Perspektiven auf Mehrsprachigkeit
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Perspektiven auf Mehrsprachigkeit

Individuum – Bildung – Gesellschaft

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Perspektiven auf Mehrsprachigkeit

Individuum – Bildung – Gesellschaft

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Nikolas Koch, Till Woerfel

Der Einfluss konstruktioneller Gebrauchsmuster in L1 und L2 auf die Verbalisierung intransitiver Bewegung bilingualer tĂŒrkisch-deutscher Sprecher(innen)

1Einleitung

Die Deutsch-als-Zweitsprache-Forschung hat in den letzten Jahren zur ErklĂ€rung von Transferprozessen bilingual aufwachsender Sprecher(innen) vermehrt typologische Unterschiede zwischen der Erst- und Zweitsprache in den Fokus genommen. Einen Untersuchungsgegenstand stellt hier die Versprachlichung von intransitiver Bewegung in tĂŒrkisch-deutschen Lerner(innen)varietĂ€ten dar. Den theoretischen Rahmen hierfĂŒr bildet die in der sprachtypologischen Forschung intensiv diskutierte Unterscheidung in sog. satellite-framed (S-Sprachen) und verb-framed (V-Sprachen) (vgl. Talmy 2003, 2008; Slobin 2004). Die Unterscheidung basiert auf der Versprachlichung von Bewegungsereignissen, wonach Sprecher(innen) in der jeweiligen standardsprachlichen Erscheinung typischerweise nach einem sprachspezifischen Muster verfahren. Sprecher(innen) germanischer Sprachen (z.B. Deutsch) drĂŒcken etwa neben der semantischen Komponente der Bewegung4, die ART UND WEISE oder die URSACHE einer BEWEGUNG im Verbstamm aus (z.B. rennen, s. Bsp. 1), wĂ€hrend sie den WEG in verbalen Partikeln, in sog. Satelliten-Phrasen (z.B. in das Haus hinein), ausdrĂŒcken. Sprecher(innen) von romanischen Sprachen (z.B. Französisch) und Turksprachen (z.B. TĂŒrkisch) kodieren URSPRUNG und WEG bzw. WEG und ZIEL im Verbstamm (tr. gir- ‚sich hineinbewegen‘, s. Bsp. 2) sowie ART UND WEISE außerhalb des Verbs (tr. koßarak ‚rennend‘).
Nach Talmy lassen sich Sprachen typologisch zuordnen, je nachdem, wie diese semantischen Komponenten (und vor allem die Komponente WEG) auf syntaktischer Ebene abgebildet werden. Die typischen Muster einer Sprache geben, so Slobin (1996, 2000, 2004), nicht nur die sprachliche Organisation von Bewegungsereignissen vor, sondern haben darĂŒber hinaus auch einen Einfluss auf die nicht-sprachlichen VorgĂ€nge, also auf die kognitive Organisation. Eine Reihe von Studien liefert empirische Evidenz fĂŒr die typologische Unterscheidung Talmys und zeigt darĂŒber hinaus, dass Kinder schon in frĂŒhen Stadien des Erstspracherwerbs Mustern folgen, die denen erwachsener Sprecher(innen) Ă€hneln (vgl. Choi & Bowerman 1991; Harr 2012; Hickmann 2006, 2007; Hickmann, Taranne & Bonnet 2009).
Im bilingualen Erstspracherwerb, frĂŒhen Zweitspracherwerb sowie Fremdsprachenerwerb werden TransferphĂ€nomene zwischen den Sprachen auf solche typologischen Unterschiede der erworbenen Sprachen zurĂŒckgefĂŒhrt (vgl. u.a. Bernini, Spreafico & Valentini 2006; Brown & Gullberg 2008; Cadierno & Ruiz 2006; Cadierno 2008; Hohenstein, Eisenberg & Naigles 2006). Obwohl die EffektgrĂ¶ĂŸe des Transfers umso kleiner zu sein scheint, je frĂŒher eine weitere Sprache erworben wird oder je höher die Sprachkompetenz ist, finden Studien auch bei Sprecher(inne)n, die in frĂŒhester Kindheit zwei Sprachen ungesteuert erwerben, Abweichungen in der L1 und/oder der L2. Im Bereich des Deutschen als Zweitsprache stehen hier Sprecher(innen), die mit einer V-Sprache (TĂŒrkisch) und einer S-Sprache (Deutsch) bilingual aufwachsen, im Fokus jĂŒngster empirischer Forschung.
