Gut genug
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Gut genug

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About this book

Sie verdient ihr Geld halbtags mit Tippen im Anwaltsbüro Hoffmann, senior, der "Fräulein Ragotsky" zu ihr sagt und seine Zähne erst gegen elf einsetzt, wenn er zum Gericht muss. Sie kündigt, holt ihre alte Schreibmaschine, eine Olympia, vom Dachboden und will für Studenten arbeiten.Sie ist schwanger und findet es einen Skandal, dass "man ein Biologie an sich hat". Obwohl ihr nur handfeste Gründe gegen das Kinderkriegen einfallen, entscheidet sie sich für das Kind und stellt sich den Herausforderungen, Mutter zu werden.

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Information

Publisher
BEBUG
Year
2013
eBook ISBN
9783867895644
Erst hatte ich kein Kind.
Ich wollte keins.
Dann hatte ich eins.
Gut.
Gut?
Mein größtes Problem war, am Leben zu bleiben.
Sie lachen, aber das ist kein Witz.
Manchen Leuten gelingt es, am Leben zu bleiben, vielen gelingt es nicht.
Als ich schwanger war, dachte ich, das Risiko ist, daß du vorher stirbst, also Selbstmord, Suff, Unfall und Krebs. Bei Weltuntergang kannst du nichts machen. Es war vielleicht nicht gerade ein mütterlicher Gedanke. Aber vielleicht war es auch ein mütterlicher Gedanke. Ich weiß nicht genau, was das ist. Bis heute. Mit Vorhersterben habe ich gemeint, bevor dieses Kind dann groß wäre, also groß genug, um damit klarzukommen. Wenn sie noch zu klein sind, denken sie, sie hätten es selbst gemacht, daß man stirbt. Sie denken, sie sind allmächtig, und dann kommen sie nicht damit klar. Natürlich nicht. Also kein Selbstmord Suff Unfall und Krebs. Mehr kann ich dir nicht versprechen. Man hat am Leben zu sein, bis das Kind merkt, der Haß reicht nicht aus, um einen leibhaftig umzubringen.
Die siebziger Jahre waren um. In den siebziger Jahren war es eine Zeitlang Mode gewesen, Kinder zu kriegen. Das hörte dann wieder auf. Eine Weile lang war alles mögliche psychosomatisch. Manches bloß simuliert. Die meisten Kinder, die ich kannte, waren gräßlich, aber ich kannte im Grunde keine. Wenn man keine Kinder hat, kennt man keine Leute mit Kindern und folglich auch keine Kinder, aber manchmal sieht man welche oder hört sich Geschichten an. Ich hatte keine Lust, Leute mit Kindern zu kennen, ich habe bis heute keine Lust, Leute mit Kindern zu kennen, weil sie Leute mit Kindern sind und also Kinder haben, aber das hilft nunmal nicht. Vermutlich ist es das Statistische Bundesamt oder das Arbeitslosigkeitsamt in Nürnberg, wo die Mode erfunden wird, dann kriegen plötzlich alle ein Kind, und ein paar Jahre später ist es vorbei. Nur die, die es dann immer noch nicht begriffen haben, kriegen zwei oder drei. Vielleicht ist es auch das Verfassungsamt. Herrschaft. Und Reproduktion. Wobei Reproduktion heißt: das Kinderkriegen. Irgendein Trick ist dabei, alle fallen drauf rein, nur weißt du nicht, wie du durchkommst. Man kann sie auch nicht second hand weggeben, weil die Mode im nächsten Jahr wechselt und man sich nicht mehr erinnert, wieso man sie mitgemacht hat. Die meisten Zweitkinder entstehen vielleicht aus Verzweiflung.
Als ich schwanger war, dachte ich, doch mal sehn, ob wir das nicht schaffen, obwohl ich mir nicht so sicher war. Zu der Zeit hatten es viele auch ohne Kinder schon nicht geschafft. Selbstmord Suff Unfall und Krebs, ich könnte sie herzählen, beide Hände reichen dafür nicht aus, später kam auch noch Aids. Erstaunlich viele haben sich vom Balkon gestürzt und ein paar auch im Wald erschossen. Und Motorradunfälle. Heroin hätte ich fast vergessen. Mit Kindern, wie gesagt, kannte ich keine. Als ich schwanger wurde, war Kinderkriegen nicht sehr in Mode. Ein paar Jahre später kam es wieder in Mode. Jetzt ist es, glaube ich, auch gerade wieder in Mode.
