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Mess- und regelungstechnische Praktikumsaufgaben
1.1 Messen und Regeln von Prozessgrößen
Die Untersuchung und die Durchführung chemischer Reaktionen sowie die Charakterisierung der dabei eingesetzten bzw. erzeugten chemischen Stoffe oder Stoffsysteme sind nur dann zuverlässig möglich, wenn entsprechende Methoden und Geräte zum Messen, Regeln und Steuern von Prozessgrößen zur Verfügung stehen. Das gilt unabhängig davon, ob es sich um Aufgaben im Labor-, Technikumsoder Betriebsmaßstab handelt. Eine Besonderheit der Chemie besteht darin, dass neben einer Vielzahl allgemein üblicher Messmethoden (z.B. Temperatur-, Druck-, Masseoder Volumendurchfluss-, Füllstandsmessung) ganz speziell entwickelte chemische Messund Analysenverfahren (z. B. GC, HPLC, GPLC, Coulometrie, Dead-stop-Titrationen, Injection-flow-Methoden) eingesetzt werden
Das Messen ist ein experimenteller Vorgang, bei dem ein spezieller Wert einer physikalischen Größe (z.B. Leitfähigkeit, pH-Wert, Konzentration, Viskosität) als Teil oder Vielfaches einer Einheit oder eines Bezugswertes ermittelt wird. Das Ergebnis einer Messung ist demzufolge ein Messwert in Form eines Produktes aus Zahlenwert und Einheit (z.B. cH+ = 10–4 mol/l)
Als Messvorrichtung dient ein Sensor, der an die Auswerte- und Anzeigeeinheit Signale liefert. Diese können physikalisch völlig anderer Art sein als die zu messende Größe (z. B. Piezo-Spannungen zur Druckmessung), müssen aber in einem exakt definierten und reproduzierbaren Zusammenhang mit dem Wert der Messgröße stehen. Sie können analog oder digital sein. Der Zusammenhang zwischen dem Wert des Anzeigesignals und dem Wert der Messgröße wird über eine Kalibrierung definiert. Wird diese Kalibrierung amtlich durchgeführt, handelt es sich um eine Eichung
Bei speziellen Messungen an komplexen Systemen (z. B. Konzentration einzelner Komponenten in Stoffgemischen) mässen oft mehrere Messverfahren miteinander kombiniert werden oder eine für die Messung benutzte Hilfsgröße wird über einen bestimmten Wertebereich variiert („gescannt“: Wellenlänge des Lichtes bei spektralen Messverfahren, Temperatur bei der Differential Scanning Analyse)
In der Regel besteht ein Messsystem, von einfachen Fällen abgesehen (z. B. Temperaturmessung mit Bimetallfeder oder mit Thermoelement und Voltmeter), aus mehr Bestandteilen als nur aus Sensor und Anzeigeeinheit. Dazu können gehören: stabilisierte Energieversorgungseinheiten, vorgeschaltete Trenneinheiten (z. B. Trennsäulen unterschiedlichster Art), Signaloder Messgrößenwandler (Transducer), Messumformer (Transmitted, Signalumsetzer (A/D- oder D/A-Wandler), (elektronische) Messstellenumschalter (Multiplexer), Verstärker, Filter und andere Einrichtungen zur Rauschunterdrückung, Signalüberträger, Schnittstellen zum Anschluss an Rechner, komplexe Auswerteeinheiten (Mikrorechner, Personalcomputer) mit Messkarten und Auswerteprogrammen
Wichtige Kriterien für die Beschaffung oder Eigenentwicklung von Messsystemen sind: hohe Empfindlichkeit (Änderung der Anzeige/Änderung der Messgröße), mäglichst großer Abstand zwischen Nutz- und Rauschsignal, minimale zeitliche Drift von Grundlinie und Messsignal, einfache Kalibrierbarkeit, Langzeitkonstanz der Kalibrierfunktion, geringe Störanfälligkeit gegen Umgebungseinflüsse, geringe Zeitkonstante zur Vermeidung größerer dynamischer Fehler bei der Messung von Größen, deren Wert sich zeitlich schnell und stark ändert
