1.Das Islambild
Die Daten des Religionsmonitors 2013 bieten aus wissenschaftlicher Perspektive die Möglichkeit, nicht nur das Bild des Islams selbst zu untersuchen, sondern auch zu den Ursachen für die unterschiedlichen Facetten der Wahrnehmung vorzudringen. In der Forschung ist dies bislang nur sehr begrenzt und vereinzelt geschehen. Zwar gibt es seit den 1990er Jahren weltweit Untersuchungen zum Medienbild des Islams, zum Islambild in der öffentlichen Meinung und zur Islamophobie beziehungsweise Islamfeindlichkeit (zur Einführung vgl. Schneiders 2010a; Hafez 2013a). Gerade die Entstehungsursachen des Islambildes in der Bevölkerung sind aber bislang weitgehend ungeklärt. Dabei scheint allerdings klar zu sein, dass viele etablierte Annahmen der Rassismusforschung für diese Fragestellung nicht greifen: So sind etwa Negativbilder des Islams weder vorrangig in sozial deprivierten Schichten zu finden, noch scheint formale Bildung in dem Maße als Korrektiv zu wirken, wie es etwa beim Antisemitismus der Fall ist. Fragen wie diese lassen sich durch uni- und bivariate Analysen der Daten des Religionsmonitors zumindest teilweise erhellen.
»Nicht nur das
Bild des Islams
untersuchen, sondern auch
zu den Ursachen
der Wahrnehmung vordringen«
Die gesellschaftliche Relevanz der Studie ergibt sich aus allgemeinen wie aus speziellen Überlegungen. Die Wahrnehmung anderer Religionen ist keine unwesentliche Randerscheinung in unserer Gesellschaft, vielmehr kann sie das Zusammenleben der Bürger maßgeblich beeinflussen. Zwar besteht, was das interreligiöse Miteinander angeht, kein zwangsläufiger Zusammenhang zwischen vorherrschenden Religionsbildern und individuellem Handeln. Gerade im persönlichen Kontakt dominieren vielfach universelle menschliche Regeln und Werte des zivilen Umgangs. Zugleich aber sind alltägliche Diskriminierung und sogar Gewalt gegen religiöse Minderheiten mögliche Konsequenzen gesellschaftlicher Wahrnehmungen. In den letzten Jahren hat es in Deutschland und anderen europäischen Ländern nicht nur eine Reihe fremden- und islamfeindlicher Morde und anderer Gewaltakte gegeben, von denen die »NSU-Morde« nur die bekanntesten sind (European Monitoring Centre 2002, S. 80 ff.; Cesari 2006, S. 70 ff.). Zahlreiche Studien, etwa der OECD, haben zudem gezeigt, dass gerade Musliminnen mit Kopftuch am Arbeitsplatz vielfach diskriminiert werden (Amnesty International 2012). Schließlich wurde im Zusammenhang mit Äußerungen des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff öffentlich in Frage gestellt, ob »der Islam zu Deutschland gehört« oder nicht. Dabei kam auch sprachlich zum Ausdruck, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt dort gefährdet ist, wo es um die Beziehungen zwischen muslimischen und nichtmuslimischen Bürgern sowie zum Islam allgemein geht. Vor dem Hintergrund der ohnehin anstehenden Frage nach dem gesellschaftlichen Zusammenhalt moderner pluralistischer Gesellschaften sind diese Störungen Grund genug, verstehen zu wollen, »was uns trennt«.
