Morgen in Iran
eBook - ePub

Morgen in Iran

Die Islamische Republik im Aufbruch

  1. 304 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

Morgen in Iran

Die Islamische Republik im Aufbruch

Über dieses Buch

Kaum ein Land hat im Westen ein so negatives Image wie die Islamische Republik Iran. Die jahrtausendealte persische Kultur, die prächtigen Sehenswürdigkeiten: All das tritt in der öffentlichen Wahrnehmung zurück hinter religiösem Dogmatismus und anhaltenden Menschenrechtsverletzungen. Doch wer das Leben in Iran darauf reduziert, greift zu kurz, erklärt Adnan Tabatabai. Iran ist ein Land voller Spannungen und Widersprüche und die Iraner haben gelernt, sich dazwischen zu bewegen. Wer das Land verstehen will, muss deshalb einen Perspektivwechsel wagen, so der iranischstämmige Politikberater. Denn Tabatabai ist überzeugt: In den nächsten Jahren wird sich Iran dem Westen immer weiter öffnen. Aber nicht, indem es sich einfach nach westlichen Vorstellungen umformt, sondern indem die Menschen ihren eigenen Weg zu mehr Freiheit finden. In beiden Gesellschaften gleichermaßen zuhause erzählt Tabatabai von seinem Iran - die negativen Seiten nicht ignorierend, aber den Blick geschärft für die Chancen und Potenziale des Landes. Iran ist ein Land im Aufbruch. Adnan Tabatabai ermutigt uns, diese Tendenzen zu unterstützen - kenntnisreich, aber ohne Bevormundung.

Häufig gestellte Fragen

Ja, du kannst dein Abo jederzeit über den Tab Abo in deinen Kontoeinstellungen auf der Perlego-Website kündigen. Dein Abo bleibt bis zum Ende deines aktuellen Abrechnungszeitraums aktiv. Erfahre, wie du dein Abo kündigen kannst.
Derzeit stehen all unsere auf mobile Endgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Perlego bietet zwei Pläne an: Elementar and Erweitert
  • Elementar ist ideal für Lernende und Interessierte, die gerne eine Vielzahl von Themen erkunden. Greife auf die Elementar-Bibliothek mit über 800.000 professionellen Titeln und Bestsellern aus den Bereichen Wirtschaft, Persönlichkeitsentwicklung und Geisteswissenschaften zu. Mit unbegrenzter Lesezeit und Standard-Vorlesefunktion.
  • Erweitert: Perfekt für Fortgeschrittene Studenten und Akademiker, die uneingeschränkten Zugriff benötigen. Schalte über 1,4 Mio. Bücher in Hunderten von Fachgebieten frei. Der Erweitert-Plan enthält außerdem fortgeschrittene Funktionen wie Premium Read Aloud und Research Assistant.
Beide Pläne können monatlich, alle 4 Monate oder jährlich abgerechnet werden.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja! Du kannst die Perlego-App sowohl auf iOS- als auch auf Android-Geräten verwenden, um jederzeit und überall zu lesen – sogar offline. Perfekt für den Weg zur Arbeit oder wenn du unterwegs bist.
Bitte beachte, dass wir keine Geräte unterstützen können, die mit iOS 13 oder Android 7 oder früheren Versionen laufen. Lerne mehr über die Nutzung der App.
