1. Die digitale Revolution
Die Grundlagen für das World Wide Web wurden 1989 gelegt, Amazon wurde 1994, Google 1998, Facebook 2004, YouTube 2006, WhatsApp 2009 und Snapchat 2011 gegründet.
2016 nutzen vier von fünf Europäern und weltweit über drei Milliarden Menschen das Internet; über fünf Milliarden Menschen besitzen ein Handy. Google erhält täglich über vier Milliarden Suchanfragen, allein in der deutschen Wikipedia finden sich 1,9 Millionen Artikel, Facebook hat weltweit 1,5 Milliarden aktive Mitglieder, und jede Minute werden auf YouTube über fünfhundert Stunden Film hochgeladen. Amazon generiert hundert Milliarden US-Dollar Umsatz pro Jahr und die wertvollsten Unternehmen der Welt heißen Apple und Alphabet, also Google.
Wie die Erfindung des Buchdrucks erst die Reformation, die Aufklärung und die westliche Welt, wie wir sie heute kennen, ermöglicht hatte, so stellt in der digitalen Revolution das Internet gerade unsere gesellschaftlichen Institutionen und Autoritäten infrage und es verändert unsere Gesellschaft ebenso nachhaltig.
1.1 Die aktuelle Entwicklung des Internets
Die digitale Revolution wurzelt in technologischen Neuerungen. Und ihre Entfaltung wird von der Geschwindigkeit getrieben, mit der die Informationstechnologien sich entwickeln. Die digitalen Technologien entwickeln sich mit hohem Tempo: Ein USB-Stick hat eine größere Speicherkapazität als eine Festplatte vor wenigen Jahren und die Prozessoren in unseren PCs entwickeln sich gemäß dem Moore’schen Gesetz.
Das Moore’sche Gesetz
Gordon Moore, einer der Gründer von Intel, stellte 1965 durch Beobachtung fest, dass sich die Anzahl der Transistoren auf einem normalen Prozessor – und damit dessen Rechenleistung – etwa alle achtzehn Monate verdoppelt. Er schloss daraus, dass sich die Entwicklung in diesem exponentiellen Tempo fortsetzen würde. Das Moore’sche Gesetz hat sich bis heute bestätigt, und daran soll sich nach Expertenmeinung auch für die nächsten zehn bis zwanzig Jahre nichts ändern.
Entlang dieser technologischen Entwicklungen von Datenspeichern, Rechenkapazitäten und Übertragungswegen entwickelten sich auch das Internet, das World Wide Web und die Internet-Plattformen mit ihren immer besseren Angeboten.
Web 2.0: Bedürfnisse mit Daten verknüpfen
Entscheidend war hierbei insbesondere der Entwicklungsschnitt zum Web 2.0, das von den Nutzern aktiv mitgestaltet wird. Mit den Möglichkeiten des Web 2.0 wuchsen auch die erfolgreichen Internet-Plattformen wie Amazon, eBay, Google, iTunes oder Facebook. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass erstens Kundenbedürfnisse mittels der Analyse großer Datenmengen befriedigt werden und zweitens die Analyse dieser Datenmengen wiederum mit jeder Nutzung verbessert wird. Amazons „Kunden, die dieses Buch gekauft haben, haben auch diese Bücher gekauft“ illustriert das: Aus den Daten über das Verhalten der vielen anderen Amazon-Kunden werden für den Nutzer passgenaue Empfehlungen ermittelt, und dieser von Amazon programmierte Empfehlungsalgorithmus wird mit jedem Klick der Nutzer auf eine Empfehlung verbessert.
Wenn Firmen unsere Geheimnisse kennen
In der Nähe von Minneapolis kam ein aufgeregter Mann in den dortigen TARGET-Supermarkt und beschwerte sich, dass seine minderjährige Tochter von dort Werbeprospekte für Babysachen erhalten hatte. Die Überprüfung ergab, dass dies tatsächlich so vorgesehen war, und so wollte sich der Geschäftsführer telefonisch entschuldigen. Bevor er ansetzen konnte, sagte ihm sein Kunde jedoch, dass ein klärendes Gespräch mit seiner Tochter ergeben hätte, dass er bald Großvater würde.
Wieso weiß heute ein Supermarkt, wann (und in welcher Phase) eine Frau schwanger ist?
