Hotel Dellbrück
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Hotel Dellbrück

Roman

  1. 421 Seiten
  2. German
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Hotel Dellbrück

Roman

Über dieses Buch

Dezember 1938: Sigmund, 15 Jahre alt, sitzt im Zug nach England. Sigmund ist Jude, Waisenkind, aufgewachsen im Hotel Dellbrück, dem Bahnhofshotel einer westfälischen Kleinstadt. Mit dem Kindertransport kommt er nach Cornwall, wo er von einem methodistischen Ehepaar aufgenommen wird. Hier überlebt er den Krieg und den Holocaust, studiert und wird Lehrer.1949 entscheidet sich Sigmund für die Rückkehr nach Deutschland. Er unterrichtet an derselben Schule, an der er zwölf Jahre zuvor als "Judenlümmel" schikaniert wurde. Sigmund heiratet Maria, die Tochter des Hoteliers Tono Dellbrück, mit der er vor seiner Flucht nach England aufgewachsen ist. Doch Sigmund fällt es schwer, im Nachkriegsdeutschland heimisch zu werden. Auch sein Sohn Friedemann, der 1955 auf die Welt kommt, ist lange auf der Suche nach Heimat und Bindung. Nach dem Abitur fährt er 1975 mit dem Magic Bus das erste Mal nach Indien, später lebt er eine Zeit lang in Poona und zieht Anfang der 1990er-Jahre mit seiner Freundin Cleo nach Australien.Der Ankerpunkt in Deutschland bleibt das Hotel Dellbrück. Als Frido 2018 auf Besuch in Deutschland vor dem Hotel steht, ist es ein Flüchtlingswohnheim. Unerwartet stark empfindet der jetzt 63-Jährige die Kräfte des Ortes, der ihn und seinen Vater einst so sehr geprägt hat. Der Gang durch das ehemalige Hotel verändert Fridos Leben.Göring greift in diesem Roman erneut zu großen Themen und erzählt sie spannend, einfühlsam und mit leichter Hand: Wie sehr prägt das Schicksal des jüdischen Vaters, der zwischen Schuld- und Hassgefühlen nicht zur Ruhe kommt, den Sohn Frido? Wo findet man Heimat? Wie meistert der Einzelne die Sehnsucht nach Spiritualität und Bindung? Frido stellt die Frage radikal: Wann macht das Leben Sinn? Und wie zuvor Sigmund erlebt auch Frido, wie wichtig es ist, den rechten Moment nicht zu verpassen, wenn man mutig springen und sich Unbekanntem öffnen muss.

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Information

Kapitel 1

18. Juni 2018
Lippstadt
Frido
»Was suchen Sie?«
Frido antwortet nicht. Er lässt den jungen Araber stehen, geht die paar Schritte zur Saaltür und öffnet sie. Der Saal ist kleiner, als er ihn in Erinnerung hat. Acht Tische verteilen sich über den Raum, sind beladen mit Spielsachen, Bastelutensilien, Malstiften, Heften. Stühle stehen um die Tische herum. Vor zwei Fenstern hängen grüne Vorhänge, zum Teil aus den Vorhangschienen gerissen, mit bauchigen Falten; die vier anderen Fenster sind frei. Plastikautos parken auf dem Holzboden zwischen Puppen, Duplo-Steinen und Plüschtieren.
»Hier nicht weitergehen«, sagt der Araber, »hier nur Frauen und Kinder. Hier ist Kita. Jetzt nicht, jetzt alle beim Essen, vorne im Speiseraum.«
Er hat schon im Hineingehen den Krach aus dem früheren Restaurant gehört, das Scheppern von Stühlen und Besteck, laute Stimmen, Kreischen der Kinder. Der junge Araber lässt ihn nicht aus dem Blick, während Frido langsam einen kleinen Halbkreis im Saal abschreitet. »Was wollen Sie hier?«, fragt der Araber.
