Die Trümmer müssen weg
Enttrümmerungsmaßnahmen während des Luftkrieges und in der Nachkriegszeit
»Was um uns herumlag, war ›neuer Schutt‹. Nach den ersten Bombenangriffen von 1942 und 1943 hatte man die Trümmer weggeräumt und die Stadt war wieder einigermaßen zum Leben erwacht. Erst in der vergangenen Woche, während der letzten großen Angriffe vom 2. und 3. März, als Köln für den Einmarsch ›weichgemacht‹ wurde, waren die meisten Gebäude, die noch standen, auf die Straße gestürzt und hatten etwa vierhundert Deutsche mitgerissen. Damals erhielt auch der Dom, der bis dahin ziemlich unbeschädigt geblieben war, die drei Volltreffer, die das Hauptschiff mit Trümmern füllten.«1
Die Eindrücke von Margaret Bourke-White, die als amerikanische Fotojournalistin den Einmarsch der US-Armee auf deutschem Boden begleitete, verdeutlichen auf anschauliche Weise die von Axel Schildt formulierte These, dass die Trümmerräumung, als Vorbedingung für den Wiederaufbau Deutschlands, entgegen heutiger Vorstellungen, nicht erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges einsetzte.2 Vielmehr lässt sich die Trümmerräumung in zwei Phasen unterteilen: In eine erste Phase, die mit dem Beginn des alliierten Luftkrieges gegen das Deutsche Reich im Jahr 1940 begann und in der die Trümmerräumung in vielerlei Hinsicht ein Provisorium bleiben musste, da gerade geräumte Trümmer durch neue ersetzt wurden. Mit der deutschen Kapitulation im Mai 1945 ist schließlich die zweite Phase der Trümmerräumung anzusetzen, da das Ende der Bombardierungen eine realistische Aussicht auf einen kontinuierlichen Wiederaufbau eröffnete, dem eine planvolle Enttrümmerung vorausgehen musste.
Im Folgenden sollen diese beiden Phasen der Trümmerräumung nicht nur ausführlich dargestellt werden. Es gilt darüber hinaus die Frage zu klären, ob sich mit dem Kriegsende nicht nur die Vorzeichen der Enttrümmerung veränderten, sondern auch die dazu ergriffenen Maßnahmen und die daran beteiligten Akteure, oder ob sich hingegen Kontinuitätslinien erkennen lassen – es die viel beschworene und genauso häufig revidierte »Stunde Null« also möglicherweise auch bei der Trümmerräumung nicht gegeben hat.
I. Die Trümmerräumung während des Luftkrieges
Seitdem das Bomber Command der britischen Luftwaffe im Mai 1940 den strategischen Luftkrieg gegen das nationalsozialistische Deutsche Reich eröffnet hatte,3 hinterließen die auf Städte und Industriegebiete niedergehenden Bomben Trümmer, die geräumt werden mussten. Wie umfangreich die dabei zu erledigenden Arbeiten waren, hing nicht zuletzt vom allgemeinen Kriegsverlauf ab. Denn wie in der Forschung hinlänglich belegt wurde, steigerten sich die alliierten Luftangriffe kontinuierlich. So untergliedert beispielsweise Ralf Blank den Luftkrieg gegen das Deutsche Reich in eine Anfangsphase von 1940 bis 1942, in der viele deutsche Städte erstmals zum Ziel alliierter Luftschläge wurden. Bereits im Laufe des Jahres 1942 wurde die Angriffswelle durch Großangriffe auf mehrere Großstädte verstärkt, die auf direktem Weg in eine zweite Phase des alliierten Luftkrieges mündete. Seit 1943 hatten die Luftangriffe auf das Deutsche Reich mit der als »Battle of the Ruhr« bezeichneten Bombardierung des Ruhrgebietes, einer Angriffsserie auf Hamburg – der sogenannten »Operation Gomorrha« – sowie einer Fokussierung der Luftanschläge auf die Reichshauptstadt Berlin eine neue Qualität erreicht. Daraufhin folgte schließlich seit Herbst 1944 die Endphase des alliierten Luftkrieges, die vor allem dadurch gekennzeichnet war, dass die Zentren vieler deutscher Städte durch Flächenbombardements innerhalb weniger Tage fast vollständig zerstört wurden. Diese, wenn auch sehr