1. Das Aktionsfeld Purpose
»Wir müssen nicht mit moralisch und ethisch zurückgebliebenen, unflexiblen und unmenschlichen Organisationen leben. Wir können Organisationen aufbauen, die in ihrem Kern von edler Natur sind, die jeden schöpferischen Impuls wertschätzen, die sich schon verändern, bevor es notwendig wird, die das Herz berühren und die frei von jeglicher Bürokratie sind«, sagt der US-amerikanische Ökonom Gary Hamel, einer der weltweit angesehensten Managementdenker.21 Dem Statement stimmen wir gerne zu.
Das Wertebewusstsein ist, genau wie die Wirtschaft, im Wandel. Die Menschen wollen zunehmend wissen, welches Unternehmen hinter einem Angebot steckt, was es antreibt, wie es mit seinen Kunden und Mitarbeitern umgeht und welche ethische Haltung es glaubhaft vertritt. Sie verlangen nach einer Vereinbarkeit von Profitstreben und Nachhaltigkeit. Wer dem Wohl des Planeten dient und das Dasein der Menschen verbessert, dessen Erfolg unterstützt man nur allzu gern. Solche Unternehmen können sowohl eine zahlungsbereite Klientel als auch Toptalente leicht gewinnen und halten. Sie werden von der Gesellschaft geschätzt und erhalten den Zuspruch der Medien. Sie sind in der Lage, eine Gefolgschaft von Anhängern zu gewinnen, die derart inspiriert sind, dass sie zu Evangelisten der Unternehmenssache werden. »Wer Profit im 21. Jahrhundert machen will, muss durch das Nadelöhr des guten Profils«, sagt der deutsche Medienphilosoph Norbert Bolz.22
Unternehmen müssen plausibel machen, wie sie zu einer besseren Welt beitragen wollen.
Die Hauptaufgabe eines Unternehmens der Zukunft ist natürlich die, einen Beitrag zur Lebensqualität respektive zum beruflichen oder geschäftlichen Erfolg seiner Kunden zu leisten. Immer mehr gilt es zudem, plausibel zu machen, wie man zu einer besseren Welt beitragen will. Unternehmertum muss deshalb heute mit folgenden Fragen beginnen:
Welche Auswirkungen hat unser Wirtschaften auf Gesellschaft und Umwelt? Welchen Beitrag leisten unsere Lösungen für eine lebenswerte Zukunft? Wie schaffen wir einen Heimathafen für unsere Mitarbeiter? Wie schaffen wir einen Sehnsuchtsort für unsere Kunden? Dabei geht es um Nutzwert, um Habenwollen, um Mitmachenwollen und um Sinn – eingebettet in eine sich zunehmend technologisierende Welt. Dieser Nutzwert, der Daseinssinn, das Warum eines Unternehmens heißt im Englischen »Purpose«. Er bestimmt die Identität eines Unternehmens und sichert dessen Zukunft. »Start with Why«, nennt der britisch-US-amerikanische Autor Simon Sinek dieses Konzept, seinen »Golden Circle«.23 Man definiert zuerst das »Warum« seiner Aktivitäten, die große Idee, bevor man das »Wie« und dann das »Was« anspricht.
In Bezug auf den Purpose empfehlen wir, folgende drei Ebenen zu betrachten:
den Purpose für die Organisation als Ganzes (Corporate-Purpose) den Purpose der Marken / Produkte für die Kunden (Brand-Purpose) den Purpose für die Mitarbeitenden (Employee-Purpose) Alle drei Ebenen hängen eng miteinander zusammen. Neu daran ist die Perspektive, wie die nun folgenden Ausführungen zeigen.
Der Unterschied zwischen Leitbild und Purpose
Wer den Organisationsumbau lostreten will, muss sich zunächst mit dem Sinn und Zweck seines Unternehmens befassen. Das hat mit den Leitbildern von früher, oft auch als »Vision« oder »Mission-Statement« bezeichnet, nur noch wenig zu tun. Der Zweck eines Unternehmens ist nämlich nach außen, klassische Leitbilder hingegen sind nach innen gerichtet. Letztere klingen oft ähnlich, meist banal, fast immer austauschbar und irgendwie hohl, geradewegs so, als hätte man einen Leitbildgenerator benutzt. Sie zelebrieren keinen einzigartigen Nutzen für die Kunden, den Markt und die Welt, sondern den Traum von eigener Größe und Herrlichkeit. So hört sich das an: »Wir verstehen uns als Marktführer mit Eins-a-Produkten.« Oder: »Wir sind global führend mit unseren Marken.« Oder: »Wir sind der Technologievorreiter unserer Branche.«
Übliche Leitbilder und die damit verbundenen Aussagen klingen nicht nur egozentriert, das ganz Besondere eines Unternehmens kommt gar nicht durch. Vielmehr rieselt es Plattitüden (»Wir sind kundenorientiert«), Selbstverständlichkeiten (»Wir sind zuverlässig«) und Phrasen (»Wir beziehen unsere Stärke aus unseren Mitarbeitern«). Das berührt nicht. Es inspiriert nicht. Und verinnerlicht wird es schon gar nicht. Fragt man Mitarbeiter nach dem Leitbild ihrer Firma, erntet man leere Blicke. Mit etwas Glück: »Erinnere mich dunkel, haben wir irgendwann mal gemacht, steht, glaube ich, auf der Website.« Was aber dort oder in aufgehübschten Broschüren steht, ist nichts als Kommunikationsprosa für die Öffentlichkeit, an die intern sowieso niemand glaubt.
