Vorurteilen und Diskriminierung in der Kita begegnen
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Vorurteilen und Diskriminierung in der Kita begegnen

Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung© als inklusives Praxiskonzept

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Vorurteilen und Diskriminierung in der Kita begegnen

Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung© als inklusives Praxiskonzept

About this book

Die Kita als Ort für Bildung, Wohlbefinden und Teilhabe– für alle Kinder, unabhängig von deren Herkunft, Geschlecht, Hautfarbe, Familienkonstellation, Behinderung, Sprache oder Religion.Aber wie geht das ganz konkret im Alltag? Das Buch geht den Fragen nach, wie Lernumgebungen und Interaktionen gestaltet sein sollten, um die Inklusion aller Kinder sicherzustellen. Mit vielen praktischen Beispielen und ganz konkreten Tipps wie vorurteilsbewusster Kinderliteratur etc.

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Information

Publisher
Verlag Herder
Year
2022
Print ISBN
9783451391859
eBook ISBN
9783451826450

1.

Grundlagen vorurteilsbewusster Bildung und Erziehung

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In diesem Kapitel erfahren Sie
  • wie der Ansatz der Vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung und der Anti Bias-Approach in Verbindung stehen
  • wie junge Kinder Vorurteile entwickeln
  • welche Auswirkungen Vorurteile auf Kinder haben
  • was Bildungsgerechtigkeit in pädagogischen Kontexten bedeutet
  • welches Inklusionsverständnis dem Ansatz der Vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung zugrunde liegt
  • welche (bildungs-)rechtlichen Grundlagen für Inklusion existieren

1.1 Die Implementierung des Anti Bias-Ansatzes in Deutschland

Der Ansatz der Vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung basiert auf dem Anti Bias-Approach2 (Anti = gegen; Bias = Voreingenommenheit, Vorurteil, Einseitigkeit; Approach = Ansatz), der in den 1990er Jahren von Louise Derman-Sparks, Carol Brunson Phillips und weiteren Kolleg*innen für den US-amerikanischen frühpädagogischen Bereich entwickelt wurde. Geprägt wurde ihre Arbeit maßgeblich von der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung und den Social Justice-Bewegungen. In Südafrika nutzen und entwickeln Pädagog*innen der „Early Learning Resource Unit“3 den Ansatz in Kombination mit anderen Methoden ebenfalls seit den 1990er Jahren. Vom Institut für den Situationsansatz (ISTA) wurde der Anti Bias Approach im Rahmen zahlreicher Kinderwelten-Projekte seit Ende der 1990er Jahre an die Situation in Deutschland angepasst sowie gemeinsam mit pädagogischen Fachkräften erprobt und weiterentwickelt. Zudem fand der Ansatz zu dieser Zeit durch das Projekt „Vom Süden Lernen“ (INKOTA-netzwerk e.V.4) in enger Zusammenarbeit mit südafrikanischen Trainer*innen Eingang in die politische Bildungsarbeit in Deutschland und wird besonders vom Anti-Bias-Netz5 für die schulische und erwachsenenpädagogische Bildungsarbeit kontinuierlich genutzt.
Der Ansatz ist ein „[…] aktiver Ansatz, der sich der Herausforderung durch Vorurteile, Stereotypisierungen, Einseitigkeiten und ins System eingelassene -ismen stellt und dabei von der Annahme ausgeht, dass es für jeden Einzelnen nötig ist, sich einzumischen und die individuellen Verhaltensweisen und institutionellen Mechanismen zu bekämpfen, die Unterdrückung aufrechterhalten“ (Derman-Sparks 2001, S. 1). „Anti Bias Approach“ wurde dabei mit „Ansatz Vorurteilsbewusster Bildung und Erziehung“ übersetzt. Es wird bewusst nicht von vorurteilsfrei gesprochen.
Die pädagogischen Ziele des Situationsansatzes (Autonomie, Solidarität, Kompetenz) in Verbindung mit den fünf theoretischen Dimensionen (Lebensweltorientierung, Bildung, Partizipation, Gleichheit und Differenz, Einheit von Inhalt und Form) und den Planungsschritten (Erkunden, Entscheiden, Handeln, Auswerten) boten bei der Adaption des Ansatzes einen hilfreichen Rahmen.
Beide Ansätze, Anti Bias- und Situationsansatz, erkennen die hohe Bedeutung frühpädagogischer Arbeit auf dem Weg zu mehr sozialer Gerechtigkeit an und möchten sowohl pädagogische Fachkräfte als auch Kita-Träger ermutigen, ihren Einfluss zu nutzen, um einen Beitrag zu mehr Bildungsgerechtigkeit zu leisten. Denn „[…] mit dem, was wir in Kindertageseinrichtungen tun, setzen wir den Anfang für das, was mit Kindern in unserer Gesellschaft geschieht“ (Derman-Sparks 2001, S. 11).

