Die Anschauung der Welt
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Die Anschauung der Welt

Die Vernunft der Schönheit und die unvernunft der Rationalität

  1. 487 Seiten
  2. German
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Die Anschauung der Welt

Die Vernunft der Schönheit und die unvernunft der Rationalität

Über dieses Buch

"Seit Menschengedenken suchen Naturwissenschaftler, Theologen, Künstler und Philosophen nach der "Formel aller Formeln", die erklärt, wie die Welt entstanden ist und was sie im Größten und im Kleinsten zusammenhält. In Die Anschauung der Welt wagt Tilman Steiner ein fesselndes Gedankenexperiment an den Schnittstellen der Disziplinen und entwirft mit seiner Attraktivitätstheorie ein faszinierend neues Modell der Evolution. In seiner Betrachtung geht es ihm um einen Gegenentwurf zu unserem rationalen Weltbild und um ein neues Denken und Handeln, damit die Schönheit der Welt auch für die nachfolgenden Generationen erhalten bleibt. Immer tiefer dringen Physiker und Biologen, Astronomen und Atomforscher in die Geheimnisse des Universums ein, immer mehr Erkenntnisse führen zu einem immer detaillierteren Bild vonder Entstehung unseres Planeten. Doch je mehr wir die Welt zu verstehen glauben, desto mehr neue Fragen tun sich auf, denen vor allem die Geistes- und Kulturwissenschaften nachspüren. Tilman Steiner wagt in seinem Buch eine Zusammenschau der Disziplinen und entwirft dabei ein faszinierend neues Modell zur Entstehung unserer Existenz. Er sieht die Antwort auf die großen Fragen der Evolution in vier einander bedingenden Grundprinzipien, ohne die diese nicht möglich gewesen wäre: Kreativität, Polarität, Attraktivität und Reflexion. In diesem Zusammenspiel erkennt Tilman Steiner die "Vernunft der Schönheit". Mit unserer Zivilisation kommt schließlich die Rationalität ins Spiel, die die Ausgewogenheit dieser Grundprinzipien zerstört und die Menschheit an den Scheideweg bringt, an dem sie heute steht. In diesem Buch geht es um einen ganzheitlichen Blick auf das Wunder der Evolution und darum, dem Leser die Schönheit, aber auch die Verletzbarkeit unseres Planeten nahezubringen."

