Die Höhle
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Die Höhle

Roman nach einer wahren Geschichte

  1. 304 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
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Die Höhle

Roman nach einer wahren Geschichte

Über dieses Buch

Als die Höhlenforscherin Léonie unter der Erde Schuhe und Knöpfe entdeckt, ahnt sie, dass sie einem historischen Geheimnis auf die Spur gekommen ist. Eine Halskette mit hebräischem Schriftzug führt sie zu einer Gruppe von Juden, die sich 1942 vor den Nazis in dieser Höhle versteckte. Es gelingt ihr, einen der Juden ausfindig zu machen: Joscha Burker, 88 Jahre alt. Er erzählt Léonie seine unglaubliche Geschichte von Verfolgung, außergewöhnlichem Mut, Hoffnung und einer zarten Liebe inmitten der Dunkelheit. Die Geschichte ist inspiriert von einem wahren Schicksal.

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Information

Verlag
Hänssler
Jahr
2016
ISBN drucken
9783775156509
eBook-ISBN:
9783775173223

1 Der Fund

August 2015, 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges,
in der Nähe von Bobrka, Westukraine
Wie eine Spinne am Faden hing Natalie in ihrem Sitzgurt über dem dunklen Abgrund. Der Hohlraum, in den sich die junge Höhlenforscherin abseilte, hatte die Form einer überdimensionalen Kuppel. Die Karbidlampe an Natalies Helm beleuchtete die rostroten, mit orangefarbenen und gelben Streifen durchsetzten Höhlenwände. Frei in der Luft schwebend, kam sich die Amerikanerin vor, als würde sie in einen gewaltigen Tempel hinabgleiten. Eine Ehrfurcht erfüllte sie wie beim Betreten einer Kirche. Es war andächtig still. Die Luft war feucht und kühl.
Bis vor drei Jahren hatte niemand von dieser Grotte gewusst. Ein Holzfäller hatte sie rein zufällig in einem Waldstück entdeckt, als er einen Baum gefällt und die umgekippte Wurzel den schmalen Einstiegsschacht freigegeben hatte. Seitdem erkundeten und vermaßen Höhlenforscher die Höhle. Sie hatten sie wegen ihrer vielen labyrinthartigen Gänge »Irrgartenhöhle« getauft.
Natalie hatte einen Bericht darüber in einer Zeitschrift gelesen und kurzerhand beschlossen, in den Semesterferien von den USA in die Ukraine zu reisen, um sich die Höhle selbst anzusehen. Ihr Freund Chris begleitete sie. Auch er war ein leidenschaftlicher Höhlenforscher. Die beiden hatten sich an der Universität in Chicago kennengelernt. Chris studierte Fotografie und arbeitete nebenher als freiberuflicher Fotograf für verschiedene Zeitschriften. Natalie absolvierte ein Architekturstudium und liebte es, verspielte Wohnräume zu entwerfen.
Nachdem sich Natalie ungefähr zwanzig Meter abgeseilt hatte, erreichte sie den Boden und sank mit ihren Bergschuhen in knöcheltiefen Schlamm. »Ich bin unten!«, rief sie nach oben. Ihre Stimme hallte an den Wänden wider. Sie klinkte ihren Sitzgurt aus und sah sich um. Der Raum, in dem sie sich befand, hatte die Größe eines Flugzeughangars.
»Wahnsinn«, murmelte Natalie und stieß einen Jauchzer aus. »Wow!« Sie stützte die Hände in die Seiten ihres Schlazes, eines roten Höhlenoveralls. »Großartig!«