1.2 Junge Kinder – keine Vorurteile?

„Man lernt Vorurteile aus dem Kontakt mit den vorherrschenden Einstellungen in einer Gesellschaft, nicht aus dem Kontakt mit dem Einzelnen.“ – Louise Derman-Sparks (Derman-Sparks 1998, S. 6)
Der Auslöser für Louise Derman-Sparks, sich intensiv mit der Thematik auseinanderzusetzen und infolgedessen einen Ansatz für die Arbeit mit jungen Kindern zu entwickeln, war, neben den gesamtgesellschaftlichen Bewegungen, eine konkrete Situation: „Bereits mit zwei Jahren begann mein Sohn Fragen über sich selbst zu stellen, die mir zeigten, dass Kinder sehr früh auf Hautfarben aufmerksam werden. Als er vier Jahre alt war, verkündete er, dass er nicht mehr Schwarz sein wolle. Das zu hören war sehr schmerzhaft, weil es so klang, als lehne mein Kind ab, zu sein, wer es ist. Ich fand heraus, dass er ein Feuerwehrmann sein wollte, der ein großes Feuerwehrauto fuhr, die Leiter bediente und all diese aufregenden Dinge tat. Aber alle Leute, die das in seiner Lieblingsserie im Fernsehen taten, waren weiß. Er lehnte nicht wirklich sich selbst ab, sondern er hatte mit seinen vier Jahren bereits etwas über Vorurteile in unserer Gesellschaft gelernt: Er müsste seine Hautfarbe ändern, um einer dieser Feuerwehrmänner sein zu können“ (Derman-Sparks in DECET 1998).
Kindern begegnet die in einer Gesellschaft existierende Vielfalt nicht neutral, sondern immer im Zusammenhang mit Bewertungen. Welche Identitätsmerkmale dabei als positiv oder negativ bewertet werden, lernen bereits die Jüngsten von ihren Bezugspersonen (vgl. Wagner 2017, S. 87). Mit Aufnahme in die Krippe, Kita oder Tagespflege kommen weitere prägende Meinungen hinzu: die der pädagogischen Fachkräfte und mit zunehmendem Alter auch die der Peergroup.
Spätestens ab einem Alter von zwei Jahren entwickeln Kinder erste Vorstellungen über Unterschiede. Sie beginnen, in der Gesellschaft vorherrschende Vorstellungen über verschiedene Gruppen anzunehmen und übernehmen Zuschreibungen oder Vorurteile aus ihrer Umgebung oder wie Stephanie Cuff-Schöttle (Cuff-Schöttle 2020, S. 56) schreibt: „Wir zeigten auf, dass es eine ganze Reihe an Experimenten und Studien6 gibt, welche eindeutig belegen, dass schon Kinder im Alter von 3 bis 4 Jahren nicht nur Unterschiede zwischen Menschen (z.B. unterschiedliche Hauttöne etc.) wahrnehmen, sondern auch schon genügend an die äußere Realität angepasst sind, um die real existierenden Vorurteile und Stereotype bestimmten Personengruppen gegenüber zu erkennen, diese zu verinnerlichen und in ihre eigenen Denk- und Handlungsweisen zu integrieren“.
Infolgedessen zeigen junge Menschen zum einen häufig Unbehagen oder auch Angst gegenüber Menschen mit Merkmalen, die ihnen nicht vertraut sind und entwickeln sogenannte Vor-Vorurteile, zum anderen fließen diese äußeren Bewertungen häufig in das Selbstbild marginalisierter Kinder ein. So haben bereits dreijährige Kinder, sowohl weiße als auch Schwarze Kinder und Kinder of Color, eine positive Assoziation zu „Weißsein“ entwickelt, und fünf- bis achtjährige Kinder verbinden anerkannte Berufe mit hellen Hauttönen (vgl. Mac Naughton 2006, S. 4ff.; Van Ausdale & Feagin 2001; Clark & Clark 1940).
Schwarz – B/I/PoC – weiß
Der Begriff Schwarz ist eine politische Selbstbezeichnung: „Die Großschreibung von Schwarz verweist auf die Strategie der Selbstermächtigung und zeigt das symbolische Kapital des Widerstandes gegen Rassismus an, welches rassistisch markierte Menschen und Kollektive sich gemeinsam erkämpft haben“ (Piesche 2012, S. 7). Über die Schwarze Position wird die Analysekategorie weiß hergestellt, die kleingeschrieben wird und Menschen umfasst, die nicht negativ von Rassismus betroffen sind.
