
- 300 Seiten
- German
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Über dieses Buch
Was ist Griechisch?
Zum Stichwort "Griechenland" fällt jedem etwas ein: Homer, Mythologie, Olymp, Athen, Demokratie, Urlaub oder Eurokrise. Aber kennen Sie Griechenland wirklich? Und was macht nationale Identität überhaupt aus? Zwischen Antike und Gegenwart liegen über zweitausend Jahre, in denen sowohl Byzanz als auch das Osmanische Reich die griechische Kultur und Gesellschaft prägten. Das heutige Griechenland birgt kulturelle Schätze und Überraschungen, ehrliche Gastfreundlichkeit und eine sagenhafte Geschichte, die nach neuen Erzählern verlangt. So wie einst Homer: "Sage mir, Muse ..."
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Information
Thema
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Historia europeaKapitel 1
Griechenland wird Nation
Griechenland und die Idee vom Nationalstaat
Das moderne Griechenland ist keine zweihundert Jahre alt. Es hat sich aus eigener Initiative und Kraft (wenn auch mit Unterstützung von im Ausland lebender Griechen) mit einem Paukenschlag – dem Freiheitskrieg der Kleften – aus dem Osmanischen Reich gelöst, zugegebenermaßen auch, weil dessen Staatsstrukturen zu dieser Zeit schon nicht mehr funktionierten. Diese gemeinsame Kraftanstrengung und die Erfahrung des Sieges, begleitet von viel europäischer Sympathie und Anerkennung, waren der Hintergrund, auf dem sich eine nationale Identität als Griechen nach und nach entwickeln konnte. Ganz anders dagegen stellte sich die Situation zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Westeuropa dar. Dort waren schon durch die Aufklärung die Voraussetzungen geschaffen worden, die letztlich die Französische Revolution ausbrechen ließen, und in ihrem Nachklang entstand die Ideologie des Nationalismus als einer ganz neuartigen und fortschrittlichen Weltsicht.
Der Politikwissenschaftler Benedict Anderson beschreibt, welche historischen Vorbedingungen nach und nach zur Idee des Nationalismus führten, lange bevor es die ersten Nationen überhaupt gab. Die erste und eine der wichtigsten Voraussetzung war die Erfindung des Buchdrucks im ausgehenden Mittelalter. Schreiben und Lesen war bis dahin eine Kunst, die nur der Klerus und die Eliten der Macht beherrschten. Mit dem Buchdruck aber, und ganz besonders als Luther die Bibel ins Deutsche übersetzte und drucken ließ, öffnete sich der enge Zirkel der Eliten. Mit dem Protestantismus entstand ein Druckmarkt mit billigen Volksausgaben in deutscher Sprache, der in kurzer Zeit große neue Leserkreise schuf, die zuvor aus dem kleinen Kreis der auf Latein kommunizierenden Eliten ausgeschlossen waren. Das war die Voraussetzung dafür, dass sich das »Volk« an politischen Entscheidungsprozessen überhaupt beteiligen konnte.
Der sich immer weiter verbreitende Druckmarkt hatte zur Folge, dass ein Bewusstsein darüber entstand in Verbindung zu stehen mit vielen Menschen, die ein dem eigenen ähnliches Leben führten, ohne dass man sich je physisch begegnete. Dieses Bewusstsein sieht Anderson als wesentlich geschaffen durch den Roman und die Zeitung, die beide im 18. Jahrhundert im europäischen Bürgertum in Erscheinung traten. Sie hätten durch ihre massenhafte Verbreitung eine Art von Realität geschaffen, schreibt er, die nur in den Köpfen der Lesenden entstehen und existieren konnte.8 Gerade die Zeitung stellte zeitgleich Geschehendes an geografisch voneinander entfernt liegenden Orten zusammen und vermittelte so einen Eindruck von Gemeinsamkeit, von »Wir-Gefühl«: Was in der Zeitung steht, geht uns alle an, ist unsere Realität, in der wir leben. Auch wenn man die Geschehnisse in einem Land nicht selbst erlebte, nur von ihnen lesen konnte, entstand doch ein Bewusstsein darüber, dass all dies tatsächlich passierte, und dass das gleiche Leben an allen Orten parallel zum eigenen Leben existierte und sich immer weiter entwickelte. Daraus erwuchs eine neue Form von Gemeinschaft, deren Solidarität auf einer imaginierten Zugehörigkeit beruhte, und dies war letztendlich die Voraussetzung dafür, die Vorstellung einer Nation zu entwickeln.
