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Übergang
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"Das ist faszinierend: wie die Autorin sich in Leidensgeschichten, psychischer und physischer Natur, vertiefen kann, ohne sich darin zu verlieren oder mit dem Entsetzen Spekulation zu treiben. Anne Duden beweist eine bemerkenswerte Fertigkeit, extreme Erfahrungen in ruhiger Tonlage zu vergegenwärtigen." (Volker Hage)
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Information
Anne Duden
Übergang
Rotbuch Verlag Berlin
eISBN 978-386789-592-7
© 2014 by BEBUG mbH / Rotbuch Verlag, Berlin
© 1982 by Rotbuch Verlag, Berlin.
Umschlag unter Verwendung einer Zeichnung
von Vincent van Gogh »Aronstab«, 1890
Inhalt
Das Landhaus
Übergang
Tag und Nacht
Der Auftrag die Liebe
On Holiday
Die Kunst zu ertrinken
Ich bin ständig auf der Flucht vor anderen Menschen. Sie haben nur eins im Sinn: mich auszubeuten oder umzubringen.
Sie fangen immer mit ein und derselben Sache an. Erst reißen sie mir die Augen aus und befestigen sie an sich selbst, damit sie anzusehen ich von nun an gezwungen bin. Sie wissen nicht von dem Auge, das ich zu viel habe, das nun allerdings ohne die beiden anderen sieht wie eine Axt: spaltend und unerbittlich.
Dann überschütten sie mich mit ihrer Dankbarkeit, die sich als Zuneigung ausgibt. Aber tatsächlich ist beides Pech und Schwefel, was nun aus ihnen herausläuft und für das sie – ich verstehe wohl – nur unbedingt ein Drainage-System brauchen. Sonst würden sie ja an Vergiftung sterben. Überhaupt kommen sie wegen der Todesangst zu mir.
Sie wissen natürlich auch nicht, dass ich einen verborgenen Raum in mir habe, in den nichts eindringen kann, selbst wenn Poren und andere Körperöffnungen und Sinnesorgane schon alles durchgelassen haben. Es ist eine Art manchmal schwimmender, manchmal schwebender Krypta, ein Unterdauerungsraum. Dieser Raum hat sich selbstverständlich langsam herausgebildet und wurde erst im Lauf von Jahrzehnten fertiggestellt. Das Baumaterial dafür aber ist von Anfang an gehortet worden.
Dort halte ich mich nun meistens auf. Manchmal liege ich, wegen der Schwere, auch aufgebahrt. Aber nicht als Schneewittchen oder Lazarus oder anderweitig schöne Seele, sondern als Versteinerung mit vielen geronnenen Spuren. Oft ist es mir zu kalt und still, und ich möchte dann lieber in einer Tropfsteinhöhle sein, deren Innereien aufeinander zutropfen.
Insgesamt aber geht es mir schon viel besser, und ich glaube nicht, dass ich mehr Grund zum Klagen oder zur Freude habe als die anderen auch.
Das Landhaus
Ich war eingeladen, das Landhaus zweier Wissenschaftler zu hüten. Es sah ganz so aus, als täten sie mir damit einen Gefallen, besonders als sie mir zum ersten Mal Lage und Ausstaffierung des Hauses beschrieben. Mehrere hundert Jahre alt, strohgedeckt, inmitten von Weiden und sanften Hügeln, in der Nähe eines Dorfes, aber doch so abgeschirmt von allem weiteren menschlichen Leben, dass man tagelang die Existenz von Autolärm und anderem vergesse. Morgens um fünf rufe meistens der Kuckuck so laut, dass man die Fenster schließen müsse. Stereoanlage, Klassiksammlung von A bis Z, Farbfernseher, Tiefkühltruhe, Waschmaschine. Von all dem reizte mich vage nur die Waschmaschine, weil ich gerne untätig zusehe, wie etwas weiß wird. Angst brauche ich nicht zu haben. Es sei noch nie etwas passiert. Es gelte nur, das Haus gegen Einbrecher zu schützen, und das sei getan durch meine pure Anwesenheit.
Ich sagte trotz Kuckuck und Tiefkühltruhe zu. Drei volle Wochen also. Die begannen mit einem Sonntag im Mai.