Mittels sogenannter Big-Data-Analysen hatte TARGET festgestellt, dass bestimmte Veränderungen im Kaufverhalten ihrer weiblichen Kunden bei ca. dreißig Produkten höchst wahrscheinlich auf eine Schwangerschaft schließen lassen. (Duhigg, 2012)
Big Data spiegelt unser Leben
Aufgrund der immer leistungsfähigeren Rechner können inzwischen die Mathematiker in den Unternehmen auch immer größere Datenmengen immer schneller analysieren. Dabei hat man festgestellt, dass die Ergebnisse umso besser werden, je mehr Daten in die Untersuchung einbezogen werden, auch wenn diese Daten unstrukturiert sind oder auf den ersten Blick zusammenhanglos erscheinen; daher der Ausdruck „Big Data“. Bei Big-Data-Analysen wird in möglichst großen und umfassenden Datenmengen nach bestimmten statistischen Zusammenhängen gesucht, nach sogenannten Korrelationen. Solche Korrelationen stellen zunächst nur einen Zusammenhang fest, ohne ihn damit auch erklären zu können; erklärt wird in der Regel nur das „Was“, aber nicht das „Warum“. Die Erklärung, was Ursache und was Wirkung ist in einer Korrelation, ist den Unternehmen auch nicht wichtig. Wichtig ist nur, wie gut eine Korrelation die Bedürfnisse der Kunden widerspiegelt, und das lässt sich permanent testen und optimieren, sodass es am Ende funktioniert, auch wenn man nicht sicher weiß, warum.
Mit Big Data zum Predictive Web
Mittels dieser Datenanalysen können Unternehmen aber nicht nur ihre Empfehlungsalgorithmen immer passgenauer auf unsere Bedürfnisse ausrichten, sondern sie können auch mit großer Wahrscheinlichkeit zutreffende Aussagen über uns ableiten, so wie der Supermarkt TARGET im Beispiel. Und dabei bleibt es nicht, denn wer die Gegenwart aus Daten ableiten kann, der versucht sich als Nächstes an der Zukunft: Google sagt seit Jahren anhand der Suchanfragen den Verlauf von Grippewellen vorher, Facebook ermittelt mit über achtzig Prozent Wahrscheinlichkeit, ob ein Paar sich in den nächsten zwei Wochen trennen wird, und Uber – der private Mitfahrdienst, der den Taxis das Wasser abgräbt – weiß nicht nur in den meisten Fällen, wo ein Kunde hinfahren will, bevor dieser in einen Wagen steigt, sondern kann auch ziemlich gut vorhersagen, ob Fahrer und Mitfahrer die Nacht zusammen verbringen werden. Willkommen im Predictive Web!
Daten sind das neue Öl
Daten sind also der Rohstoff für die digitalen Unternehmen und daran werden diese auch gemessen: Je mehr Zugang ein Unternehmen zu Daten hat und je fähiger es mit diesen Daten umgehen kann, umso höher wird es von Investoren bewertet. Auch das ist ein Grund, warum Unternehmen wie Google oder Facebook scheinbar nicht einsehen wollen, wieso Daten überhaupt gelöscht werden sollten, und es ist eine Erklärung für den Datenhunger der Internet-Unternehmen.
Überall wird versucht, Daten zu generieren und zu sichern: Die größten Datensammler sind unsere Smart-phones, die omnipräsenten Überwachungskameras, zunehmend unsere Autos, unsere Fernseher sowie bald unsere Kühlschränke, Heizungen und alle Geräte, die wir benutzen. Wir unterstützen das aktiv mit Smart-watches, Fitness-Armbändern oder Daten sammelnden Laufschuhen; bald werden wir Datenmessgeräte in unserer Kleidung haben, in sogenannten „Wearables“. Diese Datafizierung führt dazu, dass sich – gemessen in Bits und Bytes – die Datenmenge weltweit alle drei Jahre verdoppelt.
