1 Aktivität und freiwilliges Engagement Jugendlicher im Zeitverlauf
Als die Ergebnisse des ersten Freiwilligensurveys 1999 vorlagen, enthielten sie im Hinblick auf das freiwillige Engagement Jugendlicher eine positive Nachricht. Jugendliche stellten sich zunächst einmal als die aktivste Altersgruppe heraus im Sinne des Mitmachens in Sportvereinen, in Musikgruppen, in der Schülermitverwaltung in Jugendgruppen von Kirchen und Jugendverbänden, in anderen Gruppen, Projekten und Initiativen. Darüber hinaus hatten sie, verglichen mit der Bevölkerung insgesamt, dort überdurchschnittlich oft Aufgaben im Sinne eines freiwilligen Engagements übernommen. Das erstaunte damals, hatten doch die Vereine und die Verbände über zurückgehende Mitgliederzahlen geklagt und Sozialwissenschaftler gerade bei Jugendlichen eine Abwendung vom Ehrenamt in seiner traditionellen Form, also eine Krise des Ehrenamts vermutet. Flankiert wurden die pessimistischen Einschätzungen von einer öffentlichen Diskussion, die eine Jugend skizzierte, die sich vorwiegend dem Spaß und im Zuge eines zunehmenden Individualismus ihren eigenen Interessen verschrieb. Und hier nun eine Jugend, die sehr stark öffentlich aktiv war und sich – vielleicht nicht stärker als die besonders engagierten mittleren Altersgruppen, aber deutlich mehr als die älteren Mitbürger – freiwillig engagierte!
2004 wurde der zweite Freiwilligensurvey durchgeführt. Der minimale Rückgang des Engagements Jugendlicher (innerhalb der statistischen Fehlertoleranz) wurde eher im Sinne der Stabilität interpretiert. Andere Zahlen unterstützten diese Sichtweise: Die öffentliche Aktivität Jugendlicher hatte leicht zugenommen, die Bereitschaft zum Engagement war gestiegen und jugendliche Engagierte bewerteten ihr Engagement zunehmend als wichtig, ja sogar sehr wichtig für sich persönlich. Gleichzeitig hatte zwischen 1999 und 2004 allerdings das Engagement insbesondere in den älteren Bevölkerungsgruppen starken Zuwachs erfahren. Insofern entsprach alles in allem gesehen das ehemals überdurchschnittliche Engagement der Jugendlichen »nur noch« dem Durchschnitt der Bevölkerung.
Wie sich nun anhand der Daten des dritten Freiwilligensurveys von 2009 zeigt, hat sich diese Entwicklung fortgesetzt. Erneut ging das freiwillige Engagement der 14- bis 24-Jährigen um einen Prozentpunkt zurück und die Zahl der zwar aktiven, aber nicht engagierten Jugendlichen nahm leicht zu. Verglichen mit der Bevölkerung insgesamt liegt der Anteil der engagierten Jugendlichen nun leicht unter dem Durchschnitt, denn das freiwillige Engagement nahm in nahezu allen anderen Altersgruppen zu. Hier zeichnet sich keineswegs eine besorgniserregende Entwicklung ab, aber doch eine Entwicklung, die im Folgenden genauer untersucht werden soll.
1.1 Geringfügiger Rückgang des freiwilligen Engagements
Abbildung 1 zeigt den geringfügigen Rückgang des freiwilligen Engagements bei 14- bis 24-Jährigen, während der Anteil der aktiven Jugendlichen zunahm, die zwar in einem öffentlichen Kontext mitmachen, dort aber keine freiwillige Tätigkeit übernommen haben. Insgesamt erreicht der Anteil der Aktiven (mit und ohne Engagement) 2009 seinen bisher höchsten Stand und nur 23 Prozent der Jugendlichen sind nicht aktiv.