Um es vorweg zu nehmen, das »griechische Volk«, in seiner überwiegenden Mehrheit illiterate Bauern, Viehzüchter und Wanderhirten, war von diesen in Europa stattfindenden Entwicklungen ganz und gar ausgeschlossen. Einzig die in Konstantinopel/Istanbul lebende, traditionell gebildete, mit der osmanischen Machtelite eng verbundene griechische Elite und die reichen griechischen Händler, die außerhalb Griechenlands in städtischen Lebenszusammenhängen ihre Kontore und Unternehmen führten, kosmopolitisch und gebildet wie sie waren, hatten die Voraussetzungen, sich dieser »imaginierten Gemeinschaft« zugehörig zu fühlen. Aber hier war es eine grenzüberschreitende Gemeinschaft, keine nationale. Die griechische Elite unterschied sich damit fundamental vom aufkommenden Bildungsbürgertum in den Ländern Westeuropas. Dieses hatte durch seinen technischen Erfindungsgeist die industrielle Revolution und damit zusammenhängend nationale Ökonomien, die Volkswirtschaften, hervorgebracht. Hier war nicht nur die ursprünglich städtische Bevölkerung, sondern auch die Landbevölkerung, die nach und nach zu Fabrikarbeiten wurde, von Anfang an in den Prozess der Nationwerdung eingebunden. In Griechenland dagegen gab es dieses Zusammenwachsen von ehemaliger Landbevölkerung und einer die Produktionsmittel besitzenden unternehmerischen Oberschicht nicht. Eine Industrialisierung, die die Landbevölkerung in die Städte abwandern ließ, konnte im Osmanischen Reich nicht entstehen. Somit war die im heutigen griechischen Kernland lebende bäuerliche Bevölkerung von einer »imaginierten nationalen Gemeinschaft« lange Zeit gänzlich ausgeschlossen. Sie lebte nicht nur getrennt von der kosmopolitisch vernetzten Oberschicht, sondern auch untereinander getrennt in Familien- und Nachbarschaftsgruppen, sodass sie – durch ihre bäuerliche Arbeit ortsgebunden – in kleinen Einheiten ein nach innen gerichtetes Leben führte. Diese bäuerliche Gesellschaft war statisch in dem Sinn, dass jede neue Generation ihren Lebensweg nach dem Vorbild ihrer Eltern und Großeltern vorgezeichnet sah. Dazu kam, dass ihr Leben geprägt war von Jahrhunderte langen, lokalen kriegerischen Auseinandersetzungen.
Patrick Fermor beschreibt in seinen Reiseerlebnissen auf der Mani/Peloponnes nach dem Zweiten Weltkrieg, wie sehr die ländliche Bevölkerung auch noch in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts in ihren Dörfern eingeschlossen war und die Bewohner des jeweils nächsten Dorfs, jenseits der Bergketten, für potenziell feindlich und gefährlich gehalten wurden.9 Die nationale Idee »eine Sprache, ein Volk, ein Land« verbreitete sich hier nur sehr langsam, wenn überhaupt. Zwar fand die aufkommende nationale Ideologie unter den wohlhabenden kosmopolitischen Griechen schnell Anhänger, weil das einfache griechische Landvolk aber nicht in gleichem Maße wie die Oberschicht an der aufkommenden nationalen Ideologie Teil hatte, konnte eine Nation im Sinne von Gemeinschaft in einem umgrenzten Territorium nicht auf die gleiche Weise wie in Deutschland, England oder Frankreich entstehen.
Die Entwicklung von Nationalstaaten im 18. und 19. Jahrhundert in Westeuropa wurde intellektuell getragen von der Ideologie des Nationalismus, wesentlicher aber war die Industrielle Revolution als Voraussetzung zur Gründung von Nationalstaaten. Die enormen Veränderungen der Lebensweise, die die kapitalistische Produktionsweise mit sich brachte – basierend auf technischem Fortschritt und der Produktion von Massenwaren –, schufen den Mentalitätswandel vom Bauern zum Manufaktur- und später zum Fabrikarbeiter und im Gegenüber des besitzenden Bourgeois zum Proletarier. Das Osmanische Reich, dem die griechische Bevölkerung zugehörig war, war von dieser europäischen Entwicklung weitestgehend ausgeschlossen.
