Verschwörungsdenken und Machtkalkül
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Verschwörungsdenken und Machtkalkül

Herrschaft in Russland, 1866–1953

  1. 270 Seiten
  2. German
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Verschwörungsdenken und Machtkalkül

Herrschaft in Russland, 1866–1953

Über dieses Buch

Diese Arbeit behandelt den Zusammenhang von Machtbehauptung und befürchtetem Machtverlust. Auch wenn Schwäche gemeinhin nicht mit dem Stalinismus verbunden wird, war es gerade der fortwährende Machtausbau Stalins, der Widerstand immer wahrscheinlicher machte und die Angst vor Verschwörungen gebar. Damit war der Kreml-Herr erst recht auf seinen Anspruch festgelegt und die Eskalation des Verschwörungsdenkens und Terrors war die systemische Folge.

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Information

Auflage
1

Schlussbetrachtung

Wer die Versuchung nicht kennt, der Erste in der Staatsgemeinschaft zu sein, der versteht nichts vom Spiel der Politik, nichts von dem Willen, die anderen zu unterjochen und Objekte aus ihnen zu machen, und er ahnt auch nichts von den Elementen, auf denen die Kunst des Verachtens beruht. Der Machthunger – wenige haben ihn nicht in irgendeinem Grade empfunden: er ist uns natürlich, und dennoch bekommt er, wenn man ihn genau betrachtet, alle Kennzeichen eines krankhaften Zustandes.
Emil Cioran1
Gewohnt lakonisch blickt der Schriftsteller Emil Cioran auf die ›Schule der Tyrannen‹ – eine Schule, die auch die Machthungrigen Russlands seit den 1860er Jahren durchlaufen hatten. Die Angst vor dem Schisma war Teil ihrer Sozialisation gewesen, die Kunst des Verachtens wurde ihr Antrieb. Als die Oktoberrevolution einen Rollentausch einleitete und die einstigen Verschwörer zu Herren der neuen Ordnung avancierten, stand ihre Machttechnik weiterhin im Zeichen der Absicherung gegenüber sichtbaren und unsichtbaren Feinden. Ein Amalgam aus Realität und Projektion wurde zum Nährboden einer Politik, der die Bekundung von Loyalität als besonders perfide Form feindlicher Maskerade galt. Daher sollte die sowjetische Führung mit zunehmender Machtfülle gerade nicht mit weniger Feinden kalkulieren, sondern vielmehr damit, dass ihnen nun ›Schläfer‹ gegenüberstünden, denen einzig der Weg aus dem Hinterhalt geblieben sei.2
Es sei die Aufgabe eines jeden ehrlichen Sowjetbürgers, so der gewöhnliche Zeitungston jener Jahre, die heimtückischen Aktivitäten der maskierten Feinde zu erkennen.3 Stalin selbst ermunterte seine Zuhörer in einer Rede vor dem erweiterten Kriegsrat im Juni 1937 unumwunden zur Denunziation, als er sie aufforderte, jeden Mangel mitzuteilen – und wenn auch nur fünf Prozent der Hinweise stimmen sollten, „dann ist das auch Brot.“4 Anlässlich einer Festveranstaltung zum 20. Jahrestag der Oktoberrevolution sah sich Stalin sogar zu den, wie er selbst sagte, nicht sehr feierlichen Worten verleitet, dass man „jeden, der mit seinen Taten oder Gedanken (ja, Gedanken) einen Anschlag auf die Einheit des sozialistischen Staates verübt, gnadenlos vernichten wird.“5 Diesem Geist gemäß jagte man überall Mörderbanden, demaskierte Feinde und hob vermeintliche Nester von Verschwörern aus. Die antizipierte Gegnerschaft war die raison d’être sowjetischer Ordnung.6
Er habe gesehen und erkannt, schrieb der Schriftsteller Varlam Šalamov, dass der russische Mensch einen „unwiderstehlichen Drang zur Denunziation, zur Beschwerde“ habe.7 Šalamov notierte diese Lektion nach seiner rund 18-jährigen Odyssee durch verschiedene Gefängnisse und Lager. In sie fand er sich verschlagen, nachdem er zum zehnten Jahrestag der Oktoberrevolution an einer Demonstration unter der Losung ›Nieder mit Stalin‹ teilgenommen und mit führenden Oppositionellen jener Jahre sympathisiert hatte; ein Engagement, das vielfach tödlich endete und in seinem Fall wohl die letzten Jahre in einer psychiatrischen Anstalt begünstigt hat. Als Chronist der berüchtigten Kolyma-Region im fernen Sibirien war Šalamov einer der vielen ›58er‹, die, als Konterrevolutionäre verurteilt, in unwirtlichen Regionen ihre Strafe zu verbüßen hatten.
Die Furcht vor der Konterrevolution gehört zur Dialektik jeder revolutionären Bewegung.8 So wurden seit dem Ende des Bürgerkrieges 1921 bis zu Stalins Tod 1953 Schätzungen zufolge allein vier Millionen Menschen wegen vorgeblichem Verrat an der Revolution (Artikel 58) verurteilt. Von ihnen fanden gut zwanzig Prozent den Tod. Bereits die offiziellen sowjetischen Angaben geben für die Jahre 1930 – 1952 rund 800.000 Erschießungen an, wobei im selben Zeitraum zwanzig Millionen Menschen in Lagern, Gefängnissen oder der Verbannung verschwanden. In jedem Jahr von Stalins Herrschaft wurden im Schnitt eine Million Menschen Opfer von Erschießung, Gefängnis oder Lagerhaft.9 Ihren Angehörigen blieb allein das Klagen an der Kremlmauer, wie die Schriftstellerin Anna Achmatova die zumeist ausweglosen Bittgesuche an die Macht einmal nannte.10
Der Lagerkomplex, die Gefängnisse und Schießplätze waren die Orte, an denen das sowjetische Regime seinen Kampf gegen Möglichkeiten realisierte, getreu dem Sprichwort: Macht ist die Angst der anderen. Zugleich waren diese Orte aber auch Erinnerungsstützen, die den Repräsentanten der Macht all die vermeintlichen Feinde und die Anfälligkeit ihrer Ordnung vor Augen führten. So bezeugt ein Aphorismu...

Inhaltsverzeichnis

  1. Title Page
  2. Copyright
  3. Contents
  4. Vorwort
  5. Macht und Verschwörung. Eine Einleitung
  6. Das goldene Zeitalter der Konspiration
  7. „Sentimentalität ist ein Verbrechen“
  8. Das Phantom der Souveränität
  9. Der Kampf gegen den sterblichen Gott
  10. Schlussbetrachtung
  11. Literaturverzeichnis
  12. Personenregister