Höhlen hatten schon immer eine Faszination auf die Studentin ausgeübt. Es waren verborgene Welten voller Zauber und Geheimnisse, Welten, die die meisten Menschen nie zu Gesicht bekamen. Sie ruhten in der Tiefe, wild und unberührt, in ewiger Dunkelheit und Stille. Kein Laut und kein Sonnenstrahl drangen je hinab. Es war, als bliebe die Zeit stehen. Die Welt mit all ihrer Hektik und all ihren Problemen verschwand. Alles wurde von der Finsternis verschluckt. Für Natalie war es jedes Mal ein unbeschreibliches Gefühl, in diese Unterwelten abzutauchen. Ob Tropfstein-, Stein-, Eis- oder Gipshöhle, jede Höhle war einzigartig. Jede hatte ihren eigenen Charakter, ihre eigenen Felsformationen, ihre eigene unbeschreibliche Schönheit. Da gab es mächtige Stalaktiten und Stalagmiten, türkisfarbene unterirdische Seen, reißende Flüsse, bizarre Sintergebilde, gigantische Eiszapfen oder ganze Eisflächen, auf denen man Schlittschuh hätte laufen können. In manchen Höhlen konnte man prähistorische Höhlengemälde bewundern oder gewaltige Kristalle, groß wie Tempelsäulen. Einige Höhlen bohrten sich über tausend Meter in die Tiefe, andere breiteten sich wie ein Wurzelgeflecht waagerecht durch die Erde. Die Irrgartenhöhle gehörte zur letzteren Sorte. Sie reichte ungefähr dreißig Meter unter die Erdoberfläche und hatte sich von dort in einem weitverzweigten Gangsystem horizontal durch das Karstgestein gefressen. Es herrschte hier Sommer wie Winter eine konstante Temperatur von zehn Grad.
Nachdem Chris neben Natalie am Fuße der Kuppel gelandet war, ließ der ukrainische Höhlenforscher Andrej die schwere Ausrüstung in die Höhle hinabgleiten und kam dann nach. Andrej war groß und kräftig, ein erfahrener Höhlenforscher mit ungepflegtem Bart und kantigem Gesicht. Alle drei schulterten die wasserdichten PVC-Transportsäcke mit den Seilen, den Essensvorräten für drei Tage, dem Erste-Hilfe-Kasten und Chris’ fotografischer Ausrüstung.
Der ukrainische Forscher schritt auf ein Loch in der Felswand zu. Dort befand sich der Durchbruch zum unterirdischen Irrgarten, den sie in den nächsten zweiundsiebzig Stunden erkunden wollten. »Als wir zum ersten Mal hier hinabstiegen, dachten wir, wir wären in einer Sackgasse gelandet, bis wir diesen Eingang freilegten«, sagte Andrej. »Es war ursprünglich nur ein schmaler Riss. Aber beim Hineinleuchten sahen wir, dass sich dahinter ein breiter Gang verbirgt. Also haben wir den Felsen mit einer Sprengladung durchbrochen, um herauszufinden, was sich dahinter verbirgt. Der Aufwand hat sich gelohnt. Wir sind bereits sechzig Kilometer weit vorgedrungen und entdecken ständig neue Gänge.«
»Hast du eine Vermutung, wie groß die Höhle ist?«
»Bisher noch nicht. Aber es wäre durchaus denkbar, dass sie die ›Optimistische Höhle‹ ausstechen könnte.«
»Echt?«, fragte Chris.
Die etwas weiter südlich gelegene »Optimistische Höhle« galt mit zweihundertsechsunddreißig Kilometer Länge als die längste Gipshöhle der Welt.
»Schon verrückt. Die Irrgartenhöhle lag die ganze Zeit direkt unter unseren Füßen«, meinte Andrej und tätschelte die Höhlenwand liebevoll. »Ein verschollenes Reich, Jahrtausende alt und bis vor drei Jahren von keinem menschlichen Wesen je berührt.«
»Eine jungfräuliche Höhle«, murmelte Natalie fasziniert.
»Ja«, sagte Andrej. »Und ich war einer der Ersten, der hineinging. Ich bin mir sicher, so muss sich Neil Armstrong gefühlt haben, als er als erster Mensch den Mond betrat. Wollen wir?«
Natalie und Chris nickten abenteuerlustig. Andrej übernahm die Spitze, Natalie die Mitte und Chris den Schluss. Die ersten zehn Meter kamen sie gut voran. Der Gang war groß genug, dass sie fast aufrecht gehen konnten. Danach verengte er sich wie ein Flaschenhals. Sie mussten sich auf allen vieren vorwärtsbewegen, schließlich sogar kriechen. Die schweren Materialsäcke vor sich herschiebend, robbten sie durch den lehmigen, unebenen Gang. Es war ziemlich anstrengend, aber Natalie liebte körperliche Herausforderungen. Sie war sehr sportlich, groß, schlank, hatte schulterlanges braunes Haar, eine spitze Nase und war genauso ehrgeizig und stur wie ihr Vater, der ein eigenes Architekturbüro besaß.