Im folgenden Kapitel wird zunächst das Islambild der deutschen Gesellschaft näher beleuchtet und konzeptionell eingeordnet. Es wird untersucht, inwieweit die Islamwahrnehmung als islamfeindlich eingestuft werden kann und ob bereits Züge eines anti-islamischen Rassismus erkennbar werden. Der Religionsmonitor 2013 enthält eine Reihe von Indikatoren, die eine Einordnung der Islamwahrnehmung in Deutschland ermöglichen. Wir konzentrieren uns im Wesentlichen auf zwei Fragen, die den deutschen Befragten gestellt wurden. Erstens wurde untersucht, ob der Islam eher als Bereicherung oder eher als Bedrohung wahrgenommen wird, und zweitens, ob der Islam als zur westlichen Welt »passend« empfunden wird. Die Fragen und dazugehörigen Daten lassen sich unterschiedlichen Ebenen der sozialpsychologischen Bildtheorie zuordnen. Die fraglos schwierige, umfassende Definition der Begriffe »Bild«, »Stereotyp«, »Feindbild« und »Diskurs« kann an dieser Stelle nicht geleistet werden, zumal dies andernorts bereits ausführlich geschehen ist (Hafez 2002, Bd. 1). Für eine Beschäftigung mit dem gesellschaftlichen Islambild sind dennoch einige Vorbemerkungen erforderlich. Das Islambild besteht grundsätzlich aus verschiedenen Bildelementen, aus Fakten und Informationen zu konkreten Facetten des Islams, aber auch aus pauschalen, übergreifenden Strukturmerkmalen der Wahrnehmung von Muslimen und des Islams. Diese Strukturen können zunächst wertfrei als »Stereotype« bezeichnet werden (siehe Info-Kasten). In dieser Untersuchung beschäftigt uns zunächst die Frage, wie verbreitet bestimmte Formen negativer oder positiver Islamstereotype sind. Der Grad der Zustimmung zu ihnen begrenzt den offenen Raum, der Gesellschaften für individuelle Bildprägungen bleibt.
Der Untersuchungsrahmen des Religionsmonitors 2013
Mit dem Religionsmonitor 2013 legt die Bertelsmann Stiftung eine empirische Untersuchung der sozialen und politischen Relevanz von Religion vor. Die Grundlage bilden Interviews mit insgesamt 14.000 Menschen in 13 verschiedenen Ländern. Neben Deutschland zählen dazu Frankreich, Großbritannien, Israel, Kanada, Schweden, die Schweiz, Spanien, Brasilien, Indien, Südkorea, die Türkei sowie die USA. In den meisten Ländern erfolgte die Erhebung mittels einer Zufallsauswahl und einer standardisierten Telefonbefragung der Bevölkerung ab 16 Jahren (USA und Kanada ab 18 Jahren). In Israel, Südkorea und der Türkei wurden persönliche Face-to-face-Interviews geführt. Die Befragung fand in allen Untersuchungsländern zwischen Oktober und Dezember 2012 statt.
Der Stichprobenumfang für Deutschland beträgt insgesamt N = 2005 Befragte, wovon N = 429 Befragte aus einer namensbezogenen (onomastischen) Zufallsstichprobe für Muslime stammen. In allen anderen Ländern wurden zwischen N = 1000 und N = 1018 Interviews geführt. Für deskriptive Aussagen wird in der Studie auf eine länderweise Gewichtung zurückgegriffen, die die Stichproben an die jeweiligen Randverteilungen in der Bevölkerung anpasst (etwa nach Alter und Geschlecht). Da in dieser Untersuchung vornehmlich die »Fremdwahrnehmung« derjenigen interessiert, die selbst nicht dem Islam angehören, wurde in der Regel die muslimische Teilpopulation aus dem Datensample des Religionsmonitors herausgerechnet (vgl. dazu unter 1.1).
Was ist ein Stereotyp?
