1 Einleitung
Über viele Jahrzehnte galt der Bundestag als nachgeordneter Akteur in der Europapolitik. Dies galt sowohl für die auf die EU gerichtete Politik der Bundesrepublik als auch im Hinblick auf die politischen Prozesse auf der EU-Ebene. Diese Position des Bundestages, in der er als »Juniorpartner« in der europäischen Politikausübung bezeichnet wurde (Sturm und Pehle 2012), galt indes nur bedingt als problematisch. Im binnenpolitischen Verhältnis wurde weiterhin akzeptiert, dass die Europapolitik im weiteren Sinne zur Außenpolitik gehörte und damit in die Prärogative der Regierung fiel. Und auf der europäischen Ebene wurde das Europäische Parlament als diejenige Institution angesehen, die den europäischen Wählerwillen aufzunehmen hatte und somit für Legitimation sorgen könne. Mithin war wenig verwunderlich, dass der Bundestag nur über gering ausgeprägte Kompetenzen verfügte. Dies änderte sich allerdings – zunächst mit dem Vertrag von Maastricht und der Einführung eines neuen Europaartikels in das Grundgesetz (Art. 23 GG). Jedoch waren die Parlamentarier aus verschiedenen Gründen (auf die wir in den nachfolgenden Ausführungen eingehen) zunächst nicht in der Lage, gegenüber der Bundesregierung aktiv und eigenständig aufzutreten. Noch Mitte der 2000er-Jahre lautete der Tenor der gesamten einschlägigen Forschung, der Bundestag leiste außer einer punktuellen und nachgängigen Kontrolle keinen nennenswerten Beitrag zur Europapolitik.
In den letzten Jahren hat sich diese Wahrnehmung grundlegend gewandelt. Zunächst hat der Vertrag von Lissabon die Rolle der nationalen Parlamente aufgewertet. Dies geschah vor allem durch Art. 12 des EU-Vertrages (EUV), der den nationalen Parlamenten in Verbindung mit zwei Protokollen eine aktive Funktion in der Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips zubilligt. Während der Lissabon-Vertrag die Parlamente so einerseits aufwertete, bewirkte er andererseits doch auch weitere Kompetenzübertragungen auf die EU-Ebene. Gestützt auf die hierauf gegründete Behauptung der verfassungswidrigen Aushöhlung mitgliedstaatlicher Souveränität (Art. 79 Abs. 3 GG), gab es aus den Reihen des Bundestages Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Das Gericht hielt den Vertrag von Lissabon im Ergebnis zwar für verfassungsgemäß, rückte jedoch unter dem Topos der »Integrationsverantwortung« zugleich den Bundestag verstärkt ins Zentrum der deutschen Europapolitik.
Das Konzept einer primär beim Bundestag angesiedelten, aber vom BVerfG jederzeit kontrollierbaren Integrationsverantwortung stellt einen weiteren Grund für den Bedeutungszuwachs des Bundestages dar. Schließlich ist der Bundestag – wiederum mit dem »Rückenwind« des BVerfG, diesmal unter dem Topos der »Budgetverantwortung« – bei der Bewältigung der europäischen Finanz- und Schuldenkrise dort über seine tradierte Rolle als nachträglicher Kontrolleur hinausgewachsen, wo es um haushaltsrelevante Ausgaben, z. B. im Kontext des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), geht.
Die Autoren des vorliegenden Buches haben es sich zur Aufgabe gemacht, die neue Dynamik in der parlamentarischen Europapolitik zu erfassen und, soweit möglich, einer ersten Bewertung zu unterziehen. Dabei werden die wesentlichen Ursachenbündel – Ereignisse um den Lissabon-Vertrag, um das Bundesverfassungsgericht und um die Schuldenkrise – in möglichst chronologischer Reihenfolge betrachtet, um die dahin führende Entwicklung samt der beträchtlichen Anpassungen innerhalb des Bundestages besser verstehen zu können. Der Sache entsprechend haben wir versucht, sowohl die rechtlichen als auch die politischen Gegebenheiten des Institutionenwandels zu bearbeiten. Die rechtswissenschaftliche Analyse stellt dabei zum einen die Basis für die Untersuchung der politisch-institutionellen Anpassungen dar. Zum anderen zeigt sich jedoch an vielen Stellen, dass erst ein Bewusstseinswandel der parlamentarischen Akteure die Voraussetzung für rechtliche Neujustierungen gewesen ist. Dementsprechend verzahnen wir in unserer Darstellung die rechts- und politikwissenschaftlichen Untersuchungsteile, um dem Gesamtphänomen, also dem seit einigen Jahren zu verzeichnenden symbolischen und realen Bedeutungszuwachs der parlamentarischen Europapolitik, gerecht werden zu können.