Natalie dachte an ihre Kommilitoninnen, die jetzt wohl in ihren Bikinis irgendwo an einem Palmenstrand lagen, Cocktails schlürften und sich einen Sonnenbrand holten. Sie hätte um nichts in der Welt mit ihnen getauscht. War das hier nicht um ein Tausendfaches aufregender?
Um fünfzehn Uhr waren sie zu der Höhlenexpedition aufgebrochen, vier Stunden und nur vierhundert Meter später erreichten sie das Basislager. Sie waren abgekämpft und nass geschwitzt. Bei diesen niedrigen Temperaturen wäre eine Unterkühlung ein ernsthaftes Problem gewesen, sobald der Schweiß verdunstete und der Körper sich abkühlte. Doch ihre spezielle Höhlenkleidung schützte sie.
Das Lager befand sich in einem Hohlraum, der die Form eines Diamanten hatte. Hier pflegten die Höhlenforscher zu campieren, bevor sie tiefer in die Höhle eindrangen. Es gab ein Dutzend solcher Biwaks, verteilt über die ganze Höhle, und je mehr Durchgänge entdeckt wurden, desto mehr Lager wurden errichtet. Wenn Forscher über viele Wochen lang unterwegs waren, gab es Hilfsteams, die sich bei den verschiedenen Biwaks aufhielten. Sie sorgten dafür, dass die Essens- und Wasservorräte ständig aufgefüllt wurden und der Kontakt zur Außenwelt nicht abbrach. Für eine dreitägige Expedition war dieser ganze Aufwand nicht nötig. Andrej, Natalie und Chris würden beim Basislager übernachten, am zweiten Tag die nahe Umgebung erkunden, eine weitere Nacht im Lager verbringen und am dritten Tag an die Erdoberfläche zurückkehren.
Sie stellten ihre PVC-Säcke in eine Ecke und ließen sich erschöpft auf die aus Stein und Lehm geformten Sitzbänke nieder. Es gab sogar Regale für Vorräte und Geschirr sowie einen einigermaßen ebenen Tisch.
Beim Abendessen, das aus einem über dem Kerosinkocher erhitzten Chilieintopf bestand, erklärte Andrej den beiden jungen Höhlenforschern den Plan für den kommenden Tag. Er zeichnete mit dem Finger eine grobe Karte in den roten Lehmboden. »Hier ist das Einstiegsloch.« Dann bohrte er seinen Zeigefinger in den weichen Boden. »Hier ist unser Basislager. Das hier ist der Teil, den wir bereits vermessen und kartografiert haben.« Nun zog er einen flachen Kreis durch den Lehm, beginnend beim Basislager. »Ab hier« – er zeichnete eine Linie und einen Pfeil, der vom Lager wegführte – »ist alles noch gänzlich unerforscht. Wenn ihr wollt, können wir morgen in diese Richtung gehen. Wie weit wir kommen und was wir vorfinden, weiß ich natürlich nicht. Aber falls ihr Lust habt …«
»Natürlich haben wir Lust!«, rief Natalie sofort und stupste ihren Freund an. »Haben wir doch, oder?«
»Solange wir den Weg zurückfinden«, meinte Chris mit vollem Mund.
»Keine Sorge«, antwortete Andrej. »Ich stecke alle paar Meter eine gelbe Markierungsfahne mit Pfeil zum Basislager in den Boden. Wir werden uns schon nicht verirren.«
»Dann bin ich dabei«, sagte Chris schmatzend und schöpfte sich einen zweiten Teller Eintopf.
Am nächsten Morgen weckte Andrej Natalie und Chris beizeiten auf. Natalie warf gähnend einen Blick auf das Leuchtzifferblatt ihrer Armbanduhr. Sechs Uhr in der Früh. Hätten die Zeiger zehn Uhr morgens oder abends angezeigt, sie hätte es ebenfalls geglaubt. In dieser ewigen Finsternis gab es keinen Anhaltspunkt, ob es Tag oder Nacht war. Man verlor nicht nur jegliches Zeitgefühl, sondern auch ein Stück weit den Bezug zur Realität. Es schien keine Vergangenheit und keine Zukunft mehr zu geben, nur das Hier und Jetzt. Alles lief in Zeitlupe ab, als verstreiche die Zeit völlig anders als oben auf der Erde. Manchmal stellte sich Natalie vor, wie sie nach einer Höhlenexpedition beim Betreten der Erdoberfläche im Mittelalter oder fünfhundert Jahre in der Zukunft landete. Und das Komische war: Es hätte sie nicht einmal überrascht, wenn es tatsächlich passiert wäre.
