1. Managen – vorwärts marsch!
Wir wissen mehr über das Denken, die Gewohnheiten und die intimsten Geheimnisse der Ureinwohner Neuguineas als über die Bewohner der Chefetage im Unilever House.
ROY LEWIS UND ROSEMARY STEWART (1958: 17)
Obwohl diese Worte mehr als ein halbes Jahrhundert alt sind, sind sie noch immer gültig. Dennoch ist es nicht allzu schwer, herauszufinden, was Manager1 tun. Beobachten Sie einen Orchesterdirigenten, und zwar nicht während einer Aufführung, sondern in der Probe, um den Mythos vom Manager hoch oben auf seinem Thron zu durchbrechen. Setzen Sie sich dazu, wenn sich der Generaldirektor eines Hightech-Unternehmens an der Erörterung eines neuen Projekts beteiligt. Machen Sie einen Rundgang mit dem Leiter eines Flüchtlingslagers, während dieser aufmerksam nach Anzeichen bevorstehender Gewalt Ausschau hält.
Das Problem ist nicht, festzustellen, was ein Manager tut, sondern wie dieses Tun zu deuten ist. Welchen Reim bilden wir uns auf das breite Spektrum von Beschäftigungen, aus denen sich die Managertätigkeit zusammensetzt?
Vor über fünfzig Jahren hat Peter Drucker (1954) das Thema Management aufs Tapet gebracht. Dann wurde es allerdings durch das Thema Führung wieder verdrängt. Heute ertrinken wir in Geschichten von den großen Erfolgen und noch größeren Niederlagen der großen Führungspersönlichkeiten. Aber wir wissen herzlich wenig über die simplen Alltagsprobleme eines gewöhnlichen Managers.
Dieses Buch handelt schlicht und einfach vom Managen. Ebenso schlicht ist sein Titel, Managen2, der zum Ausdruck bringen soll, dass das Buch diese fundamentale Tätigkeit in ihrer ganzen Vielfalt elementar und umfassend beschreiben will. Wir betrachten die Charakteristika, die Inhalte und die zahlreichen Erscheinungsformen dieses Berufs und sprechen über die Dilemmata, mit denen sich ein Manager auseinandersetzen muss. Meine Intention liegt auf der Hand. Managen ist eine Tätigkeit, die jeden angeht, der davon betroffen ist, und das ist in unserer durchorganisierten Welt so gut wie jeder von uns. Wir müssen die Prinzipien des Managens besser verstehen, damit sich auch die Praxis verbessert.
Und die Praxis des Managens erscheint so manchem verwirrend, selbst einigen Managern. Deshalb soll dieses Buch die wesentlichen Zusammenhänge auf der Grundlage anschaulicher Beispiele verständlich machen. Es beschäftigt sich mit Fragen wie:
•Sind Manager zu sehr mit dem Managen beschäftigt, um sich grundsätzliche Gedanken über das Management zu machen?
•Sind Führungskräfte wirklich wichtiger als Manager?
•Warum wird häufig so hektisch gemanagt? Und macht das Internet die Situation besser oder schlechter?
•Wird die Bedeutung des Managementstils allgemein überschätzt?
•Wie können Manager damit umgehen, dass ihre Tätigkeit sie von dem entfremdet, was sie managen?
•Wo ist der gesunde Menschenverstand geblieben?
•Wie kann ein Manager selbstsicher bleiben, ohne arrogant zu werden? Wie verhindert er, dass sein Erfolg in Misserfolg umschlägt?
•Sollten nur »Manager« managen?
Was ist aus der Managertätigkeit geworden?
Mit diesem Thema begann mein beruflicher Werdegang: Für meine Doktorarbeit beobachtete ich fünf Firmenchefs eine Woche lang bei ihrem Tun. Das Resultat war ein Buch mit dem Titel The Nature of Managerial Work (1973) und der Aufsatz »The Manager’s Job – Folklore and Fact« (1975). Beide stießen auf ein recht großes Echo und zogen einen Strom von Folgestudien nach sich.3
Aber dieser Strom versiegte irgendwann und heute finden wir erstaunlich wenige systematische Untersuchungen zur Tätigkeit des Managens. Viele Bücher heißen »Management«, aber nur ein geringer Teil ihres Inhalts handelt tatsächlich vom Managen. (Brunsson 2007: 7; Hales 1999: 339)4 Zu den fachlich besten Büchern in diesem Bereich gehören vermutlich Leadership – What Effective Managers Really Do and How they Do it von Leonard Sayles (1979), The General Managers von John Kotter (1982), Becoming a Master Manager von Robert Quinn u.a. (1990) und Becoming a Manager von Linda Hill (1992). Beachten Sie die Erscheinungsdaten.
Infolgedessen hat sich unser Verständnis vom Managen nicht weiterentwickelt. Im Jahr 1916 veröffentlichte der französische Industrielle Henri Fayol sein Buch Allgemeine und industrielle Verwaltung (deutsche Übersetzung 1929), in dem er Managen als »Planen, Organisieren, Befehlen, Koordinieren und Lenken« beschreibt. Acht Jahre später druckte eine Montrealer Zeitung die Arbeitsplatzbeschreibung des neuen Generaldirektors der Stadt ab: »zuständig für die Planung, Organisation, Leitung und Überwachung aller städtischen Aktivitäten« (Lalonde 1977: 1). Das ist auch heute noch die vorherrschende Auffassung.
