1. Werteorientiertes Führen
Woher kommt die Kraft, die alle Menschen – Führungskräfte aber im Besonderen – jeden Tag brauchen? Jene Kraft, die dann nötig ist, wenn Spaß und Motivation aufgebraucht, alle Methoden wirkungslos geworden und alle Tricks verpufft sind – aber die Aufgabe noch nicht erfüllt, das Ziel noch nicht erreicht ist?
Die Antwort liegt in den Werten. Werte sind Orientierungsgrößen, Antreiber, sie sind unser Maßstab dafür, was richtig und was falsch ist, sie sind die Leitplanken für unser Denken und Handeln. Werden die Werte mit Füßen getreten, sind wir nicht motiviert und engagiert.
1.1 Bedeutung der Führung
So unterschiedlich wir Menschen sind, so unterschiedlich möchten wir führen bzw. geführt werden. Passen zum Beispiel die Persönlichkeiten nicht zur Aufgabenstellung oder zum Umfeld, in dem wir arbeiten, können wir nicht unseren optimalen Einsatz bringen. Für das Leadership bedeutet das: Ist Führung nicht passend (kongruent) zu den Werten, wirkt sie nicht und löst beim Mitarbeiter Widerstand aus.
Führung formt ein Unternehmen im Innern. Das Verhalten der Unternehmensführung ist dabei der entscheidende Faktor für die Unternehmenskultur. Verändert die Führung ihr Verhalten – wie zum Beispiel in einem Veränderungsprozess –, bedeutet das einen großen Eingriff in den weiteren Ablauf des Prozesses, den sie maßgebend beeinflussen kann. Jetzt gilt es, die unter den Mitarbeitern verbreitete Unsicherheit durch Transparenz abzubauen, Halt zu geben und die Menschen so sicher durch den Veränderungsprozess zu führen. Eine Führungskraft kann in einem solchen Prozess auch als Richtungsweiser fungieren, der zeigt, wie sich die Mannschaft eine zur neuen Situation passende Verhaltensweise aneignen kann.
Warum Führung oft nicht funktioniert
Zwar haben viele Führungskräfte durchaus das Einfühlungsvermögen, sich auf die jeweiligen Persönlichkeiten ihrer Mitarbeiter einzustellen, jedoch verbleiben sie oft in ihrem eigenen Welt- und Werteverständnis. Sie müssen allerdings lernen, aus diesem herauszutreten, um in die Welt des Unternehmens und der Mitarbeiter sprichwörtlich eintauchen zu können. Das bedeutet eine Erweiterung der Gedankenwelt.
Gerade beim Arbeitgeberwechsel einer Führungskraft kommt es häufig vor, dass ihre bisher gut funktionierenden Verhaltensmuster bei der neuen Stelle plötzlich absolut fehl am Platz sind.
Wichtig für die Führungsarbeit
Wer werteorientiert führen möchte, muss die folgenden vier Aspekte beachten:
• Auf welcher Werteebene liegen die Management-Richtlinien oder Führungsleitlinien des Unternehmens?
• Auf welcher Werteebene befindet sich die Führungskraft?
• Auf welcher Werteebene denkt und agiert der zu führende Mitarbeiter?
• Welche Art von Arbeit ist zu tun und welchen Charakter erfordert/besitzt diese Tätigkeit?
Um bestmöglich führen zu können, ist es absolut essenziell, die Einzigartigkeit eines jeden Mitarbeiters zu berücksichtigen: als Teil des Systems, mit seinen Handlungen, Gefühlen, seiner Motivation, seinen Werten und seinem Denken – und natürlich auch mit seinen Fähigkeiten. Es müssen also die Rahmenbedingungen geschaffen werden, die den Mitarbeiter motivieren, seine Kompetenzen gezielt einzusetzen und neue Ideen zu entwickeln. Passen die Rahmenbedingungen, arbeiten Menschen gern und können sich mit dem Unternehmen besser identifizieren.
„Der einzige Mensch, der sich vernünftig benimmt, ist mein Schneider. Er nimmt jedes Mal neu Maß, wenn er mich trifft, während alle anderen immer die alten Maßstäbe anlegen in der Meinung, sie passten auch heute noch.“
George Bernard Shaw
Im Folgenden werde ich zunächst den Begriff „Werte“ verdeutlichen und im Anschluss die unterschiedlichen Bereiche der Führung vorstellen, um den Begriff im Sinne der 9 Levels of Value Systems noch greifbarer zu machen. Daraufhin werde ich die kongruente Führung nach diesem Modell anhand der einzelnen Graves-Ebenen darstellen.
Wer erfolgreich führen möchte, muss sich nicht nur über sein Verhalten und somit seiner Wirkung auf andere bewusst sein, sondern muss auch wissen, in welchem Umfeld er sich befindet und welche Werte dort maßgebend sind. Eine Tatsache, die leider oft vernachlässigt wird. 9 Levels of Value Systems weckt das Verständnis und ebnet den Weg für werteorientierte Führung. | |
1.2 Werte und Wertesysteme – eine Definition
Jeder Mensch kommt am besten mit den Menschen aus, die den eigenen Wertvorstellungen am nächsten sind. Warum ist das so?
