Technischer Einkauf
Manfred Richter, Interim Manager und Consultant
Abstrakt
Ein technischer Einkauf ist verantwortlich fĂŒr den Einkauf und die Lieferantenbasis fĂŒr zeichnungsgebundene Teile und Komponenten bis hin zu Maschinen und Anlagen, die in Lasten- und Pflichtenheften spezifiziert sind.
Dieser Beitrag wendet sich branchenĂŒbergreifend an GeschĂ€ftsfĂŒhrer und FĂŒhrungskrĂ€fte, die fĂŒr den technischen Einkauf verantwortlich sind oder mit diesem zusammenarbeiten.
DarĂŒber hinaus richtet sich dieser Beitrag an technische EinkĂ€ufer und deren Kollegen in allen Unternehmensbereichen â als DenkanstoĂ zur eigenen Standortbestimmung. Ich möchte Impulse geben, damit Projektteams ihre Zusammenarbeit reflektieren, Teammitglieder selbst etwas an ihrem Verhalten verĂ€ndern und VorschlĂ€ge zu VerĂ€nderungen und Verbesserungen auf Prozessebene machen können.
Einleitung
Dies ist kein Bericht aus nur einem meiner Projekte, sondern hier gehen meine Erfahrungen aus vier Festanstellungen und sieben Interim-Projekten ein.
Ich habe bei meinem Berufsstart zunĂ€chst als Entwicklungsingenieur und Projektleiter in der Automatisierungstechnik gearbeitet. Nach fĂŒnf âtechnischenâ Berufsjahren bin ich gezielt in den technischen Einkauf versetzt worden, um die Bereiche Entwicklung und Einkauf zu vernetzen. Zusammen mit weiteren Querversetzungen wurden verkrustete Strukturen aufgebrochen und nach relativ kurzer Zeit hatten wir eine völlig neue, wesentlich produktivere Zusammenarbeit. Das hat mich nachhaltig geprĂ€gt.
Zwischenzeitlich ist der technische Einkauf meist eine gut anerkannte und vernetzte Funktion in den Unternehmen, und es gibt immer eine bereichsĂŒbergreifende Zusammenarbeit. Aber in welcher QualitĂ€t und auch auf Augenhöhe?
Sind Entwickler, technische EinkĂ€ufer, Produktion, QualitĂ€tswesen, Logistik und Vertrieb ein echtes Projektteam? Ist der Einkauf ein eingebundener Teil im Produktentstehungsprozess (PEP)? Betrachtet das Unternehmen die Lieferantenbasis als strategischen Wettbewerbsfaktor und die âSystemlieferantenâ als Partner?
Warum der Einkauf so oft âunter Druckâ und in der Kritik ist
Alle Einkaufsorganisationen, in denen ich bisher tĂ€tig war, hatten âDruckâ. Die Themen waren unterschiedlich oder eine Kombination aus:
- Preise sind immer zu hoch und sollen gesenkt werden;
- noch vor dem Preis kommt die QualitÀt, 0-Fehler-AnlieferqualitÀt ist gefordert;
- VerfĂŒgbarkeit, Fehlteile darf es nicht geben; Logistikmodelle sind gefordert;
- LagerbestÀnde, sind immer zu hoch und sollen gesenkt werden.
Dieses Spannungsfeld gibt es prinzipiell. Speziell bei neuen Projekten oder der Entwicklung von neuen Produkten gibt es fast immer eine mehr oder weniger groĂe Unzufriedenheit mit dem Einkauf. Aber warum ist das so?
Es fĂ€ngt zu Beginn eines Projekts an: Die Entwicklungszeit fĂŒr ein neues Produkt oder Projekt und weiter die Zeit bis zur zugesagten Lieferung an den Kunden ist meist von Anfang an sehr kurz. AuĂerdem wĂŒnscht der Kunde oft noch Ănderungen, der Auslieferungstermin bleibt aber gleich. Das heiĂt, ein Design Freeze kommt zu spĂ€t, oder es wird dann doch noch weiter geĂ€ndert: vom Kunden oder auch von den eigenen Entwicklungsmitarbeitern. Das sind SachzwĂ€nge und Herausforderungen, um die ein Unternehmen nicht herumkommt, wenn es AuftrĂ€ge bekommen will.