Natalie schälte sich aus ihrem Schlafsack und rekelte sich. Chris, der neben ihr lag, rieb sich verschlafen die Augen. Andrej kochte bereits Kaffee, und der Duft sorgte dafür, dass die beiden schnell aufstanden.
Nach dem Frühstück begaben sie sich auf den Weg ins Unbekannte. Die Irrgartenhöhle machte ihrem Namen alle Ehre. Ohne die Markierungsfähnchen hätten sie sich bald hoffnungslos verirrt. Jeder Gang sah gleich aus. Nach ein paar Abzweigungen war sich Natalie bereits nicht mehr sicher, woher sie gekommen waren, obwohl sie eigentlich einen hervorragenden Orientierungssinn hatte.
Nach einer Stunde Robben, Kriechen, Schieben, Bücken, Klettern und Schwitzen verkündete Andrej plötzlich: »Es ist so weit. Bis hierhin bin ich schon mal gekommen, weiter nicht. Das bedeutet: Ab jetzt ist jeder unserer Schritte der erste Schritt, den je ein Mensch hier unten gemacht hat.«
Natalie wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. »Neil Armstrong lässt grüßen«, keuchte sie. »Da bin ich ja mal gespannt, wie weit wir kommen.«
»Lassen wir uns überraschen«, meinte Andrej. »Ich hoffe, dass es keine Sackgasse ist.«
Sie verschnauften ein paar Minuten und tranken Wasser aus ihren Feldflaschen. Dann überschritten sie die unsichtbare Linie in das schwarze Loch, in das vor ihnen noch nie jemand vorgedrungen war. Ganz langsam arbeiteten sie sich weiter durch die Höhle, mal nach links, mal nach rechts, mal zurück, mal durch Gänge, die wie lang gezogene Weinkeller aussahen, dann durch flache, augenförmige Spalten, dann wieder durch kaminartige Korridore, in denen sie beinahe stecken blieben. Nach einer anstrengenden Kletterpartie wurden sie mit einem beeindruckenden Naturschauspiel belohnt: Sie gelangten in einen Raum, dessen niedriges Gewölbe mit einem riesigen Teppich aus Gipskristallen überzogen war. Die durchsichtigen, braun schimmernden Kristalle standen in allen Richtungen vom Felsen ab. In der Mitte hingen sie einem Kronleuchter gleich von der Decke. Im warmen Licht der Karbidlampen funkelten sie märchenhaft wie ein königlicher Festsaal aus Tausendundeiner Nacht.
Natalie war hin und weg von dem Anblick. Der Gedanke, dass sie die Allerersten waren, die diese verborgene Kristalldecke zu Gesicht bekamen, erfüllte sie mit Demut und Stolz gleichermaßen. »Wunderschön«, flüsterte sie und berührte mit den Fingern ein paar Kristalle. Sie waren klein und spitz wie Zähne; ein Meer aus Tausenden von ineinander verschachtelten, glitzernden Edelsteinen. Natalie konnte sich daran nicht sattsehen, und Chris zückte seine Kamera. Nachdem er die majestätische Höhlendecke aus allen erdenklichen Perspektiven fotografiert hatte, gingen sie weiter.
Gegen zwölf Uhr erreichten sie einen großen Saal mit einer rauen, gezackten Höhlendecke und machten Rast. Andrej erklärte, sie hätten eine Stunde Zeit, um sich auszuruhen. Dann müssten sie umkehren. Natalie wäre gerne noch tiefer in die Höhle vorgedrungen, aber Andrej hielt das für unklug. Sie hatten fünf Stunden bis hierher gebraucht und würden auch wieder fünf Stunden für den Rückweg zum Basislager benötigen. Das war Anstrengung genug für einen Tag. Also machten sie es sich auf verschiedenen Felsbrocken bequem und aßen und tranken, um Kräfte für den Rückweg zu sammeln.