Ja, du hast Zugang zu Morgen in Iran von Adnan Tabatabai im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Politik & Internationale Beziehungen & Nahostpolitik. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Auf internationalem Parkett
Außenpolitik zwischen Kalkül und Mission

»Welchen Reim soll man sich nur auf die Außenpolitik Irans machen?«, fragt der ranghohe europäische Diplomat und wirkt ein wenig verzweifelt. »Wir wissen weder, wer in Teheran wirklich das Sagen hat, noch können wir einschätzen, was Iran eigentlich will.« Der erfahrene Diplomat beklagt, dass keine kontinuierliche politische Ausrichtung Irans zu erkennen sei. Vielmehr nehme man widersprüchliche Botschaften wahr. »Da sind einerseits der diplomatisch hoch versierte Außenminister [Djavad Zarif] und der moderate Präsident [Hassan Rohani]. Beide setzen außenpolitisch auf ›win-win‹-Strategien, beide befürworten die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zu den USA. Andererseits ist der Ton des Revolutionsführers Chamenei manchmal ein ganz anderer – von dem der Kommandeure der Revolutionsgarden ganz zu schweigen.« Gemeint ist hier vor allem der Generalmajor Ghassam Soleimani, der die Auslandseinheit der Revolutionsgarden befehligt. »Wie soll man mit so unterschiedlichen Männern wie Zarif und Soleimani zusammenarbeiten?«, fragt der Diplomat weiter. Es passe einfach nicht zusammen, dass der eine von Kooperationen in der Region spreche, während der andere iranische Truppen in Irak und Syrien kommandiert. »Wie können Irans Nachbarn unter solchen Umständen Vertrauen in die Politik Teherans haben?«, fragt sich der Diplomat, der erst wenige Tage zuvor mit Kollegen in den Monarchien des Persischen Golfs Gespräche über Iran geführt hat. »Egal, wen sie fragen: Iran gilt als ein revolutionärer und expansiver Staat, der mit seinen schiitischen Milizen Chaos in der Region anrichtet.« Vor allem die unnachgiebige Unterstützung des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad sorge für Empörung. Nahezu alle seine arabischen Gesprächspartner sähen darin den Grund für die Entstehung der Terrormiliz Islamischer Staat. Nach dem Nuklearabkommen befürchten die Staaten der Golfregion zudem, Iran werde nun als schiitische Hegemonialmacht Länder wie Bahrain, Kuwait und Jemen destabilisieren. Das gelte auch für die Lage in Irak, Syrien und Libanon. »Wenn ich ehrlich bin«, räumt der Diplomat ein, »kann ich diese Sorgen verstehen.« Man brauche sich nur anzuhören, was so manche iranischen Politiker von sich geben. »Also stehen wir da, hören einerseits den Herren Zarif und Rohani zu und sehen danach, was tatsächlich in den Ländern im Auftrag Irans geschieht.« Und solange sich der Revolutionsführer nicht klar hinter die Regierung stellt, schließt der Diplomat ab, »müsse man stets daran zweifeln, ob Zarif und Rohani außenpolitisch tatsächlich etwas zu sagen haben«.
* * *
Überall in der westlichen Welt hört man die stets wiederkehrende Klage, iranische Außen- und Regionalpolitik könne nicht nachvollzogen werden. Iran wird häufig als irrational, unberechenbar, widersprüchlich, expansiv, destruktiv und aggressiv bezeichnet. Und vom Etikett »Achse des Bösen«, das George W. Bush dem Land aufgedrückt hat, konnte sich die Islamische Republik trotz des Nuklearabkommens offenbar auch nicht befreien. Schließlich gilt auch die Verbindung von Politik und Religion als ein Problem, denn in ihr vermutet man eine ideologische Ausrichtung, die einer rationalen Außenpolitik zuwiderläuft. Wenig überraschend ist es, dass Iran eine ganz andere Selbstwahrnehmung hat.
Die ideologische Dimension iranischer Außenpolitik liegt neben ihrer islamischen Ausrichtung vor allem in einer explizit antiimperialistischen Haltung begründet. Iran fühlt sich verpflichtet, für die Interessen der weltweiten muslimischen Gemeinschaft (ommat) einzustehen. Überall dort, wo Muslime entrechtet werden, will die Islamische Republik den Unterdrückten (mostazafin) zur Seite stehen. Dabei spielt die Konfession der Muslime keine Rolle. So ergreift Iran nicht ausschließlich Partei für schiitische Gruppierungen: Die von Iran unterstützte Hamas ist sunnitisch. Im zuletzt neu aufflammenden Bergkarabach-Konflikt ergreift Iran nicht die Seite der schiitischen Azerbaidschaner, sondern stützt die aus Teheraner Sicht unterdrückten christlichen Armenier. Die antiimperialistische Position iranischer Außenpolitik richtet sich zwar primär gegen