Nur daß wir ein bischen klärer sind
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Nur daß wir ein bischen klärer sind

Der Briefwechsel 1989 und 1990

André Müller, Peter Hacks

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  1. 160 pages
  2. German
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Nur daß wir ein bischen klärer sind

Der Briefwechsel 1989 und 1990

André Müller, Peter Hacks

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"Die wichtigere Frage: in all dem, was wir schreiben, schlägt nicht nur die Zeit durch, sondern auch die angestrengte Haltung, die uns die Zeit des Zusammenbruchs aufnötigt. Unsere Witze sind gut, aber sind sie auch leicht? Die Gegenstände sind die richtigen, aber behandeln wir sie unbeschwert? Wir schreiben mit Haltung; wirken wir da nicht leicht steif?" (Müller an Hacks)"Die Frage, die an mir nagt, ist wichtiger. Die BRD-Gitanes schmecken nicht so gut wie die französischen, die es im Shop gab, sind auch, glaube ich, zu teuer. Ich erwäge, meine Zigaretten in Frankreich zu kaufen. Weißt Du möglicherweise, wie hoch bei Zigaretten der Zoll ist...?" (Hacks an Müller)

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Information

Year
2012
ISBN
9783359500100
An Hacks Köln, 1. 12. 1989
Liebster Peter,
die Frage, die mich heute interessiert und die bis zum Abend schrecklicherweise unbeantwortet bleibt, ist: Kniet Gorbatschow nun vor dem Papst, oder kniet er nicht?
Von Hölle zu Hölle herzlichste Grüße
André
P. S. Ist der Stalin angekommen? er war an Fenne adressiert
An Hacks Köln, 3. 12. 1989
Liebster Peter,
ich, wir, haben eben die Nachrichten gehört: die Verhaftung Honneckers, der Rücktritt des ZKs und des Politbüros der SED, die Jagd auf den Devisen-Staatssekretär ...
Es ist klar: die Konterrevolution läßt jetzt die sozialistische Maske fallen. Es wird gefährlich, lebensgefährlich. Zudem ist Biermann zurück und ich warne Dich vor dem Haß dieses Verbrechers.
Bitte nimm das ernst. Du weißt: mit dem Satz, sie werden es nicht wagen oder was wollen sie schon mit mir, sind Danton und tausende, zehntausende Juden umgekommen. Trau keinem Frieden. Rechne mit keiner Verschonung. Sie werden nicht fragen, ob du zwanzig Jahre nicht gedruckt wurdest, weil Du Honnecker kritisiertest, sie werden »Aufhängen« schreien.
Bitte kommt zu uns. Juntersdorf steht zu Eurer beliebigen Verfügung. Es gibt dort eine Heizung. Die Scheune ist ausgebaut, fertig, mit Küche, Dusche, einem großen und einem riesengroßen Zimmer. Es gibt dazu die Gästezimmer, es gibt überall Zentralheizung.
Fahrt also eine Zeitlang in Urlaub, zumindest die nächsten zwei oder drei Monate. In jedem Fall solltest Du kommen. Noch geht Euer Visum für dieses Jahr. Nächstes Jahr geht gar nichts mehr. Was im Gesetz steht, gilt nicht für Euch.
Regele Deine Dinge schnell. Sorge für Deine Manuskripte. In Juntersdorf könnt Ihr auch Jahre lang leben, wohnen.
Bitte nimm das nicht auf die leichte Schulter. Eine Konterrevolution ist eine Konterrevolution, und jeder weiße Terror ist vierzigfach brutaler, als wir es je waren.
Wir umarmen und erwarten Euch.
Ganz herzlich
Anja + André
Devisen-Staatssekretär, Alexander Schalck-Golodkowski.
An Hacks Köln, 9. 12. 1989
Liebster Peter,
Dank für »Jona«. Die Gründe für den Zusammenbruch sind so außerordentlich genau formuliert, daß einem der Atem stockt, wenn man sie wieder liest. Genau das waren sie, schade, daß der ungewollte Sieg in der Schlacht ausgeblieben ist. Man kann der Literatur der DDR insgesamt ja nicht nachsagen, daß sie den Zusammenbruch nicht hätte kommen sehen, den sie freilich wünschte und also mitbesorgte. Aber zur Ehre der DDR-Literatur gab es wenigstens ein Werk, das ihn auch vorhersah, aber nicht wollte, ihn also zu verhindern trachtete – mithin auch nicht gespielt wurde. – Beim Lesen entdecke ich viele neue Schönheiten, wie immer, wenn man Werke großer Dichter wiederliest. Ich würde gerne auf der Bühne sehen, wie die Fabel sich mitteilt, ob sie meine Einwände entkräftet – Du würdest das auch gerne sehen wollen – aber damit wird wohl vorerst nichts sein.
Die unerhörte Geschwindigkeit des Zusammenbruchs ist erstaunlich, selbst dann, wenn man nie den Behauptungen über die Einheit, die Geschlossenheit und die Kampfkraft der Partei Glauben schenkte. Aber daß sie sich so gar nicht wehren ... so armselig untergehen ... so schuldbewußt zugeben, silberne Löffel gestohlen zu haben, wo sie doch nur aus schäbigstem Blech waren ...
