1 Normen und Zertifizierungen
1.1 Relevanz: Die Bedeutung der richtigen Auswahl von Projektleitern
Immer mehr Aufgaben werden in Unternehmen in Form von Projekten abgewickelt. Die Projektarbeit gewinnt somit zunehmend an Bedeutung und ist aus dem Arbeitsalltag vieler Unternehmen nicht mehr wegzudenken. Erfolgreiches unternehmerisches Handeln setzt qualifiziertes Personal voraus und entsprechend gewissenhaft muss die Auswahl von geeignetem Projektpersonal erfolgen.
Aber wie wichtig nehmen Sie oder Ihre Unternehmensleitung die Frage, den oder die Richtige als Projektleiter zu beauftragen? Sicherlich haben Projekte nur Erfolg, wenn Projektleiter eingestellt werden, die als Person den späteren Anforderungen genügen und flexibel genug sind, sich auf ändernde Bedingungen einzustellen. Oftmals wird aber im Prozess der Personalauswahl die Notwendigkeit der gründlichen Analyse der Management-Kompetenz des Bewerbers unterschätzt. Die Kosten und die Mühe eines gründlichen Auswahlverfahrens werden gescheut oder der Aufwand als unnötig erachtet. In Wirklichkeit jedoch sind diese oftmals vernachlässigbar gering im Vergleich zum finanziellen Schaden und Imageverlust einer möglichen Fehlbesetzung. Deswegen gilt: Je höher und bedeutender die zu besetzende Position, desto mehr lohnt es sich für Sie selbst bzw. für Ihr Unternehmen, bei der Personalauswahl in die Erforschung der Persönlichkeit und der Fähigkeiten zu investieren, um die Folgeschäden einer fehlerhaften Besetzung so gering wie möglich zu halten – ganz abgesehen von den vermeidbaren Kosten, die im Falle einer sofortigen Optimalbesetzung der Stelle erst gar nicht entstehen würden.
Projekte bergen zu Beginn vielfache Chancen und Gefahren. Während des Verlaufs muss der Projektverantwortliche im Stande sein, angemessen zu reagieren. Vor allem bei komplexen Projekten lassen sich nicht alle möglichen Situationen vorhersehen. Auch reicht das Erkennen von Problemen nicht aus, um mit unkalkulierbaren Situationen entsprechend umgehen zu können, sondern hierfür bedarf es der „Berücksichtigung von Erfahrungen, Gefühlen, Intuitionen sowie assoziativen Denkweisen.“1). In Projekten wird zwar versucht, nahezu alles zu planen, dennoch ergeben sich immer wieder unvorhergesehene und komplexe Situationen, die der Projektleiter bewältigen muss. Dafür sind die Begabung für ganzheitliches, vernetztes Denken und die Fähigkeit, für eine harmonische Zusammenarbeit der Mitarbeiter zu sorgen, von Nöten.
Kerzner2) sieht in der Risikobereitschaft einen Grund für das vergleichsweise junge Alter von Projektleitern, das im Schnitt zwischen 30 und 40 Jahren liegt. Jüngere sind bereit, mehr Risiko in Projekten auf sich zu nehmen, und sind zudem bereit, mehr und länger zu arbeiten als ihre älteren Kollegen. Oftmals sind sich diese jungen Projektverantwortlichen aber auch nicht des Ausmaßes des Risikos bewusst – sei es aufgrund mangelnder Erfahrung oder der Unzulänglichkeit an Objektivität – weshalb die ausschlaggebende Fähigkeit zur Bewältigung von Unvorhersehbarem die Risikobereitschaft darstellt.