Häufig gestellte Fragen

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Information

V.
DAS REFLEXIONSPRINZIP

oder: Die Anschauung der Welt

1. WAS KÖNNEN WIR SCHON WISSEN?

Das Wissen der Nichtwissenheit
ist das Höchste.
Nicht wissen, was Wissen ist,
ist Leiden.
Nur wenn man unter diesem Leiden leidet,
wird man frei von Leiden.
Dass der Berufene nicht leidet,
kommt daher, dass er an diesem Leiden leidet;
darum leidet er nicht.
Lao-Tse
Wer das Wissen um die Unwissenheit als das Höchste bezeichnet, ist auf der höchsten Stufe des Sinnierens über die Welt und sich selbst angekommen. Im Reflektieren verschmelzen die Polaritäten von Wissen und Nichtwissenheit und die von Leiden und Nichtleiden in der Persönlichkeit des Berufenen. Die Paradoxa lösen sich in der Attraktivität der Weisheit auf.
Wir mögen die Ränder unseres gesicherten Wissens immer weiter hinausschieben, doch je weiter sich das Areal des Gesicherten in diesen Grenzen, in Astro- und Atomphysik und auch in der Durchdringung der weiten Landschaften von Zusammenhängen, ausdehnen mag, desto länger werden die Grenzen zu den Ländern der Terra incognita, den Ländern des Noch-nicht-Wissens und denen des Nicht-wissen-Könnens.
Absolutes Wissen ist eine Utopie. Das Erforschbare kommt an kein Ende, auch nicht das uns sich nicht Erschließbare. Und selbst wenn alle Fragen gelöst wären, bliebe immer noch das große WARUM. Wer das anerkennen kann, wird demütig seiner Intuition folgend die Naivität der Weisheit gelten lassen.
Unabhängig davon, ob der menschliche Verstand eine mathematisch ausdrückbare Formel für ALLES, in dem sich Chaos und Ordnung durchwirken, finden kann, ist er auf das jedermann zugedachte Geschenk des Reflektierens angewiesen und zu dessen Gebrauch aufgefordert. Die Anschauung der Welt ist unsere Bestimmung.
»Daß alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anfange, daran ist gar kein Zweifel; denn wodurch sollte das Erkenntnisvermögen sonst zur Ausübung erweckt werden, geschähe es nicht durch Gegenstände, die unsere Sinne rühren und teils von selbst Vorstellungen bewirken, teils unsere Verstandestätigkeit in Bewegung bringen, diese zu vergleichen, sie zu verknüpfen oder zu trennen, und so den rohen Stoff sinnlicher Eindrücke zu einer Erkenntnis der Gegenstände zu verarbeiten, die Erfahrung heißt? Der Zeit nach geht also keine Erkenntnis in uns vor der Erfahrung vorher, und mit dieser fängt alles an«, schreibt Kant in Kapitel 5 der Kritik der reinen Vernunft. Norbert Elias spricht 1988 in der Taschenbuchausgabe von Über die Zeit von der »Wendeltreppe des Bewusstseins«, auf der der Mensch in der Lage sei, aufzusteigen und als fünfte Dimension auf die vier Dimensionen unter ihm herunterzublicken. »Wenn von einem vierdimensionalen Universum die Rede ist, dann beziehen die Menschen sich selbst als Beobachtende und Wahrnehmende noch nicht in ihre Beobachtung und Wahrnehmung mit ein. Wenn man auf eine höhere Stufe des Wissens heraufsteigt und die Menschheit als Subjekt des Wissens in sein Wissen mit einbezieht, wird der Symbolcharakter auch der vier Dimensionen erkennbar.«1
Mit der Annahme der drei Prinzipien der Evolution, von Kreativität, Polarität und Attraktivität, gewonnen nach der Erfahrung und ihrer Bewertung im Zusammenklang, spiegeln wir wider, was wir als Realität des Werdens – und des Vergehens als neues Werden – erkennen. Die Möglichkeit dieses Reflektierens ist das Resultat eines gewaltigen Sprungs der Evolution. Das Reflektieren als eigenes Prinzip anzuerkennen liegt in der Natur des menschlichen Denkvermögens, welches auf die Evolution in einer Weise einwirkt, die wir nicht vorhersagen können.
Zwar unterliegt auch dieses Phänomen der Kreativität der Menschen, der Polarität der Ansichten und dem Ergebnis aus dem Zusammenwirken dieser Polaritäten. Es ist jedoch durch die Reflexion, durch diesen Spiegel, eine ganz neue, andersartige Kategorie in die Welt gekommen, wenn sich nun die Evolution selbst durch uns als ihr Produkt betrachten und verändern kann. Diesen Spiegel nennen wir »Geist«. Der menschliche Geist repräsentiert jedoch nur einen Teil des Geistes, der in der Welt wirkt. Denn die erkannten Prinzipien oder Grundgesetze sind Geist – was sonst?