»Nichts«, sagt Frido, »nur schauen«, und fügt leise hinzu, »schauen und erinnern.«
Dann geht er wieder an ihm vorbei, dieses Mal aus der Tür hinaus nach rechts auf die Treppe zu, doch bevor er auf die erste Stufe tritt, hat der Araber ihn eingeholt und sich mitten auf die Treppe gestellt.
»Hier nicht, hier ist alles privat, hier ist Heim!«, sagt er und breitet die Arme aus, um ihn am Weitergehen zu hindern.
»Ich war als Kind oft hier«, sagt Frido. »Das Hotel gehörte meinem Großvater. Wenn wenig Gäste da waren, durften wir in den Zimmern im ersten Stock Verstecken spielen.«
»Nichts Hotel mehr«, sagt der Araber, »Wohnheim! Alles Flüchtlinge und Kinder. Asylanten!«
Frido nickt. »Ich weiß. Steht ja vorne dran. Aber der alte Name ist noch immer eingraviert über der Tür: ›Hotel Dellbrück‹.« Er schaut dem Araber direkt ins Gesicht. Der Junge weicht seinem Blick nicht aus.
»Woher kommen Sie?«
»Ich komme aus Aleppo.«
Frido schätzt ihn auf vielleicht zwanzig Jahre. Der Junge ist groß, schlank, hat einen hellen Teint, kurz geschnittenes schwarzes Haar. Er hat sich seit einigen Tagen nicht mehr rasiert, seine dunklen Augen schauen mit einer Mischung aus Neugierde und Unsicherheit auf ihn.
»Und seit wann sind Sie hier?«
Frido kann nicht behaupten, dass er sich für die Geschichte des Arabers wirklich interessiert. Er will nur freundlich sein, damit der Junge ihm seinen Rundgang nicht verleidet. Während er noch fragt, schaut er ihn schon gar nicht mehr an, sondern blickt zur Decke des Flurs, an der er den Stuck vermisst, der, da ist er sicher, den Flur früher verziert hat. Kalkweißer Stuck mit Blütenköpfen, einer geschwungenen Linie und einer weißen Zierleiste am Rand.
»In Lippstadt seit zwei Jahren, davor Passau, dann München.«
»Und Sie wohnen hier im Hotel Dellbrück?«
»Ja, dritter Stock.«
»Ich würde gern einmal nach oben gehen, mein Vater und meine Mutter sind hier in diesem Haus geboren!«
»Beide hier?«
»Ja«, Frido lacht und ist überrascht, dass der Araber so schnell diese Besonderheit erkannt hat, »ja, sie sind beide hier im selben Jahr in diesem Haus zur Welt gekommen.«
»Sie haben Erlaubnis für Heim? Herr Hildebrand ist nicht da heute.«
Der Araber zeigt mit dem Daumen auf eine Tür im Halbparterre, an der ein Schild angebracht ist: »Direktor«.
»Das war schon bei meinem Großvater das Büro.« Frido lacht. »Da saß Antonius Dellbrück, alle nannten ihn Tono, der ist gestorben, als ich in Hannover studierte.«
Er geht zur Tür des Büros und will sie öffnen. Der Araber erschrickt. »Nein, nein, Herr Hildebrand ist nicht da«, ruft er. Die Tür ist verschlossen. Frido dreht sich zu dem Araber hin.
»Ich heiße übrigens Friedemann Rosenbaum, Sie können mich aber ›Frido‹ nennen, alle nennen mich Frido. Da, wo ich lebe, in Australien, heiße ich ›Frido Ross‹. Ross ist einfacher in Australien als Rosenbaum. Und Sie?«
»Australien? Oh, weit weg.« Der Araber macht eine Pause. Australien hat ihn offenbar beeindruckt. »Ich heiße Djad und ich komme aus Syrien.« Frido lächelt, Djad hat diesen Satz, der völlig akzentfrei daherkam, sicher tausend Mal trainiert, denkt er. »Ich bin vor zwei Jahren gekommen.«
»Ohne Eltern?«
»Ja, ich war unbegleiteter minderjähriger Flüchtling, ohne Eltern.« Auch dieser Satz wirkt eintrainiert.
