VERKAUFT:
Vom Überleben unter Kopfabschneidern
VERKAUFT!
Es war etwa 7:30 Uhr abends und schon dunkel, als sich der Bruder des Turkmenen unten im Wohnzimmer einfand. Ich habe gerade mit den Kindern gespielt und nicht mitbekommen, was er zur Turkmenin gesagt hatte. Gespannt ging ich nach unten und fand sie tränenüberströmt auf dem Sofa. »Was hat er gewollt? Was hat er gesagt?«, fragte ich sie. »Es ist alles gut«, schniefte sie und putzte sich die Nase mit einem Taschentuch. Ich habe ein bisschen ferngesehen, war aber nervös, weil ich nicht wusste, warum sie trotzdem weiter geschluchzt hat. Was war da los? Nach 15 Minuten tauchte der Bruder erneut auf. Seine Tochter war mitgekommen.
Wieder wollte ich wissen: »Was stimmt denn nicht?« »Nichts«, hat die Tochter mir geantwortet. Da bin ich ärgerlich geworden: »Du hast hier nicht zu antworten, ich habe die Erwachsenen gefragt.« Der Bruder des Turkmenen schickte die Tochter weg und klärte mich auf. »Shirin, pack alle deine Sachen, wir bringen dich jetzt für einen Monat lang zu deiner Mutter. Nicht ich werde dich fahren, sondern ein anderer Mann.«
Natürlich habe ich mich unheimlich gefreut und angenommen, dass die Turkmenin nur deshalb in Trübsinn badete, weil sie einen Monat lang auf meine Arbeitskraft verzichten musste. Die Turkmenin aber hat geweint, weil sie genau verstanden hatte, was da vor sich ging. Nur hatte ich nicht verstanden, warum sie so geweint hat.
Gut aufgelegt bin ich zum Auto gesprungen, da ist mir die kleine Tochter der Turkmenin hinterhergerannt. »Shirin! Nicht gehen!« Nun sprangen auch ihr die Tränen aus den Augen, sodass ihre Mutter noch heftiger geheult hat als zuvor. Da bin ich misstrauisch geworden. Irgendetwas stimmte da nicht. Sollte ich wirklich zu meiner Mutter gebracht werden? Das war aber doch kein Grund, derart bitterlich zu weinen?
Der Bruder öffnete mir hinten die Tür und stieg selbst vorne als Beifahrer ein. Seine Tochter blieb bei der Turkmenin, um ihr die Hand zu halten. Ich fühlte mich unbehaglich mit diesen zwei unbekannten Männern allein im Auto. Nach kurzer Zeit machte der Fahrer am Stadtrand in einem Wohngebiet halt. Ein zweistöckiges Haus, das fast aussah wie das andere, reihte sich hier in die Zeile ein.
»Wir sind da«, beschied der Fahrer. »Aber hier wohnt doch nicht meine Mutter?«, habe ich mich gewundert. Der Bruder des Turkmenen hat mich bis zur Haustür gebracht und ist wieder umgedreht, nachdem mich dort eine Jesidin in Empfang genommen hatte. »Ich bin Nesrin und komme aus Kocho«, hat sie sich gleich auf Kurmandschi vorgestellt, »wir warten schon auf dich.« Ich war perplex, weil ich die letzten sechs Monate vorwiegend arabisch gesprochen hatte. Das Kurdische war fast ein bisschen in Vergessenheit geraten. Und wieso wartete sie auf mich?
Diese 21-Jährige hat mich durch den Hof hinein den Hausflur geführt. Ich blickte mich um. Rechts und links befanden sich ein paar Zimmer. Unten standen noch zwei weitere Mädchen. Die Ältere war Mahrusa aus Kocho. »Woher kommst du?«, fragte sie mich. Von sich selber erzählte die 24-Jährige, dass sie mit einem Jesiden verheiratet sei und zwei Kinder habe. Die andere war Huyam, 16 Jahre alt; sie stammte aus Sinune. Huyam war total in sich gekehrt, sie hat am ganzen Leib gezittert. Was war denn mit ihr los? Vielleicht war sie krank?
Nesrin hat mich als Erstes gefragt: »Und? Bist du schon verheiratet?« Sie war mir von Anfang an unsympathisch. »Nein, bin ich nicht«, wehrte ich das empört ab. Sie hat nur ungläubig ihre Brauen gerunzelt. Die 19-Jährige hatte angenommen, dass ich längst vergewaltigt worden sei und meine Jungfräulichkeit verloren hätte.