Für fast alle Messaufgaben sind Geräte im kommerziellen Angebot, die mit Mikroprozessoren ausgestattet oder für den Anschluss an einen Computer vorbereitet sind. Das ermöglicht den Einsatz für automatische Langzeitmessungen, gestattet die Ergebnisdarstellung am Bildschirm („virtuelle Instrumente“) und erleichtert den Aufbau einer Prozessregelung
Für die Automatisierung und die Gewährleistung der Sicherheit von chemischen Prozessabläufen spielt die Steuerungs- und Regelungstechnik eine entscheidende Rolle. Voraussetzung für die Regelung eines Prozesses ist die kontinuierliche Messung der für den Prozessablauf entscheidenden Prozessgrößen. Das Regeln ist ein Vorgang, bei dem der Wert für die zu regelnde physikalische Größe (Temperatur, Druck, Konzentration etc.) fortlaufend erfasst und mit einem vorgegebenen Wert verglichen wird mit dem Ziel, eine Angleichung an diesen zu erreichen (DIN 19226). Die kontinuierlich als Messgröße erfasste physikalische Größe wird als Regelgröße bezeichnet, ihr jeweils aktueller Wert als Istwert. Im Regler wird laufend die Differenz zwischen dem Istwert und dem Wert einer einstellbaren Führungsgröße gebildet. Ist die Führungsgröße konstant, wird sie als Sollwert bezeichnet. Sie kann auch variabel, z. B. eine Zeitfunktion sein. Die ermittelte Differenz (Regeldifferenz) bewirkt eine Aktion des Reglers auf ein Stellglied in Richtung einer Verringerung der Differenz zwischen Istwert und Sollwert. Auf diese Weise ergibt sich ein geschlossener Regelkreis. Die zu regelnde Einheit (z. B. Temperatur der Reaktionsmasse in einem Rührkessel) einschließlich Stellgerät (z. B. Tauchsieder mit Schalter) und Messstelle wird als Regelstrecke bezeichnet. Regelstrecke und Regler haben je nach Aufbau ein bestimmtes Zeitverhalten. Um zu sichern, dass das Ziel der Regelung, der Abbau der Differenz zwischen Ist- und Sollwert, in minimaler Zeit erreicht wird, ist der Regler entsprechend dem Zeitverhalten der Regelstrecke auszuwählen und in seinen Parametern anzupassen. Das Zeitverhalten der Regelstrecke kann experimentell ermittelt werden. Eine bevorzugte Methode dafür besteht darin, dass am Stellgerät sprungartig die Stellgröße verändert und an der Messstelle der zeitliche Verlauf der Messgröße registriert wird (Übergangsverhalten, Sprung-Antwort-Funktion). Regeln zur Auswahl und Berechnungsformeln für die Anpassung von Reglern an die Regelstrecke unter Verwendung der Sprung-Antwort-Funktion gehören zu den theoretischen Grundlagen der Regelungstechnik, die auch ein Chemiker kennen sollte. Moderne mikroprozessorgestätzte Regler verfügen über Modi zur Selbstanpassung an die Regelstrecke (Auto- oder Self-tuning-Funktion)
In vielen Fällen ist eine Steuerung von Prozessgrößen oder Prozessabläufen erforderlich. Der Unterschied zwischen Steuerung und Regelung besteht darin, dass eine Steuerung keine Signalrückführung von der Messgröße besitzt. Es liegt also kein geschlossener Kreis, sondern eine offene Kette zwischen Eingangsgröße, Steuereinrichtung, Stellgerät, Steuergröße und Ausgangsgröße vor
Werden die Mess-, Steuerungs- und Regelungsgeräte einer Anlage miteinander verknäpft und komplett durch Rechner gestützt, so spricht man von Prozessleittechnik, die ein unabdingbarer Bestandteil moderner chemischer Prozesstechnologien ist
Literatur
SIMIC, D.; HOCHHEIMER, G.; REICHWEIN, J.: „Messen, Regeln und Steuern“, VCH, Weinheim 1992.
STROHRMANN, G.: „Meßtechnik im Chemiebetrieb“, R. Oldenburg Verlag, München/Wien 1995.