»Wie alt sind Sie, Djad?«
»Neunzehn, fast zwanzig.«
»Würden Sie mir Ihr Zimmer im dritten Stock zeigen?«
Djad ist überrascht, er zögert mit der Antwort. »Warum?«, fragt er nach einer Weile.
»Mein Vater und meine Mutter sind im dritten Stock groß geworden, genauer in dem Seitentrakt, der früher mal ein eigenes Haus war.« Frido stockt. So genau braucht er es dem Araber nicht zu erklären. Für die Baugeschichte des Hotels wird der sich nicht interessieren.
»Gut, Sie können kommen!«
Jetzt ist Frido überrascht. Sie gehen am Aufzug vorbei, »ist kaputt, schon lange«, und steigen die Treppe hinauf. Die war früher über die gesamten Stufen mit einem breiten dunkelroten Kokosläufer bespannt, denkt Frido, und für einen Moment spürt er wieder den Kokos unter seinen nackten Füßen. Irgendwann einmal musste er barfuß durchs Treppenhaus gegangen sein, aber wann und warum, kann er nicht erinnern. Jetzt laufen sie über dunkelblaue Auslegeware, mit einer Reihe brauner und schwarzer Kaffee- oder Colaflecken darin. Im dritten Stock stoppt Djad vor einer Tür, an der in metallenen Buchstaben »32« steht. »Mein Zimmer«, sagt er, »und von Farid. Farid ist nicht da. Er ist in Gärtnerei, Gärtnerei Neuhoff. Wollen Sie es wirklich sehen?«
»Nein«, sagt Frido, »so wichtig ist es nicht. Mich interessiert mehr diese Tür.« Er zeigt auf eine Tür am Ende des Gangs, auf der »39a–39f« steht. »Es ist die Tür zur alten Wohnung meines Großvaters. Da hatten meine Mutter und mein Vater ihre Zimmer. Da habe ich geschlafen, wenn ich zu Besuch kam.« Er ist schon auf dem Weg zur Tür, als Djad ihn zurückhält. »Das sind Zimmer für Familien aus Afghanistan. Sind jetzt alle essen, unten. Alles ist zu, verschlossen!«
»Dann warte ich.«
Djad sieht ihn verdutzt an.
»Ich will fragen«, Djad zögert, »warum du aus Australien hier bist? Ich denke, Australien ist sehr reich.«
»Nein, nein, so reich ist es nicht. Ich bin zu Besuch in Deutschland, ich fliege Ende nächster Woche wieder zurück nach Sydney.«
Djad öffnet jetzt die Tür zu Zimmer 32.
»Komm«, sagt er und führt ihn in das Zimmer. An der linken und der rechten Wand stehen je ein Bett, vor dem Fenster ein Tisch mit zwei Stühlen, das Fenster ist gekippt, man hört die Geräusche eines in den Bahnhof einfahrenden Zuges. Es ist alles ordentlich, die Schuhe stehen zu Paaren nebeneinander vor jedem Bett, die Bettdecke ist gefaltet, auf dem Tisch ein geöffneter Laptop, oben auf den beiden Schränken jeweils ein Rucksack, auf einem Bord an der Wand ein Fernseher. Ordentlicher als bei Manuel, denkt Frido. Dann entdeckt er etwas, das er in diesem Zimmer nicht erwartet hatte. Ein kleines Kruzifix aus Metall am Kopfende des linken Bettes.
