Gott im Fadenkreuz
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Gott im Fadenkreuz

Warum der Neue Atheismus nicht trifft

  1. 320 Seiten
  2. German
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Gott im Fadenkreuz

Warum der Neue Atheismus nicht trifft

Über dieses Buch

Ein Plädoyer für die Existenz Gottes! Der "Neue Atheismus" ist in Europa auf dem Vormarsch, selbstbewusster und kämpferischer denn je. Die Argumente gegen die Existenz Gottes sind aber längst nicht zwingend. Der bekannte Mathematikprofessor John Lennox nimmt den Ball auf. Engagiert und lebendig in der Sprache, brillant in der Gedankenführung, weist er nach, dass die Argumente der prominenten Vertreter der Neuen Atheisten sehr begrenzt sind: logisch nicht stichhaltig, wissenschaftlich nicht sauber genug.

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Information

Kapitel 1

Sind Gott und Glaube Feinde von Verstand und Wissenschaft?

Monotheismus hasst Intelligenz.
Gott tötet alles, was sich gegen ihn auflehnt, angefangen bei Verstand, Intelligenz und kritischem Denken.
Michel Onfray
Der Glaube ist ein Übel, eben weil er keine Rechtfertigung erfordert und keine Diskussion duldet.
Richard Dawkins
Diese [Dinge] aber sind geschrieben, damit ihr glaubt.
Der Apostel Johannes
Michel Onfray ist der Ansicht, dass Gott nicht tot ist. Doch die Theisten sollten nicht in verfrühten Jubel ausbrechen, denn seine Erklärung klingt so:
»Eine Fiktion stirbt nicht, eine Illusion vergeht nie und ein Kindermärchen lässt sich auch nie widerlegen. … Einen Atem, einen Wind und einen Geruch tötet man nicht, genauso wenig wie man einen Traum oder ein Verlangen tötet. Der von den Sterblichen nach ihrem überhöhten Bild von sich selbst geschaffene Gott existiert nur, um trotz der Tatsache, dass der Weg für jeden ins Nichts führt, ein Alltagsleben zu ermöglichen. Solange die Menschen sterben müssen, werden einige von ihnen diese Vorstellung nicht ertragen können und deshalb Ausflüchte erfinden. Und eine Ausflucht tötet man nicht, man bringt sie nicht um. Eher ist es die Ausflucht, die uns tötet: Denn Gott liquidiert alles, was sich ihm widersetzt. Ganz besonders die Vernunft, die Intelligenz und den kritischen Geist. Der Rest folgt als Kettenreaktion.«59
Für Onfray ist es also dieser fiktive Gott, der ein Feind des Verstandes ist. Nun mögen fiktive Götter wohl Feinde des Verstandes sein – der Gott der Bibel ist es ganz sicher nicht. Das Jesus Christus zufolge allererste biblische Gebot enthält die Anweisung: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben … mit deinem ganzen Verstand.«60 Im griechischen Urtext steht hier explizit dianoia; dieses Wort unterstreicht die kritisch unterscheidende, vernünftige Funktion des Verstandes. Das sollte für uns hinlänglich belegen, dass Gott kein Feind des Verstandes ist. Immerhin ist er als Schöpfer doch verantwortlich für die Existenz des menschlichen Verstandes; die biblische Sicht besagt, dass der Mensch die Krone der Schöpfung ist. Er allein ist als rationales Wesen im Bild Gottes erschaffen und zu einer Beziehung mit Gott fähig. Er allein hat die Fähigkeit erhalten, das Universum zu verstehen, in dem er lebt. Dementsprechend ist die Bibel auch alles andere als wissenschaftsfeindlich. Im Gegenteil, sie ermuntert den Menschen zu wissenschaftlicher Arbeit. Man könnte sagen, dass sie dem Menschen sogar das ursprüngliche Mandat zur Wissenschaft gab. Eine grundlegende Aufgabe in allen Wissenschaftszweigen (und überhaupt in allen intellektuellen Disziplinen) ist die Benennung und damit Klassifizierung von Dingen und Phänomenen. Jede intellektuelle Disziplin hat ihre eigene Nomenklatur. Dem Buch Genesis zufolge war es auf dem Gebiet der Biologie Gott selbst, der diesen Prozess in Gang setzte, indem er die Menschen beauftragte, die Tiere zu benennen.61 Das war der Beginn der Taxonomie. Im Lauf der Zeit erweiterte sich dies zu einer Wahrnehmung der Natur als rationale Einheit, die dem menschlichen Verstehen (zumindest teilweise) zugänglich war, denn sie war vom Verstand Gottes gestaltet worden, nach dessen Bild der menschliche Verstand erschaffen ist.
