Hans Hoffmeister. Harmonie ist mir suspekt
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Hans Hoffmeister. Harmonie ist mir suspekt

Ein GesprĂ€ch ĂŒber die Wende in ThĂŒringen und den Journalismus

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Hans Hoffmeister. Harmonie ist mir suspekt

Ein GesprĂ€ch ĂŒber die Wende in ThĂŒringen und den Journalismus

About this book

Hans Hoffmeister, der Chefredakteur der ThĂŒringischen Landeszeitung (TLZ), hat fast ein Vierteljahrhundert so polarisiert, dass es oft genug im GebĂ€lk krachte. Die Zahl seiner Freunde in der Politik und im Journalismus ist ĂŒberschaubar, die Zahl der zufriedenen Leser geht in die Zigtausende. Die TLZ ist eine Zeitung, die kaum Abonnenten verliert, die untreue Leser nicht kennt und eine Leser-Blatt-Bindung aufweist, von der die meisten Chefredakteure nur trĂ€umen.Hans Hoffmeister ist der Journalist der Wende in ThĂŒringen, der mit Selbstbewusstsein in diesem Buch sagt: "Wir haben nicht ĂŒber die Wende berichtet. Wir haben sie gemacht." So ist dieses Interview auch ein Buch ĂŒber die friedliche Revolution und das Vierteljahrhundert danach. Was ist das Geheimnis des Erfolgs? In diesem Interview-Buch kommen wir dem PhĂ€nomen Hoffmeister auf die Spur.Die Reihe "Bibliothek des Journalismus" versammelt Lehr- und LernbĂŒcher zu Handwerk und Ethik; BĂŒcher zur Zukunft der Medien wie auch zu ihrer Geschichte; Studien zur Kommunikation sowie Reflexionen ĂŒber die Wirkung von Medien.

