
- 224 Seiten
- German
- ePUB (handyfreundlich)
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eBook - ePub
Über dieses Buch
Bürgerbeteiligung ist ein zentrales gesellschaftspolitisches Thema.
Dieses Buch beschäftigt sich insbesondere mit den Anforderungen an die Führung und Steuerung von Beteiligungsprozessen.
Der Autor beschreibt, welche Bedeutung die Wissensgesellschaft für die Bürgerbeteiligung hat. Er zeigt auf, wie die klassischen staatlichen Interventionsstrategien an Kraft verloren haben und welche Maßnahmen diese ersetzen. Dabei wird deutlich, dass diese Veränderung nicht nur das Außenverhältnis des Staates zur Gesellschaft, sondern auch die innere Modernisierung der Verwaltung wesentlich bestimmt.
Das Buch baut auf den Schulungsinhalten des Lehrgangs "Bürgerbeteiligung" auf.
Die Lehrgangsinhalte wurden gemeinsam von der Führungsakademie Baden-Württemberg, den Hochschulen für Öffentliche Verwaltung in Kehl und Ludwigsburg und der Universität Hohenheim entwickelt.
Häufig gestellte Fragen
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Information
1. Entwicklungslinien
1.1 Neue Steuerung und Bürgerbeteiligung
Ziel der neuen Steuerung
Das Wort Steuerung erweckt Assoziationen an ein zentrales Thema der letzten Reformdekaden öffentlicher Verwaltung, die als „Neue Steuerung“ oder auch als „New Public Management“ bekannt geworden sind. Zentrales Ziel dieser Steuerung war die Schließung von Effizienz- und Steuerungslücken, um die öffentliche Verwaltung angesichts rückläufiger Einnahmen und wachsender Aus- und Aufgaben funktionsfähig zu halten. Wesentliche Handlungsfelder waren die Binnenmodernisierung und die Kundenorientierung der öffentlichen Verwaltung. Die Verwaltung sollte mit Hilfe von in der Wirtschaft bewährten betriebswirtschaftlichen Methoden und verbunden mit einer konsequenten Aufgabenkritik zu einem modernen Dienstleister umgebaut werden.1 Handlungsthemen waren insbesondere Maßnahmen zur Begrenzung der staatlichen Leistungen auf Kernaufgaben, die Einführung betriebswirtschaftlicher Instrumente, Maßnahmen zur Flexibilisierung des Haushaltens, die Professionalisierung der Führung, die Schaffung dezentraler Verwaltungsstrukturen, die Einführung des Wettbewerbsgedankens, die Trennung von Politik und Verwaltung und die Übernahme einer bestimmten betriebswirtschaftlich orientierten Steuerungslogik. Ausgehend von definierten Bedarfen sollten messbare Ziele bestimmt, deren Erreichung ökonomisch rational geplant, die notwendigen Umsetzungsressourcen bereitgestellt, die erforderlichen Maßnahmen vollzogen und – ausgehend von Zielen – die erreichten Ergebnisse und möglichst auch deren Wirkungen kontrolliert werden. Auf den Erfolg dieser Bemühungen soll an dieser Stellen nicht weiter eingegangen werden.2
Beteiligung zur Erschließung von Humanvermögen
Dieser so definierte Prozess des Managens orientierte sich an den traditionellen hierarchischen Herrschaftsbeziehungen in oder zwischen Behörden, selbst dann, wenn Ziele vereinbart, Leistungsbedarfe festgelegt oder Zielkorridore beschrieben wurden. Daran hat sich bis heute nichts verändert. Partizipation war nur insoweit vorgesehen, als die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowohl an Leitbildprozessen als auch an operativen Umsetzungen beteiligt werden sollten und zum Teil auch beteiligt wurden. Auch sollten sie über Zielvereinbarungen stärker in den Aufgabenvollzug eingebunden werden und über die Delegation von Aufgaben und Verantwortung größere Freiheiten bei der Gestaltung der Zielerreichung erhalten. Diese Renaissance kooperativer Führung und Zusammenarbeit knüpfte in der Landesverwaltung Baden-Württemberg an eine bereits 1979 eingeleitete Entwicklung an.3 Primäres Ziel der Delegation von Aufgaben und Verantwortung, der Binnenpartizipation und der Anpassung der Kommunikations- und Steuerungsprozesse war es, innerhalb des vorgegebenen Rahmens mit Hilfe motivationaler Effekte Humanvermögen in den Verwaltungsorganisationen besser zu erschließen.
