Gegen die Einsamkeit Sterbenskranker
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Gegen die Einsamkeit Sterbenskranker

Wie Kommunikation gelingen kann

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Gegen die Einsamkeit Sterbenskranker

Wie Kommunikation gelingen kann

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Wie kann Kommunikation am Ende des Lebens fĂŒr alle am Sterbeprozess Beteiligten gelingen? Sterbenskranke erleben Krankheit, Leiden, Sterben und Tod anders als gesunde Menschen. Wahrhaft unterstĂŒtzend können Menschen am Sterbebett fĂŒr Sterbenskranke sein, wenn sie bereit und fĂ€hig sind, sich dem Unfassbaren auszusetzen und sich berĂŒhren zu lassen.Auf Grundlage seiner langjĂ€hrigen Erfahrung in der Begegnung mit Kranken, Sterbenden und ihren Angehörigen, Ärzten und Pflegenden beschreibt der Autor alltagstaugliche Wege zur gegenseitigen UnterstĂŒtzung und VerstĂ€ndigung.

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Information

Teil 1

Unterricht an Sterbebetten

Die öffentliche Diskussion ĂŒber Sterben und Tod wird derzeit ĂŒberwiegend von Auffassungen und Klischees bestimmt wie:
‱Sterben und Tod sind heute tabu.
‱FrĂŒher wurden Sterben und Tod akzeptiert und die Menschen sind im Kreis ihrer Familie gestorben.
‱Sterbenskranke kennen „die Wahrheit“ nicht und mĂŒssen erst darĂŒber aufgeklĂ€rt werden.
‱Sterbenskranke mĂŒssen ihr Sterben und ihren Tod akzeptieren.
Diese eingefahrenen Vorstellungen und Erwartungen lösen bei sterbenskranken Menschen sehr heftige Reaktionen aus:
„Man kann versuchen, die Verblödung, mit der Krankheit, Leiden, Sterben und Tod in unserer Gesellschaft diskutiert wird, wenigstens im Kleinen ein wenig aufzuhalten. Denn gequatscht wird ja ununterbrochen, das ist ja gar nicht zu fassen, wie viel Blödsinn geredet und geschrieben wird ĂŒbers Dahinvegetieren, ĂŒber die WĂŒrde, die angeblich verloren geht, wenn man nicht mehr alleine scheißen kann oder was weiß ich.“1
Was ist von den weit verbreiteten Auffassungen und Klischees ĂŒber Sterben und Tod zu halten? Sind sie „blöd“, wie der sterbenskranke Christoph Schlingensief gesagt hat? Entsprechen sie der Wirklichkeit? Die ersten zwei Annahmen zur Haltung gegenĂŒber Sterben und Tod erörtere ich in diesem Teil des Buches, mit den anderen befasse ich mich im weiteren Verlauf des Buches, vor allem in Teil 2. Es wird sich zeigen: Die eingefahrenen Haltungen sind angesichts der Wirklichkeit zu ĂŒberdenken.

