Ernst Mohr
Wie wählen Konsumenten?
Die verkehrte Welt stilistischer Innovation
Die Welt der Ökonomen beginnt ganz einfach: Produzenten produzieren, Konsumenten konsumieren. Daran gibt es wenig auszusetzen, denn dies ist nur eine Definition. Zudem eine praktische. Denn mit der Idee eines zwischen beide geklemmten Marktes bringt man sofort Ordnung in beider Beziehungen: Produzenten verkaufen, was sie produzieren, an die Konsumenten, und diese kaufen ihnen ab, was sie auswählen. Wenn Konsumenten produzieren, zum Beispiel in ihrem Haushalt, dann nur für den Eigengebrauch. Verkaufen tun sie es nicht, sonst wären sie ja Produzenten. Die Dichotomie von Produzentenproduktion und Konsumentenkonsum und der dazwischen liegende Verkaufs- und Kaufakt werden so zum festen Fundament für die Analysen der Ökonomen.
Dies schließt das Neue mit ein. Auch Innovationen werden auf diesem Weg in die gedankliche Welt geschleust: Sie werden von Produzenten – beziehungsweise auf deren Kosten – erschaffen und nicht von Konsumenten, sonst wären sie ja keine Konsumenten mehr. Konsuminnovation wird so zur Schöpfung von Produzenten, verdankt sich scheinbar dem Genius ihres dafür bezahlten Personals (Ingenieure, Produkt- und Modedesigner, Kreativdirektoren und Markenmanager) – sowie der Auswahl von Konsumenten aus dem von den Produzenten bunt gemachten Angebot aus Altem und Neuem.
Die Dichotomie von Produzentenproduktion und Konsumentenkonsum wird zum Fundament für mancherlei, was Ökonomen und deren Schülerschaft selbstverständlich geworden ist. Zum Beispiel für die Beantwortung der Frage, wie der Konsumgütermarkt funktioniert und warum grosso modo gut: Weil die eine Marktseite das verkauft, was sie selbst erschaffen, und die andere das kauft, was sie selbst nicht erschaffen hat, der Handwechsel also freiwillig ist. Der freiwillige Tauschakt– der Erwerb (statt der Appropriation) geschaffenen Eigentums– liefert das Gerüst für diese Zuversicht.
Ist sie aber berechtigt? Vielleicht ja! Aber auch aus diesem Grund? Ich behaupte, falls der Konsumgütermarkt gut funktioniert, dann aus anderem Grund. Zumindest in jenem Teil des Marktes, in dem Stilisierung eine Rolle spielt– im Produktdesign, in der Mode und den Moden, in den Lebensstilen und -künsten. Nicht dort, wo ein Sack Mehl die Hand wechselt, ist dieses Gerüst ein Trugbild, sondern hier: Die Schöpfung neuer Stile ist nicht das Werk der Konsumgüterindustrie; der Handwechsel dieses Werks zur Industrie, die den Konsumenten so Stilisiertes verkauft, ist kein Tauschakt, sondern eine Appropriation und deshalb nicht (zwingend) freiwillig. Wenn der gesamte Wertschöpfungsprozess von der Schöpfung neuer Stile bis zum Konsum stilisierter Güter gut, das heißt dynamisch effizient funktionieren sollte, dann nicht wegen der »unsichtbaren Hand« des Marktes. Denn in der stilistischen Innovation sind die Konsumenten die Schöpfer, und die Produzenten wählen aus, bezahlen aber nicht!
»The proof of the pudding is in the eating!« Finden wir das Gerüst für die ökonomische Zuversicht– nennen wir es die Orthodoxie – in der Wirklichkeit? Wie funktioniert der stilistische Innovationsprozess tatsächlich?
Was wechselt die Hand im freiwilligen Tausch?
Die Orthodoxie fußt auf einem Missverständnis: Der Sack Mehl ist empirisch nicht das Repräsentative, sondern die Ausnahme. Er spricht wortkarg zu uns, seine Bedeutung ist nicht mehr oder nicht viel mehr als die ernährungstechnische Funktionalität seines Inhalts. Der Fehler, den man macht, wenn man bei ihm von seiner Bedeutung abstrahiert und ihn als Ding – nur als Ding– ansieht, ist gering. Dies ist aber nicht verallgemeinerbar. Bereits derselbe Sack Mehl, in einem Museum inszeniert, spricht viel beredter zu uns. Seine Bedeutung liegt in der Bedeutung des Dings, das wir betrachten, und nicht mehr im Ding selbst. Nicht nur Kunstwerke sind mehr als das Ding an sich, sondern auch Konsummarken, Werbung, alles Stilisierte, das wir vor uns haben.
Auf dem Weg zu einer Systematik der Wertschöpfung im Konsumgütersektor ist es deshalb in einem ersten Schritt notwendig, ein Ding und seine Bedeutung auseinanderzuhalten. Sprechen wir deshalb von dem, was auf den Konsumgütermärkten die Hand im freiwilligen Tausch wechselt, als dem Objekt: Ein Objekt ist ein Ding zusammen mit seiner Bedeutung.
Konsum ist deshalb Objektkonsum und nicht Dingkonsum. Nicht nur das Marketing als Wissenschaft und Praxis nimmt das zur Kenntnis. Die Konsumanthropologie, speziell in der Teildisziplin »Material Culture«, leuchtet die Schnittstelle zwischen Mensch und den Bedeutungen von Objekten aus.1 In der Soziologie wurde die Wirkung von Objekten als Kitt und Trennmittel und damit Stabilisator der gesellschaftlichen Gruppenstruktur herausgearbeitet2 – eine Eigenschaft, die in der Absenz von unterschiedlichen Bedeutungen unterschiedlicher Dinge gar nicht denkbar wäre, und zeigt, warum der Dinge Bedeutung für den Menschen so wichtig ist. Die beiden Grundschulen der Semiotik schließlich befassen sich mit dem inneren Zusammenhang zwischen Ding und seiner Bedeutung, sei es als stabiler Endzustand3 oder als Entstehungsprozess4. Nicht das Insistieren, dass auf Konsumgütermärkten Objekte statt Dinge die Hand wechseln, ist die Außenseiterposition, sondern die, dass es nicht erforderlich sei, analytisch zwischen beiden zu unterscheiden.
Wenn es also Objekte und nicht (nur) Dinge sind, die freiwillig die Hand wechseln, ist in einem zweiten Schritt der Frage nachzugehen, wie denn Dinge mit ihrer Bedeutung ausgestattet werden, bevor sie die Hand wechseln. Denn nur wenn die Konsumgüterindustrie den Dingen, die sie verkauft, ihre Bedeutung »einpflanzen« würde, könnte man davon sprechen, die Konsumenten wählten im Kaufakt aus dem aus, was Unternehmen geschaffen haben. Nur dann trüge das Gerüst der Orthodoxie, und die Behauptung stimmte, die Konsu...