Das Internet der Dinge
Auch in der Industrie helfen Big-Data-Analysen, beispielsweise beim Containerumschlag in Häfen oder bei der Pflege von Kühen, sodass sie optimal Milch geben. Unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“ tauschen Maschinen mit Maschinen ihre Daten aus und optimieren so Produktionsprozesse. Und vielleicht werden dazu irgendwann nicht einmal mehr Internet-Plattformen nötig sein: Wenn beispielsweise Autos auf den Straßen direkt miteinander kommunizieren, steht dem sich selbst steuernden Auto nichts mehr im Weg. In diesem Internet der Dinge wird es vorstellbar, dass sich die Dinge unseres täglichen Lebens nicht nur auf unsere Bedürfnisse ausrichten, sondern sich dazu auch untereinander selbstständig abstimmen. Das mag zwar heute utopisch klingen, ist aber eine plausible Fortsetzung der informationstechnologischen Entwicklung.
Informationstechnologien treiben den digitalen Wandel mit zunehmendem Tempo voran. Im Web 2.0 nutzen Internet-Plattformen unsere Daten, um ihre Angebote immer dichter an unseren Bedürfnissen auszurichten. Mithilfe von Big-Data-Analysen lernen sie uns nicht nur auf intime Weise kennen, sondern können auch unser Verhalten mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhersagen. | |
1.2 Die Philosophie im Silicon Valley
Der digitale Wandel wirkt oft revolutionär, weil er in den Branchen oder Lebensbereichen, die er trifft, keinen Stein auf dem anderen zu lassen scheint. Das hat seinen Grund im Wesen der informationstechnologischen Erfindungen, und das streben die treibenden Kräfte im Silicon Valley gezielt so an.
Digitaler Wandel ist disruptiv
Bei den informationstechnologischen Erfindungen handelt es sich nämlich meistens um disruptive Technologien, die erfolgreiche Unternehmen in ein Dilemma bringen, aus dem die meisten nicht herauskommen.
Das „Innovator’s Dilemma“
… wurde 1998 vom Harvard-Professor Clayton Christensen beschrieben, der erforschte, warum auch sehr erfolgreiche Unternehmen zugrunde gehen können. Zur Erklärung unterscheidet er zwischen erhaltenden und disruptiven Technologien:
Erhaltende Technologien (früher beispielsweise größere Segelschiffe) helfen den bestehenden Unternehmen, ihre Geschäfte noch besser zu machen. Neue disruptive Technologien (beispielsweise das Dampfschiff) werden von den bestehenden Unternehmen dagegen abgelehnt, weil sie ganz anders funktionieren, erst einmal schlechtere Leistung bringen und teurer sind; warum also den eigenen Markt damit gefährden? Ist aber auf Dauer eine neue disruptive Technologie besser, dann erobern neue Unternehmen den Markt und die etablierten Unternehmen gehen unter, weil sie nicht bereit sind, ihre Angebote, Preise und Profite infrage zu stellen.
(Christensen, 2011)
Das disruptive Wesen des Internets wird am Beispiel der Musikindustrie besonders deutlich: Die Verdrängung der Schallplatte durch die CD war noch eine erhaltende Innovation, weil sich für die Musikverlage nicht viel geändert hatte; lediglich die Presswerke mussten ausgetauscht werden.
Die Erfindung der MP3-Technologie hat die Musikindustrie dagegen völlig verschlafen: Die gesamte Musikbranche hatte über Jahre ihren Kunden kein Angebot gemacht, Musik im Internet kaufen zu können. Auch deshalb gab es im Internet jahrelang überwiegend nicht bezahlte und illegale Musik-Downloads. Erst ein Computerhersteller, nämlich Apple, führte der Musikbranche 2003 mit dem iTunes Store vor, wie sich Musik im Internet verkaufen lässt – in Zahlen: bisher rund fünfzig Milliarden Lieder an achthundert Millionen Kunden.
Aber schon zur gleichen Zeit entwickelten die Start-up-Unternehmen Pandora und Spotify die nächste disruptive Technologie: Musik-„Radio“ als Streaming-Dienst im Internet. Beim Start des iTunes Stores war also der Zeitpunkt des Angriffs auf die Musik-Downloads schon absehbar, nämlich sobald die Datenverbindungen für Musikstreaming ausreichend schnell sein würden; eine Rechenaufgabe mit dem Moore’schen Gesetz. Apple verstand die Lehren aus dem Innovator’s Dilemma, wehrte sich gegen das erfolgreiche Spotify und griff selbst seinen hoch...