1Unser VerhÀltnis zu Sterben und Tod
ist zwiespÀltig

Der Tod als die grĂ¶ĂŸte Bedrohung des Lebens sei tabuisiert, ganz und gar aus dem Leben ausgeblendet, hinter die Kulissen des gesellschaftlichen Lebens verlagert oder jedenfalls aus dem öffentlichen Leben ausgesondert. Mit diesen Thesen beginnen fast alle Publikationen, die sich mit Sterben und Tod befassen.
Sterben und Tod werden in unserer heutigen Gesellschaft aber nicht totgeschwiegen. Sie sind als Ereignisse und als Schatten fĂŒr jeden allgegenwĂ€rtig. Immer wieder erkranken Menschen tödlich und sterben. Der Tod ist fĂŒr jeden nahe. Wie nahe er ist und wie mit seiner NĂ€he umgegangen wird, ist unterschiedlich. Die Wörter „Sterben“ und „Tod“ werden im Alltag selbstverstĂ€ndlich und stĂ€ndig benutzt. Sie können auch durch keine anderen Wörter ersetzt werden.
Sterben und Tod lassen sich nicht verdrĂ€ngen, auch wenn es versucht wird. Vielmehr faszinieren und erschrecken sie uns. Sie fesseln uns auf seltsame, geheimnisvolle Weise und Ă€ngstigen uns bis ins Innerste. Unser VerhĂ€ltnis zu Sterben und Tod ist zwiespĂ€ltig. Im Alltag zeigt sich diese Spaltung so: Die Lust, sich durch Sterben und Tod medial zu zerstreuen, steht der Angst, durch Sterben und Tod persönlich berĂŒhrt zu werden, gegenĂŒber.
Falls Sie heute Abend das FernsehgerĂ€t einschalten, können Sie sich – da bin ich mir ziemlich sicher – auf fast allen KanĂ€len durch das Sterben und den Tod eines oder mehrerer Menschen unterhalten lassen. Die hohen Einschaltquoten zeigen die Beliebtheit dieser Sendungen. TĂ€glich werden Fernsehfilme aus dem Action-Thriller-Krimi-Genre zu den besten Sendezeiten angeboten. Übliche Titel sind: „Ich sterbe, du lebst.“ – „Rendezvous mit dem Tod.“ – „Der Tod fĂ€hrt mit.“ – „Stirb, damit ich glĂŒcklich bin.“
Auch außerhalb dieser Sendungen sind Sterben und Tod in den Medien allgegenwĂ€rtig: Die Nachrichten- und Sondersendungen sind ebenfalls angefĂŒllt mit Sterbenden und Toten. In Großaufnahmen wird gezeigt, wie Menschen erschossen, Sterbende aus TrĂŒmmern gezogen und Leichen nach einem Attentat weggeschafft werden. Wir können in unserem Wohnzimmer dem Sterben in der ganzen Welt zuschauen: Aids-kranke Kinder sterben in SĂŒdafrika, ein Machthaber wird im Irak erhĂ€ngt, in Thailand und Japan tötet ein Tsunami Bewohner und Touristen, einstĂŒrzende HĂ€user erschlagen Menschen auf Haiti, im Indus ertrinken Familien und Dörfer, Feuerwehrleute verbrennen in Russland. FĂŒr manche Zeitgenossen reicht der Kitzel aus den Medien nicht aus. Sie wollen mehr, nĂ€her am Geschehen sein, die Realityshow. Sie fahren unverzĂŒglich zur UnglĂŒcksstelle, um aus sicherer Entfernung die Katastrophe und den Kampf der RettungskrĂ€fte um das Leben der Bedrohten mitzuerleben. Die Rettungsdienste beklagen zunehmend, dass die Gaffer sie bei ihrer Arbeit behindern. Appelle, von diesem Tourismus abzusehen, scheinen nur das Gegenteil zu bewirken.
Andererseits sorgen wir uns intensiv um unsere Gesundheit und wehren uns gegen unser Sterben-mĂŒssen.
Jeder von uns weiß nur zu gut, dass er jederzeit krank werden kann und dass alte Menschen dem Verfall und ihrem Ende ausgeliefert sind: Die Augen trĂŒben sich, die Ohren werden taub, die ZĂ€hne fallen aus, die HĂ€nde zittern, die Beine tragen nicht mehr, die Schließmuskeln von Darm und Blase versagen ihre Dienste, das GedĂ€chtnis schwindet. Über das „Kind im Manne“ schmunzeln wir, beim „Greis im Manne“ vergeht uns das Lachen.
Unser Engagement fĂŒr unsere Gesundheit ist letztlich nichts anderes als unser Kampf gegen Sterben und Tod.
Von der Angst, alt und krank zu werden, profitieren viele: Die Gesundheitsindustrie lebt davon, und das nicht schlecht. In Deutschland gehen die Menschen so hĂ€ufig zum Arzt wie in keinem anderen Land. Hohe Erwartungen gibt es an die moderne Medizin und die Ärzte. Der Umsatz der Pharma-Firmen betrĂ€gt jĂ€hrlich mehrere Milliarden Euro. Die Medizin-Technologie wird zum Heilsversprechen. ZusĂ€tzlich werden alternative Medizin, Schamanentum, Heiler bemĂŒht. Die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) verantworteten Kampagnen gegen die so genannte „Vogelgrippe“ und gegen die „Schweinegrippe“ bezeugen: Die Angst vor dem Ausbruch tödlicher Pandemien und der Kampf gegen das Sterben herrschen weltweit.