Seit Jahren stelle ich aktiven Managern die Frage: »Was geschah an dem Tag, an dem Sie Manager wurden?« Die Reaktion ist fast immer dieselbe: verwirrte Blicke, dann Achselzucken und schließlich Kommentare wie: »Nichts.« Offensichtlich ist das etwas, was sich jeder selbst erschließen muss, ähnlich wie Sex und ebenso wie dieser anfänglich eher mit frustrierenden Erfahrungen verbunden. Gestern hat man noch Flöte gespielt oder sich als Chirurg betätigt; heute muss man andere managen, die diese Dinge tun. Plötzlich ist alles anders. Und man ist auf sich allein gestellt. »Die neuen Manager lernten durch Erfahrung, was es heißt, Manager zu sein.« (Hill 2003: 9)
Ich werde mich also in diesem Buch einmal mehr der Tätigkeit des Managens widmen und dabei einige meiner früheren Thesen erneut vortragen (Kapitel 2), andere modifizieren (Kapitel 3 und 4) und darüber hinaus neue Thesen aufstellen (Kapitel 5 und 6).
Einige ernüchternde Tatsachen
Von Alan Whelan, Salesmanager für »Global Computing and Electronics« bei BT in Großbritannien, hätte man vielleicht erwartet, dass er seinen Tag mit Kundengesprächen zubringt – oder zumindest damit, seine Mitarbeiter beim Verkauf anzuleiten und zu unterstützen. An jenem Tag, als ich ihn begleitete, betätigte sich Alan zwar gewissermaßen als Verkäufer, aber firmenintern: Ein Manager im eigenen Unternehmen zögerte, einen von Whelans wichtigsten Verträgen zu unterzeichnen. Was tat Alan Whelan? Plante, organisierte, befahl, koordinierte oder überwachte er? »Topmanager« denken langfristig, kümmern sich um das »große Ganze«; »nachrangige« Führungskräfte beschäftigen sich mit den kurzfristigeren, unmittelbareren Dingen. Warum also kümmerte sich Gordon Irwin, Front Country Manager im Banff-Nationalpark, so intensiv um die ökologischen Folgen einer Parkplatzerweiterung neben einem Skihügel, während sich Norman Inkster, Superintendent der gesamten Royal Canadian Mounted Police (RCMP), daheim in Ottawa die Fernsehnachrichten vom Vorabend ansah, um seinen Minister auf diffizile Journalistenfragen auf der bevorstehenden Pressekonferenz vorzubereiten? Und warum saß Jacques Benz, Generaldirektor des Pariser Hightechunternehmens GSI, in einer Besprechung zu einem Kundenprojekt? Schließlich war er ein hochrangiger Manager. Sollte er nicht stattdessen in seinem Büro wegweisende Strategien entwerfen? Der geschäftsführende Direktor von Greenpeace International, Paul Gilding, versuchte ebendies und war davon ziemlich frustriert. Wer machte es richtig? Fabienne Lavoie, Oberschwester einer prä- und postoperativen Chirurgieabteilung eines Montrealer Krankenhauses, arbeitete von 7.20 Uhr bis 18.45 Uhr in einem Tempo, das mir den Atem verschlug. So genügten ihr fünf Minuten, um mit einem Chirurgen über einen Verband zu sprechen, die Krankenhauskarte eines Patienten einzulesen, Termine zu verlegen, mit einer Kollegin von der Rezeption zu sprechen, einen fiebernden Patienten zu untersuchen, wegen der Besetzung einer freien Stelle zu telefonieren, eine Medikation zu besprechen und sich mit dem Verwandten eines Patienten zu unterhalten. Muss Managen immer so hektisch sein? Und wie steht es mit der berühmten Metapher, der zufolge ein Manager einem Orchesterdirigenten gleicht, der in seiner Herrlichkeit die Gewähr dafür bietet, dass seine Musiker gemeinsam die schönste Musik hervorbringen können? Bramwell Tovey vom Winnipeg Symphony Orchestra stieg von seinem Podest herab, um über seine Tätigkeit zu sprechen. »Das Anstrengende«, erklärte er, »sind die Proben«, nicht die Aufführungen. Erstere haben wenig mit Herrlichkeit zu tun. Und wie steht es mit der Lenkungsfunktion? »Ich muss mich dem Komponisten unterordnen«, meinte er. Ist es also wirklich Sache des Dirigenten, das Orchester zu »dirigieren« – seine berühmte Führungsrolle wahrzunehmen? »Wir sprechen nie über unsere Positionen«, war die Antwort. So viel zu dieser Metapher. 29 Tage Management
Ich könnte so fortfahren, es ist nur die Spitze des sprichwörtlichen Eisbergs. Insgesamt 29 Manager habe ich jeweils einen Tag begleitet: Ich habe sie beobachtet, interviewt, mir ihre Kalender und Termine der aktuellen Woche oder des aktuellen Monats angeschaut. Und diese 29 Tage bilden die Grundlage für dieses Buch.
Wie Tabelle 1.1 zeigt, kamen diese Manager aus Wirtschaft und öffentlichem Dienst, aus dem Gesundheitswesen sowie aus dem sozialen und kulturellen Bereich (Nichtregierungsorganisationen, gemeinnützige Organisationen etc.)5, aus Unternehmen und Institutionen unterschiedlichster Art, vom Bankensektor über die Polizei, die Filmproduktion, die Flugzeugherstellung und den Einzelhandel bis zur Telekommunikation. Manche dieser Organisationen waren klein, andere riesig; die Zahl der Mitarbeiter reichte von 18 bis 800000. Diese Manager vertraten alle Hierarchieebenen von den sogenannten Topmanagern über das mittlere Management bis zum unteren Management. Manche arbeiteten in Großstädten wie London, Paris, Amsterdam oder Montreal; andere in abgelegeneren Orten wie Ngara in Tansania, New Minas in Neuschottland oder dem Banff-Nationalpark im Westen Kanadas. Manche beobachtete ich isoliert, andere in Gruppen, wie beispielsweise – an drei aufeinanderfolgenden Tagen – die drei einander unterstellten M...