Schroeder (2009) findet in schriftlichen deutschen Texten bilingualer tĂŒrkisch-deutscher Jugendlicher die Vermeidung von Quellen- oder ZielergĂ€nzungen, wenn das finite Verb des Satzes ein expressives Bewegungsverb ist (z.B. er torkelte anstatt er torkelte in das Zimmer). In Bewegungsverbkonstruktionen mit direktionalen ErgĂ€nzungen verwenden die bilingualen Sprecher(innen) seiner Studie ausschließlich die Verben kommen und gehen. Die Tendenz der Bevorzugung solcher generischer Verben anstatt expressiver Verben sowie eine Vermeidung direktionaler ErgĂ€nzungen finden auch Goschler et al. (2013) in natĂŒrlichen mĂŒndlichen GesprĂ€chen tĂŒrkisch-deutscher Jugendlicher sowie Woerfel (2018a) in mĂŒndlichen NacherzĂ€hlungen tĂŒrkisch-deutscher Kinder. Die sprachlichen Abweichungen werden in den drei Studien ĂŒberwiegend auf die typologischen Unterschiede zurĂŒckgefĂŒhrt. Die Studie von Goschler (2009) zeigt, dass tĂŒrkisch-deutsche Jugendliche in mĂŒndlichen NacherzĂ€hlungen hĂ€ufiger das Verb gehen und signifikant weniger direktionale ErgĂ€nzungen (hier PrĂ€positionalphrasen) gebrauchen. Goschler stĂ¶ĂŸt darĂŒber hinaus Überlegungen an, ob die gefundenen Effekte in den oben genannten Studien tatsĂ€chlich den typologischen Eigenschaften der L1 oder L2 und damit verbundenen nichtsprachlichen kognitiven VorgĂ€ngen zuzuschreiben sind, oder ob hier nicht „direktere Transferprozesse zwischen den Sprachen in Form von Bevorzugung bestimmter Konstruktionstypen zugrunde liegen“ (Goschler 2009: 2; vgl. dazu auch Goschler 2013). Entsprechend lĂ€ge bei den gefundenen Unterschieden eine Bevorzugung von Kombinationen semantisch leichter Verben+Satelliten bei Sprecher(inne)n von V-Sprachen bzw. von semantisch expressiven Verben+Satelliten in S-Sprachen vor (Goschler 2013: 125). Dieser Ansatz eröffnet auch eine alternative Sichtweise auf die ErklĂ€rung von Erwerbsprozessen, insofern bei bilingualen Sprecher(inne)n stĂ€rker der Transfer von Konstruktionen berĂŒcksichtigt werden muss. Damit ist dieser Ansatz in der Konstruktionsgrammatik zu verorten.
Vor diesem Hintergrund beschĂ€ftigt sich die vorliegende Studie mit der Versprachlichung intransitiver Bewegung von bilingualen tĂŒrkisch-deutschen und monolingualen deutschen Sprecher(inne)n. Die zentrale Frage ist hier, ob eine Bevorzugung bestimmter Verben nicht auf den direkten Transfer auf der Grundlage typologischer Unterschiede zurĂŒckzufĂŒhren ist, sondern auf die PrototypizitĂ€t bzw. GenerizitĂ€t bestimmter Verben einer Konstruktion, die auf der Grundlage von konstruktionellen Gemeinsamkeiten in L1 und L2 beruht. HierfĂŒr erfolgt zunĂ€chst eine EinfĂŒhrung in die Konstruktionsgrammatik und eine Beschreibung der intransitiven Bewegungskonstruktion sowie deren möglicher prototypischer Verben im Deutschen und TĂŒrkischen. Im Anschluss werden die spezifischen Fragestellungen und Hypothesen eingefĂŒhrt, die Methodik vorgestellt und die Ergebnisse prĂ€sentiert. Eine Zusammenfassung und Diskussion der zentralen Ergebnisse der Studie findet sich am Ende des Beitrags.