Im Mittelalter waren das Byzantinische Reich in Wissenschaft und Kultur und später das Osmanische Reich mit seiner Staatsführung lange Zeit führend gewesen, während das westliche Europa nichts Vergleichbares vorzeigen konnte. Die geistige und kulturelle Entwicklung im westlichen Europa aber holte auf im Zeitalter von Renaissance und Aufklärung. Besonders die Klöster wurden wegbereitend, als sie sich neben ihren geistigen und religiösen Tätigkeiten mehr und mehr um Handwerk und Landwirtschaft kümmerten. So sahen die Benediktiner die Gottessuche sowohl im Gebet als auch in der Arbeit als gleichbedeutend an. Wolfgang Gehra schreibt dazu:
»(D)ie ganze heutige Kultur Europas (wurde) in nicht geringem Masse von den Benediktinern geformt, indem die Höfe der Adeligen, die Grundbesitzer, die Universitäten, die Städte, die Kaufleute, die Rechtsanwälte, die Künstler, die Musiker, die Schriftsteller, aber auch die einfachen Berufe der Steinmetzen, der Schreiner, der Glasmacher, der Weber, der Bierbrauer, der Bäcker, sogar der Gärtner und Erdarbeiter von diesen stillen, arbeitsamen und strebsamen Mönchen lernten … Die Klöster waren nicht nur geistige und kulturelle Zentren … Das Betreiben von Wasser- und Wind-mühlen, die Verwendung von Sägen, Hämmern, Blasebälgen, Schleif- und Poliersteinen, Quetsch-, Rühr- und Walkmaschinen wurde Basis der Mittelalterlichen Industrie.«10
Der byzantinische Klerus dagegen und damit auch die Klöster, die die fortschrittlichen Entwicklungen der Westkirche als Häresie ansahen, standen einem »wirtschaftlichen Ehrgeiz« im Sinne der Benediktiner äußerst ablehnend gegenüber. Das gleichwohl hoch entwickelte Handwerk, Kunst und Architektur wurden hier nach wie vor gefördert durch die reichen Handelshäuser und die herrschenden Eliten, wie zum Beispiel Orhan Pamuk in seinem Roman Rot ist mein Name anschaulich schildert. Zwar entstanden in der Westtürkei, in Smyrna, im 19. Jahrhundert große Manufakturen, vor allem gegründet durch Armenier, sie konnten sich aber nicht zu Industrien weiterentwickeln, bedingt durch die konfliktreichen politischen Auseinandersetzungen dieser Zeit. Der Wert der »Handarbeit«, die die Benediktiner als gottgewollte menschliche Fähigkeit ansahen, spielte im Osmanischen Reich weder unter Christen noch unter Muslimen eine Rolle. Ein Übergang von der agrarischen zur industriellen Produktionsweise und mit ihr zu einem kapitalistischen Wirtschaftssystem fand hier im Gegensatz zum nordwestlichen Europa – beginnend in England in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts – nicht statt.
Der Freiheitskampf von oben und unten, außen und innen
Die Ideologie des Nationalismus besagt, dass jede Nation eine uralte Kultur besitzt, die Jahrhunderte wechselnder geschichtlicher Ereignisse überdauert hat, den Menschen in einem bestimmten Gebiet also schon immer zu eigen war. Die politischen Grenzen eines solchen »Kulturkreises« wurden im Laufe der Geschichte mal hierhin und mal dahin verschoben, im Kern aber wurde es »schon immer« oder zumindest schon sehr lange von einem bestimmten Volk bewohnt. Mit anderen Worten: »Nation« wurde statisch und als eine Art Naturphänomen definiert. So wie man ein Geschlecht habe, beschreibt Benedict Anderson die Ideologie des Nationalismus, habe man auch eine Nationalität. Die Nation als Vaterland oder Mutterland, entspräche der Verwandtschaft, bezeichne etwas, »… an das man auf natürliche Weise eingebunden ist … ein Element des Nicht-bewusst-Gewählten.«11 Aber diese Vorstellung ist jünger als man auf Grund des postulierten »das ist immer schon so gewesen« annimmt, entstand sie doch erst im Laufe des 18. Jahrhunderts.