Alfred North Whitehead und andere haben darauf hingewiesen, dass es sogar starke Belege dafür gibt, dass der rasante Aufstieg der Naturwissenschaften im 16. und 17. Jahrhundert eng mit der biblischen Weltsicht verbunden war. C. S. Lewis fasst es folgendermaßen zusammen: »Die Menschen wurden zu Wissenschaftlern, weil sie erwarteten, dass es in der Natur ein Gesetz gäbe; und sie erwarteten ein Gesetz in der Natur, weil sie an einen Gesetzgeber glaubten.«62 In jüngerer Zeit hat Peter Harrison, Professor für Wissenschaft und Religion an der Universität Oxford, ein beeindruckendes Plädoyer für eine Verschärfung von Whiteheads These geliefert. Er zeigt, dass es nicht nur der Theismus allgemein, sondern auch die speziellen, von den Reformatoren eingesetzten Prinzipien der Bibelauslegung waren, die einen wesentlichen Beitrag zum Aufstieg der Naturwissenschaften leisteten.63
Die Bibel lehrt, dass die Schöpfung bedingt ist – das heißt, Gott als der Schöpfer hat die Freiheit, die Welt so zu machen, wie sie ihm gefällt. Um herauszufinden, wie das Universum ist und funktioniert, müssen wir daher Beobachtungen durchführen. Wir können nicht, wie Aristoteles meinte, die Natur des Universums von abstrakten philosophischen Prinzipien ableiten. Aristoteles war der Überzeugung, dass es gewisse apriorische Prinzipien64 gibt, denen sich das Universum unterwerfen muss – eine Ansicht, die das Denken der Menschheit jahrhundertelang beherrschte. Eines dieser Prinzipien war, dass eine perfekte Bewegung kreisrund sein muss. Da Aristoteles meinte, alles jenseits des Mondes sei perfekt, folgte daraus, dass sich auch die Planeten auf Kreisbahnen bewegen. Erst als der Christ Johannes Kepler sich von dieser aristotelischen metaphysischen Einschränkung löste und die (bereits von Tycho Brahe gesammelten) astronomischen Daten über die Bewegung des Planeten Mars für sich sprechen ließ, entdeckte er, dass sich die Planeten in Wirklichkeit auf ähnlich »perfekten« Ellipsen bewegen.
Keplers Bereitschaft ist bewundernswert, den Indizien zu folgen, wohin sie auch führten, statt sich von metaphysischen Vorentscheidungen einschränken zu lassen – auch wenn diese zum gesicherten Wissen von Jahrhunderten gehörten. Doch den weltbekannten Philosophen Antony Flew traf ein regelrechter Proteststurm, als er mit der Begründung, die Komplexität des Lebens habe ihn überzeugt, seine Hinwendung zum Deismus bekannt gab. Offenbar ist das Verlassen des naturalistischen Paradigmas mit ebenso vielen Schwierigkeiten behaftet wie das Verlassen des aristotelischen Weltbildes. Der größtenteils irrationale Protest gegen Flew von Personen, deren viel gepriesener Intellekt zu einer moderateren Reaktion hätte führen sollen, belegt eindeutig, dass ein apriorischer Naturalismus intelligente Hirne wirksam daran hindern kann, den Gedanken in Betracht zu ziehen, dass einige Merkmale des Universums auf eine gestaltende Intelligenz hindeuten – auch wenn dies die logischste und naheliegendste Interpretation der vorliegenden Indizien wäre.
Wiederum war es ein Gottgläubiger, nicht ein Atheist, der die Idee hatte, die zum aktuell weitgehend anerkannten Urknall-Modell für den Ursprung des Universums führte. Georges Lemaitre (1894-1966), ein belgischer Priester und Astronom, stellte die Theorie des ewigen Universums infrage, die jahrhundertelang vorgeherrscht hatte und die sogar Einstein seinerzeit vertrat (auch hier zeigte sich Aristoteles’ Einfluss). Lemaitre entwarf eine geniale Anwendung von Einsteins Relativitätstheorie auf die Kosmologie, und 1927 erarbeitete er einen Vorläufer des Hubble-Gesetzes. Im Jahr 1931 legte er seine Hypothese zum »Uratom« vor, die besagte, dass das Universum an einem Tag begann, »der kein Gestern hatte«. So wie Alexander Friedman hatte auch Lemaitre entdeckt, dass das Universum sich ausdehnen muss. Allerdings ging Lemaitre weiter als Friedman und behauptete, dass ein schöpfungsähnliches Ereignis aufgetreten sein musste. Interessanterweise betrachtete Einstein diese Theorie mit Argwohn, da sie ihn zu sehr an die christliche Schöpfungslehre erinnerte. Diesen Argwohn teilte Sir Arthur Eddington (1882-1944), der Lemaitre in Cambridge unterrichtet hatte und seine Arbeit von 1927 für eine »geniale Lösung« eines bisher ungelösten Problems der Kosmologie hielt. Der Gedanke einer Schöpfung war allerdings zu viel für Eddington: »Philosophisch betrachtet ist die Vorstellung eines Anfangs der gegenwärtigen Ordnung der Natur abstoßend … Ich würde nur zu gern ein echtes Schlupfloch daran finden.«65