vereinfachte, Darstellung des Luftkrieges deutet gleichwohl darauf hin, dass die Menschen in den Städten somit ganz unterschiedliche Luftkriegserfahrungen machten. Während manche Städte von 1940 bis zum Kriegsende im Mai 1945 immer wieder zum Ziel alliierter Luftangriffe wurden, blieben andere lange Zeit fast vollständig verschont und wurden erst in der Kriegsendphase durch Flächenbombardements innerhalb kürzester Zeit zerstört. Um nur einen besonders eindrücklichen Vergleich zu nennen: Auf Duisburg gingen am 12. Mai 1940 die ersten acht Bomben nieder, bis zum Ende des Krieges sollten diesem Angriff 314 weitere folgen.4 Dresden war hingegen bis zum legendären Flächenbombardement vom 13. Februar 1945, bei dem weite Teile der historischen Altstadt und des Stadtzentrums zerstört wurden, fast vollständig von Luftangriffen verschont geblieben.5
Mit Blick auf die daraus erwachsenden Aufgaben bei der Trümmerräumung ergeben sich für die Städte somit höchst unterschiedliche Ausgangslagen: Wurden Städte regelmäßig zum Ziel alliierter Luftangriffe, war eine kontinuierliche Trümmerräumung notwendig, die sich im Zuge des anhaltenden und immer intensiver geführten Luftkrieges jedoch zunehmend aufwendiger gestalten musste. Im Gegensatz dazu sahen sich die Städte, die relativ spät von einem Großangriff getroffen wurden, mit einem Mal einer unermesslichen Trümmermenge gegenüber, die es nun zu räumen galt. Trotz dieser unterschiedlichen Ausgangssituationen kann gleichwohl verallgemeinernd festgehalten werden, dass die in den Städten anfallenden Trümmermassen im Laufe des Luftkrieges stetig wuchsen und sich die Situation bei der Trümmerbeseitigung dadurch in allen betroffenen Städten gravierend zuspitzte. Davon zeugt nicht zuletzt der in diesem Bereich rasch ansteigende Arbeitskräftebedarf, der schon in der ersten Kriegsphase nur noch unzureichend gedeckt werden konnte. Wie sich seit dem Beginn des alliierten Luftkrieges gegen das Deutsche Reich daher die Eingliederung immer weiterer Personenkreise und Institutionen in die Maßnahmen zur Schadensbeseitigung vollzog, dokumentiert das folgende Kapitel.
1. Ein System wird etabliert: Der SHD und die Trümmerräumung als Sofortmaßnahme
Frankfurt am Main gehörte genauso wie Duisburg zu jenen deutschen Großstädten, die bereits früh zum Ziel alliierter Luftangriffe wurden und diesen fortan mehr oder minder durchgängig bis zum Kriegsende ausgesetzt blieben.6 Als dort am 4. Juni 1940 die ersten Bomben der Royal Airforce niedergingen und eine Spur der Verwüstung hinterließen, stand man dieser Situation in Frankfurt am Main jedoch keinesfalls hilflos gegenüber. Unzählige Berichte des Bereitschaftsführers des Sicherheits- und Hilfsdienstes (SHD) und des Polizeipräsidenten dokumentieren hingegen, dass unmittelbar nach den Angriffen Maßnahmen zur Schadensbehebung eingeleitet wurden. So ist im ersten erhalten gebliebenen Rapport u. a. zu lesen, dass Männer des SHD in der Nacht vom 29. auf den 30. Juni 1940 bei völliger Dunkelheit an der Schadensstelle eintrafen, um die Straßen vom Schutt frei zu räumen, damit die Fahrzeuge der Feuerwehr vorfahren konnten. Der anschließende Abtransport des Schuttes erwies sich aufgrund fehlender Fahrzeuge jedoch als problematisch.7 Auch wenn demnach nicht alles reibungslos funktionierte, zeugt das Frankfurter Beispiel gleichwohl davon, dass dort mit dem SHD bereits zu Beginn der alliierten Luftangriffe eine Institution für die Schadensbeseitigung bereitstand. Dass der SHD als erster Akteur bei der Trümmerräumung zeitgleich mit den ersten in Frankfurt am Main anfallenden Trümmern auf den Plan treten konnte, war nur deshalb möglich, da er bereits vor Ausbruch des Krieges aufgestellt worden war.