Besteht aber aus verfassungsrechtlicher und außenpolitischer Perspektive überhaupt die Notwendigkeit, das Parlament in die Ausgestaltung der Europapolitik stärker einzubeziehen? Im Bereich der Außenpolitik weist das Grundgesetz zunächst ganz klassisch der Regierung die maßgebliche Rolle zu. Sie ist für diese komplexe Aufgabe mit ihren Ministerien, insbesondere dem Auswärtigen Amt, auch am besten ausgestattet. Der Gesetzgeber nimmt im parlamentarischen Regierungssystem Deutschlands zumeist »nur« im Nachhinein ansetzende Kontrollrechte wahr. Seine Gestaltungsmöglichkeiten im Bereich der sog. Auswärtigen Gewalt sind in der Folge begrenzt: Nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG bedürfen Verträge, die die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, der (nachträglichen) Zustimmung des Gesetzgebers. Allein weil in Art. 59 Abs. 2 GG für die dort genannten Fälle die Form des Gesetzes vorbehalten sei, so das BVerfG (BVerfGE 1, 372, 394), gebe dies dem Bundestag noch kein Recht, (generell) in den (originären) außenpolitischen Zuständigkeitsbereich der Exekutive einzugreifen.
Unter Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG fallen alle bedeutsamen völkerrechtlichen Verträge und damit auch die europäischen Verträge: vom EGKS-Vertrag angefangen über den EWG-Vertrag bis hin zum EU-Vertrag. Seit der 1992 erfolgten Verfassungsänderung kommt für alle Verträge, die die Entwicklung der EU betreffen, parallel der sog. Europaartikel, Art. 23 Abs. 1 GG, zur Anwendung. In der Folge ist jeder qualitative, mit der Übertragung von Hoheitsrechten verbundene Schritt der europäischen Integration mit Zustimmung der im Bundestag repräsentierten Bürger (sowie des die Länder repräsentierenden Bundesrates) erfolgt.
Seit Einfügung des Europaartikels ist nach Art. 23 Abs. 1 S. 2 und 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 2 GG insoweit sogar zumeist eine Zweidrittelmehrheit im Parlament erforderlich. Jeder Integrationsschritt durch Vertragsänderung ist also durch den Bundestag in besonderer Weise demokratisch kontrolliert und legitimiert. Damit kann jede Vertragsänderung als erneute demokratische Bestätigung des Prozesses der europäischen Integration verstanden werden.
Worin besteht dann aber das viel diskutierte »Demokratiedefizit« des europäischen Integrationsprozesses? Wie hängen Demokratiedefizit und parlamentarische Mitgestaltungslücken zusammen? Warum geriet der als »Vertrag über eine Verfassung für Europa« im Jahr 2003 gestartete und nach den ablehnenden Referenden in Frankreich und den Niederlanden zum bloßen Reformprojekt abgespeckte Vertrag von Lissabon so sehr in die Kritik? Ist – wenn auch nicht aus der Sicht des Rechts, so doch aus der Perspektive der Politik – der jeweils entscheidende Integrationsschritt vielleicht nicht im vertraglichen Kompetenztransfer zu sehen, sondern in der eigentlichen Kompetenzausübung, im Zuge derer die übertragene Kompetenz durch europäische Gesetzgebung ausgefüllt wird? Insoweit kann man dann mit guten Gründen fragen: Ist Europapolitik überhaupt noch Außenpolitik? Oder handelt es sich hier nicht eigentlich um eine neue Form der Politik, eine Art »europäisierte Innenpolitik« (vgl. zum Begriff Calliess 2006 und 2012). Müsste dann aber in europapolitischen Entscheidungen nicht der Bundestag als gewählter Repräsentant des Souveräns, also des Volkes, stärker im Zentrum der Entscheidungsfindung stehen?