Schauen wir uns nun die Entstehung des griechischen Nationalstaats genauer an. Der Historiker Eric J. Hobsbawm benennt vier Kriterien als Voraussetzung für die Proklamation einer Nation (wobei er davon ausgeht, dass es zunächst einen Staat geben müsse, um daraus eine Nation zu machen): Sie müsse über eine bestimmte territoriale Größe verfügen und eine historische Verbindung mit einem gegenwärtigen oder nicht lange zurückliegenden Staat haben. Sie brauche eine alteingesessene kulturelle Elite, die über geschriebene nationale Literatur und eine Amtssprache verfüge, auch wenn diese im Alltag nicht gesprochen würde. Außerdem müsse die Nation im Stande sein zu kämpfen und zu erobern, das heißt stark genug sein um sich auch physisch zu behaupten.12
Diese Kriterien galten im Großen und Ganzen auch für die Entstehung des griechischen Nationalstaats. Das Territorium war vorhanden, wenn auch die Grenzen noch nicht festgelegt waren (bei der Gründung des griechischen Staats gehörten die Ionischen Inseln, Kreta, Thessalien, Epirus, Makedonien und die ostägäischen Inseln noch nicht dazu). Die Verbindung mit einem existierenden Staat – dem Osmanischen Reich – war zwar gerade gekappt worden, diese Schwierigkeit aber wurde dadurch gelöst, dass eine historische Verbindung zu einem zurückliegenden Staat, dem antiken Hellas, konstruiert wurde. Eine Elite, die sich als Nachkommen der antiken Griechen bezeichnen konnte, war vorhanden, auch wenn sie größtenteils nicht im Kernland lebte. Die »nationale Literatur«, das waren die Texte der antiken Denker und Staatsmänner. Und eine entwickelte gemeinsame Sprache – Griechisch – existierte ebenfalls.
Was die Kraft der Griechen sich »physisch zu behaupten«, das heißt zu kämpfen, anbelangte, so hatten sie dies eindrucksvoll bewiesen, als sie die osmanische Herrschaft abschüttelten. Der Beginn dieser Freiheitskämpfe wird auf Anfang des 19. Jahrhunderts datiert, als die berühmten Kleften in den Bergen durch geschickte Guerillakämpfe die osmanischen Herrscher nach und nach vertrieben. Die letzte entscheidende Schlacht war allerdings kein Guerilla-Kampf, sondern die Seeschlacht bei Navarino (heute Pylos) im Westen der Peloponnes. Dabei kämpften England, Frankreich und Russland 1829 gegen Kriegsschiffe des Osmanischen Reichs und Ägyptens und gewannen die Schlacht. Ursprünglich waren sie nur mit dem Ziel nach Navarino gegangen, um einen Waffenstillstand in der »orientalischen Frage« zu erreichen, die da hieß: Wer beerbt das zerfallende Osmanische Reich und damit die Macht über Südeuropa, die Levante und den Nahen Osten?
Mit dem Freiheitskampf der Griechen sympathisierten viele europäische Intellektuelle und bekannte Persönlichkeiten, die sich in »philhellenischen Bünden« zusammengeschlossen hatten. Hier schien sich das verwirklichen zu können, wovon das fortschrittliche Europa träumte: nationale Selbstbestimmung und Freiheit des Volks. Der Historiker Michael W. Weithmann schreibt dazu:
»Der Philhellenismus erfasste bedächtige Gelehrte, christliche Kreise und das liberale Bürgertum genauso wie die radikale nationalrevolutionäre Studentenschaft. … (Er) war Teil des Bekenntnisses zu den großen fortschrittlichen Ideen der Zeit geworden, zu Nationalstaat, Republik, Gewaltenteilung und Verfassung mit Bürgerrechten und Pressefreiheit. Trotz der Unterdrückung durch die offizielle Politik wurde die Philhellenische Bewegung zu einer einflussreichen ›Pressure Group‹, die bald die öffentliche Meinung beherrschte und die Regierungspolitik schließlich in ihrem Sinne beeinflussen sollte.«13
Viele Philhellenen in Europa – arbeitslose Offiziere, verfolgte Revolutionäre, Abenteurer, Dichter und idealistische Schwärmer – machten sich auf mitzukämpfen, und nicht wenige bezahlten ihr griechisches Abenteuer mit dem Leben, wie der englische Schriftsteller, Lebemann und Draufgänger Lord Byron, der 1824 in Mesolongi (am Golf von Patras gelegen) wenig ruhmreich an den Folgen einer Unterkühlung (manche Quellen sprechen von »Sumpffieber«) starb.
