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Der Urknall und andere Katastrophen
Über dieses Buch
Physikalische Kurzgeschichten zur Entstehung unserer Welt - selektiert aus PhiuZ, logisch miteinander verknüpft und leicht verdaulich literarisch aufgearbeitet sind sie unterhaltsame, amüsante und spannende Lektüre für jeden Interessierten.
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Information
1
Schöpfung und Qualitätsmanagement
Evolution im Schnelldurchgang und die Arbeitsweise der Physik
»Herein!« Während Gottes rechte Hand einen dicken Wälzer mit dem Titel »Paralleluniversen und ihre Eigenheiten« durchblätterte, die linke einige Entwürfe von Lebensformen unterschiedlicher Beinanzahl skizzierte, der rechte Fuß eine Computermaus bediente, der linke im Takt inspirierender Sphärenklänge wippte, seine rechte Hirnhälfte über das Nichts vor dem Fenster sinnierte und die linke über geschlossene und offene Zeitlinien nachdachte, vernahmen beide Ohren das Klopfen an der Tür. »Ah, Laplacie! Schön, dich zu sehen! Ist sie das?«
Auf grünbehaarten O-Beinen schwebte eine Erdkugel herein, gehalten von ebenfalls grünhaarigen Fingern. Der Laplacesche Dämon setzte das Erdmodell auf dem Blumenhocker ab, da er die genauen Abmessungen des Schreibtisches unter dem Papierberg nicht ausmachen konnte. Gott wühlte sich hinter seinem Schreibtisch hervor, umrundete die Erde und war zufrieden. »Ja, so hatte ich sie mir vorgestellt. Dann können wir ja heute noch mit der Simulation anfangen. Brauchen wir noch etwas drum herum? Ein bisschen Universum oder so? Warte, ich habe mir da heute Nacht was überlegt, was war das noch ...«
Der Laplacesche Dämon
Der Laplacesche Dämon ist eine »Erfindung« des französischen Physikers Pierre Simon Marquis de Laplace (1749–1827). Dieser Dämon sollte in der Lage sein, von allen Atomen und Molekülen im Universum Ort und Geschwindigkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt zu kennen und aus diesen Daten mithilfe der damals bekannten Gesetze die weitere Entwicklung des gesamten Universums daraus zu berechnen. Dass dies den Menschen nicht gelingen konnte, sollte nur daran liegen, dass diese nicht in der Lage wären, die nötigen Daten zu wirklich allen Teilchen im Universum zu erfassen.
Inzwischen kennt man jedoch zwei Theorien, die dem Dämon seine Aufgabe unmöglich machen. Die eine ist die Quantenphysik mit ihren Unschärferelationen, die besagen, dass es prinzipiell unmöglich ist, von Teilchen im Größenbereich von Atomen oder darunter gleichzeitig Ort und Geschwindigkeit zu bestimmen (s. S. 60). Kennt man das eine, kann man über das andere keine Aussage mehr machen, weshalb der Dämon schon die Anfangsbedingungen für seine Rechnungen nicht bestimmen kann. Lediglich bei großen Objekten kommt man ohne die Anwendung der Quantenphysik aus und kann beispielsweise die Bewegung von Planeten mit Methoden der klassischen Mechanik (d. h. nicht quantenphysikalisch) berechnen.
