Das Wasserschloss am Tchou-An-See
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Das Wasserschloss am Tchou-An-See

Neue Ermittlungen des Richters Di, Band 1

  1. 248 pages
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Das Wasserschloss am Tchou-An-See

Neue Ermittlungen des Richters Di, Band 1

About this book

Richter Di und sein Wachtmeister Hong Liang sind wegen einer Überschwemmung gezwungen, in einer Provinzherberge Zuflucht zu nehmen. Am Tag darauf wird einer der Gäste ermordet aufgefunden. Als sich die Lage zuspitzt, nimmt der Richter in dem luxuriösen, aber geheimnisvollen Wasserschloss am Tchou-An-See Quartier, in dem es in der Folgezeit zu weiteren merkwürdigen Todesfällen kommt. Im Zuge seiner Ermittlungen stellt der Richter fest, dass sich die Bewohner höchst seltsam verhalten und offenbar ein düsteres Geheimnis verbergen wollen.

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Information

Year
2016
eBook ISBN
9783863462925
Edition
1
V
Eine Statue fängt an zu reden; Richter Di entdeckt noch merkwürdigere Seiten der Familie.
In dieser Nacht versuchte Richter Di vergeblich einzuschlafen. Die grünlichen Algen lagen ihm schwer im Magen. Er unternahm einen kleinen Verdauungsspaziergang in den Galerien, die das Haus umgaben. Die Nacht war kühl und belebend. Das sanfte Plätschern des Wassers hatte etwas Beruhigendes. Da es nicht mehr regnete, stieg er die Stufen der Freitreppe hinab, um ein bisschen durch die sandigen Alleen zu schlendern, die im hinteren Teil des Anwesens durch den Park verliefen.
Er erkannte im trüben Licht des Mondes die Schatten majestätischer Bäume, die sich sanft im Wind wiegten. Die Atmosphäre auf dieser Insel in der Mitte des Sees war unwirklich und prächtig zugleich. Man hätte sich vorstellen können, jeden Augenblick eine Fuchsfrau oder irgendeinen kleinen behaarten und gehörnten Dämon so natürlich wie ein Wiesel zwischen zwei Sträucher gleiten zu sehen: Seine Gegenwart wäre in diesem Paralleluniversum nicht unpassend gewesen, in dem die Verbindungen zur gewöhnlichen Wirklichkeit ohnehin seit uralten Zeiten gekappt waren. Diese Insel war wie ein zwischen zwei Welten geschickt lavierendes Schiff. War sie nicht das Königreich einer Göttin? Und waren ihre Bewohner nicht viel mehr ihre Hüter denn Besitzer?
Richter Di spürte, dass auch er mit der besonderen Atmosphäre dieses Ortes hätte verschmelzen können, um hier etwa in der Bibliothek zwischen alten Holzschnitten und Kunstwerken sein Leben mit dem Lesen von Poesie zu verbringen, abseits der menschlichen Gesellschaft, ihrer Verbrechen und ihres grenzenlosen Elends. In diesem Augenblick beneidete er aufrichtig die Familie Tchou und ihr ruhiges Leben, das sich über die allgemeinen Regeln der anderen Sterblichen hinwegsetzte.
Ganz in seine Gedanken versunken, entdeckte er am Ende des Parks die Umrisse einer Pagode, die ins Schilf hineinragte. Sie war zur Hälfte von Weiden verdeckt, deren lange Äste das Wasser berührten. Dann hörte er eine Stimme, ohne zu verstehen, was sie sagte. Die sanften Töne und der Gesang kamen wohl von einer Frau. Als er nähertrat, erblickte er durch die roten Säulen des kleinen Bauwerks eine merkwürdige, aber auch faszinierende Szene: Ein Mann, der ihm den Rücken zuwandte, kniete vor der monumentalen Statue der Göttin mit dem Fischschwanz, deren goldfarbene Beschichtung im Licht einer auf dem Boden stehenden Laterne glänzte.
„Hast du mich richtig verstanden?“, fragte die weibliche Stimme, die aus einem Grab zu kommen schien.
„Ja, mächtige Göttin“, antwortete der Haushofmeister mit leiser Stimme, aber mit spürbarer Erregung. „Ich werde dir in jeder Hinsicht gehorchen. Verzeihe mir, wenn ich dich beleidigt habe. Ich bin dein ergebener und dir stets treuer Diener.“