die USA und Großbritannien, tritt aber auch überall dort in Erscheinung, wo Volksgruppen ihrer Bürgerrechte beraubt werden, wie z.B. die mehrheitlich sunnitischen Palästinenser in Israel, aber natürlich auch die unterdrückte schiitische Mehrheit in Bahrain, die schiitischen Houthis in Jemen oder die schiitische Minderheit Saudi-Arabiens. Damit solidarisiert sich Iran nach eigener Aussage mit dem aus seiner Sicht politisch legitimierten Kampf dieser Volksgruppen und ihrer Organisationen. Die Hamas kämpft demnach für das Recht der Palästinenser auf Rückkehr in die von Israel besiedelten Gebiete; die Hizballah dient dem Schutz Libanons vor einer erneuten Besetzung durch Israel, Hashd al-Sha’bi kämpfen in Irak gegen IS, und die Houthis in Jemen wollen ihr Recht auf politische Teilhabe sicherstellen. Diese nichtstaatlichen Gruppen haben gemein, dass sie in einem Territorium oder einem Nationalstaat verwurzelt sind. Einfacher formuliert bedeutet das: Hamas sind Palästinenser, Hizballah sind Libanesen, Hashd al-Sha’bi sind Iraker und Houthis Jemeniten. Das mache es möglich, so die Teheraner Haltung, mit ihnen zu verhandeln und auf eine Lösung hinzuarbeiten. Darüber, dass Verhandlungen mit diesen Gruppen jedoch schwierig sind, weil sie sich zum Teil terroristischer Mittel bedienen, um ihre politischen Ziele zu erreichen, spricht kaum ein iranischer Gesprächspartner. Ebenso wenig räumen Regierungsvertreter ein, dass die Ziele dieser nichtstaatlichen Akteure vor allem Irans eigenen Interessen in der Region nutzen – es also keineswegs nur darum geht, sich für mostazafin einzusetzen.
Auch Irans Haltung gegenüber Israel ist stark ideologisch geprägt. Seit Gründung der Islamischen Republik erkennt Iran Israel als Staat nicht an und bezeichnet das Land offiziell als »zionistisches Besatzungsregime«, das den Palästinensern Land geraubt hat. Vor der Revolution pflegte Reza Schah Pahlawi gute Beziehungen zum jüdischen Staat. Auch aus diesem Grund bezeichnete Ayatollah Chomeini Israel als den »kleinen Satan« neben den USA als dem »großen«. Während Irans Kritik an Israels Vorgehen gegen die Palästinenser in Gaza und im Westjordanland auch im Westen weit verbreitet ist und als politische Position zwar umstritten ist, aber akzeptiert wird – sowohl auf politischer als auch auf gesellschaftlicher Ebene –, wird die Ablehnung des Existenzrechts Israels als Völkerrechtsbruch zurückgewiesen. Holocaust-Leugnungen durch Offizielle, Karikaturenwettbewerbe und Ausstellungen mit antisemitischen Entgleisungen sind vor allem aus deutscher Sicht untragbar. Auch wenn diese Haltung eine Konstante in der iranischen Außenpolitik bleibt, macht Rohani immer wieder deutlich, dass diese nichts mit dem Judentum als Religion zu tun hat, und ist bemüht, sowohl die Lebenssituation der Juden in Iran zu verbessern als auch mit Grußbotschaften an jüdischen Feiertagen dem internationalen Judentum Respekt zu erweisen. Für die Lösung der Palästinenserfrage betonte Revolutionsführer Ayatollah Chamenei zuletzt 2005 öffentlich, dass Iran ein Referendum in Israel und den palästinensischen Gebieten unterstützen würde, in dem alle christlichen, jüdischen und muslimischen Bewohner abstimmen sollten, in welcher gemeinsamen Staatsform sie leben wollen. Damit lehnt Iran eine Zwei-Staaten-Lösung ganz klar ab.
Dass westliche Beobachter die Politik Irans gegenüber seinen Nachbarländern nicht verstehen, liegt u.a. auch darin begründet, dass sie zu wenig Kenntnis von den Prozessen der Entscheidungsfindung in der Islamischen Republik haben. Wie in fast allen politischen Bereichen in Iran gibt es auch in der Außenpolitik Entscheider und Gestalter. Die letztendliche Entscheidungskompetenz bei allen wichtigen außenpolitischen Themen obliegt dem Revolutionsführer Ayatollah Chamenei. Das sind naturgemäß alles Fragen, die die nationale Sicherheit des Landes betreffen und vor allem die Politik Irans gegenüber seinen Nachbarländern Irak und Afghanistan sowie gegenüber Syrien, Libanon und den Monarchien am Persischen Golf – allen voran Saudi-Arabien. Von ebenso großer sicherheitspolitischer Bedeutung ist das Nukleardossier des Landes. Und zu guter Letzt hat Ayatollah Chamenei eine klare Vision von den iranischen Beziehungen zu Russland und dem Westen. Der Revolutionsführer gibt in allen diesen Feldern eine grundsätzliche Richtung vor und steckt den Rahmen des Erlaubten ab, innerhalb dessen die politische Ausgestaltung erfolgt.