BIPoC ist die Abkürzung von Black, Indigenous, People of Color. Auch diese Begriffe sind politische Selbstbezeichnungen.
People of Color (PoC)7 verbindet all diejenigen, die geteilte Erlebnisse und Erfahrungen mit Rassismus machen: „Unter der Selbstbezeichnung People of Color können Bündnisse zwischen all jenen geschlossen werden, die durch weiße Dominanzkultur marginalisiert und durch koloniale Gewalt kollektiv unterdrückt und abgewertet werden.“ (Ha 2007, S. 37)
Wird der Abkürzung PoC ein „B“ (für Black) vorangestellt, schließt der Begriff auch Schwarze Personen ein. Mit der Erweiterung um das „I“ zu BIPoC erfolgt der Einschluss indigener Menschen.
Der differenzierte Nutzung der Begriffe PoC, BPoC und BIPoC hat wiederum zum Ziel, die sich unterscheidenden Diskriminierungserfahrungen sichtbar zu machen. Die Verwendung der einzelnen Abkürzungen dient der besseren und klareren Unterscheidung der jeweiligen Realitäten und Erfahrungen.
Dabei ist das Denken junger Kinder teilweise noch widersprüchlich, so kann es zum Beispiel passieren, dass ein Kind, dessen Mutter lange Haare hat, zu einer Mutter mit kurzen Haaren sagt: „Du bist aber keine richtige Mama! Richtige Mamas müssen lange Haare haben!“ Wohingegen die Mutter des besten Freundes, unabhängig von ihrer Frisur, klar als dessen Mutter anerkannt wird.
Zudem entnehmen Kinder ihrer Umgebung permanent bewusste und unbewusste Botschaften. Beides macht es Stereotypen leicht, sich fortzuschreiben. Und auch das, was in ihrer Umgebung nicht sichtbar ist, hat für Kinder eine Bedeutung. Sowohl Sichtbares als auch Unsichtbares gibt ihnen Aufschluss darüber, was wichtig, „richtig“ und „normal“ ist und was nicht (vgl. Wagner 2017, S. 27). Das bedeutet: auch wenn Kinder bisher keinerlei Kontakt zu den durch die Vorurteile adressierten Menschen hatten, entwickeln sie wertende Kategorien.
Hier einige Beispiele für sogenannte Vor-Vorurteile von Kindern (vgl. auch York 2003):
  • „Er ist kein Junge, er hat einen Ohrring.“
  • „Das kannst du nicht machen, du bist doch ein Mädchen.“
  • „Jungs können da nicht mitspielen, nur Mädchen.“
  • „Er kann nicht mein Freund sein, er hat dreckige Sachen an.“
  • „Ihhh, der isst Schweinefleisch, der kommt in die Hölle.“
  • „Du kannst gar nicht zwei Mamas haben.“
  • „Ein behindertes Kind lade ich nicht zum Geburtstag ein.“
  • „Taube Menschen können nichts arbeiten.“
  • „Ich will nicht neben ihm sitzen, er redet komisch.“
  • „Mit deinen Haaren kannst Du keine Prinzessin sein.“
  • „Du kommst nicht in die Schule, du kannst kein Deutsch.“
Kinder übernehmen Stereotype über sich und andere, weil sie sich die Welt erklären wollen (vgl. York 2003, S. 23). Was sie brauchen, damit diese Erklärungsversuche sich nicht als Vorurteile manifestieren, sind Erwachsene, die sie dabei unterstützen, ihre Theorien infrage zu stellen, zu prüfen und entsprechend zu korrigieren.
Auch in pädagogischen Einricht...

Table of contents

  1. Vorurteilen und Diskriminierung in der Kita begegnen
  2. Impressum
  3. Inhalt
  4. Einleitung
  5. 1. Grundlagen vorurteilsbewusster Bildung und Erziehung
  6. 2. Schritte auf dem Weg zu einer vorurteils bewussten Kita-Praxis
  7. 3. Inklusive Kita-Praxis gestalten
  8. 4. Herausforder-ungen und Chancen auf dem Weg zu einer dis kriminierungs kritischen Praxis
  9. 5. Verbündet handeln
  10. Literaturverzeichnis
  11. Ressourcen zum Weiterlernen
  12. Über die Autorin