Überall in Europa und den USA wurden Unterstützungsvereine gegründet, in denen Auslandsgriechen zahlreich vertreten waren. Der bekannteste ist der, von der griechischen kosmopolitischen Elite 1814 in Odessa gegründete, Fíliki Etería (Φιλική Εταιρεία= Freundesverband), eine Art Geheimbund, der die Befreiung Griechenlands und die Errichtung einer modernen griechischen Nation vorantreiben sollte. Eine der schillerndsten Persönlichkeiten, die der Filikí Etería angehörte und mit an die Front zog, war eine Frau, die Griechin Laskarina Bouboulina, Witwe eines reichen Kapitänsreeders, die über ihre Beteiligung am Befreiungskampf Berühmtheit erlangte. Sie war keineswegs die einzige, die an den Freiheitskämpfen beteiligt war. Wie Helen Angelomatis-Tsougarakis zeigt, wurden die Kämpfer auf vielfältige Weise von Frauen unterstützt, wenn auch weitgehend im Hintergrund.14 So kämpfte Bouboulina auch nicht direkt mit, nahm aber gleichberechtigt mit den Generälen an deren Kriegsrat und Entscheidungsfindungen teil und erhielt den Ehrennamen Kapetánissa. Mit General Theodoros Kolokotronis verband sie eine enge Freundschaft, die dazu führte, dass sie ihre Kinder, Eleni Boubouli und Panos Kolokotronis, miteinander verheirateten. Allerdings weniger aus romantischen Gründen, sondern aus Gründen der Allianz, um den Einfluss der an den Freiheitskämpfen beteiligten Familien zu stärken. Diese Heiratspolitik war in allen an der wirtschaftlichen und politischen Macht beteiligten Familien üblich.
Auch in Deutschland, in München, war eine »Gesellschaft der Philhellenen« gegründet worden. Bayernkönig Ludwig I., ein leidenschaftlicher Philhellene, engagierte sich ebenfalls für den griechischen Freiheitskampf und sein Sohn Otto wurde später als erster König von Griechenland bestimmt. Ludwigs Verehrung des antiken Hellas in dem »von den Türken unterjochten Griechenland« drückte sich auch darin aus, dass – auf seine Anordnung vom 20. Oktober 1825 hin – die ursprüngliche Schreibweise des Landesnamens »Baiern« abgelöst wurde durch Bayern mit »y«, dem »griechischen Ypsilon«.
Aber nicht nur der Bayernkönig schwärmte für das antike Hellas, überall im humanistischen Deutschland breiteten sich in den Köpfen und Studierstuben romantische Vorstellungen vom homerischen Griechenland aus, die mit der Lebensrealität der Griechen zu Beginn des 19. Jahrhunderts rein gar nichts zu tun hatten. Die Philhellenische Bewegung trug vielmehr dazu bei, Zuhause in Deutschland ein Nationalgefühl zu entwickeln, und Vorbild dafür war die griechische Antike. Hans Eideneier schreibt: »Tief verankert war der Glaube an die Wahlverwandtschaft deutscher und griechischer Geisteswelt, wobei das agonale Prinzip im Wettstreit der Kulturen jetzt sogar Pate dafür stand, es den alten Griechen nicht nur gleich zu tun, sondern sie sogar zu übertreffen.«15 Die Ideale des Humanismus destillierten deutsche Gymnasiallehrer aus der griechischen Geisteswelt, und sie waren überzeugt davon diese besser zu kennen als die Griechen selbst, denn deren Lebensweise schien mittlerweile »orientalisch« überformt zu sein. Für die deutschen Philhellenen lebten Hellenen »… auf Aiolos’ Meeren, in Eumaios Hütten, am schattigen Quell des Kifissos oder an Alphaios’ dunklem Strom … Realitätsferne – je ferner desto besser – war im Spiel hehrer Gedanken mit inbegriffen«, schreibt Eideneier und fügt hinzu: Die Griechen am Ort »… existierten zwar, bekamen von der ganzen Show, die in ihrem Namen lief, zunächst so gut wie nichts mit.«16
Diese romantischen Schwärmereien in Deutschland hatten mit dem real existierenden Griechenland zwar nichts zu tun, trotzdem sollten sie sehr konkrete Auswirkungen auf den Aufbau einer neu-griechischen Nation haben. Dabei war die Umbenennung von »Römer – Romaii«, wie sie sich selbst nannten, zu »Hellenen«, wie die Deutsche...
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort
- Einleitung
- Nation: Ein Volk, eine Sprache, eine Geschichte
- Was wissen die Deutschen von den Griechen?
- Kapitel 1
- Griechenland wird Nation
- Kapitel 2
- Griechen im Osmanischen Reich
- Kapitel 3
- Die Wiederentdeckung des byzantinischen Zeitalters
- Kapitel 4
- Familien-Geschichten
- Nachwort
- Literatur
- Danksagung