Wir alle haben bestimmte Werte, die unser Denken und Handeln bestimmen, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Werte sagen uns, ob etwas gut oder schlecht ist, ob wir etwas akzeptieren oder ablehnen, was uns antreibt und was uns unglücklich macht. Werte geben uns Orientierung und Halt. So wichtig Werte in unserem Leben sind, so schwer sind sie auch greifbar.
Was sind Werte?
Betrachtet man die Bedeutung des Begriffs „Werte“ im Deutschen näher, stellt sich die Frage, was uns etwas wert und damit wichtig ist. Das lateinische Wort „valere“ bedeutet, gesund zu sein, stark zu sein – aber genauso etwas wert zu sein, etwas zu gelten, Einfluss zu haben. Wert beinhaltet demnach etwas für den Menschen Kraftvolles. Etwas, das dem Menschen dazu verhilft, gesund zu sein und zu bleiben. Werte bestimmen also, wie wir unser Leben gestalten und was wir als wichtig erachten.
Als Werte betrachten wir beispielsweise Begrifflichkeiten wie Respekt, Sicherheit, Harmonie, Impulsivität, Klarheit bzw. Transparenz, Status, Empathie oder Toleranz und viele andere mehr. Jeder Mensch hat nicht nur ganz individuelle Werte, sondern auch unterschiedliche Rangfolgen der einzelnen Werte. Für den einen bedeutet „Harmonie“ beispielsweise, Job und Privatleben unter einen Hut zu bekommen. Für den anderen besteht bereits Harmonie, wenn er in Einklang mit der Natur leben kann.
Schaut man sich das Zwischenmenschliche an, bieten unterschiedliche Wertvorstellungen jede Menge Anlass für Schwierigkeiten und Konflikte. Aber auch der Einzelne kann aufgrund seiner Wertvorstellungen in einen inneren Konflikt mit sich selbst geraten: nämlich dann, wenn er etwas tut oder auch dazu gezwungen wird, etwas zu tun, was nicht seinen Werten und Überzeugungen entspricht. Wird diese innere Bedrängnis zum ständigen Begleiter, wirkt sich das negativ auf den Gesamtzustand aus. Die Person steht unter ständigem Stress, verliert immer mehr die Motivation und hat bereits innerlich gekündigt.
In Bezug auf das Führen von Mitarbeitern bringt der folgende Auszug aus dem Bericht der Führungskräftebefragung 2013 der Wertekommission das Thema auf den Punkt: „Vor allem die Einbindung der Mitarbeiter in den langfristigen Werteprozess und die Berücksichtigung von persönlichen Werten bei der Einstellung von Mitarbeitern sind empfehlenswert. Ebenfalls ist eine Integration von Werten in die Zielvereinbarungen der Mitarbeiter ein wichtiger Schritt zur Förderung von Werten in Unternehmen. Weitere Maßnahmen sind: Integration der Wertedebatte in die Ausbildung von Nachwuchskräften; Feedbackgespräche/Befragungen für Mitarbeiter und Teammaßnahmen. Hinzu kommen vor allem die Förderung der offenen Diskussion zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten und die Benennung klarer Verantwortlichkeiten. Das Umsetzen von Werten kann somit als ‚Führungsinstrument’ der Zukunft betrachtet werden.“ (Führungskräftebefragung 2013 der Wertekommission – Initiative Werte – Bewusste Führung, Die Zukunft der Wertedebatte, Kai Hattendorf, S. 25)
Werte bestimmen unser Denken und Handeln, meist ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Sie treiben uns an, geben Richtungen vor und helfen uns, zu entscheiden, was richtig oder falsch ist. Handeln wir entgegen unseren Werten, löst das einen inneren Konflikt aus. Im Business-Kontext sind die Folgen daraus Stress, Motivationslosigkeit und innere Kündigung. | |
1.3 Wie werden Werte geprägt?
Wenn wir Menschen einen Zustand oder einen Sachverhalt bewusst wahrnehmen, denken wir darüber nach und „(be-)werten“ ihn. Das heißt, wir machen uns bewusst, womit wir es zu tun haben, und ordnen ihn für uns ein.
Unser Bewusstsein beginnt unmittelbar nach der Geburt langsam zu reifen und ist in etwa um das zweite Lebensjahr herum so weit entwickelt, dass wir uns als Person wahrnehmen. Sobald sich ein Kleinkind als eigenständige Persönlichkeit erkennt, ahmt es Handlungen und Verhalten seiner Bezugspersonen nach. Im weiteren Lebensverlauf kommen andere Personen und Gruppen hinzu, die ihrerseits das Denken und Handeln prägen.
Während wir Menschen uns entwickeln, verändern sich also auch unsere Werte immer wieder – das heißt, sie verlagern sich und passen sich den Rahmenbedingungen entsprechend an.
Die Haupt-Entwicklungsstufen des Menschen
Der Soziologe Morris Massey (Tad 1991) unterteilt die menschlichen Entwicklungsstufen in drei periodische Hauptbereiche:
• die Prägeperiode – von der Geburt bis zum 7. Lebensjahr
• die Mod...