Denn leider agieren die Oberen vor den Augen der Belegschaft allzu oft nicht nach Leitbildern und Werten, die sie im wahrsten Sinne des Wortes »verabschiedet« haben. Bei jeglichem Mangel an Integrität ist das Aufhängen von Werteplakaten reiner Zynismus. Lügenbaum nennt man in einer ziemlich bekannten Firma die Säule, an der Fotos von Führungskräften hängen, die Leitbildsprüche von sich geben. Ist darüber hinaus der Purpose an Vorherrschaft und Profitmaximierung gekoppelt, kann das in zweifelhafteste Richtungen führen. Namhafte Beispiele dafür gibt es genug.
Wer für die Egoziele anderer schuften soll, fühlt sich wie ein Lakai des Systems. Wird hingegen ein attraktiver Corporate-Purpose entwickelt, entsteht hohe Anziehungskraft. Nach den talentiertesten Mitarbeitern, den interessantesten Partnern, den besten Lieferanten, den flüssigsten Investoren und den hochwertigsten Kunden brauchen Sie dann nicht mehr mühsam zu suchen, die finden Sie. Am Ende ziehen die Besten die Besten wie magisch an. Guter Profit ist dann das Ergebnis. So ist Profit nie der Purpose per se. Besteht der Purpose aber darin, ein drängendes Problem der Menschen zu lösen und damit die Welt an einer kleinen Stelle zu heilen, dann kann etwas wirklich Großes gelingen. Wo die größten Probleme sind, sind auch die größten Märkte.
Die Welt besser machen, ethischer handeln, menschlicher sein? Das wird von so manchem Manager gern als naiv belächelt. Doch die Notwendigkeit, anders zu wirtschaften als bisher, ist offenkundig. Profit und Moral, das schließt sich nicht aus, das gehört vielmehr zusammen. So wandeln sich zukunftsfähige Unternehmen zu Organismen, die nachweislich auch Verantwortung für das Gemeinwohl tragen. Zunehmendes soziales Engagement und ein ernsthaftes Hinterfragen, wie wir mit uns und der Welt umgehen, das wird zum neuen Trend. »Wichtig wird in Zukunft, welche ideellen Werte ein Unternehmen oder eine Volkswirtschaft vertreten und inwieweit sie zur Lebensqualität der Menschen und zur Unversehrtheit der Umwelt beitragen«, sagt der Österreicher Harry Gatterer, Geschäftsführer des Zukunftsinstituts.24
In vielen von uns steckt eine altruistische Sehnsucht, Gutes zu tun und Teil eines großen Ganzen zu sein. Das belohnt unser Gehirn sogar explizit. Und zwar mit der Ausschüttung von Glückshormonen. »Helper’s High« nennen Forscher das Gefühl, das uns dann überkommt. Es wird einem warm ums Herz und das Wohlgefühl steigt, wenn wir prosoziales Verhalten zeigen. Oft zahlt sich das am Ende auch aus.
So hat der Outdoor-Ausrüster Patagonia vor einiger Zeit Anzeigen geschaltet, auf denen stand: »Don’t buy this jacket.« Die Produktion jeder Jacke koste Energie und belaste die Umwelt. Man solle sich also gut überlegen, ob man wirklich eine neue Jacke brauche. Dem Umsatz tat dies keinen Abbruch, weil die Kampagne eine starke positive öffentliche Resonanz erzeugte und sehr viele Sympathiepunkte einsammeln konnte. Dass dies kein PR-Gag war, sondern zur nachhaltigen Gesinnung des Unternehmens gehörte, untermauern viele weitere Aktionen. So ging Ende 2017 die Patagonia Worn Wear Tour durch ganz Europa. Im Reisegepäck: Industrienähmaschinen, mit denen das Team kostenlos Risse, Löcher und andere Schäden an Outdoor-Klamotten ausbesserte – auch an denen anderer Marken. »Indem wir die Lebensdauer unserer Kleidung durch Pflege und Reparatur verlängern, müssen wir weniger neue Sachen kaufen und vermeiden so die CO2-Emissionen, Abfälle und Abwässer, die mit ihrer Herstellung verbunden wären«, erklärt Rose Marcario, CEO von Patagonia.
Die Besten ziehen die Besten wie magisch an.
Ein weiteres interessantes Beispiel ist Matternet, ein Start-up, das 2011 aus einem Projekt mit der Singularity University im Silicon Valley hervorging. Das große Ziel der Gründer: ein flächendeckendes Drohnennetzwerk, das kleinere Güter – etwa Medikamente und Nahrung – in schwer zugängliche Gegenden transportiert. Weltweit haben rund eine Milliarde Menschen keinen Zugang zu Straßen, die das gesamte Jahr hinweg gut benutzbar sind. Vor allem in Afrika leiden viele Menschen unter der schlechten Infrastruktur. So hatten die Gründer eine Eingebung: Afrika hat die Kupferdrahttelefonie quasi komplett übersprungen und ist sofort zur Mobiltelefonie übergegangen. Warum nicht diese Idee auf das Transportwesen übertragen und mit Drohnen operieren, um den aufwendigen Bau von Straßen zu übergehen? Sehr schön nacherzählt wird diese Geschichte in der brand eins.25 Heute übernehmen Matternet-Drohnen dringliche Lieferdienste nicht nur in der Wildnis, sondern au...