Diese wird in erster Linie im Außenministerium erarbeitet. Jeder vom Staatspräsidenten vorgeschlagene Kandidat für das Amt des Außenministers benötigt die (wenn auch informelle) Zustimmung des Revolutionsführers, um das Amt schließlich bekleiden zu dürfen. Erst danach stellt sich der Kandidat dem Parlament vor, das ihm sein Vertrauen aussprechen muss. Die Abgeordneten wissen in der Regel, ob der zur Wahl stehende Kandidat den Segen des Revolutionsführers hat. Informationen hierüber werden von dessen Büro unter den Abgeordneten in Umlauf gebracht. Entsprechend steigen die Chancen jenes Kandidaten, vom Parlament ins Amt des Außenministers gewählt zu werden. Dieser Vorgang ist deshalb bedeutend, weil häufig vermutet wird, der amtierende Außenminister Djavad Zarif handle entgegen den Vorstellungen des Revolutionsführers. Was es bedeutet, wenn man beim Revolutionsführer in Ungnade fällt, bekam der ehemalige Staatspräsident Mahmud Ahmadinejad zu spüren, als er seinen Außenminister Manutchehr Mottaki eigenmächtig absetzte. Eine solche Entscheidung bedarf stets der engen Absprache zwischen Staatspräsident und Revolutionsführer. Ahmadinejad hatte von Beginn seiner Amtszeit an ein angespanntes Verhältnis zu Mottaki, der dafür bekannt war, bei der Präsidentschaftswahl 2005 nicht Ahmadinejad, sondern dessen Gegner Ali Laridjani unterstützt und gewählt zu haben.
Das Außenministerium konsultiert im Zuge seiner Politikgestaltung zahlreiche Experten aus Wissenschaft und Think- Tanks, die zu Beratungsgesprächen und Hintergrundbriefings eingeladen werden. Besonders seit der Amtszeit des Außenministers Djavad Zarif ist der Kontakt zu Institutionen außerhalb des Ministeriums intensiviert worden. Auch die Präsenz dieser Experten auf internationalen Konferenzen hat spürbar zugenommen. Dieser Austausch mit Kollegen internationaler Institute und Think-Tanks wird wesentlich stärker gefördert als noch vor wenigen Jahren.
Alle Positionen und Strategien des Außenministeriums, die eine sicherheitspolitische Relevanz haben, müssen dem Hohen Nationalen Sicherheitsrat (HNSR) vorgelegt werden. Den Vorsitz dieses 13-köpfigen Gremiums hält laut Verfassung der jeweilige Staatspräsident, der auch den geschäftsführenden Sekretär benennt. Die Wahl Rohanis fiel auf Ali Shamchani – einen General, der in der Regierung des ehemaligen Staatspräsidenten Mohammad Chatami (1997–2005) Verteidigungsminister war. Überdies sind vier Ressortleiter aus der Regierung ständige Mitglieder des HNSR: Außenminister Djavad Zarif, Innenminister Abdolreza Rahmani Fazli, Geheimdienstminister Mahmud Alavi sowie Verteidigungsminister Hossein Dehghan. Ein weiteres ständiges Mitglied ist Mohammad Bagher Nobacht, Vorsitzender der staatlichen Organisation für Management und Planung, der auch das Amt des Regierungssprechers bekleidet und somit ebenfalls zum engeren Kreis der derzeitigen Regierung zählt. Aus dem Militärapparat gehören dem HNSR laut Verfassung auch der Kommandeur der Revolutionsgarden Mohammad Ali Djafari, der Kommandeur der nationalen Armee Ataollah Salehi sowie der Generalstabschef der vereinten iranischen Streitkräfte Mohammad Bagheri an. Mit dem Präsidenten der Justiz, Ayatollah Sadegh Laridjani, seinem Bruder und Parlamentspräsidenten Ali Laridjani und dem Repräsentanten des Revolutionsführers im HNSR, Sa’id Djalili, wird der Mitgliederkreis komplett. Im Hohen Nationalen Sicherheitsrat sind also die ranghöchsten Vertreter der Islamischen Republik vertreten. Sieben der 13 Mitglieder des HNSR stehen dem Staatspräsidenten und somit der Regierung nahe. Die häufig geäußerte Vermutung, der HNSR untergrabe die von der Regierung vorgegebene Außenpolitik, trifft daher nicht zu. Dem Revolutionsführer stehen zur Entscheidungsfindung darüber hinaus außenpolitische Berater zur Seite. Der bedeutendste von ihnen ist der ehemalige Außenminister Ali Akbar Velayati, ein prominenter Politiker der Prinzipientreuen.