Aber auch im Gültigkeitsbereich der klassischen Mechanik kann der Dämon seine Aufgabe nur erfüllen, wenn er es mit höchstens zwei Körpern zu tun hat. Bereits bei drei Körpern, die sich gegenseitig beeinflussen (beispielsweise durch ihre Schwerkraft), entwickeln sich die Bewegungen so kompliziert, dass sie nicht mehr vorhergesagt werden können. Die Ursache ist hier die Ungenauigkeit bei der Bestimmung der Ausgangsbedingungen. Hier geht es nicht um die quantenmechanische Unschärfe, sondern um die Ungenauigkeit, die jeder Messung anhaftet. Durch technische Entwicklungen lässt sich diese Messungenauigkeit zwar herabsetzen (man vergleiche z. B. eine alte Pendeluhr mit einer modernen Atomuhr), aber ein Rest bleibt immer. Wenn man die Anfangszustände der drei Körper misst, erhält man zwar Werte beispielsweise für ihre Positionen, aufgrund der Messungenauigkeit können diese aber auch ein wenig weiter rechts oder vorn liegen. Und bei Systemen aus mehr als zwei Körpern kann ein noch so winziger Unterschied in den Anfangsbedingungen dennoch einen großen Unterschied in den späteren Bewegungszuständen der Körper verursachen. Ein Körper, der sich nur ein wenig weiter rechts befand als ein anderer, kann sich unter bestimmten Umständen nach einer Weile trotzdem am anderen Ende des Universums befinden. Da man aufgrund der Messungenauigkeit aber wie gesagt nicht weiß, ob der Körper sich »ein wenig weiter rechts« befand oder nicht, kann man auch nicht vorhersagen, »an welchem Ende des Universums« er sich am Schluss befindet. Diese Dinge sind Gegenstand der Chaostheorie. Der Schmetterling, der mit einem Flügelschlag in Afrika einen Tornado in Amerika auslöst, ist eine populäre Veranschaulichung des Zusammenhangs zwischen kleinen Änderungen und großen Auswirkungen.
Draußen auf dem Flur waren Stimmen zu hören, Laplacie horchte auf und runzelte die grünfellige Stirn. Gott durchwühlte seine Papierberge, übersah einen Briefbeschwerer, der sich aus dem Papierwust befreite und hinunterplumpste. »Autsch, mein Zeh!«, jammerte Laplacie. »Zeh? Genau, das war ’s! TOE!« »Wie – müssen wir jetzt auch im Berufsalltag schon Englisch sprechen? Reicht das nicht auf internationalen Tagungen?« »Nicht ›toe‹ – TOE! Theory of Everything! So eine Art Weltformel. Klingt doch griffig – man muss ja auch immer an die Presse denken. Wo habe ich sie nur ...«
In der 347. Schublade fand Gott die Weltformel und zerrte sie hervor. »Wenn wir dann noch die Evolution ein wenig beschleunigen und, sagen wir, gleich Säugetiere, Fische und Vögel in die Welt setzen, dann brauchen wir nur sechs Tage für alles. Und können am Sonntag ausschlafen.« »Nee, ausschlafen is nich, hab am Vormittag ein Billardspiel. « »Du spielst Billard?« »Nich spielen, Chef, berechnen. Ich guck mir die Kugeln, soll heißen ihre Positionen und ihre Bewegungen, zu Anfang an und rechne dann den Verlauf des ganzen Spieles aus. Wollen Sie mitrechnen? Aber ich spiel im Vakuum, nicht auf Tischen. Im kräftefreien Vakuum. Da gibt’s keine Probleme mit Reibung, Gravitation und so.«
Die Stimmen wurden lauter, als sie sich näherten, eine bis auf knapp über den absoluten Temperaturnullpunkt unterkühlte und eine eher angeregte. Um nicht zu sagen – die Sprecherin war völlig außer sich. »Rechnen? Ach nein, ich wollte mir noch einen Alternativplan überlegen. Leben auf dem Mars.« »Mars? Bringt ’s das, Chef? Is das nich dasselbe in Grün?« Die Lautstärke auf dem Flur brachte inzwischen die Erdkugel zum Zittern. Langsam begann sie sich zu drehen. »Die Kolleginnen diskutieren wieder recht angeregt, nicht wahr?«
Zweifelnd betrachtete Gott die Tür und überlegte, ob er eine unvorhergesehene Dienstreise würde vortäuschen können. Laplacie murmelte etwas, das wie »Zickenterror« klang, dann wurde die Tür aufgerissen und flog mit einem Knall an die Wand. Die Erschütterung ließ ein Buch aus dem Regal fallen, es stürzte auf das Erdmodell und riss ein Stück heraus. Laplacie raufte sich die grüne Glatze, Gott fing das herausgerissene Stück auf und knetete gedankenverloren eine Kugel daraus. Vor ihm baute sich eine wüste Haarmähne auf, darunter ein Engelsgewand in Öko-Lila mit Flügeln, die aussahen, als wäre die Kollegin Michaela durch einen Orkan gekommen, zwei Arme gestikulierten wild vor Gottes Nase. Geistesgegenwärtig schickte er seine Kugel in eine Umlaufbahn um die Erde und rettete alles Bewegliche und Zerbrechliche aus der Reichweite dieser Arme. Ein Redeschwall drang aus der Haarmähne hervor. Gott nickte ab und zu, sagte gelegentlich »jaja« oder »nein, wirklich?« und betrachtete die kleine Kugel, die um die große Kugel schwebte. »Sieh mal, ein Mond. Gute Idee von der Kollegin, oder?«
Laplacie hatte andere Sorgen, als nun auch die Kollegin Gabriela das Büro betrat – makellos gestärkter Kittel über frisch gebügeltem nadelgestreiftem Engelsgewand, die Federn ihrer Flügel ausgerichtet wie Gardesoldaten, die Haare perfekt zum Knoten gestylt, einen kühlen Blick über den Brillenrand auf die Kollegin werfend.
