der Suche nach einem Gynäkologen in Berlin war sie durch Tante Mariannes Rat auf Dr. Rust gestoßen. Er entband Tante Mariannes drittes Kind, Verena, im April 1940. Dr. Rust war der Schwiegersohn der berühmten, auch bei den Nazis hochangesehenen Filmschauspielerin Olga Tschechowa. Er genoß ebenso Ansehen als Arzt wie als Gentleman. Aber das war nicht alles. Unter seinen Patientinnen war auch eine andere – ehemalige – Schauspielerin namens Emmy Sonnemann, jetzt Frau Hermann Göring. Das eröffnete für Vera die Möglichkeit zu einer Kampagne an einer weiteren Front. Dr. Rust ließ Veras Schicksal, das damals längst auch durch ausländische Zeitungen gegangen war, nicht kalt. »The Sketch«, eine englische Illustrierte, hatte ein ganzseitiges Bild von Vera veröffentlicht. In dem Artikel hieß es neben anderen journalistischen Phantastereien, sie habe Vater in Gegenwart von 150 SA-Männern geheiratet. In den USA, die sich damals noch nicht im Krieg befanden, war Vater auf der Titelseite der »Time« zu sehen gewesen, aber auch da war vieles falsch. Freilich waren solche unzutreffenden Meldungen nichts gegen die unglaublichen Lügen, die im Reich kursierten. So hieß es, Vater habe mehrere Villen und prall gefüllte Bankkonten im Ausland. Er lebe abgeschieden irgendwo im Herzen Europas unter dem »Schutz« der Nazis. In all diesen Phantastereien war die Handschrift Heinrich Himmlers und Joseph Goebbels’, des obersten Märchenerzählers der Nation, zu erkennen.
Dr. Rust sprach das »Thema Schuschnigg« bei Frau Görings nächstem Termin an und berichtete anschließend, diese sei von Veras freiwilligem Aufenthalt in Sachsenhausen beeindruckt und noch erstaunter, daß auch Sissi im Lager lebte. Ob dieses Gespräch irgendeine direkte Auswirkung auf unser Leben hatte, ist schwer abzuschätzen. Jedenfalls war es ein weiteres Beispiel für den selbstlosen Einsatz eines verständnisvollen Menschen in einer Zeit, in der Zivilcourage gefährlich enden konnte.
Meine Noten am Münchner Gymnasium fielen in der zweiten Hälfte dieses Schuljahres ins Bodenlose, die Zeugnisse wurden elend schlecht. Die Lehrer versuchten die Ursachen in kleinen Gesprächen zu klären. Sie blieben freundlich, standen aber vor einem Rätsel. Ich war nicht krank, hatte keinen Unfall erlitten, auch keine neue Katastrophe war ausgebrochen. Dennoch stimmte irgend etwas nicht, die Beweise lagen da, schwarz auf weiß. Vaters Enttäuschung deswegen spürte ich nur zu bald, auch wenn er in seinen Briefen darüber meist hinwegging.
Auch Vera war ziemlich unglücklich über meine erbärmlichen Leistungen. Und sie hatte völlig recht. Eine Schule wie das Wittelsbacher Gymnasium stellte große Anforderungen an unsere ohnehin beschränkten finanziellen Mittel, und dazu kamen noch die Kosten für das Schülerheim Schmitt. Doch mein Kopf gehorchte nur seinen eigenen Regeln, ich weigerte mich einfach, den Gegebenheiten ins Auge zu schauen. Einer meiner L...

Table of contents

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Widmung
  6. Vorwort
  7. Verantwortlichkeit
  8. Die Wirklichkeit
  9. Schockwellen
  10. Im Kriegsministerium
  11. Katastrophe
  12. Herumgereicht
  13. Kalksburg
  14. Trennung
  15. München
  16. Große Veränderungen in der Familie
  17. Sommerfrische
  18. Von Feurich zum Haus der Rüstung
  19. Kriegsmarine
  20. Erholung
  21. Weg aus Deutschland
  22. Tirol
  23. In Richtung Süden
  24. Im Widerstand
  25. Der Aufstieg
  26. Der lange Weg zurück
  27. Epilog
  28. Nachwort
  29. Literaturverzeichnis
  30. Register