Die jüngste Altersgruppe, die der 14- bis 19-Jährigen, ist insgesamt am stärksten in öffentliche Aktivitäten eingebunden, also macht mit in Sport, Kultur und Musik, in Schule und außerschulischen Jugendgruppen oder in einem anderen Tätigkeitsfeld. Hier sind nur 17 Prozent nicht aktiv. Der Anteil der Nur-Aktiven hat seit 1999 in dieser jüngsten Gruppe sogar noch deutlich zugenommen, aber es gibt einen geringfügigen Rückgang beim Anteil der freiwillig Engagierten. Dieser bleibt aber etwas höher als bei den 20- bis 24-Jährigen, wo die Engagementquote ebenfalls zurückging. Sie ist besonders niedrig bei den weiblichen Jugendlichen dieses Alters, worauf später noch eingegangen wird. In dieser Altersgruppe ist aber seit 2004 auch die Aktivität leicht rückläufig und es sind 2009 sogar 30 Prozent der älteren Jugendlichen nicht aktiv, womit der Unterschied zu den jüngeren doch beträchtlich ist.
Abbildung 1: Aktivität und freiwilliges Engagement im Zeitverlauf
Quelle: Picot – Sozialwissenschaftliche Projekte und TNS Infratest Sozialforschung
Abbildung 2 zeigt, wie sich der Anteil der freiwillig Engagierten in 13 Altersgruppen im Verlauf von zehn Jahren entwickelt hat. Während in den beiden jüngsten Altersgruppen das Engagement leicht zurückging, nahm es in nahezu allen anderen Altersgruppen zum Teil sogar deutlich zu. Ganz besonders sind es die älteren Menschen zwischen 60 und 74 Jahren, die sich vermehrt engagieren, und darunter ist die Zunahme der Engagementquote bei den 65- bis 69-Jährigen besonders eindrucksvoll. Dies ist, wie im Hauptbericht zum dritten Freiwilligensurvey gezeigt wird, auf einen Kohorten- bzw. Gene-rationeneffekt zurückzuführen.10 Es sind die durch die 68er-Zeit geprägten Menschen, eine immer schon sehr engagierte Generation, die jetzt in die Jahre kommen und noch bürgerschaftlich aktiv sein wollen.
Abbildung 2: Freiwillig Engagierte nach 13 Altersgruppen
Quelle: Picot – Sozialwissenschaftliche Projekte und TNS Infratest Sozialforschung
Aber auch bei den mittleren Altersgruppen, den 35- bis 39- und den 40- bis 44-Jährigen, kann man eine deutliche Zunahme des Engagements verzeichnen. Dieses basiert häufig auf vermehrtem Engagement von Eltern in Bereichen, in denen ihre Kinder aktiv sind. In der Gesamtschau wird klar, dass Jugendliche in ihrem Engagement inzwischen von verschiedenen Altersgruppen eingeholt oder übertroffen werden. Hier wird kein Wettbewerb ausgelobt, aber es ist doch erwähnenswert, dass die Relationen sich verschoben haben. Das ist in die Bewertung der Entwicklung bei den Jugendlichen einzubeziehen und vor diesem Hintergrund gewinnt der geringfügige Rückgang des Enga-gements bei Jugendlichen erst an Bedeutung, weil er gegen den Trend erfolgt.
Abbildung 3: Aktivität und freiwilliges Engagement junger Menschen in West und Ost
Quelle: Picot – Sozialwissenschaftliche Projekte und TNS Infratest Sozialforschung
Die Entwicklung des freiwilligen Engagements Jugendlicher verläuft in West und Ost unterschiedlich (siehe Abb. 3).11 Während das bisher deutlich höhere Engagement in den westdeutschen Bundesländern insgesamt zurückgeht, nimmt es in den ostdeutschen Bundesländern zu. Diese Tendenz ist bei den 14- bis 30-Jährigen noch deutlicher zu sehen (Zunahme seit 1999 um 5 Prozentpunkte) als bei den 14- bis 24-Jährigen (Zunahme um 2 Prozentpunkte). Bei den 14- bis 24-Jährigen in Westdeutschland hat das freiwillige Engagement dagegen sichtlich abgenommen. Auch das bringt die Engagementquoten einander näher.
dp n="19" folio="22" ?Wichtig ist, dass in den neuen Bundesländern insgesamt die Aktivität Jugendlicher zugenommen hat, also der Anteil derer, die mitmachen in Vereinen, Institutionen, Initiativen und Gruppen. Es werden mehr Jugendliche von den zivilgesellschaftlichen Strukturen erreicht, weil diese im letzten Jahrzehnt ausgebaut wurden. Man denke besonders an Vereinsstrukturen, die nach der Wende erst etabliert wurden. Der in den westlichen Bundesländern zu notierende Rückgang des Engagements gerade bei den jüngeren Befragten dürfte besonders mit strukturellen Veränderungen im Schulsystem, also der Umstellung auf das achtjährige Gymnasium und dem Trend zu ganztägigem Unterricht in Zusammenhang stehen, worauf später noch eingegangen wird.