Die Konterrevolution hat die Arbeit für die BRD gleich mitbesorgt: nach der ideologischen Zerschlagung der DKP durch das Neue Denken folgte nun die ökonomische. Sämtliche Funktionäre, einschließlich Mies, sind entlassen. Die Büros aufgelöst, die Häuser zum Verkauf angeboten, die Zeitungen und Zeitschriften, einschließlich DVZ, Tendenzen, K & G natürlich, existieren nicht mehr – Nur die UZ will man als Wochenzeitung versuchen. Der radikalste Kahlschlag, der denkbar war. Die Erneuerer, jetzt ohne Aussicht, mit einem Sieg auch an Geld zu kommen, treten morgen aus. Hoffentlich. Aber die »Mehrheit«, also der gebliebene Rest, ist längst so revisionistisch verseucht, daß ich einen ungemeinen Vorteil in dem Verlust der Parteimedien sehe: nun kann auf Jahre auch der Stuß nicht mehr verbreitet werden, und ich muß mich künftighin nicht mehr über ihn ärgern. Aber blöde, wie wir sind, haben wir die Dezembergehälter noch ausgezahlt; ich hätte sie für morgen auf Seite gelegt, erbarmungslos.
Ein Vorschlag und eine Frage. Der Vorschlag: die Künstlerin soll sofort einen Theaterverlag gründen. Die Frage: Konterrevolutionen vollziehen sich mit der gleichen Gesetzmäßigkeit wie Revolutionen. Aber letztere bringen Heroen hervor, erstere aber nur Gartenzwerge aus der VEB-Produktion Dresden. Kennst Du den Grund? Hitler war ja wer. Und Halskrankheiten gehören zu Umstürzen, und es leiden auch die an ihnen, die nicht mitschreien. Ich bin gerade halb genesen.
In Liebe, Dein
André
»Jona«, von Peter Hacks, Aufbau Verlag 1989.
DVZ, »Deutsche Volkszeitung«
K & G, »Kultur und Gesellschaft«, letztes Heft: Nr. 6, Nov/Dez 1989.
Die Erneuerer, die kleinbürgerlichen Aufrührer von 1967/68, die nach dem Zusammenbruch ihrer Bestrebungen nicht Versicherungsagenten, Werbefachleute, Unternehmensberater und ähnliches wurden, sondern in die DKP eintraten, erreichten in ihr erstaunlich schnell wichtige Ämter, darunter viele hauptamtliche, also bezahlte. Sie wurden, nach ultralinken Anfängen, samt und sonders Gorbatschowisten, Erneuerer eben. Sie bildeten und unterstützten im Parteivorstand die Opposition gegen die Mies/Honecker-Linie; sie hofften, dort die Mehrheit zu erhalten und somit über die Mittel verfügen zu können, welche die DKP nach dem Solidaritätsprinzip – reiche kommunistische Parteien unterstützen arme – von der SED erhielt. Als Gregor Gysi diese Zahlungen einstellte und die DKP bankerott war, verließen die Erneuerer die Partei und warfen als letzten revolutionären Akt ihre Mitgliedsbücher in bereitgestellte Behältnisse.
Die Künstlerin, Gregorek.
An Müller Berlin
Liebe Anja, lieber André, für Asyl-Angebot und guten Rat, die Ihr uns – aber weshalb zur Fenne? – übersandt habt, den ernstgemeintesten Dank.
Tatsächlich ist jedes Wort, das Du, bester André sagst, richtig. Wir rutschen mit einer Geröllhalde, von der keiner weiß, wo sie zum Stehen kommt. Es ist ja sogar möglich, daß unsere Konterrevolution auf die BRD übergreift und der Herr Ich-bin-das-Volk-Schönhuber demnächst in Juntersdorf er-scheint; (denn Eure Parteien sind kaum viel fester in den Herzen als unsere, und natürlich ist Schönhubers Programm das einzig einleuchtende von allen). Es ist, ohne Witz, möglich, daß Ihr auf die Fenne fliehen solltet und wir in die Eiffel.
Andererseits kann ja sein, daß die beiden Seekranken von Malta ihre Absicht durchsetzen, den gesamtdeutschen Imperialismus in gesetzlichen Bahnen einzuführen. Diese Konterrevolution ist eine von außen und von oben, das ist anders als bei den Nazis. Ich achte auf den Vogelflug. Der Terror hat eine Reihenfolge. Wir stehen nicht oben auf der Konskriptionsliste; allein das ist es, worauf ich mich etwas verlasse.
Anders auch als bei den Nazis ist die Abreise jederzeit möglich. Wenn die Laternen anfangen, behängt zu werden, reisen wir ab.
Nicht ohne Amusement lese ich Thomas Manns Tagebücher von 1933. Wußtest Du, daß Hitler für seine Bewegung des zu sich gefundenen Volkes »Korruption und Amtsmißbrauch« der »marxistischen« Minister als Schubkraft benutzte?
Die SED konstituiert sich als eurorevisionistische Partei. Sie möchte in Zukunft so schön und unbeschwert leben wie ehedem die DKP – freilich hat sie keinen Schalck mehr, der ihr den Monatsscheck bringt.
Wer lebt, sieht. Wir sind mit der SU aufgestiegen und gehen mit ihr wieder zu Grunde. (Außer der russische Oberst tut sein Wunder noch). Wenn es so weit ist,...

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