Mein Geliebter brachte mich mit dem Auto hin. Das Dorf fanden wir ohne größere Schwierigkeiten. Das Landhaus indes kannte niemand der im Dorf Befragten. Wir fuhren mehrmals im Kreis – ich glaube, durch die gesamte Umgebung – und gaben gerade die Hoffnung auf, als ich über dichtem Laubwerk abseits der Straße einen Schornstein zu sehen meinte. Wir ließen das Auto stehen, weil keine sichtbare Einfahrt oder Zufahrt auszumachen war. Nach etlichen im Zickzack verlaufenen Wegen und schließlich einem äußerst schmalen, schneckenverschlierten Pfad zwischen mannshohen Ligusterhecken, unter denen Äpfel des Vorjahres schwarz und braun faulten, lag das Haus da wie eine tief über weiße Mauerreste gezogene, riesige Pelzmütze. Auf der Suche nach dem Eingang stießen wir auf ein kleines Fenster, zu dem wir uns hinabbeugen mussten, um durchsehen zu können. Zunächst sahen wir durch das Netz aus bleigefassten, getönten Glasvierecken nur flockiges Dunkel, dann konnten wir allmählich die Umrisse eines niedrigen, schachtartigen Raumes erkennen, in dem Hunderte von Karteikästen aneinandergereiht und übereinandergestapelt waren. Sie ließen gerade so viel Platz, schien uns, dass ein nicht allzu hoch aufgeschossener Wissenschaftler sehr gebückt vor einem Holzgeviert sitzen und weitere Karteikästen befingern konnte. Ein halbgefüllter Kasten stand zu diesem Zweck schon bereit. Schließlich fanden wir auch noch den Eingang, etwas wie ein vor das Haus gebauter Holzverschlag, an dem sogar eine Klingel befestigt war.
Der weibliche Wissenschaftler ließ uns ein, der männliche war schon ein paar Tage vorher auf Forschungsreise gegangen. Sie meinte, sie brauche etwas Zeit, um mir alles Nötige zu erklären, später abends müsse sie dann zum Zug.
Der Rundgang im Haus begann bei der Tiefkühltruhe, auf die ich dann und wann ein Auge haben sollte, genauer, auf das grüne Licht am unteren Rand, das Kontrolllämpchen fürs richtige Funktionieren. Bei Rot sei umgehend der Elektriker im Dorf zu benachrichtigen; achtundvierzig komplette Mahlzeiten, vorgekocht und eingefroren für die äußerst arbeitsame Zeit nach der Forschungsreise, stünden auf dem Spiel. Mir wurde ausdrücklich gestattet, die ganz zuoberst liegenden zwei Packungen Königsberger Klopse im Verlauf meines Aufenthaltes zu verbrauchen. Mit der Bitte um Verständnis wurde mir aber bedeutet, alles andere nicht anzurühren. Dabei durfte ich noch schnell einen Blick in das geöffnete eisige Massengrab werfen. Und tatsächlich füllten die in Plastik eingeschlossenen, frostigen Brocken, kantig oder rund, je nach Schnittfläche oder Körperteil, mit oder ohne Soßen, die Truhe bis obenan. Plattensammlung und Stereoanlage wurden mir gezeigt und detailliert erklärt, unterbrochen von beiläufigen Hinweisen auf die alle Wände – bis zur allerdings nicht sehr hohen Zimmerdecke – ausfüllenden Bücherregale: da die Literatur, hier Militaria, eine recht lückenlose Sammlung, Nachschlagewerke und so weiter. Es ging über Holztreppen und durch Zimmertüren; an einer Stelle mussten wir im Steigen die Köpfe erheblich einziehen, andernfalls man direkt auf einen Querbalken geprallt wäre. Überall zweigten Gänge und weitere Treppchen und Stiegen ab, zusätzliche Türen tauchten auf, wurden aber nicht geöffnet. Da im Haus allgemein Halbdunkel herrschte, hatte ich das Gefühl, es sei unendlich groß, eigentlich gar kein Haus mehr, sondern eine Art Anlage mit allerhand Einrichtungen zu unerfindlichen Zwecken. Auch gab es, wie sich beim Rund-und-Auf-und -Abgang herausstellte, keineswegs nur einen Ein- bzw. Ausgang, sondern insgesamt drei, wovon die zwei vorher nicht geahnten an den merkwürdigsten Stellen auftauchten; einer zum Beispiel ging unmittelbar auf eine Mauer, eigentlich auf einen teilweise durch eine Mauer gestützten, recht steilen Hang. Die Tür war nur einen Spalt zu öffnen, sodass ein relativ schlanker Mensch gerade noch hindurchschlüpfen konnte. Feuchtes Moos begann schon auf der Türschwelle zu wachsen, und Schnecken klebten in den Mauerfugen. Selbst als ich den Kopf weit in den Nacken legte, sah ich nicht, wo der Hang wirklich endete. Hohes Gras, Büsche, einige Wickenranken und schwammig überwucherte Baumstämme versperrten die Ferne.