Nicht zuletzt vor dem Hintergrund dieser Probleme ist die Demokratiefrage mit guten Gründen umso stärker in den Vordergrund der politischen und rechtlichen Debatte gerückt, je mehr Zuständigkeiten die Mitgliedstaaten an die EU übertrugen. Auch wenn es sich hierbei kaum um ausschließliche Zuständigkeiten der EU, sondern in der Regel um gemeinsam mit den Mitgliedstaaten ausgeübte, sog. geteilte Zuständigkeiten handelt, führt deren Inanspruchnahme durch die EU doch dazu, dass die nationalen Parlamente aufgrund der Sperrwirkung des Unionsrechts Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten verlieren (vgl. Art. 2 Abs. 1 und 2 AEUV).
Daher erfüllt das Subsidiaritätsprinzip (vgl. Art. 5 Abs. 3 EUV) eine wichtige Funktion, weil mit seiner Hilfe die Weiche für die jeweilige Handlungsebene gestellt wird. Seiner konsequenten Beachtung kommt im Alltag des Entscheidungsprozesses der EU eine entscheidende Bedeutung für den autonomen Gestaltungsspielraum der nationalen Parlamente zu. Dementsprechend haben in der Konstruktion des Lissabon-Vertrages vor allem die nationalen Parlamente die Aufgabe erhalten, den europäischen Subsidiaritätsgedanken mit Leben zu füllen und die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips zu kontrollieren (vgl. Art. 12 EUV).
Wenn vor diesem Hintergrund um die Rolle des Bundestages in der Europapolitik gerungen wird, so steht dabei zu Recht die Demokratiefrage im Mittelpunkt. Als Ausgangspunkt der Argumentation muss die Nachkriegsgeschichte dienen. Bei der Arbeit am Grundgesetz, aber auch in der politischen Rhetorik der ersten Nachkriegsjahrzehnte wurde die parlamentarische Republik gewissermaßen als Gegenentwurf zum System der Weimarer Republik entwickelt. Im bundesrepublikanischen System wurde die Regierung, insbesondere das Amt des Bundeskanzlers, in besonders starkem Maße in den Bundestag und seine Mehrheitsverhältnisse eingebettet. Einerseits ist deshalb von einem System zu sprechen, für das weniger die Gewaltenteilung als vielmehr die Gewaltenverschränkung zwischen Bundestagsmehrheit und Regierung konstitutiv ist (Möllers, 2005 und 2008b, spricht u. a. auch deswegen von Gewaltengliederung). Das Parlament wird darin ganz selbstverständlich »als Teil der politischen Führung« (Hesse und Ellwein 2004: 236) angesehen.
Andererseits wird durch die zentrale Rolle des Parlamentes der einzelne Abgeordnete zu einem besonders pflegebedürftigen Legitimationsobjekt. Wird dieser in seiner Handlungsfähigkeit beschnitten, steht leicht das Demokratieprinzip als Ganzes auf dem Prüfstand. Insofern ist es wenig verwunderlich, dass die Diskussion um die Europafähigkeit des Bundestages – gerade auch vor dem BVerfG – im Hinblick auf die Frage geführt wurde, ob mit der Übertragung von Zuständigkeiten auf die Ebene der EU die freie Ausübung des Abgeordnetenmandats nach Art. 38 Abs. 1 GG und im Zuge dessen die über das Wahlrecht vermittelte Teilhabe der Bürger an der (repräsentativen) Demokratie ausgehöhlt wird.
Die überkommene Aufgabenteilung wird zunehmend durch den europapolitischen Auftrag des Bundestages – in den Worten des BVerfG: durch seine Integrationsverantwortung – herausgefordert. Im Zuge dessen ist die klassische Rolle des Parlaments in der Außenpolitik und damit die Gewaltengliederung im Bereich der Auswärtigen Gewalt zu überdenken (Calliess 2006; Möllers 2008b; Eberbach-Born und Kropp 2013).
