1. Einleitung
1.1 Gegenstand des Buchs
Moskau, August 1939: Frida van Oorten ist seit Jahren eine linientreue Kommunistin, kĂ€mpfte im Untergrund gegen die Nazis. Lange Zeit arbeitete sie fĂŒr den sowjetischen Geheimdienst. Doch nun gerĂ€t sie selbst in dessen Visier. Als sie in den Kellern des Innenministeriums verhört wird, bricht es schlieĂlich aus ihr heraus. âEr!â, ruft sie und deutet auf das Stalin-GemĂ€lde. âEr ist der VerrĂ€ter!â
Es ist nur eine kleine Sequenz in Leander HauĂmanns Spielfilm âHotel Luxâ.1 Doch in ihr kommt die Tragik einer ganzen Generation mitteleuropĂ€ischer Kommunisten zum Ausdruck. Inspiriert von der Oktoberrevolution in Russland wurden sie KĂ€mpfer fĂŒr eine bessere Welt. Sie engagierten sich fĂŒr die Ăberwindung des Kapitalismus, gingen zu Tausenden in den antifaschistischen Widerstand und flĂŒchteten schlieĂlich in ihr âgelobtes Landâ, die Sowjetunion. Allerdings hatte sich dort der Sozialismus, fĂŒr den sie jahrelang gekĂ€mpft hatten, mittlerweile in sein Gegenteil verkehrt: Arbeiter wurden ausgebeutet, Andersdenkende in Arbeitslager gesteckt und dissidente Kommunisten politisch verfolgt. All das lieĂ sich noch irgendwie rechtfertigen: Es sei notwendig fĂŒr den Aufbau einer neuen Gesellschaft und im Kampf gegen innere und Ă€uĂere Feinde des jungen Sowjetstaats.
Doch ein Ereignis konnte sich kaum mehr ein Kommunist schönreden, erst recht nicht, wenn er aus Nazi-Deutschland geflĂŒchtet war: den âHitler-Stalin-Paktâ, ein deutsch-sowjetischer Nichtangriffspakt, der am 23. August 1939 unterzeichnet wurde. Dieser BĂŒndnisschluss, an dessen Vorabend âHotel Luxâ spielt, lieĂ Tausende Kommunisten sprichwörtlich vom Glauben abfallen. Fassungslos mussten antifaschistische WiderstandskĂ€mpfer mitansehen, wie sich der Mann ihres Vertrauens mit ihrem gröĂten Feind verbĂŒndete. Hitler hatte sie verfolgt, Tausende ihrer Genossen inhaftieren und ermorden lassen. Mit ihm, dem wahrscheinlich gefĂ€hrlichsten Antikommunisten des Kontinents, schloss der sowjetische GeneralsekretĂ€r nun also einen Staatsvertrag.
Etliche Kommunisten brachen daraufhin mit ihrer Bewegung. Stellvertretend fĂŒr sie steht der langjĂ€hrige KominternfunktionĂ€r Willi MĂŒnzenberg. Im September 1939 verfasste er einen anklagenden Artikel, fĂŒr den er Ă€hnliche Worte wĂ€hlte wie die fiktive Figur van Oorten: âHeute stehen in allen LĂ€ndern Millionen auf, sie recken den Arm, rufen, nach dem Osten deutend: âDer VerrĂ€ter, Stalin, bist duâ.â2
Nicht fĂŒr alle zeitgenössischen Beobachter kam dieser Verrat ĂŒberraschend. Infolge der Oktoberrevolution von 1917 hatten die russischen Kommunisten zwar den Versuch unternommen eine sozialistische Gesellschaft zu errichten, eine Gesellschaft ohne Armut, Hunger und UnterdrĂŒckung. Doch ein Jahrzehnt spĂ€ter klaffte eine deutliche LĂŒcke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Der Staat, der aus der Revolution hervorgegangen war, nannte sich zwar âUnion der Sozialistischen Sowjetrepublikenâ (UdSSR) â doch dieser Name hatte nicht mehr viel mit der RealitĂ€t zu tun. Die einzelnen Teilstaaten waren Ende der 1920er Jahre ebenso wenig sozialistisch wie sie RĂ€terepubliken waren. Auch von einer Union, also einem freiwilligen und gleichberechtigten Zusammenschluss, konnte keine Rede mehr sein. Stattdessen entwickelte sich im Land zunehmend eine Ein-Parteien-Herrschaft mit der Stalin-Clique an der Spitze.