Ich war mir nicht sicher, ob ich es schaffe, lebend da durchzukommen.
Die Schwangerschaft über habe ich mir Monat für Monat beim Arzt auf die Hände gepißt, anstatt in den Kaffeeautomatenbecher hineinzutreffen, jedesmal eine Sauerei, bis so viel Urin drin war, daß sie feststellen konnten, wieviel vorgeburtlicher Eisenmangel, anfangs bin ich wütend gewesen, daß sie es wirklich am Ende dieses erfinderischen Jahrhunderts noch nicht zuwegegebracht haben, etwas zu konstruieren, wo man problemlos hineinpinkeln kann, ohne sich auf die Hände zu pissen, aber mit der Zeit hat es mich kläglich gemacht. Einen Knacks gibt das. Wobei Reproduktion heißt: die Wiederholung. Es hat dann noch mehrmals geknackst, bis mir aufgefallen ist, daß das der Sinn ist. Nicht die Absicht, aber der Sinn. Aber vielleicht auch die Absicht.
Wenn ich mir genau überlege, warum ich das Kind gekriegt habe: ich hatte ein bißchen Kraft drüber. Die siebziger Jahre waren vorbei, und viele, die vorher etwas großspurig und über Zimmerlautstärke der Welt die Welt erklärt hatten, fingen an, sich die Ohrringe aus den Ohren zu nehmen und irgendwo möglichst weit oben unterzukommen. Viele waren auch tot, nur der Rest hatte es noch nicht begriffen, weil es natürlich eine Frage der Intelligenz ist, sonst nichts.
Oder?
Ich hatte ein bißchen Kraft drüber und wußte nicht recht, wohin damit. Ich weiß nicht, ob Sie das kennen, aber wenn man zuviel Kraft hat und benutzt sie nicht – es gibt da so etwas wie eine Verfallsfrist. Danach ist sie spurlos weg, und man kommt plötzlich nicht mehr hoch. Natürlich hätte ich auswandern können. Oder Sozialarbeit. Oder Aikido. Oder was? Die Welt hat sich damals benommen, als wäre sie rund und bunt und ein einziger Selbstbedienungsverein. Manchmal stand in der Zeitung, daß sie kein Selbstbedienungsverein sei, man solle das ja nicht glauben, und alle Leute haben gesagt, was in der Zeitung steht, aber weil es in der Zeitung steht, glaubt doch keiner daran. Bis einer die unterste Flasche rauszieht, habe ich gedacht, das kann dann ziemlich scheppern. Also bin ich nicht ausgewandert. Für Sozialarbeit muß man ein guter Mensch sein. Wenigstens muß man glauben, daß man einer ist. Früher habe ich mir abends gelegentlich vorgenommen, ein guter Mensch zu werden, etwa wie Albert Schweitzer, es war ein Mittel gegen die Furcht, die einen am Einschlafen hindert, aber sobald man anfängt zu denken, ist es aus mit dem guten Menschen. Aikido brauchst du nur, wenn du Angst hast, dich fällt jemand an, mich fällt aber niemand an.
Die Kraft war also drüber, ein Überschuß eben, vielleicht ein Übermut, und ich wußte damit nicht, wohin. Manche Leute regeln das übers Fernsehen, und wenn du dann das Verfallsdatum überschritten hast, merkst du nichts mehr davon. Von der Unruhe. Es ist eine sinnlose Unruhe, natürlich, sie hat mit dem Leben zu tun, das nicht ordentlich stillhalten will, sondern quer durch die Modderpampe immer durchlatschen immer.