Außenpolitische Themen werden zwar auch im parlamentarischen Ausschuss für Auswärtige Politik und Nationale Sicherheit behandelt, dieser hat jedoch nur beratende Funktion. Mitglieder dieses Ausschusses tragen zudem außenpolitische Themen in Interviews und über Plenardebatten in die Öffentlichkeit. Hierbei schießt so mancher Parlamentarier über das Ziel hinaus. Im Herbst 2014 wurde Alireza Zakani, ein erzkonservativer Prinzipientreuer, mit den Worten zitiert, Iran kontrolliere nach Bagdad, Damaskus und Beirut mit Sanaa bald die vierte arabische Hauptstadt. Diese Aussage verbreitete sich wie ein Lauffeuer in den Medien der Nachbarstaaten Irans und sorgte für große Empörung. Seither vergeht kaum eine Diskussion mit Gesprächspartnern aus arabischen Staaten ohne Verweis auf die Worte Zakanis. Dass dieser jedoch keinerlei Einfluss auf die Außenpolitik Irans hat, ging bei den Debatten völlig unter. Darauf wurde auch von iranischer Seite nicht hinreichend hingewiesen – vermutlich um den eigenen Parlamentarier nicht bloßzustellen. Dieses Beispiel zeigt aber, wie wichtig es ist, stets darauf zu achten, wer in Iran was sagt und wie politisch einflussreich diese Person tatsächlich ist. Das macht ihre provokanten Aussagen sicherlich nicht erträglicher, aber ihr politischer Einfluss kann so besser eingeschätzt werden.
Es heißt, dass Chamenei in 99 Prozent aller Fälle von seinem Veto gegenüber den Politikempfehlungen des HNSR keinen Gebrauch macht. Dies kann einerseits bedeuten, dass er dem Gremium vertraut, andererseits, dass sich der HNSR immer an den vom Revolutionsführer vorgegebenen Rahmen hält. Das wohl berühmteste Veto legte er 1998 ein. Nachdem die Taliban im afghanischen Mazar-i Sharif 1997 ca. 8000 Schiiten (hazara) ermordet und ein Jahr später 10 iranische Diplomaten getötet hatten, plädierte der HNSR für einen militärischen Einmarsch in das Nachbarland. Ayatollah Chamenei begründete seine Veto-Entscheidung sinngemäß so, dass niemand, der in Afghanistan einmarschiere, dort auf absehbare Zeit wieder herauskomme.
Je weniger Spannungen und politische Machtkämpfe es auf staatlicher Ebene gibt, desto effektiver und effizienter interagieren Außenministerium, HNSR und die außenpolitischen Berater des Revolutionsführers. Besonders während der zweiten Amtszeit Mahmud Ahmadinejads (2009–2013) spitzten sich die Dissonanzen innerhalb des Außenministeriums sowie zwischen ihm und dem HNSR zu. Ahmadinejad gab seinen Stellvertretern und Beratern mehr innen- und außenpolitische Kompetenzen, als ihnen per Gesetz zusteht. Und er brachte eine ganze Reihe prominenter Vertreter der Systemelite öffentlich in Misskredit, indem er ihnen Vetternwirtschaft und Korruption vorwarf. Zu diesen Personen gehörten der ehemalige Staatspräsident Ali Akbar Hashemi-Rafsandjani, der ehemalige Innenminister Ali Akbar Nategh-Nuri sowie der heutige Staatspräsident Hassan Rohani. Letzterer war in der Amtszeit Ahmadinejads geschäftsführender Sekretär und Repräsentant des Revolutionsführers im HNSR. Hashemi-Rafsandjani, auf den es Ahmadinejad besonders abgesehen hatte, war bereits damals Vorsitzender des Feststellungsrates. Nategh-Nuri hatte zwar kein offizielles Amt inne, war jedoch als ehemaliger Innenminister vor allem im Kreise des politischen Klerus weiterhin einflussreich. Auch mit Parlamentspräsident Ali Laridjani legte sich Ahmadinejad an, als er dessen jüngerem Bruder Fazel Laridjani öffentlich Korruption vorwarf.