Zugleich gerieten die auslĂ€ndischen kommunistischen Parteien immer mehr in AbhĂ€ngigkeit vom stalinistischen Regime und entfernten sich von ihren ursprĂŒnglichen Idealen. Allen voran galt dies fĂŒr die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Sie war um die Jahreswende 1918/19 von Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und anderen bekannten Köpfen der deutschen Linken gegrĂŒndet worden, zu einer Zeit, als im ganzen Land eine politische Aufbruchsstimmung zu spĂŒren war. Eine Massenbewegung von Arbeitern und Soldaten hatte gerade den Ersten Weltkrieg beendet, die Monarchie gestĂŒrzt und weitreichende soziale Verbesserungen erkĂ€mpft. Eine parlamentarische Demokratie wurde installiert und die Weimarer Republik entwickelte sich in den 1920er Jahren zu einer der liberalsten Gesellschaften der damaligen Zeit. Doch die Republik konnte einige gesellschaftliche WidersprĂŒche nicht auflösen, allen voran die soziale Ungleichheit. Nicht zuletzt deswegen konnte die KPD zur gröĂten kommunistischen Partei auĂerhalb der Sowjetunion heranwachsen.
Doch wĂ€hrend die Partei nach auĂen unnachgiebig Krise, Krieg und Kapitalismus kritisierte, war im Inneren das emanzipatorische Feuer aus der Zeit Rosa Luxemburgs lĂ€ngst erloschen. Die KPD durchlief einen Wandlungsprozess, der heute von der Forschung als âStalinisierungâ bezeichnet wird.3 Parallel zum Aufstieg Stalins in der Sowjetunion geriet sie materiell und ideologisch in immer stĂ€rkere AbhĂ€ngigkeit von ihrer russischen Schwesterpartei. Unter der FĂŒhrung Ernst ThĂ€lmanns verwandelte sie sich in der zweiten HĂ€lfte der 1920er Jahre von einer eigenstĂ€ndigen kommunistischen Partei in ein Instrument der russischen AuĂenpolitik. Zunehmend orientierte sie sich an der stalinisierten sowjetischen Partei, an dem Ideal einer militĂ€risch disziplinierten, straff hierarchischen Organisation â einer Kultur, die im starken Kontrast zum Parteileben der GrĂŒndungsjahre stand. Interne Diskussionen wurden weitgehend unterbunden, Konflikte nicht politisch, sondern organisatorisch, also durch AusschlĂŒsse und Repressalien âgelöstâ. Kritiker belegte das ThĂ€lmann-ZK mit Redeverboten oder entfernte sie kurzerhand aus der Partei. Insgesamt herrschte eine enorme Fluktuation unter den Mitgliedern und sogar innerhalb der ParteifĂŒhrung: Beispielsweise befanden sich im Jahr 1929 von den 16 SpitzenfunktionĂ€ren der Jahre 1923 und 1924 nur noch zwei im Politischen BĂŒro (PolbĂŒro), dem höchsten FĂŒhrungsgremium. Nicht weniger als elf waren hingegen aus der KPD ausgeschlossen worden.4 Mit diesem personellen Aderlass ging eine ideologische Erstarrung einher, die politischen Positionen der KPD wurden immer dogmatischer â oder wie es die Historikerin Sigrid Koch-Baumgarten ausdrĂŒckte: Die Sowjetunion wurde âzum heiligen Land stilisiert, Marx, Engels, Lenin [âŠ] wie Religionsstifter verehrtâ.5 Zugleich entwickelte sich der Parteivorsitzende Ernst ThĂ€lmann als âunfehlbare[r] FĂŒhrerâ zu einer âdeutsche[n] Kopieâ Stalins.6
Die ParteifĂŒhrung bezeichnete diesen Prozess, durch den die Partei ab 1924 vereinheitlicht werden sollte, als âBolschewisierungâ. Ziel war es, eine âgeistig absolut monolitheâ Organisation zu schaffen, wie es spĂ€ter hieĂ.7 Doch zunĂ€chst geschah das Gegenteil. Die Wandlung der KPD stieĂ auf massiven Widerspruch unter den Mitgliedern, die Partei differenzierte sich aus.8 Verschiedene innerparteiliche Strömungen wehrten sich gegen die bĂŒrokratische Entwicklung und setzten sich fĂŒr eine RĂŒckkehr zur âalten KPDâ ein. Vereinfacht lassen sich hier drei innerparteiliche Oppositionsrichtungen ausmachen: Die âRechtenâ, die âLinkenâ und die Mittelgruppe, die sogenannten âVersöhnlerâ.
