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Sterbefasten
Freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit - Eine Fallbeschreibung
- 171 Seiten
- German
- ePUB (handyfreundlich)
- Über iOS und Android verfügbar
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Sterbefasten
Freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit - Eine Fallbeschreibung
Über dieses Buch
Der freiwillige Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit – Sterbefasten genannt – ist eine natürliche Form des Sterbens. Der Tod tritt selbstbestimmt aufgrund von Unterlassen, nicht durch eine aktive Handlung ein. Christiane zur Nieden beschreibt authentisch, wie sie ihre Mutter beim Sterbefasten begleitete und welche widersprüchlichen Gedanken und Gefühle auch sie selbst durchlebte. Sie stellt wichtige Aspekte des Prozesses vor, etwa die richtige Pflege, gelungene Kommunikation, rechtliche Voraussetzungen und die kontroverse Debatte um das Thema. Das Buch macht Betroffenen und Angehörigen Mut und zeigt, dass ein selbstbestimmtes, würdevolles Sterben bei gut angeleiteter Begleitung auch zu Hause möglich ist.
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Information
Teil II
Erläuterungen zum Sterbefasten

Die Hände meiner Mutter, gezeichnet von meinem Bruder, Michael Görler.
19 Begriff und Geschichte
Der freiwillige Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit ist so alt wie die Menschheit selbst. Schon in der Antike wird diese Möglichkeit des selbstbestimmten Sterbens erwähnt. Es wird von alten, gebrechlichen Prärie-Indianern17 berichtet, die sich mit klarem Verstand von ihrem Stamm verabschiedeten, um alleine zurückzubleiben, wenn dieser aufbrach, um neue Weidegründe zu suchen. Auch im Jainismus (oder Jinismus),18 einer Schwesterreligion des Buddhismus,19 die in Indien beheimatet ist, ist das Selbsttöten durch Fasten bis zum Tode als einzige Selbsttötungsform erlaubt.20 „Alle anderen Methoden wie etwa das Erhängen, der Sprung von einem Felsen in die Tiefe oder der mittels der Waffe herbeigeführte Tod werden fast uneingeschränkt verworfen und der Kategorie ‚Sterben der Narren‘ (…) zugerechnet. Umgekehrt wird jedoch das Sterbefasten als ‚Sterben der Weisen‘ (…) bezeichnet.“21 Das Sterbefasten bildet nach dieser Wahrnehmung sozusagen den krönenden Abschluss eines Lebens in Meditation und strenger Askese, das positive Auswirkungen auf das Schicksal nach dem Tode haben soll.22
Heutzutage gibt es im europäischen Raum verschiedene Bezeichnungen desselben Sachverhalts. In dem niederländischen Buch Uitweg von Boudewijn Chabot und Stella Braam beschreiben die Autoren unterschiedlichste Möglichkeiten, um „een waardig levenseinde in eigen hand“ (ein würdiges Sterben durch die eigene Hand) herbeizuführen, worunter auch das „Stoppen met eten en drinken – STED“ (Aufhören mit Essen und Trinken) genau beschrieben wird.23 In Ausweg am Lebensende. Selbstbestimmtes Sterben durch freiwilligen Verzicht auf Essen und Trinken24 verwenden die Autoren Boudewijn Chabot und Christian Walther durchgehend das Kürzel „FVNF – freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit“ – erwähnen aber auch, dass die Flamen „afscheid van spijs en drank“ und die Engländer „refusal of food and drink“ dazu sagen.25
In Deutschland variieren die Begriffe und Kürzel: FVNF und Sterbefasten. Ich selbst finde den Begriff „Sterbefasten“ recht passend für diese Sterbeart und werde ihn vorzugsweise in meinen Ausführungen benutzen. Fasten bedeutet, sich für eine bestimmte Zeit ganz oder teilweise der Nahrung zu enthalten oder auf den Genuss bestimmter Speisen zu verzichten.26 Fasten kann eine therapeutische Handlung sein, die man als Hilfsmaßnahme in der Medizin, als Nahrungskarenz, etwa bei akuter Pankreatitis (Bauchspeicheldrüsenentzündung), einsetzt. Es kann aber auch eine religiöse Handlung sein, zum Beispiel kollektives Fasten in der Zeit nach Karneval oder individuelles Fasten, beispielsweise Heilfasten zur Entschlackung, zur Genesung, zur Gewichtsreduktion, zur äußerlichen und inneren Reinigung.