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Information

1. »Eine Affekthandlung«

Hans Hoffmeisters Aufbruch in den Osten

Als die Mauer geöffnet wurde, waren Sie jung, gerade mal 41 Jahre alt. Sie hatten schon eine steile Karriere hinter sich und eine noch steilere vor sich. Sie waren ein bekannter Journalist in Ihrer Heimat in Ostwestfalen. Was hat Sie in den Osten getrieben, der damals noch DDR hieß?
Ich war beim Westfalen-Blatt. Ich war dort acht Jahre lang der Chef vom Dienst, die Nummer 3 in der Redaktionshierarchie und Dienstvorgesetzter von 200 Redakteuren, 20 VolontĂ€ren und 35 Lokalausgaben. Das Westfalen-Blatt ist eine große Regionalzeitung mit damals 170.000 Auflage, die in großen StĂ€dten wie Bielefeld, GĂŒtersloh oder Paderborn erscheint, besonders aber auf dem Land.
Ich saß in Bielefeld in der Zentrale, relativ eingekeilt, das heißt: Ich hatte zwar einen exzellenten Kontakt zum Verleger und Chefredakteur, der mich dorthin geholt hatte. Aber es gab keine realistische Aussicht, an den beiden schwierigen, sehr eigenwilligen Vize-Chefredakteuren vorbei zu ziehen. Dabei hatte ich die Traum-Position des freien Lokalchefs einer auflagenstarken Großraumredaktion eingetauscht gegen die eines vermeintlichen »Verwaltungsarschs«, wie mir der Chefreporter spöttisch vorhielt – mit ganz vielen Hierarchie-Problemen.
Ich war objektiv zum ersten Mal in der Defensive und nicht wie gewohnt in der Offensive. Alle BefĂŒrchtungen sollten bei allem erfolgreichen Wirken eintreten. Mein Berufsweg war so an einem Haltepunkt; fĂŒr die nĂ€chsten Jahre, Jahrzehnte wĂ€re ich die Nummer 3 geblieben. In Ostwestfalen wusste ich alles und kannte ich alles, das war manchmal fast schon langweilig.
Ich wollte nicht als Aktenmensch, Redaktionsverwalter und ewiger Vermittler enden, sondern auch wieder schreiben, politisch-analytisch wirken. Und ich wusste: Ich konnte Menschen fĂŒhren. Das konnten manche Hochmögende, die ich traf, nicht wirklich. Und schreiben konnten die auch nicht.
Sind Sie also den Weg vieler im Westen gegangen, die im Osten ihre Karriere beschleunigen und eine BuschprÀmie abgreifen wollten?
So weit habe ich nicht gedacht. Solche PrĂ€mien gab es auch nicht. Höchstens fĂŒr Beamte. Der Aufbruch in den Osten – und nicht in den Busch – war eine Affekthandlung. Was ich hörte und sah im Osten, das hatte eine elektrisierende Wirkung auf mich. Als ich 13 war, wurde die Mauer gebaut! Nun kam plötzlich Dynamik auf, da verĂ€nderte sich etwas radikal. Die deutsche Einheit winkte – Wahnsinn! Ich war immer ein sehr politischer Mensch. Anders als meine beiden Chefs. Da wollte ich einfach rĂŒber.
Das war in meinem gesamten Leben so: Wo etwas passierte, ob Gutes oder Tragisches, da wollte ich dabei sein, da wollte ich ganz schnell hin und etwas tun. So brach ich schon sehr frĂŒh in den Osten auf, sprach mit meinem Verleger. Das weiß ich noch genau: Es war ein GesprĂ€ch auf dem obersten Flur unseres Verlagshauses in Bielefeld, wir haben uns gegenseitig angeblafft, der Verleger und ich.
Ist das normal fĂŒr Sie, den Vorgesetzten, sogar den Besitzer der Zeitung, anzublaffen?
Ich habe nie nach oben gebuckelt, ich bin gerade raus, so wie das in meiner westfĂ€lischen Heimat ĂŒblich ist. Ich kusche nicht vor Thronen, ich spreche Klartext nicht nur in meiner Zeitung, sondern auch gegenĂŒber Verlegern und GeschĂ€ftsfĂŒhrern. Die guten und selbstbewussten Chefs wissen das zu schĂ€tzen.
ZurĂŒck zum Flur in der Bielefelder Westfalen-Blatt-Zentrale. Da stehen ein konservativer Verleger, der stets die Wiedervereinigung gefordert hatte, und ein junger Journalist, der tatendurstig ist. WorĂŒber sprechen die beiden, wĂ€hrend gerade die Mauer bröckelt?