»Chef, die machen mich fertig!« jammerte Laplacie. »Nie sind sie sich einig – können wir die beiden nicht wegrationalisieren?«
Eine Explosion erschütterte das Labor, ein Blitz fuhr aus dem Boden, Feuer und Rauch nahmen kurzzeitig die Sicht. Als sich der Rauch verzogen hatte, hatte Michaelas Mähne den Blick in ihr Gesicht freigegeben, während Gabrielas makellose Frisur gänzlich verwüstet war, der Inhalt von Gottes Frühstücksdose war über das Erdmodell verstreut, und im Fußboden klaffte ein Loch, aus dem ein grinsendes Gesicht mit feuerroten Haaren – zumindest da, wo der Ruß den Durchblick erlaubte — und zwei neckischen Hörnern lugte. »Irrer Auftritt, was?«, zufrieden mit sich hievte Luzie sich aus dem Loch, hockte sich auf den Rand, ließ ein behuftes und ein befußtes Bein baumeln und steckte sich eine Zigarette an.
Gott klaubte derweil seine Käsestulle von der Erde. Einige Bakterien ließ er dabei gezielt zurück und beobachtete zufrieden kauend, wie sie sich in den Ozeanen ausbreiteten und im Zeitalter des Modell-Kambriums aus ihnen explosionsartig eine Vielzahl von, wenn auch noch nicht sehr hoch entwickelten, Lebewesen entstand.
Da fiel Gabrielas Blick auf das Erdmodell. »Ein neues Projekt? Wieso wurde ich nicht informiert? Worum geht es?« »Äh«, Laplacie warf Gott einen Hilfe suchenden Blick zu. »Um die Erschaffung von belebten ...« »Igitt! Wie ekelhaft – auf diesem Erdmodell schwimmen schleimige, schwammige Kreaturen in den Ozeanen! Es ist völlig verseucht! « »Seuchen?«, entsetzt wich Michaela zurück, stieß dabei gegen den Zimmerfarn. Die Erschütterung setzte jede Menge Sporen frei, die Gott heimlich auf die Modellerde wedelte. Gabriela griff in ihre Kitteltasche, aber bis sie gefunden hatte, was sie suchte, krabbelten schon etliche Lebewesen an Land und bedeckten Farnwälder die simulierte Erde des Zeitalters des Modell-Karbons. Endlich – so etwa 100 Millionen Modelljahre später – zückte Gabriela ihre Dose Desinfektionsspray, sprühte die Erdkugel von allen Seiten ein und das Modell-Perm-Zeitalter endete mit einem Massensterben.
»... Erschaffung von belebten Planeten«, beendete Laplacie endlich seinen Satz. »Leben?«, hauchte Michaela und stürzte auf das Erdmodell zu. »Wie wundervoll, wie niedlich – nützliche Bakterien, hübsche Käfer, kuschelige Kaninchen ...« »Tödliche Grippeviren, schleimige Schnecken, blutrünstige Saurier ...« ergänzte Gabriela vernichtend. »Und Sie haben all das zerstört!« Empört fuhr Michaela zur Kollegin herum. »Mit Ihrem dusseligen Spray!«
»Nee, wieso? Sind doch noch supercoole Viecher da!« Luzie nahm einen T-Rex zwischen Daumen und Zeigefinger. »Klasse. Gibt ’s die auch in echt? Und ’n bisschen größer?« Gabriela betrachtete den zähnefletschenden Saurier angewidert und auch Michaela kamen Zweifel, ob das das war, was sie sich so vorgestellt hatte.