Noch keine Aktivierung der Bürgerschaft
Entsprechend dem marktwirtschaftlichen Vorbild stand bei dieser Modernisierungsstrategie die Verbesserung der Kunden- und Dienstleistungsorientierung im Mittelpunkt. Leitbild war der Bürger als Kunde und Serviceempfänger auf der einen Seite und der Staat als ausschließlicher Produzent von Produkten und Serviceleistungen auf der anderen Seite. Die Bürgerinnen und Bürger sollten besser und schneller bedient und informiert werden. Dazu sollten die Prozesse der Leistungserbringung ergebnisorientiert und aus Kundensicht definiert werden. Eine darüber hinausgehende Aktivierung und Partizipierung der „Bürgerschaft“ war noch nicht vorgesehen und aus Verwaltungssicht auch nicht geboten, da der „Kunde“ seitens der Verwaltung zufriedengestellt werden konnte. Ziel der neuen Steuerung war es nicht, den Bürgerinnen und Bürgern eine über den spezialgesetzlich vorgegebenen Rahmen hinausgehende generelle handlungsaktive Rolle zuzubilligen und sie grundsätzlich auch in Entscheidungsfindungen einzubinden. Eine Abkehr vom bestehenden ausschließlich auf den Staat ausgerichteten Steuerungsparadigma fand aus Verwaltungssicht noch nicht statt. Weder der Bürger als Wissensträger und Experte noch der Bürger als „Citoyen“, der in die Entscheidungsfindung gestaltend eingebunden werden möchte und der sich nicht mehr so einfach autoritativen Entscheidungen unterwirft, auch wenn sie als kundenorientierte Leistungen angeboten wurden, waren in der Verwaltungspraxis angekommen.4 Er hatte sich auch noch nicht öffentlich wahrnehmbar gemeldet.5
1.2 Von Government zu Governance
Klassische Rollenverteilung blieb bestehen
Die Verwaltungsmodernisierung der 90er Jahre bewegte sich damit noch in der klassischen Rollenverteilung des Politikmachens im Leistungs- und Interventionsstaat mittels Hierarchie, Weisungen und Vorgaben. Staatliches Handeln wurde als Government im Sinne einer politisch-hierarchischen Führung nach innen wie nach außen verstanden. Demzufolge wurden die Entscheidungskompetenzen auch ausschließlich der Politik zugeschrieben. Die Verwaltung führte diese aus. Die Bürgerinnen und Bürger empfingen die staatlichen Leistungen und trugen die staatlichen Pflichten. Staat und Gesellschaft unterschieden sich institutionell. Gesellschaftliche Probleme wurden vorrangig auf Grund von Gesetzen, staatlichen Vollzugsmaßnahmen und durch die Verteilung von Leistungen und Lasten gelöst.
Neue Verantwortungsteilung
Dabei war schon in den 90er Jahren erkennbar, dass das Paradigma des schlanken und auf Effektivität getrimmten Staates die damit verbundenen Erwartungen nicht erfüllen konnte. Die Binnenressourcen blieben knapp. Die Vorstellung, durch Wirtschaftswachstum den Ressourcenverbrauch des Staates kompensieren zu können, erfüllte sich nicht. Der Median des preisbereinigten Bruttoinlandsprodukts nimmt seit den 50er Jahren konstant ab.6 Die Handlungs- und Steuerungsprobleme blieben bestehen. Als zwischen Pleite und Wirkungslosigkeit stehend wurde das Dilemma gekennzeichnet, vor dem Politik und Verwaltung in den neunziger Jahren standen.7 In dieser Folge entstand das Staatsleitbild des „Gewährleistungsstaates“ mit dem Ziel, eine neue Verantwortungsteilung zwischen Staat und Gesellschaft zu erreichen, um aus dem Ressourcen-Aufgaben-Dilemma herauszufinden. Rückblickend können drei Programmtypen ausgemacht werden, die für die weitere Entwicklung in Richtung Bürgergesellschaft wichtig waren:8
– die wohlfahrtsgesellschaftliche Variante, der zufolge der Dritte Sektor mit Nachbarschaftshilfen, freien Wohlfahrtsträgern oder Einzelpersonen (Arbeitskraftunternehmer, Ich-AG) zur Erbringung eigener Leistungsbeiträge, wenn auch staatlich gefördert, aktiviert wurde,9
– die bürgerschaftliche Variante, der zufolge die bürgerschaftliche Teilhabe insbesondere an Themen des Nahbereichs und an Umweltthemen (Umweltverträglichkeitsprüfung; Agenda21-Diskussion) gefördert wurde und
– die gemeinschaftsorientierte Variante, der zufolge gemeinsame Werte in den Vordergrund gerückt wurden, die individuellen Werten vorgelagert sind, die individuelles Leben erst bedingen und angesichts der stark ausgeprägten Individualwerte eine neue Balance von Rechten und Pflichten erforderlich machen sollen (Nachhaltigkeit, Ehrenamt).10