Der Arzt, als er mir gesagt hat, daß der Schwangerschaftstest so und so und also positiv wäre, nachdem ich mir das erste Mal über die Hand gepißt hatte, wußte erst nicht, ob er mir gratulieren soll oder lieber gleich eine Abtreibung machen. Ich auch nicht. Wir hatten in der Schule die Atombombe, den Rassismus in den Vereinigten Staaten, Arno Schmidt, den Faschismus, die Unterdrückung der Frau, die zweite Natur und überhaupt eine Menge gelernt, und in Musik die Seeräuberjenny, aber das war kein Pflichtkurs, und jedenfalls hat man da schon, mit Ausnahme des Rassismus in den Vereinigten Staaten, die hier nur mit Einschränkung gelten, lauter handfeste Gründe dagegen. Gegen das Kinderkriegen. Wenn Sie nachdenken, fallen Ihnen bestimmt auch noch welche ein. Meiner Mutter sind ziemlich viele eingefallen, als ich dann damit kam, sogar meinem Vater sind welche eingefallen. Eigentlich allen. Mir auch. Um es genau zu sagen, fällt einem, wenn man halbwegs bei Verstand ist, kein einziger Grund dafür ein. Sagen Sie nichts von Liebe. Wir sind für Liebe nicht so sehr gut geeignet. Nicht nach alldem. Sie auch nicht, da brauchen Sie nicht so zu tun. Der Arzt hat auch gewußt, daß es nicht einen einzigen Grund gibt, Kinder zu kriegen, er hat ganz vorsichtig und behutsam gesagt, es ist schließlich ein natürlicher Vorgang, und ich bin sofort wütend geworden und hochgegangen, ich war sowieso noch ein bißchen wütend wegen der Kaffeeautomatenbecher am Ende dieses Jahrhunderts. Ich habe gesagt, das glauben Sie doch wohl selber nicht, daß das ein natürlicher Vorgang ist. Im Gegenteil, habe ich gesagt, es ist etwa der widernatürlichste Vorgang, der sich nur denken läßt. Geradezu antinatürlich. Nicht daß eine Abtreibung machen ein natürlicher Vorgang ist, habe ich gesagt, aber eine Abtreibung machen ist immer noch natürlicher, als sie nicht zu machen und statt dessen ein Kind zu kriegen. Am natürlichsten ist weder noch. Das ungefähr hat später auch meine Mutter gesagt. Dafür haben sie nicht die Pille erfunden, daß du jetzt daherkommst und schaffst dir ein Kind an. Meine Mutter hat die Erfindung der Pille immer als große Menschheitsleistung bezeichnet und revolutionär gefunden, nicht für ihre eigenen Töchter natürlich, für die sie weder noch angemessen gefunden hat, weder Pille noch Kinderkriegen, aber als Menschheitserfindung und für in Indien hat sie sie für eine gewaltige Leistung gehalten. Vor der Erfindung der Pille ist das Leben für Frauen nicht so sehr lustig gewesen, hat sie gesagt. Damit hat sie ihr eigenes Leben gemeint, nicht das Leben der Inderinnen mit ihren Inderkindern, die sie sich allerdings nicht anschaffen. Werfen wie die Karnickel. Sterben wie die Fliegen.
Als ich mit den Männern anfing, wußte ich jedenfalls ziemlich genau, wie man es macht, keine Kinder zu kriegen, und so gut wie nichts darüber, wie man es macht, sie zu kriegen und dann zu haben. Und das ist so geblieben. Ich hätte niemals geglaubt, daß ich ein Kind kriegen würde. Daß man das überhaupt kann. Daß man eine Biologie an sich hat. Also ich. Es war ein Skandal, das gesagt zu bekommen.
Außerdem wollte ich keins.
Ich sehe mich noch aus der Arztpraxis kommen, im Treppenhaus hatte jemand: Maritta du geile Drecksau an die Wand gesprüht, ich hatte es schon vorher gelesen, als ich hochgegangen war und noch nicht so verblüfft wie jetzt, und es ist ein ganz normaler Sprühspruch gewesen, mit diesen Sprüchen ist es wie mit der Werbung, du liest sie und liest sie nicht, aber jetzt beim Hinuntergehen hat er sich anders gelesen. Ich habe mir vorgestellt, da stünde: Maritta, du liebe Mama. Maritta du geile Drecksau schien mir nicht so pervers wie: Maritta, du liebe Mama. Draußen war plötzlich ein anderer Sommer als noch vor einer Stunde. In diesem Sommer haben die Häuser etwas gekippelt. Vor dem Haus steht eine Telefonzelle, aber ich habe gedacht, eine Telefonzelle ist noch kein Grund, jemand anzurufen, und beim Gehen hat mich Maritta beschäftigt. Ob sie eine geile Drecksau ist oder eine liebe Mama. Vielleicht wenn man es mischen würde. Du geile Mama oder du liebe Drecksau. Maritta hat angefangen, mich sehr zu interessieren. Besonders die beiden letzten Formen. Die vorletzte kam mir besonders pervers und befremdlich vor. Übrigens ist sie tatsächlich ein ernstes Problem. Wenn Ihnen jemand weismachen will, sie sei keins: er lügt. Wahrscheinlich wird er von diesem Statistischen Bundesamt dafür bezahlt. Herrschaften! Und die Reproduktion, wobei Reproduktion heißt: das Kinderkriegen.