Es liegt auf der Hand, dass wir uns, wenn wir schon sterben mĂŒssen, einen sanften Tod wĂŒnschen und uns der Gedanke an ein qualvolles Sterben AlptrĂ€ume bereitet. Erörtert werden die Vor- und Nachteile eines plötzlichen Todes: Auf der Straße, im Bett vom Schlag getroffen – ein schöner Tod. Friedlich einschlafen. Ohne viele Worte und Aufhebens einschlummern.
Der Traum vom sanften Tod nĂ€hrt die Euthanasiedebatte. Das Sterben soll den Vorstellungen von Ästhetik und Autonomie entsprechen: unversehrt, schmerzlos, rasch und selbstbestimmt. Deshalb wird diskutiert, „Euthanasie-HĂ€uschen“ einzurichten, Orte, an die sich jemand zurĂŒckziehen kann, um sein Leben aktiv zu beenden.
Eine Sache ist es, sich durch Sterben und Tod im Fernsehen unterhalten zu lassen. Eine völlig andere Sache ist es dagegen, mit Sterbenskranken selbst zusammen zu sein, ihnen persönlich zu begegnen und sich von ihnen berĂŒhren zu lassen. Die Mehrzahl der Menschen vermeidet diese Begegnungen und BerĂŒhrungen. Zwei Beispiele fĂŒr diese Haltung: In den letzten Jahren haben mehrere angesehene Autoren ihre TagebĂŒcher aus der Zeit ihrer Krebserkrankung veröffentlicht.2 Die sterbenskranken Autoren kommen anscheinend schon mit ihren BĂŒchern vielen Menschen zu nahe. Der Titel einer Besprechung der TagebĂŒcher bringt die Abwehr auf den Punkt: „Euer Krebs kotzt mich an!“ Das zweite Beispiel: Ein deutscher Bundesgesundheitsminister machte 2011 im Rahmen der Debatte um die Pflegeeinrichtungen die Aussage, dass er selbst nicht ins Altenheim möchte. FĂŒr sein „Bekenntnis“ erhielt er in den Medien viel Zustimmung. Er hatte offenkundig fĂŒr viele gesprochen. Unsichtbare ZĂ€une umgeben Altenheime und Pflegestationen. Wer geht schon „freiwillig“ in ein Alten- oder Pflegeheim? Da kann das Altenheim eine noch so herausragende Bewertung bekommen. Selbst Besuche werden vermieden.
Wir meiden die NĂ€he zu verfallenden und sterbenden Menschen und wehren uns dagegen, selbst pflegebedĂŒrftig zu werden und zu erstarren. Deshalb ĂŒberlassen wir sterbenskranke und pflegebedĂŒrftige Menschen fĂŒr gewöhnlich „Profis“ in speziellen Einrichtungen. Höchste AnsprĂŒche werden an die Pflegenden und die Einrichtungen gestellt nach dem Motto „Wir haben gezahlt und haben ein Recht 
“. Hier wirken sich die Rahmenbedingungen moderner Gesellschaften, insbesondere die Ökonomisierung des Lebens, aus. Geld ist das generalisierte Hilfsmittel. In der Konsequenz wird nicht mehr von Kranken gesprochen, sondern von Kunden, die „etwas“ fĂŒr ihr Geld haben wollen. Alte und Sterbenskranke werden folglich – wie ein Auto in eine Werkstatt – in ein Heim oder in ein Hospiz gegeben. Der Kundenservice soll es richten und Bescheid sagen, wenn der Service fertig ist: „Rufen Sie uns (erst) an, wenn die Oma fertig (verstorben) ist, aber nicht wĂ€hrend der Nacht.“
Elementare, animalische Aspekte des menschlichen Lebens bringen fast ausnahmslos Gefahren fĂŒr das Zusammenleben der Menschen und fĂŒr den Einzelnen mit sich. Sie werden zunehmend hinter die Kulissen des Lebens verlagert. Der Tod als die grĂ¶ĂŸte bio-soziale Gefahr des Lebens wird möglichst weit weggeschoben. FĂŒr die Sterbenden bedeutet dies: Auch sie werden weggeschoben und isoliert. Ein Ergebnis dieser BerĂŒhrungsangst ist die Einsamkeit der Sterbenden sowie die Überforderung und das Verlassen-Sein ihrer Angehörigen und der Pflegenden.3
Die heutige Palliativ- und Hospizbewegung ist eine Reaktion auf die verĂ€nderten Rahmenbedingungen fĂŒr das Sterben in der modernen Gesellschaft. In der Mitte des 20. Jahrhunderts entstanden zur selben Zeit an verschiedenen Orten in den europĂ€ischen und angloamerikanischen Staaten Initiativen, die Lebensbedingungen und die Betreuung der Sterbenden und ihrer Angehörigen zu verbessern. Das gemeinsame Ziel der Initiatoren war „Gegen die Einsamkeit und die Schmerzen der Sterbenden“ aktiv zu werden.