Bei Stereotypen handelt es sich zunächst um »schematisierte Bildstrukturen«, also einfache und einprägsame Beschreibungen einer Person oder Gruppe. Dabei wird üblicherweise herausgehoben, was vermeintlich typisch ist. Die Sozialpsychologie sieht Stereotype nicht per se als schlecht beziehungsweise pathologisch an. Sie gelten vielmehr als unvermeidlich, um die Umweltkomplexität zu reduzieren. Stereotype können jedoch mehr oder weniger »festgefahren« sein. Denn obwohl wir in unserem Alltag häufig stereotyp denken, sind wir in der Lage, einzelne Strukturkomplexe zu differenzieren und überlieferte Stereotype zu modifizieren. Das »Feindbild« ist eine besondere Form des negativen Stereotyps und beinhaltet nicht nur eine negative Sicht des Anderen, sondern unterstellt diesem auch eine aggressive Handlungsabsicht. Der Spielraum, der bleibt, Stereotype aufzubrechen, ist daher sehr wohl von gesellschaftlicher Bedeutung: Denn wie wir mit einem Menschen umgehen, kann davon abhängen, welche stereotype Grundhaltung wir zu ihm als Mitglied einer bestimmten Gruppe – zum Beispiel einer Religionsgruppe – haben und welche Feindbilder existieren.
»In dieser Untersuchung
beschäftigt uns zunächst die Frage,
wie verbreitet bestimmte
Formen negativer oder positiver
Islamstereotype sind.«
Islamfeindlichkeit versus Islamkritik
Wenn in der Wissenschaft heute von »Islamfeindlichkeit« oder »Islamophobie« die Rede ist, dann decken sich diese Begriffe weitgehend mit dem begrenzten klassischen Feindbildbegriff der Sozialpsychologie und der Politischen Psychologie. Als »Islamfeindlichkeit« wird nach dem Vorbild der Langzeituntersuchung »Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit« der Universität Bielefeld jede Form einer pauschalen Herabsetzung oder negativen Wahrnehmung der Gruppe der Muslime, ihrer Kultur und/oder Religion betrachtet (Heitmeyer 2005, 2006). »Islamkritik« wäre im Gegensatz dazu auf bestimmte Aspekte beschränkt und differenzierend (Schneiders 2010a). Der Begriff »Islamophobie« kann, und das hebt der Begriff »Phobie« hervor, Ängste gegenüber dem Islam beinhalten: Jedes Feindbild hat auch eine affektive Ebene, auf der Wut, Hass und Angst zum Ausdruck kommen. In der Forschung sind aber ganz überwiegend die kognitiven Muster des Feindbildes gemeint, die Muslimen aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit pauschal negative Eigenschaften und feindliche Absichten zuweisen. Zumindest in der deutschsprachigen Wissenschaft wird daher zunehmend der Begriff der »Islamfeindlichkeit« genutzt, da er eher beide, die affektive und die kognitive Ebene, einbezieht und deswegen umfassender ist. Der Begriff »Islamfeindlichkeit« ist vielfach kritisiert worden (vgl. Bielefeldt 2010, S. 190 ff.; Cesari 2006, S. 6, 101, 143). In der Tendenz geht es darum, dass nicht jede Form von Kritik an Muslimen und Islam umstandslos als Ausdruck von Islamfeindlichkeit betrachtet werden kann, sondern lediglich die Zustimmung zu negativen Pauschalurteilen, bei denen der Islam oder die Muslime grundsätzlich abgelehnt oder negativ beschrieben werden. Nicht jede Islamkritik ist islamfeindlich, sondern vor allem generelle Ablehnungen des und Distanzierungen vom Islam sind der harte Kern dessen, was die sozialwissenschaftliche Einstellungsforschung seit Jahren intensiv untersucht. Zwar sind auch Islamdiskurse, etwa in den Massenmedien, häufig einseitig, und Islamfeindlichkeit lässt sich in politisch korrekter Weise auch ohne klassisch-rassistische Aussagen nach dem Typ »Der Islam ist …« konstruieren (vgl. Hafez 2013a, S. 205 ff.). Textkritische Interpretationen sind aber schwierig und theorieabhängig und daher nicht Gegenstand dieser Analyse. Die theoretischen Konstrukte der Einstellungsforschung – Stereotype und Feindbilder – sind hingegen in der Regel simpler, ihre Methoden dafür aber umso repräsentativer und verlässlicher, so dass heute wissenschaftlich abgesicherte Ergebnisse zu den wesentlichen Grundkonstanten des Islambildes der Deutschen und Europäer vorliegen.