»Komm«, sagt Djad erneut, und führt ihn zum Tisch, holt von der Fensterbank ein Glas, eine Flasche Cola, ein Schälchen mit Nüssen und weist auf den Stuhl rechts vom Tisch. »Ich würde gern nach Australien fahren, dort leben, arbeiten, aber ich weiß nicht, wie.« Ach, daher weht der Wind, denkt Frido, und lächelt Djad an, der mit großen noch immer etwas ängstlichen Augen auf ihn blickt, während er langsam auf dem Stuhl ihm gegenüber Platz nimmt. »Wie bist du nach Australien gekommen? Viel Geld?« Djad sitzt jetzt sehr aufrecht auf seinem Stuhl, das Kreuz durchgedrückt.
»Nein«, sagt Frido, »mit Geld hatte das nichts zu tun. Aber es ist eine lange Geschichte.«
»Du warst Flüchtling in Australien, Asyl?«
»Nein, nein«, Frido lächelt, »ich war kein Flüchtling, auf jeden Fall kein echter Flüchtling. Ich wollte einfach nur weg.«
Frido nimmt einen Schluck Cola. Für einen Moment sieht er sich als jungen Kerl, so alt wie dieser Djad, aber nicht beim Aufbruch nach Australien, sondern viel früher, wie er den Bus besteigt, damals in Köln nach dem Abitur, den alten Rucksack mit dem hohen Gestell, Hesses Siddhartha in der Jackentasche, wie er sich im Bus umschaut, wer jetzt wie er wochenlang unterwegs sein wird, bis sie irgendwann in Kathmandu ankommen würden. Dabei hat er selbst Kathmandu nie erreicht.
»Warum weg aus Deutschland? Und warum Australien?«, fragt Djad nach. Frido hat keine Lust, seine Geschichte zu erzählen. Er möchte doch einfach nur eine Viertelstunde oder eine halbe in diesem alten Hotel sein, das auf ihn schon als Kind eine besondere Anziehungskraft hatte, die langen Gänge, die vielen Zimmer, die fremden Leute, dieser ganz eigene Hotelgeruch. Und dann Großvater Tono, bei dessen Anwesenheit immer alles leicht erschien.
»Ich wollte einfach weg, wollte mit einer Frau zusammenleben, in die ich mich verliebt hatte.« Er macht eine Pause, nimmt noch einen kleinen Schluck von der Cola. Djad richtet seine dunklen Augen direkt auf ihn. Frido spürt, dass Djad mit seiner Antwort nicht zufrieden ist. »Es hat«, Frido macht eine kurze Pause, als überlege er noch, wie viel er erzählen sollte, »es hat mit meinem Vater zu tun, der war ein richtiger Flüchtling, der war Jude, er musste aus dieser Stadt weg und hat das rechtzeitig geschafft. Er war fünfzehn, als er floh.«
Djad nickt. »Jünger wie ich«, sagt er, »und war er mit Eltern?«
Es war wohl doch nicht richtig, Vaters Geschichte anzusprechen, denkt Frido.
»Nein, mein Vater hatte keine Eltern mehr, er ist wie du als unbegleiteter Jugendlicher aus seinem Heimatland nach England geflohen. Juden sind damals hier verfolgt und ermordet worden.«
»Weiß ich«, sagt der Junge.
Die Ängstlichkeit ist aus Djads Augen verschwunden. Er schaut Frido offen und neugierig an, versucht gar ein Lächeln, während er Fridos Glas nachfüllt.
»Ist noch in England?«
»Mein Vater? Nein, der ist längst tot.« Djad zeigt einen mitfühlenden Blick und bleibt eine Zeit lang still, senkt den Blick auf den Boden.
»Ich würde auch gern nach Australien, schönes Land, und viel Arbeit.« Er hebt den Kopf. »Aber dann wieder nach Syrien, wieder Aleppo.«
»Warum wieder Syrien?«
»Hier ist nicht zu Hause. Hier ist«, Djad stockt, »hier ist Reise, weißt du, nicht meine Seele, nicht Heimat.« Der Junge macht eine Pause. »Ist deine Seele hier oder in Australien?«
Djad schaut ihn mit großen Augen an. Der Junge hat schöne Augen, denkt Frido, lange schwarze Wimpern und dichte feine Augenbrauen. Frido will dieses Gespräch nicht. Statt einer Antwort weist er mit dem Daumen auf das Kreuz über dem Bett.