Die quantitativ gröĂte Strömung war die Linke. Mitte der 1920er Jahre reprĂ€sentierte sie einen erheblichen Teil der kommunistischen Basis. Dennoch ist sie heute nahezu unbekannt. Sie vorzustellen, ihre politischen Ansichten darzulegen und ihre Entwicklung zu untersuchen, ist das Ziel dieses Buches. Auf diese Weise soll ein Beitrag dazu geleistet werden, das gelegentlich gezeichnete Bild der KPD als einer nahezu monolithischen Partei zu korrigieren. Denn die Existenz der Linken verdeutlicht, dass ein alternativer Entwicklungsweg des deutschen Kommunismus zumindest denkbar war. Wie zu zeigen sein wird, war auch diese Strömung keineswegs frei von âIrrungen und Wirrungenâ. Zum Teil vertrat sie Ansichten, die geradewegs dazu geeignet waren, die KPD in die gesellschaftliche Isolation zu katapultieren.
Linke Opposition in einer linken Partei? Das klingt nach Tautologie. TatsĂ€chlich ist diese Begrifflichkeit keineswegs besonders aussagekrĂ€ftig.9 Da es sich jedoch um eine zeitgenössische Selbst- und Fremdbezeichnung handelt, soll sie auch hier verwendet werden â trotz aller Probleme, die sich daraus ergeben. Beispielsweise ist es schwierig, die KPD-Linke inhaltlich zu bestimmen. Der Grund dafĂŒr ist, dass es nicht die eine linke Opposition gab. Anders als die halbwegs homogenen Strömungen der Rechten10 und der Versöhnler11 war die Linke extrem zersplittert. Insgesamt gliederte sie sich in knapp ein Dutzend verschiedene Gruppen auf. Einige davon standen syndikalistischen Positionen nahe, andere rĂ€tekommunistischen und wieder andere bezeichneten sich als trotzkistisch.
Was die KPD-Linke bei aller HeterogenitĂ€t zumindest in den ersten Jahren ihrer Existenz einte, war ihre kritische Haltung gegenĂŒber den freien Gewerkschaften und die Ablehnung jeglicher Zusammenarbeit mit der Sozialdemokratie, spĂ€ter dann die entschiedene Gegnerschaft gegen die Stalinisierung der KPD. Zum Alleinstellungsmerkmal der Linksoppositionellen wurde schlieĂlich die fundamentale Kritik an den Entwicklungen in der damaligen Sowjetunion. Die möglichen Folgen des Aufstiegs Stalins erkannten sie deutlich und warnten eindringlich vor einer Degeneration des sozialistischen Experiments.
In den letzten Jahren der Weimarer Republik wurde dann auch die BeschĂ€ftigung mit den immer stĂ€rker werdenden Nationalsozialisten zu einem zentralen Element in der Politik der Linken Opposition. Schon frĂŒh erkannte sie die Gefahr, die von den Nazis fĂŒr die deutsche Arbeiterbewegung ausging. WĂ€hrend die KPD-FĂŒhrung den Aufstieg Hitlers in seiner Tragweite keineswegs erfasste, stattdessen die Sozialdemokraten als âSozialfaschistenâ diffamierte und zum âHauptfeindâ erklĂ€rte, warnten die Linken eindringlich vor einem möglichen Sieg des Faschismus. Nun gaben sie sogar ihre SPD-kritische Haltung auf: Dort, wo sie ĂŒber die personellen Ressourcen verfĂŒgten, bemĂŒhten sie sich darum, BĂŒndnisse von Gewerkschaftern, Sozialdemokraten und Kommunisten zur Abwehr der Nationalsozialisten aufzubauen.