»Nicht jede Form von Kritik an
Muslimen und Islam kann umstandslos
als Ausdruck von
Islamfeindlichkeit betrachtet
werden, sondern lediglich die Zustimmung zu
negativen Pauschalurteilen.«
Bildstrukturen sind allerdings nicht deckungsgleich mit »Einstellungen« oder »Meinungen« von Menschen, und sie müssen auch keineswegs automatisch in Handlungen umschlagen. Einstellungen und Meinungen sind komplexe Gebilde, bei denen neben Stereotypen und anderen Bildern auch Werte eine Rolle spielen, die die moralische Bewertung von wahrgenommenen Bildern steuern. So gehen einige Forscher davon aus, dass der liberale Kernwert der Religionsfreiheit trotz starker Islamfeindlichkeit in einem Land dazu beitragen kann, dass Debatten über Moscheebauten und Kopftücher weniger vehement geführt werden als in einem anderen. Ausgeprägte liberale Werte können also einen dämpfenden Einfluss auf die soziale Virulenz von Islamfeindlichkeit haben; das Fehlen oder die Unterentwicklung solcher Werte kann sich hingegen radikalisierend auswirken. Es ist in diesem Zusammenhang vor einem Alarmismus zu warnen, wonach negative Stereotype beziehungsweise Feindbilder automatisch zu gesellschaftlicher Diskriminierung oder gar zu Gewalt gegen Minderheiten führen müssen. Dieser reduktionistische Fehlschluss ist eine verbreitete Gefahr der Stereotypenforschung, die Feindbilder zwar ermitteln, deren gesellschaftliche Folgen aber selten erklären kann. Zugleich jedoch sind die Übergänge zwischen »Bildern«, »Einstellungen« und »Handlungen« entscheidend, denn hegemoniale Bilder können in einem bestimmten gesellschaftlichen Wertegefüge durchaus zu intoleranten Einstellungen, zu Alltagsdiskriminierung und rassistischer Gewalt führen. Das heißt: Bilder und Einstellungen einer Mehrheit können für die Handlungen extremistischer Minderheiten mitverantwortlich sein.
1.1Manifeste Stereotype
Auf der Basis der Daten des Religionsmonitors lässt sich erkennen, dass die Mehrheit der Deutschen den Islam nicht als Bereicherung, sondern als Bedrohung empfindet. 16 % betrachten ihn als »sehr bedrohlich«, 35 % als »eher bedrohlich«. Damit hat etwas mehr als die Hälfte der Befragten in Deutschland ein negatives Bild vom Islam (Abbildung 1). Die Ablehnungswerte spitzen sich noch einmal deutlich zu, wenn man die Muslime aus der Grundgesamtheit der Befragten statistisch herausrechnet und so zur reinen Außenwahrnehmung des Islams vordringt. Dann nehmen 53 % der Deutschen den Islam als Bedrohung wahr, 24 % betrachten ihn als »eher bereichernd« und nur noch 2 % als »sehr bereichernd«. Die im Verhältnis größte Veränderung in diesem letzten Bereich – 2 % statt 5 % – zeigt, dass es überwiegend die Muslime selbst sind, die den Islam – verständlicherweise – besonders wertschätzen, während im Rest der Bevölkerung diese Einstellung fast nicht vorhanden ist. Da in dieser Studie vornehmlich die »Fremdwahrnehmung« derjenigen interessiert, die selbst nicht dem Islam angehören, wurde für alle folgenden Berechnungen die muslimische Teilpopulation aus dem Datensample des Religionsmonitors herausgerechnet. Folglich sind mit den im weiteren Text beschriebenen Bevölkerungsgruppen immer deren nicht-muslimische Populationen gemeint. Eine Ausnahme bildet der Vergleich verschiedener Religionsbilder in Deutschland (s. u.).
»Einstellungen und Meinungen
sind komplexe Gebilde,
bei denen neben Stereotype...