Bei Neuentwicklungen und im Projekteinkauf verbleibt dem Einkauf und den Lieferanten die Zeitspanne von freigegebener Zeichnung bzw. StĂŒckliste bis zum Start of Production, um die benötigten Teile zu beschaffen. Als Ergebnis wird die Materialversorgung oft zeitlich extrem eng und der Einkauf und die Lieferanten mĂŒssen improvisieren und zu SondermaĂnahmen greifen. Viele Zukauf-Teile mĂŒssen nun zeit- und kostenaufwĂ€ndig âbelaufenâ werden.
Aus ZeitgrĂŒnden werden Freigabemuster (hergestellt unter Serienbedingungen) und die ersten Serienteile fĂŒr die Produktion zum selben frĂŒhestmöglichen Zeitpunkt bestellt. Normalerweise sollten die Serienteile erst nach der Freigabe der Freigabemuster bestellt werden. Dann sind QualitĂ€t, Verwendbarkeit in der eigenen Applikation und damit auch der Einkaufs-Preis ĂŒberprĂŒft und sichergestellt.
Bei der gleichzeitigen Bestellung von Freigabemustern und dem ersten Serienlos, zwangslĂ€ufig dann ohne bereits erteilte Freigabe, gibt es ein Restrisiko zur Verwendbarkeit der Serienteile. Dieses Risiko geht das gesamte Projektteam ein. Wenn es anschlieĂend QualitĂ€tsprobleme gibt und nachgearbeitet werden muss, sind immer der Lieferant und der EinkĂ€ufer unter Zeitdruck und werden zum Dank dafĂŒr oft als âVerursacherâ von Zeitverzögerungen gesehen.
Hinzu kommt, dass nach meiner Erfahrung in ca. der HĂ€lfte der FĂ€lle der Lieferant kein (alleiniges) Verschulden hat, weil sich zum Beispiel herausstellt, dass Toleranzen nicht angegeben waren oder geĂ€ndert werden mussten. Das heiĂt, der Lieferant hat oft nach Spezifikation und damit in der definierten QualitĂ€t geliefert. Und wie wird das meist kommuniziert, was geht durch das Haus? Der Lieferant 0816 hat âwieder einmalâ nicht verwendbare Teile geliefert. Ich nehme an, Sie erkennen die Situation wieder? Wenn es in Ihren Projektteams tatsĂ€chlich besser lĂ€uft: Gratuliere!
Nun stellen Sie sich vor, so oder so Ă€hnlich wie beschrieben lĂ€uft es jahrelang. Dann ist es kein Wunder, wenn GeschĂ€ftsfĂŒhrer und FĂŒhrungskrĂ€fte im Unternehmen den Einkauf fĂŒr âschlecht aufgestelltâ halten. Oft sind sich mehrere FĂŒhrungskrĂ€fte dabei einig, jeweils aus ihrem Blickwinkel. Klassisch ist, dass es beim Neuanlauf mehr oder weniger Fehlteile gibt, Zielpreise nicht erreicht werden und zu allem Ăberfluss auch noch QualitĂ€tsprobleme âder Lieferantenâ hinzukommen.
Originalzitat eines GeschĂ€ftsfĂŒhrers: âDas kann doch so nicht sein, da stimmt was nicht im Einkauf. Da mĂŒssen wir mal Druck auf den Kessel geben.â
Bei QualitĂ€tsproblemen reflexartig: âDen Lieferanten schmeiĂen wir raus.â
So schwarz/weiĂ sieht man es nicht ĂŒberall, oft aber ansatzweise. Ich habe es leider erleben mĂŒssen, dass gute Einkaufsleiter und EinkĂ€ufer aufgrund des beschriebenen Spannungsfeldes nach und nach immer mehr in das Schussfeld geraten sind und schlieĂlich âausgetauschtâ wurden. Andere sind aufgrund des toxischen Umfelds lieber rechtzeitig von selbst gegangen. Das hat man meist sogar begrĂŒĂt, weil es dann ânur besser werden konnte mit dem Einkaufâ.