»Ähm, Chef – war da in der Planung nicht eher die Rede von Menschen? «, wandte sie sich vorsichtig an Gott. »Menschen?!?«, Gabriela verlor kurzzeitig die Fassung, fing sich aber gleich wieder. »Also eigentlich kann man auch diesen Kreaturen etwas abgewinnen, meinen Sie nicht? Wenn wir die Evolution hier stoppen ...«
Entrüstet fuhr Michaela auf die Kollegin los: »Sie schon wieder! Ungeahnte kulturelle Errungenschaften stehen uns bevor ...« »Ozonloch, saurer Regen, Nachbarschaftsstreitigkeiten, ...«
Gott sah zu spät, dass er bei seiner Aufräumaktion Michaelas Wirkungsradius unterschätzt hatte. Als sie ihre Verteidigung der menschlichen Kultur mit schwungvollen Gesten untermalte, flog ein Radiergummi auf die Modellerde und verursachte eine Klimakatastrophe. Die Modellsaurier starben aus.
Gott sah eine gewisse Notwendigkeit, seine ursprünglichen Pläne zu ändern. »So geht es nicht«, raunte er Laplacie zu. »Wieso Chef – seit die Saurier weg sind, breiten sich die Säugetiere aus.« »Das meine ich nicht. Wenn wir in Ruhe arbeiten wollen, müssen wir die Kolleginnen beschäftigen. Und zwar nicht nur sechs Tage.«
Heimlich stopfte er die Weltformel in die 347. Schublade zurück, verschloss sie und warf die Schlüssel in den Müllschlucker, während er vorgab, ein noch etwas grobschlächtiges Völkchen, das inzwischen durch das Neandertal rannte, zu beobachten. Derweil war auf der Erde eine Eiszeit ausgebrochen, weil Michaela und Gabriela sich ausnahmsweise einig darin waren, dass Luzies Rauch dem Wohlbefinden abträglich sei, sie das Fenster aufgerissen hatten, und nun die Kälte des Nichts hereinströmte. Die Neandertaler starben aus. Gott sah sich genötigt zu handeln.

Abb. 1 Zeitalter der Erdgeschichte mit einer Auswahl von Ereignissen.
»Meine Damen, bitte!« Beim dritten Anlauf gelang es ihm, die ihm gebührende Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. »Bevor wir uns mit den Fragen der Evolution befassen, schlage ich vor, zunächst die Grundlagen zu schaffen, die, äh, was dauert denn mal so richtig schön lang, Laplacie? Ach ja – Naturgesetze! Physikalische Naturgesetze, um genau zu sein. Wir beginnen mit der Konstruktion dieser Naturgesetze. Gabriela, hochverehrte, geschätzte Kollegin, das dürfte genau die richtige Aufgabe für Ihren so überaus brillanten Geist sein. Ich werde Sie zu meiner naturwissenschaftlichen Assistentin ernennen und mit dieser anspruchsvollen Aufgabe betrauen.«
Gabriela sah ihn misstrauisch an. Das waren ein paar Höflichkeiten zu viel, um wirklich vertrauenswürdig zu sein. Aber Gott lächelte sie nur leutselig an. »Naturgesetze. Nun gut. Um ehrlich zu sein, ich hatte in die Richtung selbst schon einige Überlegungen angestellt. Welche Projektlaufzeit hatten Sie sich denn so vorgestellt?« »So um die 15 Milliarden Jahre. Ginge das?« Gabriela zückte ihren Terminkalender. »Ja, da hätte ich noch was frei. Wann fangen wir an?«
»Moment!«, protestierte Michaela. »Physikalische Naturgesetze? Ist das alles? Wo bleiben soziale Kompetenzen, kulturelle Entwicklungen, Psychologie, Wellness ...« »Aber, aber, meine Liebe, so lassen Sie mich doch ausreden! Das legen wir natürlich alles in Ihre fähigen Hände! Sie erhalten die Position der Assistentin für Philosophie und Gesellschaftswissenschaften. Ich bin überzeugt, Sie werden uns mit überaus überzeugenden Konzepten ...« »Und ob. Ich muss sofort darüber meditieren. Ich werde ein gesellschaftliches Ereignis schaffen von überaus spiritueller und sozialer Bedeutung. Ich werde es zunächst an Ihnen testen und dann ...«