Wir haben beide gefragt: Wieso sind wir noch nicht unterwegs? Wir sagten es gleichzeitig, das ist kein Scherz. Wir haben dann gelacht. Und dann durfte ich ganz schnell los und habe mich gefragt: Wo gehst Du denn jetzt hin? Wo fÀngst Du an?
Ich hatte in Leipzig und Berlin schon GesprĂ€che mit Kirchenvertretern gefĂŒhrt: mit Superintendent Richter und PrĂ€lat Grande. Nun fuhr ich zuerst an die Elbe nach Magdeburg. Dazu gibt es eine Vorgeschichte: Das Westfalen-Blatt heißt in meiner alten Paderborner Heimat WestfĂ€lisches Volksblatt. Dieses war frĂŒher ein eigenstĂ€ndiger Verlag und ist heute eine eigenstĂ€ndige Lokalausgabe, die auflagenstĂ€rkste.
Ich erinnerte mich an meine ersten Jahre als Journalist im Raum Paderborn, also dort, wo ich geboren und aufgewachsen bin. Das Westfalen-Blatt heißt dort immer schon WestfĂ€lisches Volksblatt. Mein Vater las mir daraus als Kind – abends auf dem Sofa liegend – Leitartikel von Ignaz Appel, Otto von Habsburg und Hans Habe vor. Vor dem Krieg reichte das Erscheinungsgebiet des Volksblatts bis nach Magdeburg.
Magdeburg war zur Wende noch immer Teil des Erzbistums Paderborn. Dennoch fĂŒhrte mich mein erster Weg nicht zum Erzbischof nach Paderborn, mein erster Weg fĂŒhrte gleich direkt nach Magdeburg. Dort traf ich Bischof Johannes Braun. Er hatte seine Residenz gegenĂŒber der Stasi-Zentrale. Er ging ans Fenster und zeigte sie mir: »Da sitzt die Stasi, und da können Sie sich ausmalen, was ich hier alles durchgemacht habe.« Da wusste ich Bescheid.
Wir haben uns sofort gut verstanden, und ich habe gesagt: »Ich will eine Zeitung machen.« Da ging er ins Archiv und holte die ZeitungsbÀnde raus, unsere eigene Zeitung, das WestfÀlische Volksblatt, Ausgabe Magdeburg, Ausgabe Eichsfeld! »Sieh mal an, Eichsfelder Volksblatt!«, dachte ich. Das war ein heiliger Augenblick. Die ZeitungsbÀnde waren aus der Zeit vor dem Krieg, die habe ich gleich mitgenommen. Wir haben sie dann spÀter alle kopiert, und sie liegen heute in Bielefeld im Archiv.
Aber schnell wurde mir klar: Das war keine gute Idee, mit dem Bischof in Magdeburg konzeptionell zu sprechen. Denn der Bischof hatte eine Vorstellung von der neuen Zeitung, die nicht meine war. Er wollte mich mit seinem Generalvikar, das ist eine Art Verwaltungschef, bekannt machen. Ich sagte nur: »Verzeihen Sie, Herr Bischof, es geht hier nicht um Kirchen-Berichterstattung, es geht hier um Lokalteile, um eine Familienzeitung, um Vereinsberichterstattung, eben um eine normale, freie journalistische Arbeit. In dieser atheistischen Welt muss jetzt die Demokratie hervorgebracht werden. Und dazu gehört der Aufbau einer freien Presse.«
Der Bischof wollte nicht akzeptieren, dass ich an einer Lokalzeitung interessiert war; er hatte nicht verstanden, warum das so wichtig war. Er dachte nur an eine Kirchenzeitung, an eine fromme Berichterstattung. Er spĂŒrte wohl meine Abneigung. Als ich ihn das zweite Mal besuchte, sagte er mir: »Wir haben uns schon mit dem Dom geeinigt, das ist die Kirchenzeitung von Paderborn. Wir werden von dort die Zeitschrift Stadt Gottes ĂŒbernehmen, eine Kirchenzeitschrift.«
Ich antwortete ihm: »Das hat aber nichts mit Tageszeitung zu tun, das hat nichts mit Journalismus zu tun. Bitte ersparen Sie mir Ihre PrĂ€laten und Ihren Generalvikar.« In diesem Augenblick war mir klar: GesprĂ€che waren jederzeit möglich – aber nicht in dem Sinne, dass der Bischof eine Anweisung gĂ€be, wie ich hier zu arbeiten hĂ€tte. Das schwebte ihm allerdings vor. Viel spĂ€ter hat er mich nochmals angerufen und gejammert: Ob ich mit meiner neuen Zeitung nicht doch noch kommen könnte 
 Es mache jetzt in Magdeburg die alte sozialistische Zeitung wieder Furore. Es war die Zeitung, bei der bald ein gewisser Herr Raue Chefredakteur werden sollte 

