II DIE 35 PUNKTE ERSTKLASSIGER FÜHRUNG
Innen-Führung
In diesem ersten Teil geht es um innere Voraussetzungen bei der Führungskraft selbst, um dauerhaft erstklassige Führungsarbeit zu leisten.
1. Erkennen Sie, wer Sie sind
Mit der Beschäftigung mit sich selbst fängt gute Führungsarbeit an – und manchmal hört sie hier auch schon wieder auf. Das, worum es geht, ist die Fähigkeit zu einigermaßen realistischer Selbstwahrnehmung: Wer und was bin ich? Was will ich sein? Was definiert mich? Was kann ich besonders gut? Was macht mir Spaß? Was sind für mich Grundsätze und Prinzipien, nach denen ich lebe und an die ich mich halte? Welche Werte sind mir wichtig?
Es galt ja eine Zeit lang als altmodisch, sich auf Werte zu berufen und sie auch im Leben umzusetzen. Doch ein inneres Wertegerüst, wie auch immer das aussehen mag, ist eine wichtige Voraussetzung für gute Führungsarbeit. Wer gar keine Werte gelten lässt, für den ist jede Form von Verhalten möglich, solange es nur nützlich erscheint.
Ein solch opportunistisches Verhalten ist aber keineswegs die beste Voraussetzung für dauerhaft überdurchschnittlichen Erfolg. Unanständigkeit rächt sich, und zwar häufig schneller, als so mancher denkt. Das ist meine unternehmerische und generelle Lebenserfahrung. Die beste Voraussetzung für dauerhaften Spitzenerfolg ist ein anständiger Umgang mit Kunden und Mitarbeitern. Gewinner-Gewinner-Denken setzt das perfekt um.
Selbsterkenntnis als Voraussetzung für die Einschätzung anderer
Es ist also durchaus ratsam, sich mit den eigenen Wertvorstellungen zu beschäftigen. Wenn wir nicht wissen, wer wir sind, können wir auch keine gute Führungskraft sein. Als Führungskraft müssen wir ständig andere Menschen einschätzen, sie beurteilen, ihre Stimmungslage wahrnehmen. Wer sich selbst nicht kennt, keinen Zugang zu sich selbst findet, wird andere nicht erkennen können.
Aber wie und wann erkenne ich mich? Welche Situationen sind dafür besonders geeignet? Hier folge ich der Erkenntnis: Wer nicht durch die Wüste gegangen ist, der weiß nicht, wer er ist. Gerade unsere »Wüstenerfahrungen«, also die persönlich schwierigen Lebenssituationen, sind besonders geeignet, uns zu zeigen, was wirklich in uns steckt.
Wirklich weitergebracht haben mich nicht meine Siege, meine Siegeszeiten. Die sind natürlich immer sehr angenehm und man kann sie genießen. Ein gutes Gefühl. Aber wirklich gelernt, mich weiterentwickelt, »Wetterfestigkeit« bekommen habe ich durch meine Niederlagen. So schmerzhaft, wie es manchmal war, mein Potenzial habe ich erst dadurch voll erkannt und entwickeln können. Das ist der Wert unserer Niederlagen.
Seien Sie das, was Sie sind, auch in Ihrer Führungsarbeit. Versuchen Sie nicht, eine Rolle zu spielen, die Ihnen gar nicht entspricht. Sie werden dann nämlich trotz größter Anstrengung und intensivsten Trainings über unteres Mittelmaß nicht hinauskommen. Authentizität ist wichtiger als ein bestimmtes Verhalten. Von daher gibt es auch keinen Königsweg zu guter Führungsarbeit, nach dem sich alle richten könnten. Kein: »Das und das müssen Sie tun, damit Sie eine gute Führungskraft werden.«
Gute Führung ist individuell
Gute Führungsarbeit ist individuell, und zwar Ihrer Individualität entsprechend. Wenn Sie Ihre Persönlichkeitsstruktur, Ihre Individualität in Ihre Führungsarbeit einbringen, ist das die beste Voraussetzung für gute Führungsarbeit. Sie sind dann nämlich authentisch – dazu später mehr.