Der Rest war nicht mehr zu hören, weil die Kollegin aus dem Büro stürmte. Gott fuhr sich durch den Rauschebart. »War wohl nicht so gut, die Idee.« »Nee, Chef«, pflichtete Laplacie ihm bei. »Das macht die wirklich, das an uns ausprobieren. Ich seh mich schon als Testweihnachtsmann Säcke schleppen oder als Probeosterhase durch die Gegend hoppeln.«
Gabriela räusperte sich vernehmlich: »Wenn ich noch etwas sagen dürfte. Ein ausgefeiltes Netz von Naturgesetzen nur für einen Planeten scheint mir kein gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis zu sein.« »Aber nein, meine Liebe. Geplant ist ja auch ein ganzes Universum. Ich suche nur noch etwas, woraus wir es entstehen lassen können.« Gottes Blick fuhr über die Schubladen. Universum-Bausätze hatte er leider gerade nicht da. Aber es musste irgendwo einen Karton mit Universen geben, die er aus Gründen der Platzersparnis soweit zusammengedrückt hatte, bis sie nur noch die Ausdehnung eines Punktes hatten. Also eigentlich gar keine Ausdehnung mehr. Endlich entdeckte er den Karton in Schublade 1 und nahm ein Punktuniversum heraus. »Was woll’n se denn mit so was Winzigem?«, fragte Luzie. »Man könnte es etwas aufblähen ...« »Das da? Da brauchen se ’ne mächtige Explosion. Krieg ich aber hin. Soll ich?«, Luzie holte unterschiedliche Sprengsätze aus der Rocktasche und arrangierte sie neben sich. »Halt, halt, nicht so hastig. Wir fangen erst morgen an. Obwohl die Idee im Ansatz nicht schlecht ist. Eine Urexplosion als Beginn von Allem. Ein Urknall. Ja, das klingt gut. Griffig, genau richtig für die Presse. Ah, meine liebe Gabriela, Sie haben schon erste Ideen entwickeln können? « Die Kollegin sah von ihrem Laptop auf. »Nun ja – wir benötigen verschiedene Theorien: Gravitation für die Bewegung der Himmelskörper, Elektromagnetismus – von den elektromagnetischen Eigenschaften der Materie kommen wir dann zur Chemie ... Einfacher wäre es, wenn wir eine Theorie hätten, die alles auf einmal erklärt ...« Gott schob sich unauffällig vor die 347. Schublade. »Ach, meinen Sie? Stachelt es nicht Ihren Ehrgeiz an, alles Stück für Stück zu entwickeln und zusammenzusetzen?«
Laplacie hatte derweil leuchtende Augen bekommen. »Bewegung von Himmelskörpern ... ein ganzes Universum voll Sterne und Planeten und alle bewegen sich ... das ist viel besser als Vakuum-Billard! Chef, darf ich das Universum ausrechnen?« »Aber natürlich ...« »Das ist in der Tat eine äußerst konstruktiver Vorschlag. Ein bis ins Kleinste berechenbares Universum. Sehr schön.« Gabriela machte sich eine Notiz. Luzie war anderer Meinung. »Schön? Völlig uncool ist das. Wo bleiben denn da unerwartete Überraschungen? Soll ich da nich doch für sorgen?«, sie warf mit ein paar Feuer werkskörpern um sich.
Gott hatte auch so seine Zweifel am Vorteil der exakten Vorhersagbarkeit, aber als im Flur Schrödingers Katze vorbeilief, die einen Schmetterling jagte, worauf der durch ein Ausweichmanöver einen Wirbelsturm auf der Modellerde auslöste, hielt Gott den Mund. Er wollte Laplacie nicht jetzt schon den Spaß an der Sache verderben.