Stalinismus und Faschismus: Der Kampf der KPD-Linken gegen diese beiden sehr unterschiedlichen Bewegungen steht also im Zentrum dieses Buches. Deshalb trĂ€gt es den Titel âKommunisten gegen Hitler und Stalinâ.12
1.2 Forschungsstand und Quellenlage
âKommunisten gegen Hitler und Stalinâ möchte die Geschichte einer gescheiterten Alternative zum stalinisierten Kommunismus erzĂ€hlen â einer alternativen Strömung in der deutschen Arbeiterbewegung, die heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Es haben sich zwar einige prominente kommunistische Persönlichkeiten im Lauf der 1920er Jahre der Linken Opposition angeschlossen, etwa die Ex-Parteivorsitzende (Ruth Fischer), ein ehemaliger thĂŒringischer Justizminister (Karl Korsch) oder ein bekannter Historiker und spĂ€terer Autor einer viel beachteten Geschichte der Weimarer Republik (Arthur Rosenberg). Dennoch: Die linke, anti-stalinistische Opposition der KPD ist vollkommen aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden. Selbst vielen Historikern sagt diese Strömung nichts mehr. Das unterscheidet sie auch von der ârechtsâ-oppositionellen KPO (Kommunistische Partei Deutschlands-Opposition), die zumindest Kennern der KPD-Geschichte ein Begriff ist.
FĂŒr das Vergessen der Linkskommunisten kommen verschiedene GrĂŒnde in Betracht. In der DDR wurde diese Richtung entweder öffentlich verunglimpft oder schlichtweg ignoriert.13 Ihre ehemaligen Mitglieder waren, wie alle Oppositionellen, staatlicher Repression ausgesetzt. Diejenigen, die nach dem Krieg der KPD/SED beitraten, wurden bald wieder ausgeschlossen.14 Ab den frĂŒhen 1950er Jahren begann dann das Ministerium fĂŒr Staatssicherheit etliche Linksoppositionelle der Weimarer Zeit zu observieren.15 In der alten Bundesrepublik erfuhr die Linke Opposition zumindest durch die Studentenbewegung der spĂ€ten 1960er Jahre eine gewisse Beachtung. Auf der Suche nach Alternativen zwischen westlichem Kapitalismus und dem Staatssozialismus des âOstblocksâ wurden ihre Theoretiker â vor allem Karl Korsch â wiederentdeckt und neu gelesen.16 Die Aufmerksamkeit der Studierenden galt jedoch vor allem jenen frĂŒheren linken Strömungen wie den RĂ€tekommunisten, die komplett mit der KPD gebrochen hatten. Deutlich weniger rezipiert wurden oppositionelle KrĂ€fte, die sich innerhalb der Kommunistischen Partei fĂŒr einen Kurswechsel einsetzten.
Im Wissenschaftsbetrieb kam das zarte Interesse an der linken KPD-Opposition durch zwei Publikationen zum Ausdruck: Ende der 1970er Jahre erschien mit RĂŒdiger Zimmermanns Monografie ĂŒber den Leninbund das bis heute gĂŒltige Standardwerk zu dieser Organisation.17 Einige Jahre spĂ€ter widmete sich Otto Langels im Rahmen seiner Dissertation den âultralinkenâ Gruppierungen (Entschiedene Linke, Gruppe âKommunistische Politikâ) der Jahre 1924 bis 1928.18 DarĂŒber hinaus wurden in dieser Zeit noch drei universitĂ€re Abschlussarbeiten verfasst: eine ĂŒber die Entstehungsphase der KPD-Linken,19 eine weitere ĂŒber die Hochphase der Opposition20 und eine dritte ĂŒber die Ideologie des Leninbundes.21 Seitdem sind lediglich zwei AufsĂ€tze und eine Studienarbeit hinzugekommen.22 Die Erforschung der linken KPD-Opposition der zweiten HĂ€lfte der 1920er Jahre ist also bis heute nicht besonders weit fortgeschritten. Im Gege...