Man könnte annehmen, diese einflussreichen Politiker hätten sich zusammenschließen und gegen Ahmadinejad vorgehen können. Dies taten sie jedoch aus Rücksicht auf Revolutionsführer Chamenei nicht, der Ahmadinejads Präsidentschaft deckte. So entluden sich die Spannungen in Sitzungen des HNSR, des Feststellungsrates und im Parlament. Selbst innerhalb des Außenministeriums – eines von der Ahmadinejad-Regierung geleiteten Ressorts – gab es Dissonanzen zwischen neuen und altgedienten Diplomaten. Letztere lehnten Ahmadinejads provokativ-konfrontative Rhetorik als einen wenig zielführenden Politikstil ab. Viele der für den Staatspräsidenten unliebsamen Diplomaten schickte er entweder als Botschafter in politisch unbedeutende kleine Länder, oder sie zogen sich selbst zurück, lehrten an der Universität oder in einem der Forschungsinstitute des Außenministeriums. Die erwähnte eigenwillige Absetzung des damaligen Außenministers Manutchehr Mottaki durch Ahmadinejad bildete hier nur die Spitze des Eisbergs.
Eine solche innere Zerstrittenheit erschwert die außenpolitische Handlungsfähigkeit. Während inhaltliche Differenzen für den Entscheidungsfindungsprozess förderlich sind, machen machtpolitische Reibereien eine Konsensbildung für politische Entscheidungen fast unmöglich. Das hat sich seit der Amtsübernahme von Hassan Rohani und der Vereidigung Djavad Zarifs als Außenminister deutlich gebessert. Die Führungsebene des Außenministeriums wird in ihrer Position und Kompetenz ebenso respektiert wie die Autorität des HNSR und der Vertreter des Sicherheits- und Militärapparates.
Inhaltliche Differenzen gibt es indes weiterhin. Während man sich hinsichtlich der allgemeinen strategischen Ziele einig ist, gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, welche außenpolitische Ausrichtung und welche Maßnahmen zur Erlangung dieser Ziele am ehesten geeignet sind. Auch bei der Frage der außenpolitischen Rhetorik gibt es voneinander abweichende Meinungen, wie z.B. in der Frage des Umgangs mit dem regionalen Rivalen Saudi-Arabien. Während die derzeitige Regierung der Auffassung ist, dass ein versöhnlicher und auf Kooperation setzender Ton gegenüber Riad der beste Weg zur Sicherung eines halbwegs intakten Verhältnisses beider Länder ist, teilen besonders die Revolutionsgarden die Auffassung, man müsse einen abschreckenden und eher konfrontativen Ton anschlagen, um Saudi-Arabien in seine Schranken zu weisen. Jüngstes Beispiel dafür waren die Reaktionen aus Teheran auf Ereignisse in Bahrein. Das Al-Khalifa-Königshaus hatte dem schiitischen Geistlichen Ayatollah Isa Qassim die Staatsbürgerschaft und somit die Bürgerrechte entzogen. Außenminister Zarif verurteilte diese Maßnahme, blieb aber in seinen Ausführungen allgemein. General Ghassem Soleimani hingegen drohte damit, dass solche Schritte zu einer Revolution in Bahrein führen würden – eine Botschaft, die viele Beobachter als Aufruf zum Aufstand der Schiiten Bahreins verstanden.