Die Gründung des SHD war eine auf Reichsebene angesiedelte Maßnahme des zivilen Luftschutzes, mit der das Reichsluftfahrtministerium unter der Leitung von Hermann Göring nach der »Machtergreifung« der Nationalsozialisten 1933 betraut worden war. Noch vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde der SHD, der dem örtlichen Polizeiführer unterstellt wurde, mit dem Ziel gegründet, schon in Friedenszeiten die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen, um gegen die Gefahren eines Luftangriffes gewappnet zu sein.8 Dieser Prämisse folgend wurden für den SHD
»die schon im Frieden für den Schutz der Allgemeinheit bestehenden Organisationen staatlicher, kommunaler und privater Art zusammengefaßt, straff gegliedert und einheitlich geführt. Das Personal stellten für den Sicherheitsdienst die Polizei, für den Feuerlöschdienst die Berufs- und Freiwilligen Feuerwehren, für den Luftschutz- und Instandsetzungsdienst die Technische Nothilfe, für den Luftschutz- und Entgiftungsdienst die Straßen- und sonstigen Reinigungsbetriebe, für den Luftschutz-Sanitätsdienst die öffentlichen Gesundheitseinrichtungen und das Rote Kreuz, für den Luftschutz-Veterinärdienst die tierärztlichen öffentlichen und privaten Anstalten und Organisationen, für die Fachtrupps der Störungsdienst der Versorgungsbetriebe, für die Havarietrupps und den Hafenluftschutz die Schiffahrts- und Hafenbetriebe sowie die Wasserbauämter.«9
Die Zusammensetzung der Truppen und Mitglieder des SHD verdeutlicht, dass dessen zugedachte Aufgaben von der administrativen Koordinierung der Einsätze über die Feuerlöschung und die Sicherung von Schadensstellen, bis hin zur Rettung von Verschütteten und die Versorgung von verletzten und obdachlos gewordenen Menschen und Tieren reichte. Die Trümmerbeseitigung fiel dabei in den Aufgabenbereich des Instandsetzungsdiensts, auch Instandsetzungstruppe genannt.10 Bestand der SHD zu Beginn noch ausschließlich aus den aufgelisteten Spezialkräften, so wurde er spätestens mit dem Ausbruch des Krieges durch Hilfskräfte ohne Fachausbildung ergänzt. Da Wehrmacht, Industrie und Wirtschaft jedoch Vorrang bei der Zuteilung von Arbeitskräften hatten, blieben für den SHD oftmals nur die eingeschränkt einsatzfähigen übrig. Da überdies Einberufene aus unterschiedlichsten Gründen nicht zum Dienst beim SHD erschienen, war dieser chronisch unterbesetzt.11 Hinzu kam, dass die Einrichtung des SHD nur für die Luftschutzorte I. Ordnung verpflichtend, für die Luftschutzorte II. und III. Ordnung hingegen freiwillig war.12 Es muss also davon ausgegangen werden, dass nicht in allen Städten, wie in Frankfurt am Main, ein SHD bereit stand und wenn es einen gab, die Qualifikation seiner Mitglieder und seine Organisation wohl stark variierten. Trotz der beschriebenen Mängel hatten die Nationalsozialisten mit dem SHD bei Beginn des Luftkrieges für die Bevölkerung ein erstes Hilfssystem etabliert, das ein gewisses Maß an Sicherheit suggerieren sollte, was in öffentlichen Übungen des SHD entsprechend propagiert wurde:
»Alle nahmen die Gewißheit mit heim, daß unser SHD. in der Tat allen Anforderungen gewachsen ist und daß seine Männer mit soldatischer Einsatzbereitschaft überall zur Stelle sind, wo die Bevölkerung durch tückische englische Angriffe irgendwie in Not geraten ist oder wo öffentliche Anlagen und Einrichtungen durch Luftangriffe zerstört oder gefährdet sind.«13
Und tatsächlich waren nicht nur in Frankfurt am Main, sondern auch in Duisburg, die Männer der Instandsetzungstruppe des SHD in der Regel die Ersten, die nach einem Luftangriff im Frühjahr/Sommer 1940 an den Schadensstellen eintrafen, um di...