2Das VerhÀltnis unserer Vorfahren
zu Sterben und Tod war auch zwiespÀltig

Angeblich sind in Europa frĂŒher die Menschen im Kreis ihrer Familie gestorben und hatten keine Angst vor dem Sterben. Der Tod wurde akzeptiert und er gehörte zum Leben dazu. – Stimmt das wirklich?
Der französische Historiker Philippe AriĂšs behauptet das jedenfalls in seiner Studie „Geschichte des Todes“ (1982): „Fast zwei Jahrtausende lang – von Homer bis Tolstoi – ist im Abendland die Grundeinstellung der Menschen zum Tod nahezu unverĂ€ndert geblieben. Der Tod war ein vertrauter Begleiter, ein Bestandteil des Lebens, er wurde akzeptiert und hĂ€ufig als eine letzte Lebensphase der ErfĂŒllung empfunden. Seit dem 19. Jahrhundert hat sich ein entscheidender Wandel vollzogen. Der Tod ist fĂŒr den heutigen Menschen Angst einflĂ¶ĂŸend und unfassbar, und er ist außerdem in der modernen, leistungsorientierten Gesellschaft nicht eingeplant. Der Mensch stirbt nicht mehr umgeben von Familie und Freunden, sondern einsam und der Öffentlichkeit entzogen, um den ‚eigenen Tod‘ betrogen.“4
Die Thesen von Ariùs sind beliebt und weit verbreitet. Die wissenschaftlich fundierte Kritik an diesen Thesen wird dagegen kaum wahrgenommen: „Romantischen Geistes sieht Ariùs im Namen der besseren Vergangenheit mit Misstrauen auf die schlechtere Gegenwart. So reich sein Buch an historischen Belegen ist, seiner Auslese und Interpretation muss man mit großer Vorsicht begegnen. 
 Ruhiges Sterben in der Vergangenheit? Welche Einseitigkeit der historischen Perspektive!“5
Es gibt keinen vernĂŒnftigen Grund, die Vergangenheit zu idealisieren.6 In dem im Jahr 1404 erschienen BĂŒchlein „Der Ackermann“, das zu den bedeutendsten Prosadichtungen des spĂ€ten Mittelalters gehört, greift Ackermann den Tod an:
„Grimmiger Zerstörer aller LĂ€nder, schĂ€dlicher Verfolger aller Welt, grausamer Mörder aller Leute, Ihr Tod, Euch sei geflucht! 
 Angst, Not und Jammer verlassen Euch nicht, wo Ihr umgeht; Leid, TrĂŒbsal und Kummer, die geleiten Euch allenthalben. 
 Angst und Schrecken trennen sich von Euch nicht, Ihr seid, wo Ihr seid! Von mir und der Allgemeinheit sei ĂŒber Euch wahrhaft Zeter geschrien mit gewundenen HĂ€nden.“7
Bei der „Geschichte des Todes“ von AriĂšs handelt es sich um eine Geschichtsschreibung aus der distanzierten Sicht gesunder Menschen. Das Erleben der Sterbenskranken und der Trauernden wird nicht berĂŒcksichtigt. Wenn sich die historische Forschung von der Übermacht der Traditionen und auch von der Macht der Ideologien freihĂ€lt, kommt sie zu anderen Erkenntnissen. Dann findet sie auch aus dem 18. Jahrhundert Aussagen wie diese:
„Selbst der Tod, das allgemeine Schrecken der Natur, bey dessen Anblick jedes GefĂŒhl der Freude, jede frohe Empfindung, jede keimende Hofnung, wie die Blume vom Winterfroste dahinwelkt, selbst der Tod wird in der NĂ€he der Tugend, von der wohlthĂ€tigen Hand der Phantasie geschmĂŒckt, zu einem Gegenstand der Liebe, des Wunsches und des freudigen Erwartens.“8
Die Menschen hatten zu allen Zeiten und in allen Kulturen zu Sterben und Tod ein zwiespÀltiges VerhÀltnis. Einerseits hat die Volksbelustigung durch öffentliche Tötungen eine lange historische Tradition. Bereits bei den Etruskern gab es GladiatorenkÀmpfe, die das antike Rom aufgriff und zur Massenveranstaltung ausweitete. Im Mittelalter unterhielten öffentliche Hinrichtungen, Schauspiele und Opern ein begieriges Publikum. Zeitzeugen beschreiben, wie das ganze Dorf erwartungsvoll auf den Anger oder den Galgenberg spaz...

Table of contents

  1. Cover
  2. Titel
  3. Widmung
  4. Impressum
  5. Inhalt
  6. Was mich bewegt, dieses Buch zu schreiben
  7. Teil 1 Unterricht an Sterbebetten
  8. Teil 2 Erleben und Verhalten Sterbenskranker
  9. Teil 3 Erleben und Verhalten der Angehörigen und Freunde
  10. Teil 4 Erleben und Verhalten professioneller Helfer
  11. Teil 5 Bausteine und Wege fĂŒr eine angemessene Kommunikation Begegnungen mit Sterbenskranken als interaktives Geschehen
  12. Fragen nach der Begegnung mit Sterbenskranken
  13. Teil 6 Trösten heißt treu sein
  14. Anmerkungen
  15. Literatur
  16. Der Autor