1.1.1 Elektrische Temperaturmessung
Technisch-chemischer Bezug
Der optimale Verlauf chemischer Prozesse wird maßgeblich durch die Einhaltung eines konkreten Temperaturregimes bestimmt. Aus diesem Grund ist die Messung der Temperatur am Reaktionsort von überragender Bedeutung. Die Messwerte müssen sowohl bei Hochals auch bei Tieftemperaturreaktionen schnell und präzise erfasst und oft weit entfernt vom Messort angezeigt bzw. weiterverarbeitet werden. Dazu sind direkt anzeigende Thermometer meist ungeeignet. Man benätigt vielmehr solche Messwertaufnehmer, die an Stelle des Temperaturwertes ein temperaturproportionales elektrisches Signal erzeugen, das am Anzeigeort verfügbar ist. Für diese Aufgabe eignen sich Thermoelemente und Widerstandsthermometer zur berührenden Messung und Pyrometer für solche Messobjekte, deren Temperatur wegen zu hoher Werte oder Bewegung berührungsfrei gemessen werden muss
Grundlagen
Die Temperatur ist eine Zustandsgröße, die zusammen mit der Masse und der Wärmekapazität den Energieinhalt eines Körpers bestimmt
Zur allgemeinsten Temperaturdefinition kann man die Bewegungsenergie der Moleküle heranziehen:
Damit gibt es einen nicht unterschreitbaren Nullpunkt der Temperatur, an dem die Moleküle völlig ruhen, also W und T null sind
Mit der SI-Einheit „Kelvin“ wird der Sonderstellung der Temperatur als „Wärmeinhalt“ Rechnung getragen (1 K ist der 0,01te Teil der Differenz zwischen Gefrier- und Siedepunkt des Wassers bei einem Druck von 1,013 bar)
Zur Temperaturmessung sind prinzipiell alle Größen geeignet, die reproduzierbar von der Temperatur abhängen. So wird z. B. für Flüssigkeitsthermometer die Ausdehnung von Quecksilber oder Alkohol zur Temperaturmessung genutzt. Zur Eichung nutzt man Fixpunkte, die durch Schmelz-, Erstarrungs- oder Siedepunkte verschiedener Stoffe festgelegt sind. Als interpolierendes Thermometer im Bereich von – 259 bis 961 °C ist das Platin-Widerstandsthermometer amtlich eingeführt. Damit dieses Thermometer die thermodynamischen Temperaturwerte möglichst gut reproduziert, sind Forderungen an die Materialreinheit des Platins und die Kalibrierung an vorgegebenen Fixpunkten zu erfüllen. Als einer dieser Fixpunkte ist der Tripelpunkt des Wassers bei 273,16 K international festgelegt. Er liegt 0,01 K über dem Schmelzpunkt des Eises, dem Nullpunkt der Celsius-Skala
Thermoelemente
Thermoelemente werden aus zwei elektrischen Leitern unterschiedlicher Werkstoffe gebildet, die an einem Ende miteinander verlötet und zum Schutz vor gegenseitiger Berührung entsprechend konfektioniert sind. Auf Grund des Seebeck-Effektes lösst sich an den freien Enden eine Berührungsspannung (Thermospannung) messen, die im geschlossenen Leiterkreis einen Stromfluss bewirkt. Die gemessene Thermospannung ist abhängig von der Temperaturdifferenz zwischen Lötstelle und Klemmenstelle am Messgerät, von der Leiterkombination und der Reinheit der Leiterwerkstoffe. Die folgenden im praktischen Einsatz bewährten Thermopaare liefern zwischen 0 °C und 100 °C die in Klammern gesetzten Thermospannungen: Fe-CuNi (5,37 mV), NiCr-Ni (4,10 mV), PtRh-Pt (0,643 mV). Die Eigenschaften der Metallkombinationen, insbesondere deren Zusammensetzung, ist genormt, so dass sich für jedes genannte Thermopaar eine von der Temperatur abhängige genormte Spannungsreihe aufstellen und daraus die Kalibrierfunktion ϑ= f (UTh) ableiten lässt
Zur Temperaturmessung wird die Messspitze des Thermoelementes am Messobjekt plaziert und für eine konstante Klemmenstellentemperatur gesorgt. Um das sicher zu gewährleisten, wird der Thermokreis um ein zweites Thermopaar gleichen Materials erweitert und dieses einer leicht konstant zu haltenden Temperatur (z. B. Eiswasser) ausgesetzt. Aus der Spannungsdifferenz wird dann die Temperatur des Messobjektes mit Hilfe der Kalibrierfunktion bestimmt. Falls sich die Vergleichsstelle im beträchtlichen Abstand zur Messstelle befindet, muss die leitende Verbindung aus Material hergestellt sein, das die gleichen thermoelektrischen Eigenschaften wie das Material des Thermopaares besitzt. Ist das nicht der Fall, entstehen an den jeweiligen Verbindungsstellen neue Thermopaare, die die Temperaturmessung verfälschen. Das ist auch dort der Fall, wo die Klemmenstellen des Thermoelementes direkt mit einer Kupferleitung verbunden sind, um die Thermospannung an einem anderen Ort anzuzeigen (s. ...