Entsprechend stehen sich auch in der europapolitischen Debatte in Deutschland zwei Haltungsmuster gegenüber. Einerseits wird die Europapolitik nach wie vor – und wie oben bereits angedeutet – als Domäne der Außenpolitik angesehen. In dieser Sichtweise wird zwar anerkannt, dass der Bundestag insbesondere auf der Grundlage von Art. 23 GG über bedeutende Mitwirkungsrechte verfügt. Als wichtigster – und zugleich greifbarster – Repräsentant der deutschen Europapolitik wird indes weiterhin die Bundesregierung angesehen, die demzufolge über die Aktivitäten im Rat als europäischer Primärgesetzgeber tätig ist. Dieses Verständnis der Europapolitik als Außenpolitik stellt gewissermaßen das traditionelle Muster dar, das im Zuge der Krise im Euroraum und der von Bundeskanzlerin Angela Merkel postulierten »Unionsmethode« (dazu Calliess 2012) derzeit wieder erstarkt.
Andererseits jedoch haben die beträchtlichen Zuwächse an Informations- und Mitwirkungsrechten, die der Bundestag in den letzten Jahren erhalten hat, zu einem konkurrierenden Gedankengerüst geführt, das Europapolitik als europäisierte Innenpolitik versteht und dementsprechend im Wesentlichen als einen »Normalfall« parlamentarischer Gesetzgebung sieht. Besonders deutlich wird dies im Falle der Gesetzgebung durch EU-Richtlinien, an deren Entstehung der Bundestag über den deutschen Regierungsvertreter im Rat (vgl. Art. 23 Abs. 3 GG) und im Zuge der innerstaatlichen Umsetzung mitwirkt (vgl. Art. 288 Abs. 3 AEUV).
In diesem Paradigma wird der Bundestag als primär legitimiertes Organ der Normsetzung angesehen, das dem Souverän gegenüber auch dann verantwortlich ist, wenn deutsche Gesetze auf EU-Vorgaben zurückgehen. Aus dieser Perspektive gibt es kaum einen Anlass, der Bundesregierung die Kompetenz zur umfassenden Vorformulierung von Gesetzesakten vollständig zu überlassen. Letztlich würde damit gerade gegen das Gebot der Gewaltengliederung verstoßen, demzufolge die Legislative den demokratischen Willensbildungsprozess initiiert und organisiert (Möllers 2008b: 95 ff.).
Beide Muster, das ist schon bei einer oberflächlichen Betrachtung zu erkennen, stehen in der Debatte um die Rolle des Bundestages nebeneinander. Sie stellen keine einander ausschließenden Optionen dar, sondern sind vielmehr als Abbild zweier Traditionen zu sehen, die lange Jahrzehnte in ihren jeweiligen Sphären – Regierung, Parlament – ohne innere Widersprüche entwickelt werden konnten. Das Problem heute besteht allerdings darin, dass die in diesen Traditionen verankerten Praktiken in ein Spannungsverhältnis geraten sind. In unserer Studie zeigen wir, wie mit dem Spannungsverhältnis institutionell und strategisch umgegangen wird.
Vor diesem Hintergrund ist mit unserer Studie zunächst das Interesse verbunden, die Entwicklung des rechtlichen Rahmens für das europapolitische Handeln des Bundestages zu beschreiben und zu bewerten. Im europäischen Staaten- und Verfassungsverbund wird dieser Rahmen durch europa- und verfassungsrechtliche Vorgaben definiert. Maßgeblich sind insoweit einerseits die Art. 9 bis 12 des EU-Vertrages, die das europäische Demokratieprinzip konkretisieren, und andererseits der Europaartikel des deutschen Grundgesetzes, Art. 23 GG, der durch verschiedene Zusammenarbeits- und Begleitgesetze sowie die erwähnte Rechtsprechung des BVerfG konkretisiert und ergänzt wird.
Daran anknüpfend interessieren uns einerseits die institutionellen Gegebenheiten, unter denen Europapolitik im Bundestag stattfindet. Andererseits fragen wir uns, wie die einzelnen Akteure mit den neuen Rahmenbedingungen umgehen. In diesem Zusammenhang haben wir über 20 Interviews mit Akteuren und Kennern der Europapolitik des Bundestages geführt. Die Interviews fließen anonymisiert in unsere Studie ein. Dabei wird sich als Quintessenz dieses Teils unserer Studie erweisen, dass die vielfältigen rechtlichen Anpassungen der letzten Jahre mittlerweile eine Konstellation herbeigeführt haben, in der der Bundestag seinen Kontroll- und Mitwirkungspflichten in der europäisierten Innenpolitik weitgehend nachkommen kann.