Viel später – in den 1960er-Jahren – reagierte ein weiterer bekannter Naturwissenschaftler, Sir John Maddox (damaliger Herausgeber der Zeitschrift Nature), ähnlich negativ auf die Entdeckung weiterer Belege für die Urknall-Theorie. Für ihn war die Idee eines Anfangs »durch und durch inakzeptabel«, da sie indirekt einen »letztendlichen Ursprung unserer Welt« bedeutete und denjenigen, die an die biblische Schöpfungslehre glaubten, »reichlich Rechtfertigung« für ihre Überzeugungen bot.66 Es ist schon eine Ironie, dass sich im 16. Jahrhundert einige dem naturwissenschaftlichen Fortschritt widersetzten, da er den Glauben an Gott zu bedrohen schien – im 20. Jahrhundert hingegen wehrte man sich gegen naturwissenschaftliche Modelle eines Anfangs, da sie die Plausibilität eines Glaubens an Gott untermauern könnten.
Wissenschaftsfeindlichkeit steht im völligen Gegensatz zur biblischen Weltsicht, und ich lehne sie ebenso sehr ab wie die Neuen Atheisten es tun. Damit will ich nicht sagen, dass kein religiöser Mensch eine antiwissenschaftliche Einstellung hat. Leider ist das Gegenteil der Fall. Aus christlicher Sicht sind solche Ansichten unentschuldbar, und es ist beklagenswert, dass sie immer noch zu finden sind. Andererseits ist es auch bedauerlich, dass die Neuen Atheisten nicht immer so wissenschaftlich eingestellt sind, wie sie vorgeben – besonders, wenn es darum geht, den Indizien dorthin zu folgen, wohin sie führen, und ganz besonders, wenn die Befunde ihren materialistischen oder naturalistischen Vorannahmen widersprechen. Die Neuen Atheisten können ebenso wissenschaftsfeindlich sein wie alle anderen auch.67
Nebenbei sei erwähnt, dass oft behauptet wird, Naturwissenschaftler, die an einen Schöpfer glauben, seien unwissenschaftlich, da ihr Modell des Universums keine überprüfbaren Voraussagen treffen könne. Doch Maddox’ oben genannte Aussage zeigt, dass dies nicht der Fall ist. Maddox stand der Vorstellung von einem Anfang genau deswegen so feindlich gegenüber, weil das in 1. Mose beschriebene Schöpfungsmodell eindeutig einen solchen Anfang beinhaltet, und eine wissenschaftliche Bestätigung dieses Modells konnte er nicht gutheißen. Allerdings mussten seine Einwände fallen, als er mit den Befunden konfrontiert wurde. Die Entdeckung der kosmischen Rotverschiebung und das kosmische Echo der Schöpfung, die Mikrowellen-Hintergrundstrahlung, bestätigten die Aussage des biblischen Berichts – es gab einen Beginn der Raum-Zeit.
Ganz anders als Maddox’ Reaktion fällt die von Richard Dawkins aus. Als ich in unserer Debatte in Alabama diesen Punkt erwähnte, beeindruckte ihn das nicht. Seine Antwort war, dass die Bibel eine 50-prozentige Chance hatte, die richtige Aussage zu treffen, da es entweder einen Anfang gegeben haben muss oder nicht. Abgesehen von der überflüssigen Unterstellung, der biblische Bericht sei einfach eine Mutmaßung, geht es hier gar nicht um die Wahrscheinlichkeit, ob diese Hypothese korrekt ist. Die Urknall-Theorie traf auf erbitterten Widerstand, weil es unter den Naturwissenschaftlern den spürbaren Wunsch gab, die Bibel solle nicht recht haben. Unmengen an hieb- und stichfesten wissenschaftlichen Belegen waren notwendig, um das Standardmodell zu etablieren. Ironischerweise wird ebenjenes Urknall-Modell des Universums, das die biblische Lehre von einem Anfang bestätigt, heute von einigen Wissenschaftlern benutzt, um Gott zu verbannen – allen voran einer jener brillanten theoretischen Physiker, die an der Entwicklung dieser Theorie mitgearbeitet haben: Stephen Hawking.