Aber noch von einer anderen Seite gewinnt die Frage nach dem richtigen Projektleiter an Relevanz: Es ist die Perspektive der betroffenen Person selbst. Es muss doch für Sie mindestens ebenso wichtig sein wie für das Unternehmen herauszufinden, ob Sie das Zeug zu einem erfolgreichen Projektleiter haben. Diese Seite ist für Sie eine Form der Selbstvergewisserung, die sicherlich genauso wichtig ist wie die Frage der Unternehmensleitung, ob ein möglicher Kandidat, der sich auf die Stelle eines Projektleiters bewirbt, tatsächlich dafür geeignet ist. Hier erfolgt die Antwort auf die Eignungsfrage eher in Blick auf die ganz persönliche Kosten-Nutzen-Bilanz: Wie viel Aufwand, wie viel Nerven, wie viel Lebenswertverlust ist mir die Tätigkeit des Projektleiters wert? Oder wäre für Sie nicht eine Fachkarriere oder eine Linienkarriere besser?
Aus meiner Seminarleitertätigkeit ist gerade diese persönliche Frage für mich die entscheidende im Hinblick auf den Projekterfolg: Projektmanagement verlangt nicht selten einen „Helikopterblick“, die Fähigkeit zur „Vogelperspektive“, d. h. sich auf das große Ganze zu konzentrieren oder nicht zu kleinteilig zu werden. Und ich erlebe häufig Seminarteilnehmer, die genau das Gegenteil machen: Sie verlangen nach noch genaueren Tools, Methoden, Techniken, um das Unfassbare in den Griff zu bekommen. Beispiel: Das Verlangen nach einem noch ausdifferenzierten Informationsmanagementsystem, um der heutigen E-Mail-Flut „Herr“ zu werden – statt dem Einsatz von persönlicher Gelassenheit, die sich z. B. darin ausdrückt, E-Mails nicht gleich am Morgen, sondern erst nach dem Mittagessen zu lesen! Oder: Ein Projektmanagement-Programm erst dann einsetzen, wenn es darum geht, einen stabilen Projektplan in Module herunterzubrechen und diese Details dann zu monitoren – statt gleich zu Beginn das Projekt in die EDV zu zwängen. Diese Gelassenheit ist eine Form von Souveränität, die vielleicht auch eine gewisse persönliche Reife braucht.
Im folgenden Kapitel geht es zunächst um die Anforderungen, die an eine Person gestellt werden, damit diese als Projektleiter eingesetzt werden kann. Gibt es einen eindeutigen Kriterienkatalog, die ein Projektleiter erfüllen muss? Wenn ja: wie sieht dieser aus? Wenn man diese Kriterien hat, lässt sich die Frage stellen: Wie wird überprüft, ob eine Person diese Kriterien erfüllt? Welche Verfahren können herangezogen werden, um die Eignung eines Kandidaten festzustellen und zu definieren.
Last but not least ist die entscheidende Frage für mich, ob ich die notwendigen Voraussetzungen erfülle bzw. wie ich mich selbst dazu entscheide.
1.2 Aufgaben und Anforderungen an einen Projektleiter
„Die Zukunft der innerbetrieblichen Arbeitsorganisation liegt im Projektmanagement“ – Aussagen dieser Art finden Sie in vielen Managementzeitschriften und wissenschaftlichen Analysen. Dahinter verbirgt sich die These, dass Projektmanagement die effizienteste Möglichkeit der Organisation in Sachen Produktentwicklungen, Produkteinführungen etc. darstellt. Daneben erlebt diese Form der Organisation auch in vielen weiteren Bereichen eine Hochkonjunktur. Viele Unternehmen sind in einer Phase angelangt, in der versucht wird, diese Form der Aufgabenbewältigung für sehr unterschiedliche Bereiche einzusetzen.
Wer sich als Arbeitnehmer auf diesen Markt einstellen möchte, wird allerdings enttäuscht: Wenn man die Stellenanzeigen in den Wochenendausgaben nach einem Profil „Projektleiter“ durchforstet, wird man schnell feststellen: Es gibt keine einheitliche Anforderungsbeschreibung für Projektleiter. Je nach Unternehmen und Branche differiert das geforderte Eintrittsalter (35–45 Jahre). Branchen- und/oder Berufserfahrung sind durchaus gewünscht, wobei es oftmals unklar bleibt, in welchem genauen Ausmaß – genauso unklar bleibt, was jeweils unter geforderten Kenntnissen in Projektmanagement-Methoden verstanden wird. Auch die persönlichen Voraussetzungen sind häufig mehr als wage: Es wird von Eigeninitiative sowie unternehmerisches Denken, soziale Kompetenz und Führungserfahrung gesprochen. Gerne wird auch analytisch-strukturiertes Denken, selbständiger Arbeitsstil, teamorientierte Arbeitsweise und hohe Belastbarkeit gefordert.