Unendlichkeit trifft Ewigkeit

Was ist denn schließlich der Mensch in der Natur?
Ein Nichts im Hinblick auf das Unendliche, ein All im Hinblick auf das Nichts, eine Mitte zwischen dem Nichts und dem All, unendlich weit davon entfernt, die Extreme zu begreifen.
Blaise Pascal
Wenn wir auch die Extreme nicht greifen können, müssen wir deshalb nicht aufgeben. Es gibt einen immer größer werdenden, zugegeben kleinen Wissensfundus und einen immer noch sehr viel größeren Rest des Wissbaren, dem wir uns in kleinen Schritten nähern können, den wir im Übrigen aber kaum erahnen. Und es gibt das Nichtwissbare.
Ahnen bedeutet nicht zu wissen, aber mit anderen Erkenntnisantennen als denen des logischen Denkens etwas zu spüren, etwa durch die bei C. G. Jung als so wichtig betonte Intuition, welche neben dem Denken, Fühlen und Empfinden ein vierter Weg des (Für-)Wahrnehmens ist.2 Wir erinnern uns auch an die in Kapitel IV.3 bei der Schönheit der Kunst angeführten Erkenntnisquellen, die Richard von St. Viktor im 12. Jahrhundert in der Reihenfolge ihrer Wertigkeit als contemplatio, cogitatio und meditatio beschreibt. Unser Wahrnehmen, Empfinden, Meinen, Bewerten und Entscheiden dürfte durchaus mehr Neuronen und Synapsen beschäftigen als das logische Denken. Unser Geist hat viele Dimensionen. Er hat Anteil am Geistigen um uns, so wie auch er den Naturgesetzen unterliegt.
Wie aber kommt der Geist in die Welt? Kam er überhaupt, oder war er schon von Anfang an da? Wenn ja, von welchem Anfang? Gab es den überhaupt? Verschlingen sich Anfang und Ende?
Wissen werden wir das nie. Vermuten können wir nur: Wenn wir beim Blick in die Strukturen an kein Ende kommen, weder im Mikro- noch im Makrokosmos, dann könnte es sich mit der »Zeit«, dem, was wir als Verlauf feststellen, ähnlich verhalten. Unendlichkeit trifft Ewigkeit. Die Ewigkeit ist zeitlos, also etwas anderes als eine unendliche Zeit, die es gar nicht geben kann. Denn die Zeit ist an den Raum gebunden, der in sich zusammenfallen wird, wenn seine Zeit gekommen ist.
Und dann die Frage: Welcher Geist? Zunächst jener der atomaren und der kosmischen Gesetze. Ihre Gemeinsamkeit ist das Naturgesetz der Einheit von Kreativität, Polarität und Attraktivität. Aus diesem Geist hat sich der unsere entwickelt, denn das Kleine steckt im Großen. So ist menschliche Metaphysik das Kind der Physis, der Hirn-Physiologie im uns umhüllenden Geist der Natur.
Materie und Energie folgen den kosmischen Gesetzen. Diese Polarität verschmilzt in ihrer wechselseitigen Attraktivität zur Urform der Information oder des Schwingungszustands. Denn Energie ist Masse (mal Beschleunigung). Masse ist auch Energie, die der Masse als ihrer Schwerkraft innewohnt. Beide sind nur ideell, in unserer Reflexion, zu trennen. Energie allein ist die eigentliche Realität.
Lao-Tse schreibt in seinem Tao Te King:
Vier Große gibt es im Raume,
und der Mensch ist auch darunter.
Der Mensch richtet sich nach der Erde.
Die Erde richtet sich nach dem Himmel.
Der Himmel richtet sich nach dem SINN.
Der SINN richtet sich nach sich selber.
Was ist bei Lao-Tse der Sinn anderes als das Gesetz der Natur, als ihr Wille? Die alten Chinesen nannten ihn Tao, die Japaner Shinto, die Griechen Logos, die Ägypter Maat.
Die Welt ist ihrem innersten Wesen nach Wille, so auch Schopenhauers Denkvorstellung: »Als Kraft, welche in der Pflanze treibt und vegetiert, ja die Kraft, welche der Kristall anschießt, die, welche den Magneten zum Nordpol wendet, die, deren Schlag aus der Berührung heterogener Metalle entgegenfährt, die, welche in den Wahlverwandtschaften der Stoffe als Fliehen und Suchen, als Trennen und Vereinen erscheint,« – von der Polarität zur Attraktivität – »ja zuletzt sogar die Schwere, welche in aller Materie so gewaltig strebt, den Stein zur Erde und die Erde zur Sonne zieht.« In diesem Urwillen seien auch alle Lebewesen von der Wurzel her verbunden.
Wir erkannten bei der Kreativität, dass dieser Wille schon im Anfang als das Gesetz da war, nach dem alles werden sollte. Der Wille war von großer Macht. Diese Macht war ein Bewegendes, sagt Aristoteles, das die ganze Welt stets durchwirkt, und sie durfte selbst nicht bewegt sein, sonst wäre sie kein erstes Bewegendes. Sie wird in den Religionen »Gott« genannt, ohne dass die Religionen im Einzelnen diese Bezüge herstellen. Für sie ist Gott die Kraft und der in ihr waltende Wille zu Kreativität, Polarität, Attraktivität und zur Reflexion. Es ist ganz offenbar der Wille dieses Willens, auch erkannt zu werden, und zwar durch den menschlichen Geist als »das höchste Naturprodukt«, wie es Schelling formulierte. Ob dieser Geist auf uns beschränkt ist oder auch auf anderen Planeten existiert, bewegt die Menschen im Raumzeitalter.
Da wir Menschen nur aus wenigen Grundmolekülen bestehen, ist die Möglichkeit extraterrestrischen Lebens ohne oder auch mit Bewusstsein nicht auszuschließen, wenn auch die Bedingungen der Kombination höchst extrem sind. Voraussetzung für Leben ist
ein abgekühlter Planet
den eine Sonne als Fixstern in Rotation hält und mit genügend Licht aus seiner Kernfusion bestrahlt
dessen Abstand zur Sonne Temperaturen bewirkt, die Leben ermöglichen
der auch um sich selbst rotiert, um Wärme- und Kälteausgleich zu gewährleisten
auf dem es Wasser gibt
der eine atmosphärische Hülle, schon als Schutz gegen zu viele Meteoriteneinschläge, aufweist
der in einer der seltenen stabilen Zonen des Alls existiert, und das schon seit Milliarden von Jahren, um einer Evolution Zeit zu geben
und der am besten auch einen großen Mond als Begleiter um sich hat, damit das flüssige Planeteninnere, auf dem die feste Kruste schwimmt, durch dessen Anziehung in ständiger Rotation gehalten wird, auf dass ein starkes Magnetfeld die lebensbedrohenden Sonnenwinde des Fixsterns abgleiten lässt.
Sollten also trotz aller einschränkenden kosmischen Bedingungen auch die noch komplexeren chemischen Hürden (etwa die des sauerstoffverarbeitenden Enzyms aus 104 unterschiedlich angeordneten Aminosäuren) irgendwo anders im All bis hin zum Bewusstsein überwunden worden sein – wäre dort dann von anderen Arten des Lebens und anderen geistigen Konzepten auszugehen?
Wir suchen nach außerirdischer Intelligenz, aber wir wissen nicht genau, was wir da suchen. Wir vermuten, dass die Zeichen der Mathematik in ihrer zwingenden Logik und mit ihrer universellen Sprache ein extraterrestrisches Verständigungsmittel sein müssten und dass die Erde eines Tages entsprechende Antworten erhalten werde, wenn sich irgendwo in der Tiefe des Alls eine vergleichbare Evolution ereignet haben sollte. Jedenfalls gelten die Naturgesetze überall, weil sie aller Evolution zugrunde liegen.
Auf unserem Planeten war die Natur auf unser Erscheinen eingerichtet, als hätte sie uns erwartet. Der Umkehrschluss ist umfassender: Wäre die Natur nicht so, wie sie ist, wären wir nicht da. Eine teleologische Ausrichtung der Evolution lässt sich wissenschaftlich nicht beweisen. Anhänger des Intelligent Design bemühen es dennoch als Wissenschaft, aber dies ist eine Glaubensfrage.