Der gewisse Herr Raue, der mit Ihnen dieses GesprĂ€ch fĂŒhrt, wurde erst 1998 Chefredakteur der Volksstimme. Aber zurĂŒck zum Jahr 1990: Sie sind ein Chefredakteur, der christlichen Werten verpflichtet ist. Sie haben viele Leser, die sich zum Christentum bekennen. Haben Sie die Haltung des Magdeburger Bischofs, ich nenne sie: eine missionarische Haltung, im Osten öfter erlebt?
Diese Haltung sollte ich sehr frĂŒh bei dem evangelischen Bischof Werner Leich in Eisenach wiederfinden, Erich Honeckers GesprĂ€chspartner der »Kirche im Sozialismus«. Ich fĂŒhrte mit Leich ein Interview, aber als ich es ihm zur Autorisierung schickte, schrieb er’s völlig neu. Er wollte »das ordnen«, und ich kriegte ein völlig neues Interview, sagenhaft! Das ist natĂŒrlich nicht erschienen.
Also: Wir wollten ausschließlich journalistisch frei arbeiten und nicht eingetrichtert bekommen, was uns Obrigkeiten, und seien es auch kirchliche, vorschreiben wollten. Vom ersten Tag an ging es sofort um Freiheit, um journalistische Freiheit, das Gegenteil von Einengung.
Wie endete Ihr Ausflug nach Magdeburg? Offensichtlich sind Sie so dort nicht gelandet.
Genau, der Magdeburger Bischof sah, dass es wahrscheinlich sehr schwierig mit mir wĂŒrde. »Also, da weiß ich auch nicht richtig weiter«, sagte er und schaute mir in die Augen. Ich sagte: »Ich weiß weiter: Wir sind schon unterwegs.«
Wir hatten verschiedene Möglichkeiten: Ein Kollege von mir hatte sich in Erfurt mit Leuten vom »Demokratischen Aufbruch« getroffen. WÀhrenddessen hatte ich in Leipzig mit meinem Kollegen Ralf-Dieter Poch eine Nullnummer der Leipziger Freiheit produziert, zusammen mit der DSU, die damals aus dem Ei kroch und sich noch nicht mit der CSU verschmolzen hatte.
Warum mit einer Partei?
In der DDR – und wir arbeiteten 1990 noch in der DDR – gaben in der Regel Parteien eine Zeitung heraus. Die »Deutsche Soziale Union« war allerdings keine Blockpartei, sondern eine neue Partei. Peter-Michael Diestel, spĂ€ter sehr umstritten, war der GeneralsekretĂ€r, und Hans-Wilhelm Ebeling, der Pfarrer der Thomaskirche, spĂ€ter auch sehr umstritten, war der Parteivorsitzende. Ich habe bei Diestel in der Wohnung am Nickelmannweg gesessen und konnte die Telefonate hören, die er wegen Bonn fĂŒhrte. Er wollte unter Kohl Innen- und Sportminister werden, was er dann ja auch wurde – in der letzten DDR-Regierung unter de MaiziĂšre. Dem Helmut Kohl hat er dann die CDU Brandenburg fast kaputtgemacht. Jörg Schönbohm, der baldige Bundeswehr-Kommandeur Ost, den ich aus Ostwestfalen kannte, musste retten.
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Die schönste Telefonzelle der DDR: Hans Hoffmeister (links) und sein Kollege Ralf-Dieter Poch im Januar 1990 in Leipzig, wo sie eine Leipziger Freiheit herausbrachten.
Foto: Matthias Boge
Die Null-Ausgabe der Leipziger Freiheit wurde uns aus den HĂ€nden gerissen. Aber als wir sie am Bahnhof verteilten, hatte sich die DSU ĂŒber Nacht mit der CSU verschmolzen – und Theo Waigel, der CSU-Vorsitzende, war schon unterwegs. Zudem rĂŒckte die DSU bald so stark nach rechts, dass sie eine CSU-Parteizeitung aus der Leipziger Freiheit machen wollte. Das wollten wir nicht, wir wollten eine freie demokratische Lokalzeitung machen. Das konnten und beherrschten wir.
War die Zeit der Wende eine gute Zeit fĂŒr Missionare, ob in Kirchen, Parteien oder an Runden Tischen?
Die tummelten sich ĂŒberall, aber sie gibt es auch heute noch. Wir dĂŒrfen uns als Journalisten eben nicht mit ihnen einlassen. Das war nicht immer leicht, schließlich hatten die Kirchen eine maßgebliche Rolle in der Wendezeit, vielleicht die entscheidende.
Was stand in der Nullnummer der Leipziger Freiheit?
Wir machten auf der Titelseite auf mit dem Kampf der BĂŒrgerschaft gegen das Karl-Marx-Relief am Uni-GebĂ€ude, wo einst die von Ulbricht gesprengte Paulinerkirche gestanden hatte.
Wie kamen Sie ĂŒber Magdeburg und Leipzig nach ThĂŒringen?
Der Kollege hatte in Erfurt beim Parteitag des »Demokratischen Aufbruchs« zwei langbĂ€rtige, hoch motivierte Menschen getroffen. Die tauchten wenig spĂ€ter mit ihrem Trabi in Bielefeld auf – mit zig PlastiktĂŒten, vollgestopft mit Manuskripten.
Als sie auf den Hof des Verlags fuhren, sahen sie den BMW des GeschĂ€ftsfĂŒhrers und seufzten: »Ach, so...

Table of contents

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Vorwort
  6. Editorial
  7. 1. »Eine Affekthandlung«
  8. 2. »So war der wilde Osten«
  9. 3. »Wie sollten sie denn plötzlich Demokraten sein?«
  10. 4. »Nicht nur nicken, auch handeln«
  11. 5. »ThĂŒringen ist der Sieger der Wende«
  12. 6. »Harmonie ist mir suspekt«
  13. 7. »Ich mag Distanz nicht. Ich mag es lieber direkt«
  14. 8. »Ich musste mit meinen mageren Ärmchen die Stacheldraht-Rollen tragen«
  15. 9. »Es wurde unfassbar viel gesoffen«
  16. 10. »Die Zeitung darf auch Lust verströmen«
  17. »Hatten Sie Angst vor Hans Hoffmeister?«
  18. Personenregister