Gut.
Gut?
Als ich eine Weile nachgedacht habe, ist mir vorgekommen, als ob es, grob gesprochen, zwei Sorten Mütter gibt. Die allerfurchtbarsten und die eingeschränkt wunderbaren. Die allerfurchtbarsten haben Töchter, und die eingeschränkt wunderbaren haben Söhne. Pro Tochter gibt es eine allerfurchtbarste Mutter und pro Sohn eine eingeschränkt wunderbare. Manche sind offenbar schizophren. Meine arme Mutter, habe ich gedacht. Ali, Bea und ich. Dreimal danebengetroffen.
Die Sache ist augenblicklich auf Glück angewiesen, demnächst geht es gentechnologisch. In jedem Fall aber, selbst wenn du Glück hast und wirst zufällig eingeschränkt wunderbar, ist ein Haken dabei, weil du selbst eine ehemalige Tochter bist. Das hat es mir sehr erschwert. Als es in den siebziger Jahren Mode war, Kinder zu kriegen, war es gleichzeitig sehr in Mode, die Mutter zu diesen Kindern zu sein. Es ist nicht wichtig gewesen, daß es zu jedem Kind ungefähr auch einen Vater gab, es ist überhaupt nicht so sehr um den Vater gegangen, weil es vorher die ganze Zeit und ein paar tausend Jahre um den Vater und nach der Nase des Vaters gegangen war, und jetzt sollte sich das ändern. Also ging es darum, die Mutter zu sein.
Das Dilemma mit der allerfurchtbarsten Mutter kann man lösen, habe ich gedacht, indem man nur fest entschlossen und laut genug sagt, daß man es anders macht. Nur – dann hat man es zwar furchtlos, aber immer noch nicht gelöst.
Lautsagen ist ein bißchen wie Im-Wald-Singen.
Nun, die siebziger Jahre waren um, und viele Frauen, die etwas voreilig und über Zimmerlautstärke sich und der Welt das Muttersein neu in den Wald gesungen hatten, sind dann doch lieber rasch noch zum staatlichen Heiratsamt.
Deshalb wollte ich lieber kein Kind.
Außerdem dachte ich, bevor so ein Kind geboren wird, sollte man höflichkeitshalber die Wohnung aufräumen. Auch ohne ein Kind wäre Aufräumen und Putzen nicht schlecht gewesen, aber man kann sich daran gewöhnen, in einer ungeputzten Wohnung zu leben. Manchmal gerät man in Panik und denkt, jetzt wächst es mir über den Kopf, aber solange man halbwegs den Überblick hat, ist es nicht wirklich gefährlich. Man gerät auch in Panik, wenn man anfängt zu putzen und aufzuräumen, weil man denkt, daß es reine Vergeudung von Zeit und Lebenskraft ist. In der Zeit liest du zwei bis drei Bücher oder sitzt in der Küche und denkst, und also ist Putzen und Aufräumen nicht einfach Zeitvergeudung, sondern die reinste Verblödung. Ist es.