Normative Aufwertung gesellschaftlicher Kräfte
Alle drei Programme verbindet eine starke normative Aufwertung gesellschaftlicher Kräfte. Um diese besser zu Gunsten des Gemeinwohls einbinden zu können, sollten das Aufgabenspektrum und die Handlungsweisen der Verwaltung verändert werden. So sollte die Leistungstiefe des Staates überprüft und bislang staatliche Aufgaben auch von „Dritten“ erbracht werden können.11 Im Zuge der Umsetzungserfahrungen wurde erkannt, dass die damit verbundenen Veränderungen der Verwaltungsstrukturen ohne eine Einbindung der an der Leistungserstellung Betroffenen nicht erfolgversprechend ist. So wurden insbesondere im kommunalen Bereich, aber auch auf Landesebene erste organisationsentwicklerische Maßnahmen durchgeführt, um die Verwaltungen auf die damit verbundenen Veränderungen vorzubereiten.12 Deutlich wurde damals schon, dass ein Wandel der Verwaltung hin zu einer Gewährleistungsverwaltung mit veränderten Anforderungen an das Personal und an die Organisation verbunden ist, und diese Veränderungen nicht ohne einen geplanten Wandel gelingen können.13
Suspension von Veränderungsbedarfen
Doch der erforderliche Wandel konnte insbesondere in den Landesverwaltungen und in der Bundesverwaltung noch einige Zeit aufgeschoben und das traditionelle Bild des Staats mit seiner hierarchisch ausgerichteten und funktional verteilten Steuerung bewahrt werden.14 Nach außen konnte der Eindruck der Gesamtverantwortung einer bei Regierung und Legislative konzentrierten Programmsteuerung aufrechterhalten werden, obwohl Politik, Verwaltung und Spitzenverbände längst funktional verschränkt und Gesamtzusammenhänge infolge der Ausdifferenzierung der Funktionen und Institutionen verloren gegangen waren.15 Die These von der „organisierten Unverantwortlichkeit“ des Staates machte sich breit.16
Keine Änderung des Systems durch Beteiligung
Trotz aller Erfahrungen sollte nach wie vor die Lösung der Probleme modernen Regierens primär in der Stärkung der Problemlösungsfähigkeit des politisch-administrativen Systems gesehen werden und nicht in einer Änderung des Systems durch dessen Öffnung und Veränderung. Daher begrenzte sich auch die Einbindung gesellschaftlicher Akteure in die Politikgestaltung auf einzelne institutionalisierte Kooperationsformen wie Konzertierte Aktionen, Bündnisse, Kommissionen, Räte, Gewerkschaften, Wirtschaftsverbände oder Träger öffentlicher Belange. Das Wissensreservoir der Zivilgesellschaft als Human- und Sozialkapital zu nutzen fand in der Praxis noch keinen Zuspruch. Expertisen waren noch mit der klassischen Expertenrolle verbunden.
Reformmodell Bürgerkommune
Zur selben Zeit zeichneten sich im kommunalen Bereich erste Konturen eines partizipativen Modernisierungsprofils ab. Infolge früherer Beteiligungsimpulse, der Förderung des freiwilligen Engagements, der Agenda 21-Diskussion, des gesellschaftlichen Wertewandels, der bislang unbefriedigend verlaufenden Bewältigung der Haushaltskrise und der nicht zufriedenstellend verlaufenden Effektuierung der Verwaltung entstand das Reformmodell „Bürgerkommune“.17 Demzufolge sollte Kommunalpolitik als Zusammenspiel von direkter, kooperativer und repräsentativer Demokratie neu gedeutet werden. Dazu sollte das Kräftedreieck zwischen Bürgern, Kommunalpolitik und Verwaltung neu gestaltet werden und zu einer Revitalisierung der kommunalen Demokratie führen. Auch sollte das der neuen Steuerung zu Grunde liegende Kundenmodell überwunden werden, weil es für den öffentlichen Dienst zu kurz greift und die Bürgerinnen und Bürger nur als Anspruchsteller begreift.18 Mit Hilfe dialogorientierter ...
Inhaltsverzeichnis
- Deckblatt
- Titel
- Impressum
- Inhaltsverzeichnis
- Vorwort
- 1. Entwicklungslinien
- 2. Akteure bei Bürgerbeteiligungsprozessen
- 3. Führen und Steuern von Beteiligungsprozessen
- 4. Management von Veränderungen
- 5. Steuerung von Beteiligungsprozessen
- 6. Anforderungen an das Beteiligungsmanagement
- 7. Aufwand und Nutzen
- 8. Lehrgang Bürgerbeteiligung
- Abbildungsverzeichnis
- Tabellenverzeichnis
- Literaturübersicht
- Stichwortverzeichnis
- Herausgeber-/Autorenvita
- Zur Führungsakademie Baden-Württemberg
- Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl
- Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg