Philosophie der Mathematik
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Philosophie der Mathematik

Thomas Bedürftig, Roman Murawski

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Philosophie der Mathematik

Thomas Bedürftig, Roman Murawski

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Information

Publisher
De Gruyter
Year
2019
ISBN
9783110545364
Edition
4

Vorwort zur 1. Auflage

Die Philosophie der Mathematik steht zwischen der Philosophie und der Mathematik. Das ist kein leichter Stand. Für den Außenstehenden stellt sich die Frage, was Mathematik, dieses fest gefügte, unfehlbare System von Zahlen, Formeln und Methoden überhaupt mit Philosophie zu tun haben soll. Die Philosophie, deren Teilgebiet die Philosophie der Mathematik ihrem Namen nach ist, und die Philosophen haben es schwer mit einer Mathematik, die wissenschaftlich Vorbildcharakter hat und zudem bis ins Unüberschaubare angewachsen ist. Schließlich ist der Gegenstand einer Philosophie der Mathematik eine Mathematik, deren Mathematiker in der Regel wenig geneigt sind, sie philosophisch zu betrachten. Das ist eine verständliche Haltung, da ihre mathematische Arbeit weit entfernt von jeder Philosophie zu sein scheint.
Wir werden sehen, dass die Dinge etwas anders liegen. Mathematik ist eine lebendige, sich entwickelnde und sich wandelnde Wissenschaft mit einer wechselvollen Geschichte. Ihre Grundbegriffe, Methoden und Prinzipien sind traditionell wichtige Gegenstände der Philosophie. Und die mathematische Arbeit ist, wenn man in ihre Fundamente schaut, der Philosophie sehr nah.
Die Grundlage, auf die Mathematik baut, erlaubt nicht nur, sondern fordert geradezu trotz aller inner- und außermathematischen Erfolge und Anerkennungen, über sie nachzudenken. Dieses mathematisch zu tun, ist Aufgabe des mathematischen Gebietes der Mathematischen Grundlagen. Damit aber ist niemand vom Nachdenken befreit. Denn die Mathematischen Grundlagen reichen bis ins tägliche Zahlenfundament der praktischen mathematischen Arbeit, in die Lehre, ins mathematische Sprechen und Denken und in die mathematischen Methoden hinein. Viele ihrer Fragen sind philosophischen Ursprungs und ihre Ergebnisse von philosophischer Bedeutung. In ihrem Umfeld entstehen philosophische Fragen. Die Reflexion über Fragen aus den Mathematischen Grundlagen und der Philosophie dient der Bewusstheit in der mathematischen Arbeit und in der Lehre von Mathematik.
Die Autoren sind Mathematiker und haben sich vorgenommen, nicht zuletzt Kolleginnen und Kollegen in die Philosophie der Mathematik einzuführen, also Schüler, Studenten, Lehrer und Dozenten der Mathematik. Unsere Einführung ist naturgemäß auch für Philosophen von der Schule bis in die Universität interessant, gerade weil sie von der anderen Seite kommt. Das, was wir an mathematischen Kenntnissen voraussetzen, ist über weite Strecken elementar. Dort, wo das nicht der Fall ist – und dies ist eine Gebrauchsanweisung für dieses Buch –, ist der Text klein gesetzt. Das ist auch dann so, wenn es um speziellere Ausführungen mathematikphilosophischer Art geht. Der in der Standardgröße gedruckte Text ist in der Regel auch für interessierte Laien mit mathematischen Vorkenntnissen aus der Schule geeignet. Kurze speziellere Passagen, die hier vorkommen können, können überlesen werden.