Als Beispiel dient auch die Situation in Irak im Sommer 2014, als das Land im Chaos versank und der IS die Stadt Mosul einnahm. Bei der Frage, ob der damalige Premierminister Nuri al-Maliki weiter von Teheran unterstützt werden sollte, gab es zwischen Regierung und Militärapparat Differenzen. Staatspräsident Rohani war der Auffassung, dass es für die Stabilisierung Iraks und der Sicherung dortiger Interessen Irans besser sei, al-Maliki zu einer Amtsübergabe an den weit weniger autoritär eingestellten Haidar al-Abadi zu bewegen. Kommandeure der Revolutionsgarden hingegen sahen in al-Maliki den geeigneteren Mann für Teherans Interessen. Ihm traute man eher zu, die Situation in Irak wieder in den Griff zu bekommen. Schließlich setzte sich die Regierungsposition im HNSR durch, und Haidar al-Abadi erhielt für den Machtwechsel neben der Unterstützung der USA auch die Irans.
Ayatollah Chamenei muss bei politischen Differenzen dieser Art darauf achten, keine Seite auf Dauer zu vernachlässigen. Vereinfacht gesagt muss er die politischen Teilerfolge der einen Seite mit Zugeständnissen an die andere Seite wieder ausgleichen. So stellte er sich der versöhnlichen Ausrichtung der Regierung gegenüber Saudi-Arabien nie in den Weg. Gleichzeitig können jedoch Akteure aus dem Sicherheitsapparat unbehelligt ihre verbalen Attacken Richtung Riad feuern. Doch solange interne Differenzen inhaltlich bleiben und nicht als Ventil machtpolitischer Spannungen genutzt werden, bleibt die außenpolitische Linie Teherans trotz unterschiedlicher Äußerungen aus Regierungs- und Militärkreisen kongruent. Vor allem in der Außenpolitik erschwert die voneinander abweichende Rhetorik es den Partnern, sich zurechtzufinden. So konnte man bei den Nuklearverhandlungen eine Art »good cop, bad cop«-Strategie beobachten. Während der Staatspräsident, sein Außenminister und das gesamte Verhandlungsteam in höchsten Tönen von ihren Verhandlungspartnern sprachen, betonten andere Systemvertreter stets ihre kritische Haltung – selbst wenn sie Befürworter des Abkommens waren. Dies war eine Methode, die Verhandlungsposition der iranischen Seite zu stärken. Denn nach außen machte man deutlich, dass es im Land Kräfte gab, die das Team um Außenminister Zarif unter Druck setzten, nach innen wirkten unterschiedliche Äußerungen stabilisierend. Entscheidend war jedoch, dass immer dann, wenn der interne Druck auf das Verhandlungsteam zu groß wurde, sich ein namhafter Vertreter des Systems oder der Revolutionsführer selbst für das Team um Djavad Zarif aussprach. Wahrscheinlich können nur Insider erkennen, ob es sich bei den differierenden Äußerungen um ein strategisches Kalkül handelt, das vor allem nach innen wirken soll, oder ob es tatsächliche Streitigkeiten gibt.
Die Stabilität bei der Entscheidungsfindung auf politischer Ebene ist seit dem Amtsantritt von Staatspräsident Hassan Rohani 2013 wieder gegeben. Als erfahrener Akteur aus dem Sicherheitsapparat ist er mit allen relevanten Institutionen bestens vernetzt, versteht sich im Umgang mit einflussreichen Akteuren und genießt fraktionsübergreifend hohe Reputation in sicherheitspolitischen Fragen. Damit vereint er alle notwendigen Eigenschaften, um gemeinsam mit so unterschiedlichen Personen wie dem Diplomaten Zarif und den Kommandeuren der Revoluti...

Inhaltsverzeichnis

  1. Realitäten einer anderen Welt
  2. Die Revolution weist den Weg. Zwischen Demokratie und Theokratie
  3. Hüter der Nation und des Systems. Das Militär und die Revolutionsgarden
  4. Der Tradition verpflichtet, die Moderne im Blick. Eine neue Generation Geistlicher
  5. Große Erwartungen. Die Wirtschaft nach dem Ende der Sanktionen
  6. Auf internationalem Parkett. Außenpolitik zwischen Kalkül und Mission
  7. Die Schere im Kopf. Zensur und Selbstzensur in den Medien
  8. Quelle des Protests. Die politische Rolle der Universitäten
  9. Eine andere Zivilgesellschaft. Vom Wunsch nach mehr Verantwortung
  10. Zwischen Emanzipation und Bevormundung. Die Gleichstellung der Frauen
  11. Der Vielfalt gerecht werden. Mehrheiten und Minderheiten
  12. Morgendämmerung
  13. Anmerkungen
  14. Der Autor
  15. Impressum