Bahman Nirumand
Zufallstreffer
Die Kursbuch-Autoren haben Deutschland verändert – aber anders als gedacht
»Mit dem Schritt von der Ablehnung der autoritären Struktur der Universität und einer wertlosen, da prinzipienlosen Wissenschaftlichkeit des Lehrbetriebs zum Kampf gegen die formal-demokratische Ordnung der spät-kapitalistischen Gesellschaft ist die Bewegung der deutschen Studenten in den weltweiten Kampf der Avantgarde aller Länder um die Befreiung von Herrschaft und Unterdrückung eingetreten. Studentenunruhen – in den Ländern der dritten Welt schon längst ein politischer Faktor – sind in den Hochburgen des Spätkapitalismus ein unvorhergesehenes Phänomen, dem die etablierten Mächte mit hilflosen Integrationsversuchen oder aber mit provozierender Gewalt begegnen. Ganz allgemein läßt sich sagen, daß politische Aktionen von Studenten in größerem Ausmaß überall dort stattfinden, wo der Fortschritt einer Gesellschaft willkürlich gehemmt wird, sei es von Oligarchien in der dritten Welt, die ihre schmale soziale Basis nur reproduzieren können mit Hilfe von Ausbeutung und Unterprivilegierung der Massen, sei es durch eine verselbständigte Bürokratie in den osteuropäischen sozialistischen Staaten, die die Entfremdung des Volkes betreibt und nicht seine Emanzipation, oder schließlich durch die Repräsentanten des Monopolkapitalismus, dem die Menschen nichts sind als Konsumenten von Waren und Ideologie, Objekte einer umfassenden Manipulation ihres Bewußtseins und ihrer Bedürfnisse zum Zweck der Anpassung an die Erfordernisse von Herrschaft und Produktion. Ob in Deutschland des Vormärz oder auf Cuba zur Zeit Batistas – studentische Revolten brechen in allen Ländern der Erde aus, die historisch-objektiv an der Schwelle einer Revolution stehen.«
Aus: Kursbuch 13, »Die Studenten und die Macht«, 1968, S. 2–3
Den Text habe ich vor beinahe 50 Jahren geschrieben. Das war eine ganz andere Zeit. Es scheint auch ein ganz anderes Leben gewesen zu sei, eine andere Welt, eine andere Art zu schreiben, zu sprechen und zu denken. Der Artikel stellt die Frage, wieso ausgerechnet die Studenten, die ja damals noch stärker als heute meist bürgerlicher Abstammung waren, zur Avantgarde im internationalen Klassenkampf werden konnten. Und dass das so war, daran hatten wir damals keinen Zweifel. 1968 revoltierten ja nicht nur die Studenten in Berlin, Paris oder Berkeley. Auch in der iranischen Opposition spielten Studenten eine wichtige Rolle. Die Conföderation Iranischer Studenten/National-Union, kurz CISNU, hatte weltweit 100000 Mitglieder, davon über 60000 in Deutschland, wobei nicht alle Studenten waren. Auch in der kubanischen Revolution und in der chinesischen Kulturrevolution wirkten Studenten an entscheidender Stelle mit. In dem Artikel vertrat ich die These, dass die Studenten in den westlichen Ländern ein revolutionäres Bewusstsein entwickeln, weil sie den autoritären Geist an den Universitäten zu spüren bekommen, gleichzeitig aber noch keinen Rollenzwängen unterliegen und es sich schlicht leisten können, radikale politische Positionen zu beziehen. Sie riskieren ja damit nicht ihre Anstellung, weil sie noch gar keine Anstellung haben. In den unterentwickelten Ländern wiederum bekommen die Studenten noch weitaus stärker die gesellschaftliche Repression zu spüren, die Zensur und oft auch die rohe Gewalt. Weil sie gleichzeitig auch keine Karriereaussichten haben, es fehlt schlicht an Krankenhäusern ...