Der Mediziner Gian Domenico Borasio erwähnt in seinem Buch Selbst bestimmt sterben27 in einer Fußnote, dass er den Begriff „Sterbefasten“, der für religiöse oder gesundheitliche Aspekte verwendet wird, hier unangebracht findet. Ich hingegen denke, dass gerade dieser Begriff den selbstgewählten Sterbeprozess gut umschreibt, da es genau die neurophysiologischen Auswirkungen von Nahrungsrestriktion und Fasten sind, die diesen Prozess zu einem nicht leichten, aber gangbaren Prozedere machen. Genauer beschreibe ich diese Zusammenhänge noch im nächsten Kapitel.
Das Fasten kombiniert in genialer Weise eine physiologische und spirituelle Reinigung beim Menschen. Somit bietet es einen Übergang zwischen verschiedenen Zuständen, sei es zeitlich, etwa zwischen Karneval und Ostern, oder physiologisch, zum Beispiel zwischen übersäuertem und gesundem, bereinigtem Körper. Auch bei Tieren kennen wir dieses Verhalten, bei dem sie instinktiv, beispielsweise bei Krankheit oder kurz vor dem Tod nicht mehr fressen.
Nicht zuletzt ist Fasten im Grunde ein Vorgang, den wir nächtlich wiederholen und den wir morgens durch „breakfast“ (englisches Wort für Frühstück; „break“ = brechen, „fast“ = fasten) wieder beenden. Fasten ist immer freiwillig und selbst gewählt.
Es wird gerne als „Königsdisziplin vieler alternativer Heilverfahren“28 bezeichnet. Ist es nicht auch eine Art Heilung oder zumindest eine Reinigung physiologischer und spiritueller Art, wenn man sein Lebens- und sein Krankheitsleiden in harmonischem Einklang mit sich und seinen Begleitern zu einem guten Ende (aus Sicht des Sterbewilligen) bringt, nämlich dem Tod? In anderen Kulturen29 sieht der Mensch das Sterben nicht als etwas Böses, Vernichtendes an, das es zu überlisten und zu bekämpfen gilt. Der Tod mag eine Erlösung und herbeigesehnter Zustand sein, der durch Sterbefasten erreicht werden kann.
17Vgl. https://www.exit.ch/fileadmin/user_upload/files/download/mitglieder-magazin/EXIT1101D.pdf, S. 11 (Stand: 17.01.2016).
18Vgl. http://www.indi-guide.de/Indien/jainismus (Stand: 17.01.2016).
19Vgl. Delhey, Martin: Zum Verständnis der Selbsttötung im Buddhismus. Göttingen 2005, S. 150.
20Vgl. Chabot, Boudewijn/Braam, Stella: Uitweg. Amsterdam 2012, S. 68.
21Delhey, Martin: Zum Verständnis der Selbsttötung im Buddhismus. Göttingen 2005, S. 151.
22Vgl. a. a. O., S. 150 ff.
23Vgl. Chabot, Boudewijn/Braam, Stella: Uitweg. Amsterdam 2012 (4. Auflage). Siehe auch: Stoppen met eten en drinken. NVVE, Amsterdam 2009.
24Chabot, Boudewijn/Walther, Christian: Ausweg am Lebensende. Selbstbestimmtes Sterben durch freiwilligen Verzicht auf Essen und Trinken. München 2015 (4. Auflage).
25Vgl. Chabot, Boudewijn/Braam, Stella: Uitweg. Amsterdam 2012 (4. Auflage). S. 67.
26http://www.duden.de/rechtschreibung/fasten (Stand: 17.01.2016).
27Borasio, Gian Domenico: Selbst bestimmt sterben. München 2014, S. 197.
28http://www.zeit.de/zeit-wissen/2010/05/Iss-dich-gluecklich/seite-4 (Stand: 17.01.2016).
29Vgl. Rinpoche, Sogyal: Das Tibetische Buch vom Leben und vom Sterben. San Francisco, 2001; vgl. auch Longaker, Christine: Dem Tod begegnen und Hoffnung finden. Die emotionale und spirituelle Begleitung Sterbender. München, Zürich 1998 (2. Auflage).
