Klaus Kinski
Fitzcarraldo bis Paganini
In 8000 Metern Höhe, im Flugzeug zwischen Berlin und Hamburg, zementierte ich meine Freundschaft mit Klaus Kinski. Am Abend zuvor waren wir bei der Berliner Premiere von Der letzte Ritt nach Santa Cruz (1963) gewesen – mit Karl Spiehs als Produzent, Regisseur Rolf Olsen und Marisa Mell, dem weiblichen Star des Films –, jetzt war ich Kinskis Sitznachbar, endlich eine Chance für ein Interview. Noch in Berlin hatte ich Klaus nach seinem nächsten Dreh gefragt. »Keine Ahnung«, schnaubte er, »irgendwas mit Brezel oder Rätsel …« Drei Tage später fiel für ihn in London die erste Klappe für Die Gruft mit dem Rätsel-Schloß.
»Scheiß auf’n Interview«, wehrte Klaus ab, »schreib doch, was du willst, kennst mich ja.« Aber ich beharrte wenigstens auf einem Original-Zitat: »Würdest du an der Wiener Burg spielen?«, fragte ich ahnungslos, nie gehört von Torquato Tassos Handküsschen. Prompt kam die Antwort: »Der Haeusserman sollte die Beatles an die Burg engagieren. Wenn er das tut, übernehme ich gratis die Conférence der Pilzköpfe und trage dabei die gleiche Frisur. Allerdings müsste Herr Kortner Regie führen. Mit gleicher Haartracht.« Die Kombination Kinski, Beatles, Kortner und Wiener Burg war saftiges Futter für den deutschen Boulevard, der prompt bei Adabei mitnaschte, und seither hatte ich bei ihm immer eine offene Tür.
Am Burgtheater hatte ich Klaus Kinski nie erlebt, als er als Versuchsballon seines Talentes im Jahr 1956 eine Vorstellung als Torquato Tasso spielen durfte. Auch seinen Kortner-Film Sarajevo, in dem Kinski den Attentäter Čabrinović verkörpert und bei dessen Dreharbeiten er eine heftige Liebschaft mit seiner Tiroler Filmpartnerin Erika Remberg begann, kannte ich nicht. Unsere Pfade – Kinski damals hoch zu Ross – kreuzten sich zum ersten Mal auf Gran Canaria bei den Dreharbeiten für Der letzte Ritt nach Santa Cruz. Schon damals war Klaus Kinski nicht nur in der Branche als schwierig, exzentrisch und unbeherrscht verschrien.
»Keine Spur! Bei mir ist er lammfromm«, wiegelte Karl Spiehs ab, der mit dem Hollywood-Schauspieler Edmund Purdom, Mario Adorf, Marisa Mell und Sieghardt Rupp (Regie: Rolf Olsen) den Verschnitt zwischen Winnetou-Filmen und Italo-Western produzierte.
Spiehs hatte Kinski-Erfahrung: »Ich hab den Klaus schließlich vor einer Taschenpfändung durch einen Gerichtsvollzieher auf offener Bühne in der Wiener Stadthalle gerettet. So was vergisst Kinski nicht«, grinste Spiehs, damals Produktionsleiter der Stadthalle. Zwar hatte Kinski, im westpreußischen Zoppot als Klaus Günter Karl Nakszynski geboren, schon einige Filme gedreht, Hanussen mit O. W. Fischer, damals der größte Star im deutschen Film, oder Ludwig II., in dem Kinski den grenzdebilen Bruder des Bayern-Königs spielte – aber das Geld reichte nie. So verfiel Kinski auf Rezitation – Villon, von ihm selbst neu übersetzt, Rimbaud, Bertolt Brecht und das Neue Testament. Glänzende Kritiken, aber nicht überall zündete die Rezitations-Tournee quer durch Deutschland. Absagen in Kiel, Marburg, Göttingen und Aschaffenburg.
Robert Jungbluth, später Bundestheater-Chef, heizte Kinski auf: »Klaus, du musst etwas Spektakuläres machen, damit mehr Leute kommen.« Kinski sorgte für Spektakuläres, warf einen brennenden Kerzenleuchter ins Publikum, weil einer gehustet hatte. Riesen-Schlagzeile für Bild, und die Kassen wurden gestürmt.