Stephen Hawking und Gott

In seinem neuesten Buch Der große Entwurf, das er zusammen mit Leonard Mlodinow verfasste, formuliert Hawking einen scharfen Angriff gegen den traditionellen religiösen Glauben an die göttliche Schöpfung des Universums. Ihm zufolge liefern allein die Gesetze der Physik (und nicht der Wille Gottes) die richtige Erklärung dafür, wie das Leben auf der Erde entstand. Er argumentiert, dass der Urknall die unausweichliche Folge dieser Gesetze war: »Da es ein Gesetz wie das der Gravitation gibt, kann und wird sich das Universum … aus dem Nichts erzeugen.«68
Allerdings erliegt Hawking einer Reihe ernsthafter Missverständnisse und logischer Fehlschlüsse. Zunächst ist seine Vorstellung von Gott fehlerhaft. Seiner Argumentation zufolge hält er Gott eindeutig für einen »Lückenbüßer«, der als Erklärung herhalten muss, wenn es keine wissenschaftliche Erklärung gibt. Daher auch seine Schlussfolgerung, in der Physik sei kein Raum für Gott, da sie den letzten Ort beseitigt hat, an dem Gott zu finden sein könnte – im Moment der Schöpfung.
Doch das ist ganz sicher nicht das, was die großen monotheistischen Religionen glauben. Für sie ist Gott der Autor der ganzen Geschichte. Gott hat das Universum erschaffen und erhält es in seiner Existenz. Ohne ihn gäbe es nichts, das die Physiker studieren könnten. Ganz konkret ist Gott damit ebenso der Schöpfer der Teile des Universums, die wir verstehen, wie derer, die wir nicht verstehen. Und natürlich sind es die Teile, die wir verstehen, die die meisten Belege für Gottes Existenz und Handeln liefern. So wie ich das Genie hinter einem Bau- oder Kunstwerk umso mehr bewundern kann, je besser ich es verstehe, so wächst auch meine Anbetung des Schöpfers, je mehr ich verstehe, was er getan hat.
Hawkings unzutreffende Sicht von Gott könnte durchaus mit seiner generellen Einstellung zur Philosophie zusammenhängen. Er schreibt: »Die Philosophie ist tot.«69 Doch diese Aussage an sich ist bereits philosophischer Natur. Sie ist nachweislich keine Aussage der Wissenschaft. Daher widerspricht sie sich selbst, denn sie besagt, die Philosophie sei tot – ein klassisches Beispiel für logische Inkohärenz. Doch nicht nur das: Insoweit Hawkings Buch letztgültige Fragen wie die Existenz Gottes diskutiert und wissenschaftliche Methoden darauf anwendet, ist es ein Buch über Metaphysik – Philosophie par excellence.
Sich einzubilden, die Philosophie sei tot, ist wohl besonders dann nicht klug, wenn man sich selbst damit befasst. Nehmen wir zum Beispiel Hawkings oben zitierte Kernaussage »Da es ein Gesetz wie das der Gravitation gibt, kann und wird sich das Universum … aus dem
Nichts erzeugen«. Offensichtlich setzt er voraus, dass die Schwerkraft (oder vielleicht nur das Gesetz der Schwerkraft?) existiert. Das ist nicht nichts. Also ist das Universum nicht aus nichts erschaffen. Schlimmer noch, die Aussage »Das Universum kann und wird sich … aus dem Nichts erzeugen« widerspricht sich selbst. Wenn ich sage: »X erschafft Y«, setzt dies die Existenz von X voraus, damit Y entstehen kann. Wenn ich sage: »X erschafft X«, setze ich die Existenz von X voraus, um die Existenz von X zu erklären. Die Existenz des Universums als Erklärung für seine Existenz vorauszusetzen, ist logisch inkohärent. Das zeigt, dass Unsinn Unsinn bleibt, selbst wenn weltberühmte Wissenschaftler ihn von sich geben. Es zeigt auch, dass ein klein wenig Philosophie vielleicht zuträglich gewesen wäre.
Da Hawking ein unzutreffendes Bild sowohl von Gott als auch von der Philosophie hat, stolpert er in eine Reihe weiterer Fehler hinein, indem er uns dazu aufruft, uns zwischen Gott und den Gesetzen der Physik zu entscheiden. Hier ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Umschlag
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Widmung
  5. Inhaltsverzeichnis
  6. Einleitung
  7. Kapitel 1
  8. Kapitel 2
  9. Kapitel 3
  10. Kapitel 4
  11. Kapitel 5
  12. Kapitel 6
  13. Kapitel 7
  14. Kapitel 8
  15. Kapitel 9
  16. Anmerkungen
  17. Weitere Titel von John Lennox