Persönliche Reflexion
♦ Setzen Sie sich mit den obigen Fragen zur Selbsterkenntnis auseinander. Notieren Sie die wesentlichen Antworten.
♦ Notieren Sie mindestens zwanzig positive »Ich-bin«-Aussagen, die auf Sie beruflich und / oder privat zutreffen.
♦ Welche »Wüstenerfahrungen«, ob beruflich oder privat, haben Ihnen geholfen, Ihr Potenzial wahrzunehmen und zu entwickeln?
2. Glauben Sie an sich
Auch der Glaube an sich selbst ist eine Grundvoraussetzung für gute Führungsarbeit. Gemeint ist nicht Überheblichkeit nach dem Motto »Ich bin der Beste, Größte, Schönste …«, sondern die Überzeugung: »Ich bin Führungskraft, und an der Stelle, an der ich stehe, bin ich richtig. Ich traue mir diese Aufgabe zu.« Wie wollten Sie auch mit Ihrer Mannschaft Spitzenleistung erbringen, wenn die Mannschaft spürt – und falls das so ist, dann spürt sie es! –, dass Sie sich selbst die Aufgabe gar nicht wirklich zutrauen.
Unpopuläre Entscheidungen erfordern Selbstvertrauen
Wer an sich selbst glaubt, ist auch weniger angewiesen auf Zustimmung von außen, ob vom Team selbst oder vom weiteren Umfeld. Das gibt dann Kraft zum Treffen und Durchhalten von Entscheidungen, für die Sie nicht den Beliebtheitspreis gewinnen. Und solche Entscheidungen sind von Zeit zu Zeit einfach nötig. Wer als Führungskraft beliebt sein will oder gar muss, ist in aller Regel fehlbesetzt.
Ähnlich wie bei der Selbsterkenntnis, die nötig ist, um andere zu verstehen, ist auch der Glaube an sich selbst Voraussetzung dafür, an andere glauben zu können. Doch dazu mehr im Kapitel »AußenFührung«.
Noch ein Hinweis zum Thema Selbstvertrauen: Der Appell »Glauben Sie an sich!« ist kein Plädoyer gegen Bescheidenheit. Sie können sehr bescheiden sein und trotzdem fest davon überzeugt sein, Ihre Aufgabe gut zu erfüllen.
Persönliche Reflexion
♦ Sind Sie überzeugt davon, dass Sie jetzt beruflich an der richtigen Stelle stehen?
♦ Sind Sie überzeugt davon, einen guten Job zu machen?
♦ Glauben Sie, dass Sie noch mehr leisten können, noch mehr Verantwortung (auch Führungsverantwortung) übernehmen können?
Haben Sie darüber mit Ihrer Führungskraft schon einmal gesprochen? Wenn nicht, machen Sie es bald!
3. Stellen Sie sich auch den schwierigen Dingen
Es gibt bestimmt zwanzig gute Gründe, um sich um Unangenehmes und Unbequemes herumzudrücken. Gute Führungsarbeit braucht aber gerade die Bereitschaft, sich auch solchen schwierigen Aufgaben und Situationen zu stellen. Zwei typische Beispiele für solche Situationen sind:
♦ Sich mit Mitarbeitern über Zielverfehlungen und Spielregelverstöße auseinanderzusetzen
♦ Trennung von »falschen«, ungeeigneten Mitarbeitern
Ein Ausweichen erfolgt häufig mit der Begründung bzw. Ausrede: »Es ist aber so schwer, neue, gute Leute zu bekommen.« Doch auch in Zeiten enger werdender Personalmärkte dürfen Sie keine faulen Kompromisse schließen. Sicherlich werden Sie sich noch mehr um Ihre Leute kümmern müssen, gerade zu Ihren starken Mitarbeitern engeren Kontakt knüpfen. Aber senken Sie nicht Ihre Ansprüche an das Leistungsniveau Ihrer Mitarbeiter. Damit würden Sie Mittelmäßigkeit sanktionieren und sich vom Spitzenleistungsanspruch verabschieden.