»4000 in der Stadthalle. Sensationell für eine Lesung!«, betonte Spiehs. »Ich steh noch beim Portier, da kommt einer mit Aktentasche und zeigt seinen Kuckuck – Gerichtsvollzieher, will zu Kinski auf die Bühne zur Taschenpfändung. Ich sofort zu Klaus in die Garderobe: ›Gib sofort die Gage her, die wollen dich pfänden.‹ Kinski greift in die Hosentasche, drückt mir ein Geldbündel in die Hand. 5000 Mark, die Abendgage. Der Herr Exekutor hat in der Kulisse g’wartet bis zum Ende der Rezitation. Als er dort seinen Kuckuck zückte, schrie Kinski los: ›Keine müde Mark kriegen Sie!‹ Die Lautsprecher waren noch nicht abgeschaltet – eine Zugabe fürs Publikum, das gerade hinausströmte.«
Dass Kinski kein Burgschauspieler wurde, lag wohl an seinem Torquato Tasso. Er durfte für Albin Skoda einspringen, an seiner Seite Ewald Balser, Judith Holzmeister, Alma Seidler, Fred Hennings, von Raoul Aslan gut, aber langweilig inszeniert, wie Christian David in Kinski. Die Biographie (2006) registrierte. Damals galt noch das berüchtigte Vorhangverbot für Ensemblemitglieder des Burgtheaters. Erst Helmut Zilk machte als Unterrichtsminister damit Schluss. Aber jeder Burg-Debütant oder -Gast durfte schon vor den Vorhang: Kinski nur ein einziges Mal. Er verbeugte sich nicht nur, sondern warf wie eine Diva Kusshändchen ins Publikum. Judith Holzmeister über seine Attitüde: »Das war Operette!«, und Raoul Aslan gab sich höchst unwirsch, dürfte wohl gegen Kinski intrigiert haben.
Also nix mit der Burg. Da half kein O. W. Fischer und kein Kortner. Als Ausweg bot sich das Kleine Theater im Konzerthaus mit Villon-Lesungen an. Als Spiehs Kinski zum Letzten Ritt holte, hatte er bereits eine Wallace-Filmserie, darunter Der Rächer, Die toten Augen von London, Die seltsame Gräfin, Der Zinker und Das Rätsel der roten Orchidee gedreht, mit Partnern wie Joachim Fuchsberger, Christopher Lee, Marisa Mell, Pinkas Braun und Heinz Drache gefilmt.
Gran Canaria war Mitte der 1960er-Jahre vom Tourismus total verschont. Keine Spur von Ballermann wie auf Mallorca. »Ein Flughafen, ein Leuchtturm, eine Wechselstube, eine Düne und eine Fischbude«, registrierte Karl Spiehs damals, »und keine Pferde auf der Insel. Das hat mich ein Vermögen gekostet, wir mussten zehn filmtaugliche Pferde per Schiff aus Brüssel verfrachten, damit wir in den kahlen Bergen drehen konnten. Zum Glück konnten alle reiten. Der Mario Adorf saß schon bei vier Filmen im Sattel und sollte nach dem Letzten Ritt zu einem Western mit Starregisseur Sam Peckinpah, wieder als mexikanischer Bandit, Marisa Mell war schon in Kanada geritten, Marianne Koch war als Nymphomanin in einem französischen Film sattelgerecht und Kinski ist sowieso ein passionierter Reiter, hatte in Berlin sein eigenes Pferd und kauft jetzt sogar sein Filmpferd für 6000 Mark.«
Als Western-Bandit ritt Kinski nicht nur wie ein Kosak, er machte auch all seine gefährlichen Stunts selbst, ließ sich vom Lasso aus dem Sattel zerren und durch den Sand schleifen.
Den echten internationalen Durchbruch schaffte Kinski mit Doktor Schiwago (1965) mit der sehr knappen Rolle des Anarchisten Kostojed-Amurski. Er dominierte seine Szenen neben Weltstars wie Omar Sharif, Julie Christie, Geraldine Chaplin, Rod Steiger und Alec Guinness. Regie führte Oscar-Preisträger David Lean (Die Brücke am Kwai, Lawrence von Arabien), Produzent: Carlo Ponti, der Ehemann von Sophia Loren.
Zuvor hatte Kinski, als Filmstar schon fest etabliert, Sergio Leones Superwestern Für ein paar Dollar mehr mit Clint Eastwood und Lee Van Cleef gedreht. Da kassierte er in Cinecittà bereits Supergagen. Pro Film 50 Millionen Lire, damals bescheiden umgerechnet an die zwei Millionen Schilling. Seine Existenz war in Rom nicht zu übersehen. Überall rollten Busse mit seinem Porträt in Überlebensgröße, dazu der ...