20 Physiologie des Sterbefastens
Wenn jemand bewusst auf Essen und Trinken verzichtet, tritt ganz allmählich eine umfassende Schwächung ein. In der ersten Zeit des Fastens ist der Mensch noch bei völlig klarem Bewusstsein. Der Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit bereitet keine Schmerzen, es sei denn, eine andere Grunderkrankung ist schon vorhanden.
In Ausweg am Lebensende wird erwähnt, dass in den ersten Tagen des Sterbefastens durch den Flüssigkeitsverzicht Kopfschmerzen auftreten können.30 Ich denke, dass diese Kopfschmerzen nur bei den Menschen auftreten, die, sozusagen aus dem vollen Leben heraus, die Sterbefastenzeit beginnen. Auch hier liegen Parallelen zum Heilfasten nahe, bei dem eine gute Vorbereitungszeit mit reduziertem Ess- und verändertem Trinkverhalten (etwa weniger Kaffee) die anfänglichen Probleme des Fastens (wie Kopfschmerzen oder großen Hunger)31 minimiert oder verhindert. Meiner Mutter, die wohl schon Wochen vor dem Sterbefasten ihr Essen und Trinken auf ein Minimum reduziert hatte, blieben diese Nebenwirkungen erspart.
Es ist nicht das Einstellen der Nahrung, welche zum Tode führt, sondern die sogenannte Dehydrierung. Durch fehlende Flüssigkeit können die Nieren den Harnstoff (Abfallprodukte des Stoffwechsels) nicht mehr ausscheiden, so dass es zu einem Anstieg des Harnstoffspiegels im Blut kommt, was wiederum zu zunehmender Schläfrigkeit führt. Diese steigert sich, bis der Sterbende nicht mehr ansprechbar ist und sozusagen in seinen Tod hineinschläft. Zusätzlich stellt sich der Körper bei stark reduziertem oder völligem Nahrungsentzug schon nach 24 Stunden auf einen „Hungerstoffwechsel“ um, was dazu führt, dass der Blutkreislauf langsamer arbeitet und die Körpertemperatur sinkt. Im Laufe des Sterbeprozesses kommt es zu einer Arrhythmie des Herzens. Die Pumpbewegungen des Herzmuskels lassen allmählich nach bis zum endgültigen Herzstillstand.
Rein physiologisch gesehen hat Fasten zunächst einmal dieselben Auswirkungen wie das Hungern. Bei lang anhaltendem Hunger (wie etwa in Kriegszeiten) werden Stresshormone (zum Beispiel Cortisol) ausgeschüttet, was zu psychischen Auswirkungen wie Unruhe, erhöhter Aggressivität und Unlust führt. Elementar für Gelingen und Aushalten des Sterbefastens ist die Tatsache, dass sich der Sterbende freiwillig für den Nahrungsverzicht entscheidet, denn: Die psychischen und physischen Folgen der Stresshormonausschüttung tauchen nur verhalten auf oder werden effizient verhindert, wenn der Mensch „nicht hungert, sondern fastet – freiwillig, ohne Angst und ohne Stress“.32 Die psychische Komponente des freiwilligen Entschlusses, auf Nahrung zu verzichten, ist hier für die „stimmungsstabilisierende und spannungslösende“33 Wirkung beim Fasten von äußerster Wichtigkeit. Denn es kommt beim selbstgewählten Verzicht vermehrt zu einer Ausschüttung von „Glückshormonen“ (Endorphinen).34 Das Einstellen von Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr sorgt für eine Elektrolytverschiebung und die Bildung von Ketonen, wodurch ebenfalls Endorphine produziert werden.35 Sowohl die Ketone als auch die morphinähnlichen Endorphine sorgen für eine gewisse Schmerzreduktion.36 Bei Menschen mit schweren Erkrankungen kann das Einstellen der Flüssigkeitsund Nahrungszufuhr sogar zu verbessertem Wohlbefinden führen, da die Magensekretion vermindert wird, was weniger Brechreiz und Erbrechen hervorruft. Durch weniger Sekret in den Bronchien werden Hustenreiz und Verschleimung verringert. Die reduzierte Wasseransammlung in der Lunge verhindert die Ausbildung von Lungenödemen und macht weniger Absaugen nötig.37 Diese Menschen atmen ruhiger und entspannter, wenn man zum Beispiel auf Flüssigkeitsgabe durch Infusionen im Sterbeprozess verzicht...
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Impressum
- Inhalt
- Geleitwort
- Teil I Tagebuch eines Sterbens
- Teil II Erläuterungen zum Sterbefasten