Zu den unangenehmen Aufgaben gehören aber auch folgende Verpflichtungen:
♦ Unpopuläre Themen ansprechen und durchsetzen
♦ Als Führungskraft Managemententscheidungen mittragen, obwohl Sie persönlich anderer Meinung sind (Achtung: Sie sind Teil des Managements!)
Sie tragen alle Entscheidungen von oben mit
Natürlich ist es unbequem, wenn Sie Ihren Mitarbeitern gegenüber Entscheidungen vertreten müssen, die Sie nicht gefällt haben und eventuell sogar für falsch halten. Vielleicht wissen das ja Ihre Mitarbeiter sogar. Machen Sie sich bitte in solchen Fällen immer klar, dass Sie Teil des Managements sind und entsprechend auch solche Entscheidungen mittragen und umsetzen müssen. Lassen Sie daran Ihren Mitarbeitern gegenüber keinen Zweifel aufkommen.
Auch eine Entscheidung, die Sie anders getroffen hätten, hat in aller Regel vernünftige Gründe, Sie sind nur anderer Meinung. Wenn Ihnen jene vernünftigen Gründe noch nicht ganz klar sind, dann holen Sie sich diese Begründung von Ihrer Führungskraft.
Ich bin kein Freund des »Aussitzens« von Problemen. Sie wissen alle, wie das ist: Das Problem kommt Ihnen entgegen, Sie machen einen eleganten Side-Step und lassen das Problem an sich vorbeiziehen. In der Hoffnung, dass es sich damit erledigt hat.
In aller Regel hat es sich damit aber eben nicht erledigt, sondern es geht um den nächsten Block und kommt Ihnen wieder entgegen. Inzwischen ist es jedoch ein klein wenig größer geworden. Die Neigung, beiseite zu gehen und es vorbeiziehen zu lassen, wird immer größer. Bis Ihnen irgendwann ein richtiger »Kaventsmann« entgegenkommt und dann haben Sie ein echtes Problem.
Meine persönliche Erfahrung mit dem »Aussitzen« – ich habe das ja auch öfter mal versucht – ist durchgängig negativ. Die meisten Probleme werden mit der Zeit größer und nicht kleiner. Nur sehr wenige erledigen sich tatsächlich von selbst.
Unangenehmes als Erstes erledigen
Ein altbekannter, aber sehr bewährter Rat lautet: Schwieriges und Unangenehmes immer zuerst erledigen! Ich selbst befolge diesen Rat seit Langem, und zwar mit großartiger Wirkung. Wenn mir irgendein Problem begegnet, das mir schwierig oder unangenehm erscheint, halte ich inne und wende mich sofort dem Problem zu.
Ich bin ja fast jede Woche zwei bis drei Tage im Trainingseinsatz. Auf den anschließenden Tag wieder in meinem Unternehmen bereite ich mich dann gut vor. Das mache ich, damit dieser Tag effektiv verläuft und ich nicht von den dringenden, häufig aber nicht wichtigen Anforderungen durch den Tag getrieben werde.
In aller Regel sind die ersten ein oder zwei Punkte auf meiner Agenda Aufgaben, die mir eher schwerfallen – und die erledige ich als Erstes. Dieses Vorgehen hat zwei ganz große Vorteile für mich.
Zum einen geht bei mir meistens mittags die Sonne auf, weil ich dann die mir unangenehmen Dinge erledigt habe und mich im weiteren Verlauf des Tages den Aufgaben zuwenden kann, die mir Spaß machen oder die mir leichter fallen. Meine Frau hat auch schon festgestellt, dass ich meistens abends in guter Stimmung nach Hause komme, weil ich nachmittags eher für mich positive Aufgaben erledigt habe. Das sorgt dann gleich für die gute Stimmung am Feierabend!