Der dritte Eingang lag unmittelbar neben der ersten Tür, aber zurückgesetzt, eben in der Mauer, nicht im Holzverschlag. Das Strohdach war hier so tief heruntergezogen, dass man nur buckelnd hinein oder heraus konnte. Außerdem stellte die Benutzung dieser Tür große Anforderungen an die Augen. Hinaustretend hatte ich den unangenehmen Eindruck, von gleißender weißer Helle geradezu aufgelöst zu werden, eintretend hingegen war es mir, als würde ich in ein dunkles Loch tappen und womöglich endlos tief stürzen. Überhaupt war dies eines der wesentlichen Merkmale des Landhauses, das mich von Anfang an verstörte. Befand ich mich im Innern, sah die Außenwelt durch die wenigen niedrigen, fast auf dem Boden liegenden Fenster unerträglich hell und konturenlos aus, war ich draußen, konnte ich ohne ganz nahes Herantreten, Runterbeugen und Abschirmen der Augen nie mehr als zwei oder drei Zentimeter tief in die Räume sehen. Sie beharrten, gleich zu welcher Tageszeit und trotz unterschiedlicher Licht- und Wetterverhältnisse, auf dem diffusen Dunkel und spiegelten, von einem bestimmten Punkt aus gesehen, zu allem Überfluss auch noch die fast schwarzen Lebensbäume und andere Büsche wider, als wüchsen diese sehr wohl und selbstverständlich drinnen wie draußen.
Nach dem Rundgang und den unaufhörlichen, monotonen Erklärungen und Verweisen – dieses Schloss funktioniert nicht mehr, bitte den Lichtschalter da nicht benutzen (er war ohnehin mit Leukoplast überklebt), die Toilettenspülung nachts nur in dringenden Fällen betätigen, denn der Wasserspeicher rauscht noch mindestens eine Stunde später, Spinnen sind am besten mit dem Staubsauger zu beseitigen, das Beste ist, nur den Economy-Waschgang zu betätigen, für den Verschmutzungsgrad unserer Wäsche (oder sagte sie: unseren Verschmutzungsgrad der Wäsche?) reicht das bei weitem aus und so weiter und so weiter – nach all dem bot sie uns Kaffee und Kuchen an. Ich hatte das Gefühl, an schweren Kreislaufstörungen zu leiden. Mein Blick ließ sich auf nichts mehr fixieren, und der Stuhl, auf dem ich gerade saß, hätte sich ebenso gut in einer der dunklen Kajüten im Bauch eines alten Segelschiffes auf der Reise zwischen zwei äußerst unbekannten Orten befinden können.
Die Kaffeemaschine röchelte und schlürfte hektisch vor sich hin, aber der unregelmäßig tröpfelnde Zufluss in die Plastikkanne war von enervierender Langsamkeit. Als ich schließlich doch eine gefüllte Tasse an die Lippen führte, war ich ganz sicher, dass der maschinelle Vorgang des Kaffeebrühens mindestens am Tag zuvor stattgefunden haben müsse. Der selbstgebackene Apfelkuchen bewirkte immerhin, dass sich dann doch, trotz der unermüdlich fortgesetzten Anweisungen (mittlerweile ging es um die verschiedenen im Dorf erhältlichen Brotsorten), wieder ein vages Gefühl von Beständigkeit und Beimirsein einstellte. Fast begann ich schon, auf den nächsten Morgen neugierig zu werden.