2Die Bedeutung generischer und prototypischer Verben im Konstruktionserwerb

Die Konstruktion als fundamentale Einheit sprachlichen Wissens anzusehen, bildet den Kern konstruktionsgrammatischer AnsĂ€tze.5 Vor allem in der ErklĂ€rung von Spracherwerbsprozessen konnte in zahlreichen Studien die Bedeutung von Konstruktionen nachgewiesen werden (vgl. die Übersicht in Goldberg 2006; Tomasello 2000, 2003; sowie fĂŒr das Deutsche in Koch i.E.). Eine SchlĂŒsselrolle spielen hierbei die von Goldberg (1995) vorgeschlagenen Argumentstrukturkonstruktionen. Hierunter werden zusammenhĂ€ngende abstrakte Muster verstanden, denen ein semantischer Kern inhĂ€rent ist (Goldberg 2006: 6). FĂŒr das Englische sind die in Tabelle 1 zusammengefassten Argumentstrukturkonstruktionen festgehalten, die die Grundaussage auf der Ebene der Äußerung determinieren:
Tab. 1: Argumentstrukturkonstruktionen des Englischen nach Goldberg (1995: 3f.)
Wie Tabelle 1 zu entnehmen ist, fĂ€llt auch die Versprachlichung intransitiver Bewegungsereignisse in den Geltungsbereich von Argumentstrukturkonstruktion. Goldberg (1995) schlĂ€gt vor, diesen einen generellen semantischen Gehalt (MOVE) sowie eine spezifische Form (Subj V Oblpath/loc) zuzuschreiben. Um nachfolgend beurteilen zu können, inwiefern die von Goschler (2009) vorgeschlagene BerĂŒcksichtigung bestimmter Konstruktionstypen zur ErklĂ€rung von Transferprozessen bei Bilingualen relevant ist, erfolgt zunĂ€chst eine Beschreibung der Intransitive Motion-Konstruktion aus konstruktionsgrammatischer Perspektive. Abbildung 1 zeigt dabei die grafische Darstellung der Intransitive Motion-Konstruktion als Form-Bedeutungspaar:
Abb. 1: Die Intransitive Motion-Konstruktion (Goldberg 1995: 78)
Ähnlich wie Talmy (2003) schlĂ€gt Goldberg (1995) eine Verbindung von semantischer und syntaktischer Ebene vor. Im Gegensatz zu anderen Grammatiktheorien sieht Goldberg diese Verbindung allerdings als einen integralen Bestandteil der Konstruktion selbst an. Der obere Bereich der Abbildung 1 enthĂ€lt den semantischen Gehalt der Konstruktion (Bedeutung), der mit [MOVE] gekennzeichnet ist. Hieran sind spezifische Argumentrollen gebunden, die fĂŒr eine Realisierung des semantischen Gehalts nötig sind (in Abbildung 1 theme und goal). Die Konstruktion selbst spezifiziert nun, welche ihrer Argumentrollen obligatorisch mit Partizipantenrollen6 eines Verbs fusionieren mĂŒssen. In Abbildung 1 ist dies mithilfe der durchgezogenen Pfeile dargestellt. Dies gilt folglich fĂŒr das Thema (theme). Die Argumentrolle Ziel bzw. Richtung (goal) muss nicht zwingend mit einer Partizipantenrolle des Verbs verbunden sein, um auf der Formebene realisiert zu werden, da die Konstruktion selbst diesen semantischen Gehalt beisteuert.
Der untere Bereich (Form) beinhaltet die syntaktische Struktur der Konstruktion. GemĂ€ĂŸ der Formseite der Intransitive Motion-Konstruktion [Subj V Oblpath/loc] sind hier Verb (V), Subjekt (SUBJ) und ein obliques Objekt (OBlpath/loc) realisiert. Die Formebene dieser Konstruktion kann somit in Anlehnung an Croft (2001: 17f.) als komplex schematisch bezeichnet werden, da sie Slots fĂŒr das Einsetzen lexikalischen Materials bereitstellt. Dies wird auch durch die Variable PRED deutlich, die als Platzhalter fĂŒr ein spezifisches...

Table of contents

  1. Cover
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. MehrSpracheN
  6. Fremdsprachenlernen in der FrĂŒhen Neuzeit: BildungsverlĂ€ufe, Lehrende und Lernende
  7. Was bedeutet sprachliche Grundbildung in einem mehrsprachigen Bildungskontext?
  8. Zum Panel MehrSpracheN und Erwerbsprozesse: Dynamik, IndividualitÀt und Variation
  9. Der Einfluss konstruktioneller Gebrauchsmuster in L1 und L2 auf die Verbalisierung intransitiver Bewegung bilingualer tĂŒrkisch-deutscher Sprecher(innen)
  10. Deutsch- und Englischleistungen von Kindern mit und ohne Migrationshintergrund im bilingualen Unterricht und im Fremdsprachenunterricht: Ein Vergleich
  11. Von ‚Sprachverfall‘ und Sprachwandel: Zum Panel MehrSpracheN als VarietĂ€ten des Deutschen
  12. Diglossie in der Deutschschweiz. Standardsprache versus Mundart – ein Problem in der Schule?
  13. geil, krass oder porno, alder? VerÀnderungen kommunikativer Strategien und Handlungskompetenz
  14. Zum Panel MehrSpracheN im historischen Wandel
  15. Kulturelle Wiedergeburt. Die mehrsprachigen LehrbĂŒcher der griechischkatholischen Pfarrschulen in Galizien 1815–1848
  16. Handel, Technik und Mehrsprachigkeit. Fremdsprachenlernen in der Schweiz in der Zeit der zweiten industriellen Revolution 1880–1914
  17. Zum Panel MehrSpracheN im Fach
  18. Fach-ProSa: Ein Modell zur fachbezogenen Professionalisierung zur Sprachförderung in der Lehramtsausbildung der FÀcher Chemie und Deutsch
  19. Textrezeptive Anforderungen in der Ausbildung. Eine Studie zur Bedeutung von Lesekompetenz in gewerblich-technischen Ausbildungsberufen
  20. Zum Panel MehrSpracheN im Zeichen von Migration. Die Verhandlung von Migration und Mehrsprachigkeit im Diskursfeld Schule
  21. Wie weit ist der Weg von der superdiversity zur Anerkennung der frĂŒhen Mehrsprachigkeit im französischen Vorschulkontext?
  22. Legitime und illegitime Sprachen in der Migrationsgesellschaft
  23. Kurzbiographien