Er machte einen Kotau,[3] wie es auch vor Gericht üblich war: Dreimal schlug er zum Zeichen seiner absoluten Ergebung mit der Stirn auf den Boden. Der Richter erwartete, dass sich die Lippen der Statue sogleich bewegten, als Stimme fortfuhr: „Nun, da du vernünftig bist, werde ich dich belohnen. Deine größten Wünsche werden erfüllt. Siehe und empfange.“
Etwas Leuchtendes, golden Glänzendes fiel herab und wirbelte um den knienden Anbeter herum. Der Richter unterdrückte einen Schrei der Überraschung: Ein Goldregen, eine wirklich goldene Wolke, fiel da vom Himmel wie greifbarer Segen. Der Vorgang dauerte etwa eine Minute; der Richter glaubte zu träumen. Aber der sprachlose Haushofmeister stand tatsächlich in der Mitte eines gepflasterten Weges, der mit feinen Goldplättchen bestreut war. Der leuchtende Staub glänzte auf seinem Gewand und auf seinen Händen.
„Danke! Danke!“, wiederholte er und schlug erneut mit der Stirn auf den Boden. Dann, ohne sich die Mühe zu machen, dieses Manna einzusammeln, das buchstäblich auf ihn herabgefallen war, verließ er die Pagode mit gekrümmtem Rücken und gesenktem Kopf, wie ein Mann, der von einer himmlischen Offenbarung gerade erdrückt worden war. Dabei murmelte er unablässig Anrufungen und Gebete; schließlich verschwand er zwischen den Bäumen in Richtung des Schlosses.
Die Pagode versank im Dunkel; Richter Di blieb noch eine Weile, ohne in der Lage zu sein, eine Bewegung zu machen. Die Sicht war zu schlecht, um den Ort zu untersuchen. So verschob er seine Nachforschungen auf den nächsten Morgen und kehrte zurück, um sich endgültig schlafen zu legen, weniger bereit als je zuvor, auch wirklich Schlaf zu finden.
*
Als er erwachte, bemerkte er, dass der Regen erneut in seiner endlosen Monotonie eingesetzt hatte.
„Haben Eure Exzellenz gut geschlafen?“, fragte Hong Liang und zog die Vorhänge des Bettes zurück. Richter Di wunderte sich, dass es ihm gelungen war einzuschlafen. Die Szene, die er miterlebt hatte, kam ihm wieder in den Sinn. Er fragte sich, ob dies alles nicht etwa nur ein Traum gewesen war, der durch die schlechte Verdauung eines ekelhaften Essens hervorgerufen worden war.
Nachdem er seinen Imbiss verschlungen hatte, zog er sich warm an. Er versah sich mit einem Wachstuch, dann kehrte er zu der Pagode zurück. Die Alleen waren jetzt verschlammt. Nach längerem Waten unter ständigem Regen fand er endlich wieder den hübschen Pavillon, der nun viel düsterer aussah als in der schwarzen Nacht.
Einmal im Inneren sah er, dass die Statue hingegen bei Tageslicht genauso grandios aussah; sie hatte majestätische Ausmaße. Die goldfarbene Malerei, mit der sie bedeckt war, ließ den Eindruck entstehen, als sei sie aus massivem Gold; es handelte sich um die vorzügliche Arbeit eines Goldschmiedes. Die Augen waren mit Jade und Edelsteinen besetzt; die Zähne, die ihre lächelnden Lippen aus rosafarbenem Gold durchblicken ließen, waren aus makellosem Elfenbein geschnitzt. Die Haare, die über ihre birnenförmigen Brüste fielen, waren mit einer scharlachroten Korallenschnur zusammengebunden, und ihre Hände, deren Finger außerordentlich feingliedrig waren, öffneten sich zum Zeichen der Segnung auf einer Seite, während sie auf der anderen eine Art große Silberperle als Symbol des Glücks und Wohlstandes anboten.
Kein Gegenstand im Hause der Tchou war in Bezug auf Perfektion und Originalität mit dieser Votivfigur zu vergleichen. Selbstverständlich herrschte die Göttin über der Insel und dem See: Sie verkörperte Wesen, Schwerpunkt und Daseinsberechtigung dieser Familie, dieses Hauses. Beim Betrachten dieser Mi...

Table of contents

  1. Titelei
  2. Kaiptel I
  3. Kaiptel II
  4. Kaiptel III
  5. Kaiptel IV
  6. Kaiptel V
  7. Kaiptel VI
  8. Kaiptel VII
  9. Kaiptel VIII
  10. Kaiptel IX
  11. Kaiptel X
  12. Kaiptel XI
  13. Kaiptel XII
  14. Kaiptel XIII
  15. Kaiptel XIV
  16. Karriere des Richters Di Jen-dsiä
  17. Inhaltsverzeichnis
  18. Backcover