Unterdes wartete ich die ganze Zeit darauf, dass der weibliche Wissenschaftler aufstehen werde mit der Bemerkung, es sei nun Zeit, die restlichen Dinge einzupacken und überhaupt sich reisefertig zu machen. Aber ich hatte ihre Sprechdringlichkeit unterschätzt. Immer und immer wieder kam sie auf das sich nähernde Problem eines in drei Jahren auslaufenden Forschungsauftrags und der zugleich damit endenden Finanzierung zurück sowie auf Beziehungsprobleme in Bezug auf den männlichen Wissenschaftler. Ich sah das mir Erzählte alles ein; darauf reagieren aber konnte ich schon sehr bald nicht mehr, weil ich mich nicht wiederholen mochte und mir schlechterdings keine Variationsmöglichkeiten von Ach so oder Natürlich und Klar mehr einfallen wollten. Aber auch das störte sie nicht, ja, sie bemerkte wohl gar nicht, dass meine Lippen geschlossen blieben und ich zuletzt auch keine anderen Töne, wie kehliges Brummen oder dergleichen, mehr abgab. Das ließ mich vermuten, dass der männliche und der weibliche Wissenschaftler möglicherweise nicht mal miteinander redeten, und dass alle Energie, Freude, Lust und Ähnliches, aber auch alle Traurig- und Schwierigkeit in die schon beschriebenen Karteikästen ging, um von dort, gut geordnet und alphabetisiert, abschließender Verarbeitung zugeführt zu werden. Und richtig, das Projekt solle irgendwann in mehreren Bänden als Buch erscheinen, meinte sie. Von da an betrachtete ich die vielen Karteikästen immer, wenn ich das damit vollgestellte Zimmer betreten musste, mit einer gewissen Zärtlichkeit und Scheu, manchmal aber auch mit Hohn und offener Verachtung. Einmal stakste eine ziemlich große Spinne schwankend und federnd über einen der zuoberst gestapelten Karteikästen. Seither habe ich die Tür zu dem Karteikastenzimmer verschlossen gelassen. Von Zeit zu Zeit lugte ich nur mal von außen durchs Fenster, warum, weiß ich selbst nicht genau.
Schließlich war es aber doch so weit. Wenn sie den Zug in der etliche Kilometer entfernten Stadt nicht versäumen wollte, musste sie sich sputen. Bis ganz zum Schluss merkte man ihr an, dass sie ungern, fast widerstrebend diesen Ort verließ. Oder wollte sie von uns nicht fort?
Kaum war sie verschwunden, gingen wir zu Bett und liebten uns. Die Nacht verging, ohne dass ich noch Weiteres vom Haus wahrnahm oder über es nachgedacht hätte. Frühmorgens musste mein Geliebter zurück in die Stadt fahren, um rechtzeitig im Büro zu sein. Ich hörte das Gartentor noch deutlich klicken, den Motor schon sehr gedämpft und dann nichts mehr.
Nach zwei oder drei weiteren Stunden Schlaf stand ich auf, vollkommen entmutigt und verlassen, auch erschöpft. Zwar hatte ich das Gefühl, draußen sei es etwas heller als in dem Schlafzimmer mit der niedrigen Balkendecke. Aber hinter dem dichten Geranke an den kleinen Fenstern konnte die Luft nicht viel leichter sein als hier drinnen. Während ich fröstelnd den Morgenmantel anzog, der schon im Verlauf der wenigen Stunden die kühle Feuchtigkeit des Hauses angenommen hatte, sah ich durch eines der Fenster und entdeckte nichts als Baumstämme, Büsche und eine hoch gewachsene Hecke auf der einen Seite und jenen steilen, mit dichten Grasbüscheln bewachsenen Hang auf der anderen Seite. Das Schlafzimmer lag im ersten Stock.
Ich ging die ve...
Table of contents
- Das Landhaus
- Übergang
- Tag und Nacht
- Der Auftrag die Liebe
- On Holiday
- Die Kunst zu ertrinken