Ein Klopfen an der Haustür ließ alle aufhorchen. Nesrin und Mahrusa fielen in Schweigen. Huyam umschlang sich plötzlich mit beiden Armen, aber ihr Zittern wollte nicht aufhören. Bei dem Besucher handelte es sich um Nesrins Besitzer. Er hatte sie gekauft. Der große bärtige Kämpfer wollte nun offenbar mich als neues Beutestück in Augenschein nehmen. Mit bohrenden Blicken hat er mich betrachtet. Mühsam unterdrückte ich meine innere Aufgewühltheit, die sich vermutlich auf meinem Gesicht in einem dummen, krampfhaften Lächeln zeigte. Der Kerl war kräftig gebaut, 24 Jahre alt und natürlich bewaffnet. Sein Foto habe ich in Deutschland im Internet gefunden. Diese Männer brüsten sich dort mit ihren Verbrechen.
»Hast du Angst?«, wollte er von mir wissen. »Nein, ich habe keine Angst«, habe ich geantwortet, fühlte dabei jedoch, wie ich abwechselnd blass und rot wurde. »Warum hat man mich hierhergebracht?« »Ein Freund hat dich reserviert, er will dich kaufen«, sagte er. Auf einmal stiefelte ein anderer Mann herein. Vor Angst hat die 16-Jährige angefangen, mit den Zähnen zu klappern. Der Kerl nahm Huyam in eines der Zimmer mit. Sie folgte ihm wortlos. Anscheinend war klar, dass sie zu ihm gehörte. Verwirrt blickte ich ihnen hinterher. Noch durch die geschlossene Zimmertür habe ich das Klappern von Huyams Zähnen gehört.
Zurück im Flur blieben Nesrin, das andere dünne Mädchen aus Kocho mit der dunklen Haut, dieser IS-Kämpfer und ich. Plötzlich drangen Schreie aus dem Zimmer. Es war Huyams Stimme. Ich wurde sehr unruhig. »Warum stehen wir hier? Auf was warten wir?« Wieder diese Schreie und das Weinen. Die beiden neben mir schienen das aber gar nicht zu hören. Dieser Typ hat die Augenbrauen hochgezogen und den Kopf schief gelegt. »Shirin, ich habe dich doch für mich gekauft. Ich werde dich jetzt heiraten. Vorhin habe ich dich angelogen.« In dem Moment ist mir wieder der Turkmene eingefallen, bei dem ich sechs Monate im Haus gelebt hatte. »Wo ist er denn?« Er hat geantwortet: »Der ist schon längst tot.«
Eine Welt ist in mir zusammengebrochen. Ich weinte heraus, hilflos und offen, da ich nun wusste, dass alles verloren war. Heiraten – das bedeutete bei diesen IS-Milizen vergewaltigen. Mein Herz hämmerte wie verrückt, aber ich wollte alle meine Kräfte sammeln, um auch diesen Mann von seinem Vorhaben abzubringen. Mit zusammengepressten Lippen schluchzte ich. »Du hast doch schon eine! Gehört das Mädchen hier nicht auch dir?« »Natürlich, sie gehört mir, du gehörst mir, ich hol mir noch eine weitere Kocho und noch eine und noch eine.« Lachend verschwand er in die Küche.
Diesmal war ich kein Geschenk. Dieser Fremde hatte mich dem Bruder des Turkmenen abgekauft. Wie viel Geld dabei über den Tisch gegangen war, weiß ich nicht. Nesrin aus Kocho klärte mich über die übliche Vorgehensweise auf: »Stirbt bei denen in der Familie ein Bruder, erbt der Ältere den Besitz samt seiner Frau.« Somit gehörten die Turkmenin in Tal Afar mit beiden Kindern und auch ich diesem Bruder. »Mit seinem Besitz kann er machen, was er will.« Dieses Mädchen erschien mir sehr grob. Mit einem Blick von oben herab hat sie mir den Tipp gegeben: »Heirate ihn lieber, damit sie dich nicht weiterverkaufen. Einfach auch, um dich vor mehreren Vergewaltigungen gleichzeitig zu schützen.« Ich habe entsetzliche Angst vor diesem Mann bekommen.