»Ach, und, Chef«, Gabriela tippte auf ihrer Tastatur herum, »parallel dazu sollten wir auch die passende Wissenschaft entwickeln. Um die geschaffenen Naturgesetze auf Zweckmäßigkeit und Funktionstüchtigkeit überprüfen zu können.« »Qualitätsmanagement? Sehr gute Idee! An welche Methoden hatten Sie da gedacht?« »Nun ja – da wäre zunächst als A und O die Beobachtung, die Messung. Laplacie, deine Billardkugeln bitte. Sehen Sie – was sehen Sie?« »Blaue Kugel schwebt still im Vakuum, rote Kugel kommt angeflogen. Rote Kugel dengelt gegen blaue Kugel. Blaue Kugel fliegt weg, rote Kugel bleibt schweben«, erklärte Gott folgsam. »Genau. Gestatten Sie mir noch den Hinweis, dass beide Kugeln exakt gleich viel wiegen. Zu Beginn ruhte die blaue Kugel bewegungslos im Vakuum, die rote kam mit exakt 10 m/s – Chef, Sie müssen sich in Zukunft an genauere Angaben gewöhnen – angeflogen, stieß gegen die blaue Kugel, woraufhin die sich mit ebenfalls 10 m/s wegbewegte und die rote bewegungslos zurück blieb. Wir können jetzt also die Theorie aufstellen, dass es eine Größe gibt, die sich aus Geschwindigkeit und Masse zusammensetzt, und die in einem System erhalten bleibt.« »???« »Was die Kollegin meint, ist der Impulserhaltungssatz«, erklärte Gott. »Impuls ist Masse mal Geschwindigkeit. Das System besteht in diesem Fall aus den beiden Kugeln. Wenn am Anfang die blaue Kugel ruht, hat sie den Impuls null, weil ihre Geschwindigkeit null ist, und null mal irgendwas ist immer null. Die rote Kugel hat den Impuls (Masse der Kugel) mal 10 m/s. Der Gesamtimpuls des Systems aus den beiden Kugeln ist nun die Summe der Impulse der roten und der blauen Kugel. Da der Impuls der blauen Kugel ja null war, ist der Impuls der roten Kugel also auch der Gesamtimpuls des Systems. Bei dem Stoß geht nun der Impuls der roten Kugel auf die blaue Kugel über. Nach dem Stoß hat daher die rote Kugel den Impuls null und die vorher ruhende blaue Kugel hat den Impuls (Masse der Kugel) mal 10 m/s komplett übernommen. Der Gesamtimpuls des Systems ist also noch derselbe.«

Abb. 2 Impulserhaltung. Stößt eine Kugel (dunkel, oben links) gegen eine gleich schwere ruhende (hell, oben links), versetzt sie diese in ...
Inhaltsverzeichnis
- titelseite
- 200 Jahre Wiley – Wissen für Generationen
- Titel
- Impressum
- Inhaltsverzeichnis
- Vorreden
- 1 - Schöpfung und Qualitätsmanagement
- 2 - Der Urknall
- 3 - Ein Besuch im Zoo
- 4 - Welle, Teilchen oder was?
- 5 - Gequantelte Atome oder: Beobachten Katzen sich selbst?
- 6 - Rechts oder links oder doch lieber gar nicht erst festlegen?
- 7 - Tunnelbau mit Nebeneffekten
- 8 - Wasserstoffexplosionen und versalzene Suppen
- 9 - Altägyptische Bettgestelle
- 10 - Kettenreaktionen
- 11 - Kampf dem Bewegungsmangel
- 12 - Mit Pink Devil gegen Couchpotatoes
- 13 - Gesperrtes und Durchlässiges
- 14 - Megageiler Sound
- 15 - Was tun gegen Löcher im Kühlschrank?
- 16 - Halloween
- 17 - Helium – jetzt auch superflüssig
- 18 - Einladung zum Abendessen
- 19 - Konfusion mit der Kernfusion
- 20 - Weißt du, wie viel Sternlein stehen ...
- 21 - Die Stilberatung
- 22 - Operation »Schrödingermann«
- Literatur
- Register