Wenn ich in meinen Seminaren nach den verschiedenen „Rollen“ frage, die die Seminarteilnehmer als Projektleiter schon erlebt haben, antworten viele: der Projektleiter hat die Rolle eines „Methodenexperten“, er stellt das „Tor zwischen Technik und Business“ dar, soll aber auch „Teamplayer und Leader zugleich“ sein. In den Besprechungen wird von ihm die Rolle des „Moderators“ und gleichzeitig des „Experten“ abverlangt. Er soll die Funktion des „Verhandlers“ oder eines Schlichters bei widersprechenden Zielen und Interessen übernehmen. Offensichtlich muss der Projektleiter also ein Alleskönner sein. Zur Beschreibung dieser vielfältigen Anforderungen wird umgangssprachlich gerne das Bild der „eierlegenden Wollmilchsau“ bemüht!
In den Seminaren gibt es häufig kontroverse Diskussionen über das Anforderungsprofil. Meist entzünden sich die Diskussionen an der Frage, wie viel „Fachwissen“ der Projekteiter haben muss. Die einen plädieren dafür, dass der Projektleiter auf jeden Fall vom Projektgegenstand eine Ahnung haben muss: Er muss zwar nicht in allen Fachgebieten Experte sein, aber er „muss wissen, wo er inhaltlich hin will“. Andere vertreten die Ansicht, dass der Projektmanager als „reiner“ Manager gewissermaßen nur Methodenexperte sein muss.
Und auch in der Literatur scheint es keinen Konsens bezüglich der Anforderungen zu geben. Eine Definition, die wir gefunden hatten, zieht sich zurück auf die Aussage, dass der Projektleiter die Verantwortlichkeit für kosten-, qualitäts- und zeitgerechte Leistungserbringung sowie für die interdisziplinäre fachliche und personelle Teamführung hat. Andere definieren: „Ein Projektleiter muss in der Lage sein, das Projekt zu managen, sein Team zu führen und als Schnittstelle zu den Stakeholdern zu fungieren“3) und führt dazu wesentliche Aufgaben auf:
-
Projektplanung und -controlling
-
Projektorganisation
-
Auswahl und Führung des Projektteams
-
Erarbeitung von Umsetzungsstrategien
-
Steuerung des Projektfortschritts
-
Gestaltung und Pflege der Kundenbeziehungen
-
Information und Kommunikation über den Projektstatus
-
Risikomanagement
-
Organisation der Projektadministration und Dokumentation
Geben diese Definitionen uns die Sicherheit, eine allgemeingültige Beschreibung der Anforderungen an den Projektleiter in den Händen zu halten? Nicht wirklich, denn einerseits werden nur manche persönlichen Erfahrungen aufgezählt oder andererseits nur einige der typischen Aufgabenfelder benannt, die jedoch keine Aussage darüber beinhalten, über welche Eigenschaften jemand verfügen muss, um diese Aufgaben zu managen. So können sich doch hinter den verschiedenen Aufgabenfeldern unterschiedliche Kompetenzen verbergen, z. B. verlangt manche Aufgabe entsprechend Ruhe und Konzentrationsfähigkeit auch auf Kleines, während andere eher Intuition und soziales Gespür verlangt.
In diesem Zusammenhang wird dann von Kompetenz oder Qualifikationen des Projektleiters gesprochen (Handlungskompetenz). Schelle et al4) unterscheiden zwischen den vier Kompetenzsäulen: Fachkompetenz, Methodenkompetenz, Organisationskompetenz und Sozialkompetenz. Andere Autoren5) (z. B. Steinbuch, S.90) differenzieren dagegen in persönliche Qualifikation, Projektqualifikation, Fachqualifikation und Führungsqualifikation. Auch hinsichtlich der Frage, welche Rolle die Fachkompeten...