Wir sehen alles in allem im Zeitvergleich einen geringfügigen Rückgang des Engagements Jugendlicher in Deutschland und bei den Jugendlichen unter 20 Jahren eine Zunahme der öffentlichen Aktivität ohne freiwilliges Engagement. Der leichte Rückgang im Engagement ist bedeutsam, weil er gegen den Trend in anderen Altersgruppen erfolgt. Jugendliches Engagement behält aber insgesamt im Vergleich mit anderen Altersgruppen einen hohen Stellenwert.
Wie wichtig es ist, dass dies zumindest so bleibt, kann Tabelle 1 veranschaulichen. Sie zeigt die besondere Bedeutung von Engagement im Jugendalter für die gesellschaftliche Teilhabe auch im Erwachsenenleben. Die Engagierten wurden im Freiwilligensurvey gefragt, wie alt sie waren, als sie »erstmals ein ehrenamtliches oder freiwilliges Engagement in Vereinen, Initiativen, Projekten oder Selbsthilfegruppen übernommen haben«. An der Antwortstruktur hat sich in den zehn Jahren zwischen dem ersten und dritten Survey kaum etwas geändert; daher beschränken wir uns hier auf die Angaben für 2009.
Die Engagierten steigen früh ins Engagement ein. 12 Prozent der jugendlichen Engagierten haben sich schon im Kindesalter engagiert. Dabei waren die Mädchen den Jungen etwas voraus. Die Tabelle zeigt auch, dass knapp 30 Prozent aller Engagierten unter 16 Jahre alt waren, als sie sich erstmals engagierten. Gut die Hälfte aller Engagierten hat bis zum Alter von 20 Jahren ein ehrenamtliches oder freiwilliges Engagement übernommen und weitere 20 Prozent waren zwischen 20 und 30 Jahre. Engagement im Kindes- und Jugendalter hat also besondere Bedeutung für die Zivilgesellschaft, denn es ist ganz offensichtlich vielfach der Ausgangspunkt von späterem Engagement.
Tabelle 1: Alter bei erstmaligem freiwilligem Engagement, 2009
1.2 Zunehmende Bereitschaft zum Engagement
Während das tatsächliche Engagement Jugendlicher geringfügig, aber kontinuierlich zurückging, äußerten andererseits viele nicht engagierte Jugendliche die Bereitschaft, sich zu engagieren (siehe Abbildung 4). Dieses Potenzial nahm sogar deutlich zu. Die per se schon positive Einstellung zum Engagement hat sich bei den Jugendlichen nochmals gesteigert und ist höher als in der Bevölkerung insgesamt. Am fehlenden Goodwill der Jugendlichen kann es daher nicht liegen, wenn das freiwillige Engagement stagniert bzw. leicht zurückgeht. Allerdings sprechen wir hier meist von eher unverbindlicher Bereitschaft zum Engagement, also von Befragten, die »vielleicht« dazu bereit wären, sich zu engagieren. Eine eventuelle Bereitschaft signalisieren 33 Prozent, ein eindeutiges Ja zum Engagement gibt es 2009 bei 16 Prozent der Jugendlichen. Je konkreter es um die Umsetzung der Bereitschaft geht, desto schwieriger wird es ganz offensichtlich. Das lässt vermuten, dass es objektive Hinderungsgründe geben muss. Diese könnten z. B. in einer zunehmenden Zeitknappheit bei Jugendlichen liegen und diese Annahme wird in diesem Bericht weiterverfolgt.
Abbildung 4: Freiwilliges Engagement und Bereitschaft zum freiwilligen Engagement
Quelle: Picot – Sozialwissenschaftliche Projekte und TNS Infratest Sozialforschung
Zugenommen hat nicht nur das Engagementpotenzial der bisher nicht engagierten Jugendlichen. Auch viele der bisher schon Engagierten in die...