Einen Monat lang musste ich in diesem Reihenhaus bleiben. Es gab nichts, was diese Kannibalen nicht mit uns gemacht hätten.
»Die Mädchen sind teils grausamen sexuellen Praktiken ausgeliefert. Wenn sie sich verweigern, werden sie bestraft oder getötet. Ein 19-jähriges Mädchen ist bei lebendigem Leib verbrannt worden, weil es sich geweigert hatte, einen extremen Sexualakt zu vollziehen. Das Mädchen habe ich selber untersucht. Sie wurde in Rakka verbrannt, konnte noch fliehen und starb in der Türkei, kurz bevor wir sie nach Deutschland ausfliegen konnten.«
(Jan Kizilhan)
ZUM RICHTIGEN UMGANG MIT SKLAVEN
Der Fatwa-Beirat, die Auskunftsstelle für rechtliche und religiöse Fragen der Terrormiliz IS, hat ein offizielles Handbuch mit »Fragen und Antworten über Gefangene und Sklaven« herausgegeben. Ein Dokument der Menschenverachtung. Hier ein Auszug davon:
FRAGE: Was ist eine Al-Sabi?
ANTWORT: Al-Sabi ist eine ungläubige Frau aus einem Volk, mit dem wir Krieg führen, die von Muslimen gefangen genommen wurde.
FRAGE: Warum darf man eine Al-Sabi gefangen nehmen?
ANTWORT: Man darf eine Al-Sabi aufgrund ihres Unglaubens gefangen nehmen. Ungläubige Frauen, die gefangen genommen und in das Gebiet des Islam gebracht wurden, stehen uns zu, nachdem der Imam sie an uns verteilt hat.
FRAGE: Darf jede ungläubige Frau als Sklavin gehalten werden?
ANTWORT: Die Gelehrten sind sich einig, dass alle ungläubigen Frauen als Sklavinnen genommen werden dürfen. Dazu zählen aber auch Jüdinnen und Christinnen. Uneinigkeit herrscht dagegen darüber, ob abtrünnige Frauen versklavt werden dürfen. Die Mehrheit verbietet es.
FRAGE: Ist Sex mit einer Sklavin erlaubt?
ANTWORT: Ja. »Allah der Allmächtige sagt: Erfolgreich sind die Gläubigen, die ihre Keuschheit bewahren, außer von ihren Ehefrauen oder von solchen, die sie von Rechts wegen besitzen (Gefangene und Sklaven), denn dann sind sie frei von Schuld.« (Koran 23:5-6)
FRAGE: Darf es direkt nach der Gefangenschaft zum Sex mit den Sklavinnen kommen?
ANTWORT: Wenn die Sklavin noch Jungfrau ist, ist Sex erlaubt. Ist sie jedoch keine Jungfrau, muss ihre Gebärmutter zunächst gereinigt werden.
FRAGE: Darf eine Mutter durch Kauf oder Verkauf von ihren Kindern getrennt werden?
ANTWORT: Nein. Die Kinder dürfen vor der Pubertät nicht von ihrer Mutter getrennt werden. Es ist aber erlaubt, wenn das Kind erwachsen ist.
FRAGE: Können zwei Schwestern als Sklavinnen gehalten werden?
ANTWORT: Ja, allerdings darf man nicht mit beiden Sex haben.
FRAGE: Dürfen Sklavinnen geschlagen werden?
ANTWORT: Sklavinnen dürfen aus disziplinarischen Gründen geschlagen werden. Es ist allerdings nicht zulässig, diese aus Genugtuung zu foltern. Zudem ist es nicht erlaubt, die Sklavinnen ins Gesicht zu schlagen.
FRAGE: Wenn zwei oder mehr Männer eine Gefangene kaufen, kann jeder der Männer über sie verfügen?
ANTWORT: Es ist verboten, Geschlechtsverkehr mit einer weiblichen Gefangenen zu haben, wenn der Besitzer sie nicht alleinig besitzt. Ein Mann, der eine Sklavin in Partnerschaft mit einem anderen besitzt, darf nicht mit ihr Geschlechtsverkehr haben, bis der andere sie ihm verkauft oder ihm seinen Anteil überlässt.
FRAGE: Ist es erlaubt, Geschlechtsverkehr mit einer weiblichen Sklavin zu haben, die noch nicht die Pubertät erreicht hat?