Zum anderen stelle ich fest, dass sich die Anzahl wirklich schwieriger Probleme für mich deutlich reduziert hat, seitdem ich es gewohnt bin, Probleme sofort anzupacken. Bei schnellem Zugreifen erlebe ich auch häufig, dass die Lösung viel einfacher und schneller war, als ich es vorher befürchtet hatte.
Persönliche Reflexion
♦ Wie reagieren Sie auf Ihnen unangenehme, unbequeme Situationen?
♦ Welchen Problemen – beruflicher oder privater Natur – weichen Sie schon seit geraumer Zeit aus?
♦ Welcher »heiße Brei« kocht – in Ihrem Berufs- oder Privatleben – schon seit längerer Zeit und belastet Sie besonders?
4. Entwickeln Sie Leidenschaft für die Sache
Leidenschaft für die Sache ist keine Temperamentfrage. Sie können ein ausgesprochen ruhiger Mensch sein, aber trotzdem leidenschaftlich für Ihre Sache engagiert sein.
Der berühmte Funke, der überspringt
Wenn die Führungskraft schon keine Leidenschaft für ihre Sache entwickelt, wie will sie dann ihre Mannschaft an die Spitze führen? Die Mitarbeiter nehmen ganz genau wahr, wie engagiert ihre Vorgesetzten sind. Und wenn sie merken, dass jene echte Begeisterung für ihr Projekt aufbringen, dann hat dieses Feuer auch die Chance, auf die Mitarbeiter überzuspringen.
In diesem Zusammenhang ist für mich auch das Phänomen der »leuchtenden Augen« wichtig. Halten Sie im persönlichen Umgang mit Ihren Mitarbeitern möglichst viel Blickkontakt. Einerseits strahlen Sie dabei Ihre Leidenschaft für die Sache aus, Ihr eigenes Engagement. Andererseits entwickelt sich bei Ihnen – und das ist meine persönliche Erfahrung – durch guten, regelmäßigen Blickkontakt ein intensives Gefühl (»Bauchgefühl«) für Stimmung und Befindlichkeit sowie Reaktion Ihres Gegenübers.
Blickkontakt halten ist aber nicht immer so leicht. Ich habe bei mir selbst festgestellt, dass ich früher in mir unangenehmen Situationen erhebliche Schwierigkeiten hatte, Blickkontakt mit meinem Gesprächspartner zu halten. Das galt unter anderem für Kritikgespräche. Solche kritischen Mitarbeitergespräche gehören bis heute nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen; ich führe lieber andere Gespräche. Dennoch ist es wichtig, gerade in solchen Situationen den Gesprächspartner direkt anzusehen. Mangelnder Blickkontakt nimmt einem Gespräch nämlich eine Menge Intensität und Nachdrücklichkeit.
Was mich persönlich angeht, so habe ich das deshalb trainiert. Das können Sie auch. Achten Sie bewusst darauf, im Kontakt mit anderen Menschen etwas mehr Blickkontakt zu halten als sonst bei Ihnen üblich. Das hilft und stärkt ungemein. Dabei geht es selbstverständlich nicht ums Anstarren oder gar um einen »Kampfblick«. Sie sind ja kein Boxer beim Wiegen, bei denen schon verloren hat, wer zuerst wegguckt.
Berücksichtigen Sie aber, dass es manchen Menschen offensichtlich unangenehm ist, intensiver angesehen zu werden. Ganz abgesehen von bestimmten Kulturen, in denen das direkte Ansehen unschicklich ist.
In der Regel jedoch fördert ein offenes, interessiertes, aufmerksames Ansehen im direkten Kontakt mit Ihren Mitarbeitern – auch in Ihnen unangenehmen Situationen – ein erstklassiges Zusammenspiel.
In vielen Situationen hilft Ihnen Ihr »Bauchgefühl«, al...