»Das Kreuz gehört Farid«, sagt Djad, noch bevor Frido eine Frage stellt. »Farid ist kein Moslem, ist syrischer Christ. Du bist auch Christ?«
»Oh«, antwortet Frido, »nicht so ganz. So einfach ist das bei mir nicht.« Er senkt den Blick auf das Cola-Glas vor ihm. Er wird den Araber enttäuschen müssen, er hat keine Lust auf Bekenntnisse, schon die Frage nach der Heimat war überflüssig und jetzt kommt noch die Seele dran und der Glauben! Er wollte doch nur noch einmal durchs Hotel gehen, ein paar alte Bilder in sich wachrufen, ein wenig in Nostalgie schwelgen. Frido drückt sich auf dem Stuhl gegen die Lehne.
»Ich bin so eine Mischung aus Christ und ein wenig Buddhist.« Der Junge blickt ihn unverwandt an, als wüsste er, dass das nicht alles ist. »Dann kommt von meinem Vater noch eine kleine Portion jüdisch hinzu«, Frido überlegt kurz, »von Bhagwan Osho die ein oder andere ganz brauchbare Lebensmaxime, und dann bin ich bei alledem wohl überwiegend Atheist.«
Der Junge nickt. Wahrscheinlich kommt ihm diese Mischung etwas albern vor, denkt Frido, die steckt er sicher in die Schublade ›Typischer Westler‹.
Eine Glocke schrillt im Zimmer. »Entschuldige«, sagt Djad und dreht sich zur Tür. »Ich habe Hausdienst, bin gleich wieder im Zimmer.« Damit läuft er schon auf den Flur hinaus. Frido ist erleichtert, spürt aber eine gewisse Unruhe, die Djads Fragen in ihm ausgelöst haben, und ärgert sich darüber. Er war doch nicht im Hotel, um religiöse Bekenntnisse abzugeben! Und das auch noch vor einem jungen, ihm völlig unbekannten Syrer, den es zufälligerweise in dieses Haus verschlagen hat.
In diesem Moment pfeift eine Lok. Das Hotel Dellbrück ist nun mal das Bahnhofshotel, denkt Frido und hört wieder die Stimme seines Großvaters: »Eine bessere Lage für ein Hotel gibt es einfach nicht«, sein Onkel und seine Tante halten laut dagegen, sie streiten, und erst später hat er verstanden, dass es bei diesen Streitigkeiten um Hotelpläne in Bad Waldliesborn ging, für die Tante und Onkel gern das Hotel Dellbrück am Bahnhof verkaufen wollten, Großvater aber nicht. »Tempi passati«, murmelt Frido und nimmt das Glas Cola in die Hand, ohne davon zu trinken. Er sieht deutlich d...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Widmung
  5. Inhalt
  6. Kapitel 1
  7. Kapitel 2
  8. Kapitel 3
  9. Kapitel 4
  10. Kapitel 5
  11. Kapitel 6
  12. Kapitel 7
  13. Kapitel 8
  14. Kapitel 9
  15. Kapitel 10
  16. Kapitel 11
  17. Kapitel 12
  18. Kapitel 13
  19. Kapitel 14
  20. Kapitel 15
  21. Kapitel 16
  22. Kapitel 17
  23. Kapitel 18
  24. Kapitel 19
  25. Kapitel 20
  26. Kapitel 21
  27. Kapitel 22
  28. Kapitel 23
  29. Kapitel 24
  30. Kapitel 25
  31. Kapitel 26
  32. Kapitel 27
  33. Kapitel 28
  34. Kapitel 29
  35. Kapitel 30
  36. Kapitel 31
  37. Die wichtigsten Personen
  38. Danksagung