ANTWORT: Es ist erlaubt, Geschlechtsverkehr mit einer weiblichen Sklavin zu haben, wenn sie körperlich bereit dafür ist. Ist sie allerdings noch nicht bereit, sollte es reichen, sie ohne Geschlechtsverkehr zu genießen.
FRAGE: Wenn ein Mann eine weibliche Sklavin heiratet, die jemand anderem gehört – wer darf dann Geschlechtsverkehr mit ihr haben?
ANTWORT: Ein Besitzer darf nicht Geschlechtsverkehr mit einer weiblichen Sklavin haben, die mit einem anderen verheiratet ist. In diesem Fall dient sie ihrem Meister, während ihr Mann sie genießen darf.
»So wurde beispielsweise Mahya von einem Kämpfer gekauft und vergewaltigt. Der IS-Kämpfer, der als ›Der Australier‹ bekannt ist, nahm Drogen ein, prügelte das Mädchen, fesselte es und vergewaltigte es daraufhin. Die ganze Nacht ließ er sie so auf dem Boden liegen. Hatte er ›gute Laune‹, ließ er Honig holen, tränkte seine Füße darin und befahl Mahya, diese abzulecken. Als sie sich dabei erbrechen musste, schlug er sie zusammen und sperrte sie gefesselt mehrere Tage lang in einem Zimmer ein. Nach drei Wochen hatte er ›keine Lust‹ mehr auf die junge Frau. Nachdem er sie selber missbraucht hatte, rief er sechs der IS-Wachen und befahl ihnen, das Mädchen zu vergewaltigen. Er saß die ganze Zeit als Zuschauer dabei, nahm Drogen und lachte immer wieder sehr laut. Das Mädchen wurde bis in die frühen Morgenstunden hinein vergewaltigt, geschlagen, an den Haaren gezogen, an den Beinen von einer Stelle zur anderen gerissen. Sie lachten immer wieder dabei. (…) Einige Tage später wurde das Mädchen weiterverkauft. Mahya sagte, dass sie dieses Lachen niemals vergessen werde.«
(Jan Kizilhan)
DAS REIHENHAUS IN TAL AFAR
Man muss vergessen können, um Kraft zum Weiterleben zu finden. Doch manches kann man nie vergessen. Ich schaffe es nicht, all das, was nun folgt, im Detail wiederzugeben. Einige Bilder haben sich mir förmlich ins Gedächtnis eingebrannt. Andere tauchen blitzartig auf, um genauso schnell wieder zu verschwinden. Ich vergesse sie sofort und weiß wochenlang nicht mehr, dass es überhaupt etwas zu vergessen gab. In mir herrscht ein furchtbares Durcheinander. Dieses Haus in Tal Afar war kein Bordell im üblichen Sinne, denn jeder Mann dort hatte ein Mädchen für sich alleine gekauft. All diese Kerle waren Turkmenen. Abends gingen sie nach Hause zu ihren Familien, aber wenn sie Lust hatten auf ihr Mädchen, kamen sie zu uns ins Haus und haben sich an uns abreagiert. Alle trugen einen Ehering.
Als Erstes hat mein Käufer, mit Namen Abu Saleh, die beiden Mädchen aus Kocho weggeschickt. Nesrin hatte ihm zuvor gesteckt, dass ich noch unberührt sei. »Ich werde dich jetzt entjungfern«, machte er mir in seinem Zimmer klar. Vier Stunden lang habe ich um mein Leben geredet. Mein Mund schmerzte bereits davon. »Ich bin doch heute zum ersten Mal hier, ich bin doch ein Gast.« Ich war wütend. Ich habe ihm schöngetan. Ich habe ihn gefragt: »Warum erschießt du mich nicht?«, aber wir Mädchen waren zu wertvoll für diese Barbaren.
Am Ende habe ich ihn auf den nächsten Tag vertröstet. »Ich brauche Zeit und muss unbedingt noch zu Allah beten. Morgen werde ich dir das geben, was du willst.« Entweder war es mein ununterbrochener Wortschwall oder die Erwähnung »Allahs«, die ihn veranlasste, seine ursprünglichen Pläne zu verschieben. Wahrscheinlich aber war er nur zu kaputt. Mit ihrem Gott, dem Allerbarmer und Allbarmherzigen, hatte das Ganze sowieso nichts zu tun. »Wenn es morgen stattfindet, ist das auch noch in Ordnung«, murrte er. Er ist dann gegangen und kam fünf Tage nicht wieder zurück.