Ausgangspunkt und immer wieder Bezugspunkt unseres Textes sind die reellen Zahlen. Kapitel 1 skizziert den Weg zu ihnen und vermerkt in pointierter Weise mathematische und philosophische Probleme und Fragen, die sich auf diesem Wege stellen. Die Fragen weisen in die Mathematischen Grundlagen und in die Philosophie der Mathematik. Das umfangreiche Kapitel 2 ist ein Abriss von Positionen aus der Geschichte der Mathematik und der Philosophie bis hin zu aktuellen Strömungen. Es bildet den Hintergrund für die folgenden Kapitel, speziell für die Grundfragen der Philosophie der Mathematik im Kapitel 3, das die Fragen aufnimmt, die sich im Kapitel 1 stellten. Kapitel 2 kann als unabhängiges Kompendium dienen. Einleitung, Kapitel 1 und Kapitel 3 lassen sich im Zusammenhang lesen, und es kann aktuell im Kapitel 2 nachgeschlagen werden, wenn Rückfragen notwendig werden und weiterer Bedarf nach zusammenhängenden Informationen über Philosophen, Mathematiker, mathematikphilosophische Schulen und Auffassungen entsteht.
Im Kapitel 4 geht es um den heute universellen Hintergrund mathematischen Formulierens: die Mengenlehre. Die Verwendung von Mengensprechweisen wirkt zurück auf unser mathematisches Denken. Das Ziel ist, ein Bewusstsein für dieses oft unbewusste Fundament des mathematischen Sprechens und Denkens zu wecken. Auch dieses Fundament reflektieren wir und stellen zwei Mengenlehren vor, deren Ansätze sehr verschieden sind. Kapitel 5 schließlich ist der axiomatischen Methode und dem zweiten mathematischen Fundament, der Logik, gewidmet. Wir geben einen kurzen Abriss über logische Grundbegriffe und blicken kurz auf die Geschichte der Axiomatik und der Logik. Die mathematische Logik hat manche ehemals philosophische Fragen aufgenommen und tiefgreifende Ergebnisse von philosophischer Tragweite erzielt. Im Kapitel 6 schauen wir zurück und versuchen kurz zu charakterisieren, was Philosophie der Mathematik ist, in die wir bis dahin eingeführt haben. Ein Anhang enthält Kurzbiographien ausgewählter Philosophen und Mathematiker. Der Text schließt mit je einem Index für Symbole, Namen und Begriffe.
Wir danken für die großzügigen Förderungen, die dieses Buch erst möglich gemacht haben: dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD), der die Zusammenarbeit der Autoren seit Jahren unterstützt, der Alexander von Humboldt-Stiftung für finanzielle Hilfe und der Fundacja na rzecz Nauki Polskiej (Stiftung für die Polnische Wissenschaft) für die Übernahme mancher Sach- und Nebenkosten.
Und wir danken Herrn PD Dr. Robert Plato und Herrn Simon Albroscheit im Verlag De Gruyter für die geduldige, entgegenkommende und aufmerksame Betreuung und Hilfe bei der Herstellung dieses Buches.
Hannover und Poznań
im Januar 2010
Thomas Bedürftig
Roman Murawski