2 Europäisierung nationaler Parlamente: ein integrierter rechts- und politikwissenschaftlicher Analyserahmen
2.1 Schwindende Bedeutung des Parlaments? Institutionelle und habituelle Ambivalenzen
Aussagen über die Relevanz des Bundestages in der Europapolitik sind auf eine eigentümliche Weise zweischneidig. Auf der einen Seite findet sich eine große Zahl an Einschätzungen, die von einer insgesamt schwachen Rolle des Bundestages ausgehen. So ist die Rede von »Entparlamentarisierung« (Börzel 2000) oder dem Bundestag als »Juniorpartner« (Sturm und Pehle 2012: 67) in der europäischen Politikformulierung. Prominent positionierten sich der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog und Lüder Gerken, die von einer umfassenden »Entmachtung« sprechen (»Europa entmachtet uns und unsere Vertreter«, Herzog und Gerken 2007).
Dem gegenüber stehen allerdings viele Aussagen, die den Bundestag als im internationalen Vergleich starken europapolitischen Akteur charakterisieren. Dann wird der Bundestag als »effektivstes Parlament« bezeichnet (Hix und Goetz 2000: 148), das den übrigen gesetzgebenden Kammern in Europa vieles voraushabe. Beide Aussagen schließen sich logisch nicht aus. Sie verweisen aber darauf, dass die Rolle eines nationalen Parlaments vor dem Horizont des europäischen Regierungssystems gesehen werden muss, in dem nationale Parlamente letztlich über einen begrenzten Handlungshorizont verfügen.
Die legislative Europäisierung ist diejenige Dimension, die dazu geführt hat, nationale Parlamente als die »Verlierer« (Maurer und Wessels 2001) der Integration zu bezeichnen. Dies begründet sich aus dem Kompetenzverlust, der dadurch entsteht, dass Gesetzgebungsmaterien auf die europäische Ebene übertragen werden und damit der Gestaltungs- und Handlungsspielraum des Parlamentes (potenziell) eingeschränkt wird (vgl. z. B. Börzel und Sprungk 2009: 367 f.). Vor einigen Jahren argumentierte Klaus von Beyme: »Es besteht schon jetzt kein Zweifel, daß Prozesse oberhalb und unterhalb nationaler Systeme den Entscheidungsspielraum nationaler Parlamente einengen. […] In einem Prozeß der Europäisierung werden immer mehr Materien, die den nationalen Parlamenten vorbehalten schienen, von Europa her geregelt« (von Beyme 1998: 27).
Zu differenzieren ist dabei nach dem Ausmaß der Einschränkung der Spielräume des Parlamentes. Annette Elisabeth Töller (2004: 32) differenziert zwischen totaler und partieller Einschränkung. Im ersten Fall entfällt die Befugnis des Bundestages zur gesetzgeberischen Tätigkeit, im zweiten ist er durch Vorgaben gebunden. In diesem Zusammenhang wird meist auf die hohe Anzahl an Verordnungen abgestellt, die dem Bundestag im Vergleich zu Richtlinien Spielraum nehmen (von Beyme 1998: 25 f.; Janowski 2005). In der Forschung ist dabei strittig, in welchem Umfang europäische Vorgaben tatsächlich die deutsche Europapolitik beeinflussen (vgl. hierzu König und Mäder 2008; Töller 2008). Relevanter erscheint sowieso, dass in einem verschränkten Regierungssystem in Verbindung mit einem Arbeitsparlament eine generell geringe Neigung der Parlamentsmehrheit besteht, die Regierung straff zu kontrollieren. Stattdessen findet im kooperativen Parlamentarismus Kontrolle über parlamentarische Mitwirkung statt; die Europapolitik bildet hier keine Ausnahme. Vor dem Hintergrund der Gewaltenverschränkung lässt sich die These der schwindenden Bedeutung des Parlamentes in Europafragen in eine institutionelle sowie eine habituelle Komponente aufteilen. In der institutionellen Dimension bezieht sich die Aussage vorrangig auf die Aspekte der Kontrolle sowie der Mitwirkung.
Hinsichtlich der institutionellen Kontrolle von ...