Es wurde nur selten durch neue Mitarbeiter nachhaltig besser. Und wenn, dann dadurch, dass die neuen Mitarbeiter verÀnderte Prozesse und ein verÀndertes Verhalten eingefordert haben, und sich damit durchsetzen konnten.
An dieser Stelle ein Tipp fĂŒr EinkĂ€ufer oder Einkaufsleiter, die neu in einem Unternehmen starten: Die ersten Tage nicht zu forsch sein, erstmal schauen, wie die Firma, der Einkauf und die Schnittstellen ticken. Viele Fragen stellen, aber sich noch mit EinschĂ€tzungen und schnellen Aktionen zurĂŒckhalten. Nach einem, spĂ€testens zwei Monaten können Sie sich dann positionieren und VerĂ€nderungen von Prozessen diskutieren, anstoĂen oder einfordern.
Es erscheint sicherer, bis zum Ende der Probezeit zu warten. Aber dann ist es oft schon zu spĂ€t und es besteht die Gefahr, dass Sie bereits in dieselbe TretmĂŒhle geraten sind wie zum Beispiel Ihr VorgĂ€nger. Es wird dann immer schwieriger, verkrustete Strukturen aufzubrechen. Sie mĂŒssen also die Zeit nutzen und sich profilieren: aber nicht sich wichtigmachen, sondern im positiven Sinn ein eigenes Profil bekommen und Ihre Rolle und Standpunkte definieren und leben.
FĂŒr die Chefs der EinkĂ€ufer oder Einkaufsleiter: Reden Sie bitte mit Ihren neuen Mitarbeitern und unterstĂŒtzen Sie diese im obigen Sinne. Erfahrene Interim Manager brauchen fĂŒr den Start bis zur Positionierung und einem ersten Aktionsplan, der oft mit der GeschĂ€ftsfĂŒhrung abgestimmt wird, ca. zehn Einsatztage, also zwei Wochen.
Meilensteinverfolgung bringt Transparenz
Ich empfehle dringend eine im Projektteam abgestimmte Meilensteinplanung, um Transparenz zu schaffen. Bei der Meilensteinverfolgung wird deutlich, welche vereinbarten Meilensteine warum nicht eingehalten werden konnten. Daraus lernt das Unternehmen nach und nach, welche ZeitrĂ€ume fĂŒr welche Aufgaben realistisch einzuplanen sind. AuĂerdem muss natĂŒrlich die Summe aller AuftrĂ€ge und aller Meilensteinplanungen kapazitĂ€tsmĂ€Ăig zu schaffen sein.
Durch eine Meilensteinverfolgung kann auĂerdem fundierter mit dem Kunden diskutiert werden: Ist absehbar, dass ein vereinbarter Design Freeze vom Kunden nicht eingehalten werden kann, so kann man im Vorfeld die Auswirkungen auf Termin und Preis besprechen. Möglicherweise verĂ€ndert sich dadurch das Verhalten des Kunden, und er bringt weniger und besser abgestimmte Ănderungen ein.
Das Beispiel vom Staffellauf gefĂ€llt mir gut: Wenn es vier StaffellĂ€ufer gibt, die alle schnell sind, dann ist der letzte LĂ€ufer entscheidend. Er lĂ€uft in das Ziel, ist aber auf die anderen LĂ€ufer angewiesen und kann nicht alles retten, was vorher an Zeit uneinholbar verlorengegangen ist. Was wĂŒrden Sie von einem StaffellĂ€ufer halten, der das Staffelholz nicht ordentlich ĂŒbergibt, sondern es kurz vor oder im Wechselraum auf die Bahn wirft?
Damit meine ich sinngemĂ€Ă, dass zum Meilensteintermin âeigentlichâ alles fertig ist, aber zum Beispiel Zeichnungen noch nicht freigegeben sind, StĂŒcklisten noch nicht aktualisiert sind, Daten in SAP noch nicht gepflegt sind, und damit der Meilenstein noch nicht erreicht ist.
Sie kennen die 80:20-Regel: 80 Prozent sind relativ schnell erreicht, die letzten 20 Prozent ziehen sich fĂŒrchterlich hin und kosten richtig Zeit und Geld. Da ist es praktisch, wenn man einen Meilenstein fertigmelden kann, und...