Einleitung

Ich bin kein religiöser Mensch. Aber es ist fast
wie eine Berührung mit Gott, wenn man über Mathematik nachdenkt
.2
Paul Halmos
Die mathematische Laufbahn des Menschen beginnt früh. Die erste Mathematik entsteht in der Auseinandersetzung und im Einklang mit der Wirklichkeit. Die Zahlen, die mit dem Zählen verbunden sind und in der Mathematik zu den natürlichen Zahlen werden, erhalten von hierher ihre Bedeutungen. Das gilt ganz ähnlich für die negativen und die rationalen Zahlen, die aus dem Umgang mit alltäglichen Größen in einer Art Abstraktion entstehen.
Anders ist es mit den reellen Zahlen, die wir im Kapitel 1 an den Anfang unseres Buches stellen. Hier gibt es eine entscheidend neue Situation. Um die reellen Zahlen ausgehend von den natürlichen und rationalen Zahlen zu erreichen, geht die Mathematik ganz eigene und neue Wege. Sie löst sich aus den Bindungen an die konkreten Anwendungen. Die alte, einfache Abstraktion von alltäglichen und physikalischen Größen funktioniert nicht mehr. Es ist gerade der Konflikt mit den Größen, der sie veranlasst, reelle Zahlen theoretisch zu konstruieren oder deren gewünschte Eigenschaften axiomatisch zu postulieren. Es sind geometrische und theoretische Notwendigkeiten, die die Mathematik auf besondere Weise herausfordern und Begriffe und Methoden verlangen, die noch vor nicht allzu langer Zeit sehr neu und revolutionär gewesen sind. Diesen gegenüber stellten und stellen sich Fragen, die nicht nur mathematischer, sondern auch philosophischer Art sind. Die Fragen weisen in viele Richtungen der Philosophie der Mathematik und der Mathematikgeschichte. Wir deuten einige der Fragen hier in der Einleitung an – anknüpfend an die reellen Zahlen – und nennen einige Probleme.
Die reellen Zahlen sind, das ist heute die allgemeine Haltung, sicherer mathematischer Besitz. Man hat die heftigen Diskussionen weitgehend vergessen oder hält sie für erledigt, die noch in den Jahrzehnten vor und nach 1900 die Häupter und Herzen der Mathematiker, ja ihr Gewissen bewegten. Die Probleme aber sind durchaus nicht verschwunden. Man sieht sie gleichwohl in den Mathematischen Grundlagen gut aufgehoben, übergeht gern die Probleme und geht pragmatisch zur Tagesordnung über, die mit ℝ beginnt. Die mathematische Lehre, in der es um schnelle Vermittlung der Begriffe und Methoden geht, geht von diesen reellen Zahlen aus, meidet möglichst die begrifflichen und methodologischen Fragen und verschenkt an diesem entscheidenden Punkt die Möglichkeit einer reflektierenden Vermittlung eines interessanten Stoffes und die tiefere Einsicht in die mathematischen Elemente.
Wir begeben uns im ersten Kapitel auf den Weg zu den reellen Zahlen, um ganz konkret und elementar ihre Probleme aufzudecken, die noch heute die Mathematischen Grundlagen und die Philosophie der Mathematik beschäftigen. Im Kapitel 3 – auf der Grundlage eines ausführlichen Berichtes über historische mathematikphilosophische Positionen im Kapitel 2 – erörtern wir dann die Probleme näher und verstehen die Konflikte besser, die zu Zeiten Kroneckers, Freges, Cantors und Dedekinds die Gemüter so erhitzt haben.
In der universitären Lehre und im mathematischen Unterricht ist von Konflikten wenig oder nichts zu bemerken. Die reellen Zahlen werden in der Mitte der gymnasialen Schulzeit gewöhnlich so eingeführt, dass verborgen bleibt, welch entscheidender Schritt hier getan wird. Auch dem geneigten Leser dürfte in seiner Schulzeit dieser Schritt kaum zu Bewusstsein gekommen sein. Denn mit der Autorität der Mathematik und des Mathematiklehrers wird der Mathematikunterricht an allen Tiefen und Klippen vorbei gelenkt. Wir wollen zur Einführung kurz, bevor wir im Kapitel 1 die Probleme im Detail identifizieren, einige Punkte im geläufigen Mathematikunterricht und in der Lehre an den Universitäten anschauen – und uns dabei vielleicht an unsere eigene Schul- oder Studienzeit erinnern. Es handelt sich um ganz einfache Dinge, die man in der Routine aber leicht übersieht.3
Die mathematische Lehre an den Universitäten beginnt gewöhnlich mit den reellen Zahlen. Sie setzt sie voraus – wenn sie gründlich ist, axiomatisch, d. h. in der Auflistung ihrer Eigenschaften, die kaum hinterfragt, sondern gesetzt werden. Wenn die Erweiterung zu den reellen Zahlen thematisiert wird, sieht das vielleicht wie folgt aus.
Wir haben in einem Lehrbuch über Zahlbereiche in der Ausbildung von Lehrern ([280], S. 159 ff.) dieses zur Einführung der reellen Zahlen gefunden: Am Anfang des Kapitels über reelle Zahlen wird konstatiert – nach einer Bemerkung über die Diagonale im Einheitsquadrat, einer grundsätzlichen Bemerkung über die Zahlengerade (s. u.) und einem indirekten Irrationalitätsbeweis:
„Die uns vertraute Zahl 2
gehört also nicht zur Menge der rationalen Zahlen.“
Das spiegelt den Brauch bei der Einführung der reellen Zahlen im Mathematikunterricht wieder und ist selbst in einem Lehrbuch im Studium etwas überraschend. Woher ist uns 2
als Zahl vertraut? Zuvor waren gerade die rationalen Zahlen eingeführt worden. Wohin gehört denn „die Zahl“ 2
dann? Offenbar, so suggeriert man, zu einer besonderen Art von neuen Zahlen, zu den reellen Zahlen, die schon da sind. Wo,...

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