Nach dem fünften Tag hat er seine vermeintlichen Rechte eingefordert. »Shirin, heute Abend nehme ich dich.« Zuerst hat er sich etwas zu essen gemacht. Mein Magen hat sich zusammengekrampft. Die Männer der anderen Mädchen waren an diesem Abend nicht aufgetaucht. Während er seine Suppe geschlürft hat, bin ich zu Nesrin, Huyam und Mahrusa gelaufen und habe protestiert, Klage geführt und herumgeschrien. »Ich werde nicht mit ihm schlafen! Ich werde das nicht tun!« Die Mädchen haben geschwiegen. Sie hatten selber so große Angst.
»Komm jetzt!«, befahl er. In seinem Zimmer hat er mich komplett ausgezogen und aufs Bett geworfen. Ich habe mich furchtbar geschämt, so nackt vor einem Fremden dazuliegen. Mit beiden Händen hat er mir die Beine auseinandergezwängt. Ich fühlte, wie er versuchte, in mich einzudringen. Ich schnappte nach Luft. Immer wieder stieß er zu. Aber er hat es nicht geschafft, weil ich so verkrampft und unten herum wie ausgetrocknet war. Trotz aller Gewalt ist es ihm nicht gelungen, in mich einzudringen. Ständig hat er gerufen: »Mach dich mal locker, mach dich doch mal locker.« Ich lag da wie ein Brett. Völlig steif. Da er es nicht von vorne hinbekam, hat er mich einfach umgedreht und anal vergewaltigt. Als er fertig war, ließ er mich, so weinend, auf dem Bett liegen. Er war nicht befriedigt, weil er es nicht geschafft hatte, mich zu entjungfern. Mürrisch hat er die Tür hinter sich zugeworfen. Ich sollte mich duschen und dann wiederkommen.
Im Bad stand ich vor dem Spiegel und starrte mich an. Mit einem verzerrten Gesicht, das nicht mir gehörte. »Warum? Warum passiert mir das? Was habe ich in meinem Leben falsch gemacht?« Völlig außer mir habe ich nach Mahrusa gerufen. »Wenn du eine Schere hast, dann bring sie mir! Ich muss etwas erledigen!« Eilfertig reichte mir unsere Älteste die Schere. Mit einem Griff schnappte ich meinen langen, kastanienbraunen Zopf, habe ihn direkt über dem Haarband abgeschnitten und schnaubend auf den Boden geschleudert. Ich wollte aussehen wie ein Junge. Erschrocken hat Mahrusa aufgeschrien: »Warum hast du das gemacht? Das ist eine Sünde!« Trotzig habe ich ihr die Stirn geboten: »Das ist meine Sache!« Mahrusa konnte es gar nicht fassen. »Wieso? Vielleicht werden dich deine Brüder danach fragen?« Aufgebracht warf ich ihr da entgegen: »Woher willst du wissen, dass sie überhaupt noch leben?«
Von dem Lärm angelockt, tauchte Abu Saleh hinter ihr auf. Als er mich mit diesen zerfransten kurzen Haaren gesehen hat, drehte er grollend auf dem Absatz wieder um. Wenigstens an diesem Abend wollte er nichts mehr mit mir zu tun haben.
Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich einen nackten Mann gesehen und erlebt hatte. Das hat bei mir bis heute einen widerlichen und zerstörerischen Gedanken hinterlassen, sodass ich nicht mal mehr meinem Vater unbedarft ins Gesicht blicken kann. Stundenlang stand ich danach unter der Dusche. Die Mädchen kamen und haben mich getröstet, indem sie sich eng zu mir zum Schlafen gelegt haben. Sie haben nur gesagt: »Wir können dir nicht helfen. Du musst das über dich ergehen lassen.« Nachts stand ich mehrmals auf, um mir nochmals die Zähne zu putzen. Doch der schlechte Geschmack blieb.
Abu Saleh hatte mich so verletzt, dass ich mich tagelang nicht mehr hinsetzen konnte. Ich lag immer auf der Seite oder stand gekrümmt. Als ich eines Morgens die Augen öffnete, war ein neues jesidisches Mädchen im Haus eingetroffen. Vor Schmerzen konnte ich mich nicht aufsetzen. Ich schaffte es kaum, mich zu bewegen. Das Mädchen namens Zina hat mich gefragt, was mit mir passiert sei....