Karen van den Berg
Kritik, Protest, Poiesis
Künstler mischen sich ein – von 1970 bis heute
I. Kritik
Als der Konzeptkünstler Hans Haacke 1971 eine von ihm erstellte Foto- und Textdokumentation über die finanziellen Transaktionen eines Immobilienkonsortiums im New Yorker Guggenheim Museum ausstellen wollte, kam es zum Skandal. Die Ausstellung wurde nur 30 Tage vor der Eröffnung abgesagt, und der damalige Direktor des Guggenheim Museums, Thomas Messer, entließ den verantwortlichen Kurator Edward F. Fry, nachdem dieser öffentlich für Haacke Partei ergriffen hatte.
Haackes Arbeit Shapolsky et al. Manhattan Real Estate Holdings, a Real-Time Social System, as of May 1, 1971, die später vielfach international gezeigt wurde, dokumentierte, wie ein Immobilienkonsortium Kapital aus der Verslumung Manhattans schlug. Das Werk besteht aus 146 Fotografien von New Yorker Gebäuden, wobei jeder Fotografie ein maschinengeschriebener Text zugeordnet ist, der die geografische Lage des Gebäudes aufzeigt und die zugehörigen finanziellen Transaktionen verzeichnet. Ergänzt wird diese Serie durch eine Reihe von Übersichtstafeln und Stadtpläne von Harlem und der Lower East Side.
Der Museumsdirektor hatte in einem Schreiben an Haacke erklärt, dass Kunst soziale und politische Konsequenzen nur »auf Umwegen und durch die verallgemeinerte exemplarische Kraft« haben könne.1 Der konkreten Dokumentation realer Immobilienbesitzverhältnisse, die der Künstler aus öffentlich zugänglichen Datenbanken zusammengetragen hatte, und der impliziten Kritik, die sich daraus ergab, wollte er in seinem Museum keinen Raum geben. Auch Haackes Angebot, die Daten zu anonymisieren, und seine rechtlich geprüfte Versicherung, dass im Falle der Ausstellung des Materials nicht mit einer Klage zu rechnen sei, änderte nichts an der Überzeugung des Direktors, dass hier die Grenzen der Kunst überschritten seien. Die Satzung des Museums, so ließ er den Künstler in einem Schreiben wissen, schließe »soziale und politische Ziele« aus.2
Haacke dokumentierte diese Korrespondenz im Anschluss in einer eigenen Buchpublikation.3 Der Skandal provozierte zudem eine Protestaktion von solidarischen Künstlern, die sich gegen diese Form der Zensur richteten und die Ausstellungsräume des Guggenheim Museum eine Zeitlang besetzten. So wurde die Arbeit Shapolsky et al. eines der meistdiskutierten Kunstwerke der frühen 1970er Jahre. Heute gilt sie längst als eines der Schlüsselwerke einer Kunstbewegung, die unter den Begriff »Institutional Critique« gefasst wurde – und seither für Kunstpraktiken steht, die ihre eigene institutionelle Rahmung und die sie bedingenden kunstpolitischen Machtverhältnisse zum zentralen Thema künstlerischer Werke erheben.
Haacke selbst arbeitete in einem solchen Sinne bereits seit Ende der 1960er Jahre. Seine Instrumente waren einfache statistische Erhebungsmethoden und Fragebögen. Seine Werke bestanden so zuweilen allein aus den von den Besuchern selbst erstellten Besucherprofilen. 1969 und 1971 hängte der Künstler beispielsweise in einer New Yorker und einer Kölner Galerie unter dem Titel »Galeriebesucher Wohnprofil« großformatige Karten in den Ausstellungsräumen auf, in welche die Besucher mit Stecknadeln ihren Geburts- und Wohnort eintragen sollten. Viele Ausstellungsprojekte, die Haacke in den 1970er Jahren realisierte, dienten so der Sichtbarmachung der sozialen Situierung des Ausstellungspublikums und waren somit gewissermaßen soziologische Untersuchungen mit künstlerischen Mitteln. Nicht immer wurden diese Beiträge deshalb als legitime Kunstpraxis anerkannt. Vor allem dann, wenn sich durch Haackes Dokumentationen Förderer der Institutionen angegriffen sahen, wurde der Künstler mit dem Vorwurf konfrontiert, ihm ginge es vor allem um skandalisierende Enthüllungen und weniger um Kunst.
1974 wurde der Künstler erneut aus einer Ausstellung ausgeschlossen. Seinerzeit war Haacke zur Jubiläumsausstellung des 150-jährigen Bestehens des Wallraf-Richartz-Museums eingeladen. Der Beitrag, den er eingereicht hatte, listete in zehn Schrifttafeln die Provenienz eines berühmten Bildes von Manet, dem Spargelbündel von 1880, auf, welches das Museum 1967 erworben hatte. Den Ankauf dieses Bildes hatte der Vorsitzende des Museumsvereins, Hermann Josef Abs, verantwortet. Eine von Haackes Schrifttafeln legte in der Folge auch seine Biografie und damit seine NS-Vergangenheit offen und machte sichtbar, dass dieser im Zweiten Weltkrieg als Banker zum Beraterteam von Adolf Hitler gehört hatte.
Blickt man auf die genannten Beispiele, so illustrieren sie allesamt, dass Haacke zu dieser Zeit mit der Technik kühler und akribischer Dokumentation und Datenerhebung operierte. Seine Arbeitsstrategie bestand in der unnachgiebigen Dokumentation von unliebsamen Fakten. Damit folgte der Künstler einer ganz bestimmten Spielart kritischer Praxis, die zeitgleich auch außerhalb des Kunstfeldes verbreitet war. Bei dieser Spielart meinte Kritik nicht das Ausloten von optionalen Bewertungen, das Interpretationsspielräume voraussetzt. Angesprochen war also nicht jenes Urteilsvermögen, das Immanuel Kant für das aufgeklärte Subjekt reklamierte und bei dem Kritik stets auch vernunftbegabtes Urteilen und das Abwägen von Alternativen bedeutete. Haacks Kritikansatz verdankte sich einer ganz anderen Haltung und folgte einem ganz anderen Verständnis. Seine datengestützten Listen und Karten atmen einen Geist, der sich auf das Aufdecken von unbequemen Wahrheiten verlegt und dem eigenen Selbstverständnis nach auf wissenschaftliche Verfahren der empirischen Sozialforschung und ihre Objektivierungskonzepte setzt. Haacke konfrontiert sein Publikum in den besagten Arbeiten mit Fakten und stützt sein Mandat als Kritiker auf Wissen. Er präsentiert sich mithin als sachlicher, analytischer Aufklärer, der über ein detektivisch aufgespürtes Sonderwissen verfügt. Was bei diesem Typus der Kritik oft vermisst wurde, war freilich eine Reflexion dieser Position selbst. Haacke galt – wie viele Politkünstler der 1970er Jahre – manchen als belehrend. Dass die So...