Während Natalie an einem Energieriegel kaute, schlenderte sie durch den Saal und bewunderte die rauen Felsen, ihre Musterung und Struktur. Die Decke war zerklüftet und sah aus, als würden Tausende von messerscharfen Sägeblättern daran haften. Natalie war immer wieder aufs Neue fasziniert, welche wilden Gesteinsformationen sie in der Tiefe der Erde vorfand. Die Natur erschien ihr wie ein Bildhauer. Da konnte ihrer Meinung nach nicht mal Michelangelo mithalten. Zufrieden ließ sie die Entdeckungen des Morgens Revue passieren: eine jungfräuliche Höhle, ein naturgeschaffener Kristallteppich mit Kronleuchter und jetzt diese wuchtige Decke, die kein Innenarchitekt der Welt eindrücklicher hätte gestalten können.
Sie steckte sich das letzte Stück ihres Energieriegels in den Mund, wobei ihr die Plastikhülle aus den Fingern rutschte. Als sie sich bückte, um das Papier aufzuheben, entdeckte sie etwas Merkwürdiges. Direkt vor ihren Füßen lag ein handgroßer, lehmiger, undefinierbarer Gegenstand. Es war kein Stein, auch kein Erdklumpen. Neugierig hob Natalie das seltsame Ding auf und befreite es vom Schlamm. Und dann traf sie beinahe der Schlag: In ihrer Hand lag … ein Schuh!
»Ach du dickes Ei«, entfuhr es Natalie. Einen Schuh in einer jungfräulichen Höhle zu finden, war schon paradox genug. Aber was die Sache noch viel verrückter machte, war die Art des Schuhs: Es war nicht etwa ein Turnschuh, Stiefel oder Kletterschuh, es war ein altmodischer Damenschuh! Mit Absatz! Natalie traute ihren Augen nicht. »Das gibt’s doch überhaupt nicht. Leute, kommt mal her! Das müsst ihr euch ansehen!«
Andrej und Chris kamen zu ihr herüber, und Natalie präsentierte ihnen ihren sensationellen Fund. Der Damenschuh war aus Leder, stark abgenutzt und durch die hohe Luftfeuchtigkeit schwarz und fleckig. Es war definitiv kein neumodisches Modell, eher eines, das die ältere Generation tragen würde, mit einem breiten, drei Zentimeter hohen Absatz. Die drei Forscher betrachteten den Schuh ungläubig.
»Wie kommt denn der hierher?«
»Gute Frage, Chris«, sagte Andrej. »Darf ich mal?«
Natalie reichte ihm den dreckverschmierten Schuh.
»Ausgeschlossen«, sagte Andrej leise und drehte ihn in den Händen. »Das kann nicht sein.«
»Meint ihr, ein Tier hat ihn hergeschleppt?«, fragte Natalie. »Ein Fuchs vielleicht?«
»Hier unten gibt es keine Füchse«, antwortete Andrej. »In dieser Tiefe hausen nicht mal mehr Fledermäuse, höchstens kleine Insekten und Höhlenspinnen. Und die haben den Schuh garantiert nicht hergebracht.«
»Von selbst ist er ja wohl kaum herspaziert«, meinte Natalie. »Jemand war eindeutig schon vor uns hier. Ihr müsst wohl das Entdeckungsdatum der Höhle weit in die Vergangenheit zurückkorrigieren. Sehr weit, wenn ich mir den Schuh so ansehe.«
»Mein Großvater war anscheinend doch nicht so verrückt, wie ich dachte«, murmelte Andrej kopfschüttelnd. »Er behauptete immer, es gebe eine Höhle in...

Inhaltsverzeichnis

  1. Umschlag
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Widmung
  5. Inhaltsverzeichnis
  6. Über die Autorin
  7. Vorwort
  8. 1 Der Fund
  9. 2 Die Suche
  10. 3 Der Besuch
  11. 4 Der Krieg
  12. 5 Das Pogrom
  13. 6 Der Feind in der Stadt
  14. 7 Das Getto
  15. 8 Die Aktzia
  16. 9 Die Lebenden und die Toten
  17. 10 Die Höhle
  18. 11 Die Dunkelheit
  19. 12 Der Tunnel
  20. 13 Der Durchbruch
  21. 14 In Gefahr
  22. 15 Die Flucht
  23. 16 Der Müller
  24. 17 Der Engel
  25. 18 Die Zuflucht
  26. 19 Die Kette
  27. 20 Die Kornmühle
  28. 21 Die Dorfbewohner
  29. 22 Die Vorräte
  30. 23 Das Wunder
  31. 24 Das Licht
  32. 25 Der Psalm
  33. 26 Die Befreiung
  34. 27 Die Begegnung
  35. Chronik der Stadt Bobrka
  36. Stammbäume der Familien Burker und Heizel
  37. Fußnoten
  38. Leseempfehlung