Jeder, der einmal mit Nachdenken anfängt, hat augenblicklich die schrecklichste Angst vor Verblödung. Auch vor dem Verrücktwerden natürlich, aber fast noch mehr vor Verblödung. Deswegen ist es wirklich praktisch gewesen die ganze Zeit und die paar tausend Jahre vorher mit der Regelung zwischen Männern und Frauen, zwischendurch war es eine Weile unpraktisch, und gerade jetzt fängt es wieder an, sehr praktisch zu sein. Mein Putzproblem war unlösbar, weil man dazu einen Dummen braucht. Eine Dumme. Oder man bezahlt, wozu man wiederum Geld braucht. Geld war ein weiteres offenes Problem. Herrschaft! und Reproduktion. Wobei Reproduktion heißt: das Geldverdienen. Das Aus- und Einkommen. Also habe ich immer gedacht, irgendwann mußt du hier aber putzen, wenn ich die Wohnung aufgeschlossen habe, und irgendwann ist eben nie, weil es sehr viele Bücher gibt, die man noch lesen möchte. So ein Kind kommt aber dann und dann auf die Welt, und plötzlich heißt es, bis April muß hier dringend geputzt sein, höflichkeitshalber, und so ungefähr fängt das Muttersein an, die Verblödung, daß du dein Leben noch vor dem April und dem Kind wegputzt, Eimer für Eimer, aufräumst, wegschmeißt, diese Spurenbeseitigung ist keine Frage von Stunden, sondern, wenn man mal damit anfängt, wird ein Lebensprojekt daraus, ein Projekt zur Lebensvernichtung; es hat mich etwas entmutigt. Meine Mutter hat eine Technik, sie sagt, es geht einfacher, wenn man es einmal die Woche macht, den Keller und die Schränke einmal im Jahr, aber ich habe immer gefunden, das ist genau, was man tun muß, um todsicher zu verblöden. Deswegen war das Putzproblem einige Schichten dick, ziemlich organisch und nicht mit Essig zu lösen. Besonders am Herd und um den Herd herum. Außer denken konnte ich damals noch kochen. Und sicherheitshalber hatte ich halbtags Tippen gelernt. Das war etwa das, was ich konnte. Ich hatte sogar noch Kraft drüber.
Deswegen dann das Kind.
Bloß wußte ich nicht, wie es geht. A.C. hat schon gar nicht gewußt, wie es geht. Zufällig hatte er auch etwas Kraft drüber. Seine Wohnung war etwa so dreckig wie meine und ebenso unaufgeräumt, und wir haben überlegt, wie es gehen soll oder wen wir fragen könnten, wie es geht. Daß man es schafft. Daß man am Leben bleibt.
Wir waren uns einig, daß man besser nicht vorher stirbt, also Selbstmord Suff Unfall und Krebs. Bei Weltuntergang kannst du nichts machen. Mein Vater hat später gesagt, es würde ihn sehr interessieren, wie das wäre, mit allen andern gemeinsam zu sterben, was diesem künftigen Kind ja wohl blüht, blühen kann man in dem Fall schlecht sagen; er hätte sich oft überlegt, was man sich wünschen soll, lieber allein in der Klinik im Kabäuschen, im Sterbekabuff mit ärztlichem Zubehör und Komfort und all dem Schnickschnack samt wechselnden Nachtschwestern an sich dran, oder Weltuntergang, alle zur gleichen Zeit, und beim Hinübergehen noch knapp in der letzten Sekunde zu wissen, das war’s nun, du liebe Erde, zunächst mal die nächsten Trillionen Jahre. Von jetzt an ohne Getier. Es war unklar, ob er das als Argument für oder gegen das Kinderkriegen gesagt hat oder einfach aus echtem Interesse.
Als ich mit A.C. überlegt habe, wie es gehen kann, haben wir uns jedenfalls vorgenommen, am Leben zu bleiben. Wenn es bei einem von beiden nicht klappen sollte, wäre ja noch der andere da, haben wir gesagt und waren ein bißchen erleichtert.
Dann war da aber noch die Sache mit der Dreizimmerwohnung und dem staatlichen Heiratsamt. A.C. hat davon angefangen. Er hat gesagt, soweit er wüßte, wäre das etwas, was die meisten Leute tun, wenn sie Kinder kriegen. Außerdem wäre das Putzproblem uns mittelfristig auf die Art nicht unelegant vom Hals. Jeder gibt seine dreckige Wohnung auf, und wir fangen mit einer sauberen einfach neu an, und bis die in dem Zustand wäre wie unsere jetzigen heute, ist das Kind aus dem Gröbsten raus, ohne daß einer verblödet. Das leuchtet ein. Mir ist trotzdem ein bißchen schlecht geworden, und ich habe gesagt, das klingt tatsächlich überzeugend, aber ich glaube, ich sollte doch lieber eine Abtreibung machen. A.C., als er gemerkt hat, mir wird davon schlecht, hat gesagt, eigentlich klingt es elend, aber soweit er wüßte, wäre es das, was die meisten Leute tun, und wir hatten niemanden, den wir fragen konnten, weil wir keine Leute mit Kindern kannten und keine kennen wollten. Also wußten wir nicht, wie es geht.
Wenn man keine Leute mit Kindern kennen wil...

Table of contents

  1. Umschlag
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Widmung
  5. Gut genug