Wissen und Glauben

Mit beidem, dem Wissen und dem Glauben, ist das so eine Sache: Naturwissenschaftliche Erkenntnisse haben hypothetischen Charakter, bis sie wieder einmal falsifiziert werden. Zusätzlich zeigt die Heisenberg’sche Unschärferelation sehr deutlich die Grenzen des Gesicherten auf, indem Ort und Impuls eines »Teilchens« nicht gleichzeitig gemessen und somit atomare Vorgänge allenfalls nach statistischer Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden können. Dennoch sind naturwissenschaftliche Methoden innerhalb ihrer naturwissenschaftlichen Untersuchungsobjekte eine logische und ziemlich erfolgversprechende Vorgehensweise.
Auf philosophische oder theologische Fragestellungen sind diese Methoden aber nicht anwendbar. Dazu bedarf es der dort gefundenen Erkenntnispfade, die wiederum für die Physik keinen vernünftigen Weg weisen. Das musste die Kirche bei Kopernikus und Galilei erst lernen, und manchen Naturwissenschaftlern steht dieser Lernprozess erst noch bevor.
Naturwissenschaft und Religiosität schließen sich nicht aus. Die Wissenschaft kann entgegen der Ansicht vieler Wissenschaftler Gott weder experimentell noch logisch ausschließen, genauso wie ein Schöpfer sich wissenschaftlichem Nachweis entzieht. Dieser widerspricht aber der Logik nicht.

Religionen

Für die Zeiten lange vor den Naturwissenschaften gehen Ethnologen und Anthropologen von zigtausend Varianten von Religionen aus. Sie nehmen an, dass alle aus dem Totenkult erwuchsen. Wie zur Bestätigung fanden Archäologen vor Kurzem ein 45 000 Jahre altes Höhlengrab eines Neandertalers in Shanidar im heutigen Irak, wo Grabschmuck durch Pollenfunde verschiedener Blumenarten nachgewiesen wurde.
Die Religionen mündeten in vier große Gruppen der Gegenwart: die Naturreligionen der Urvölker, die chinesischen Formen von Taoismus und Konfuzianismus als ein religiöses Gefühl von Weisheit und mit dem Kult für die Ahnen, die Religionen indischen Ursprungs von Hinduismus und Buddhismus und die monotheistischen Religionen von Judentum, Christentum und Islam.
Der Evolutionsbiologe Edward O. Wilson hält die menschliche Disposition für den Glauben als genetischen Vorteil, weil so das Eigeninteresse zurücktreten und das Individuum mit einem geringen Aufwand die Mitgliedschaft in der Gruppe genießen könne – Gott als praktische menschliche Erfindung. Der amerikanische Mathematiker und Physiker Frank Tipler geht dagegen von einem wirksamen Kräftefeld aus und sagt, Gott sei nichts anderes als die »ursprüngliche, beseelte Kraft des Seins«.
Ist, was die Religionen »Gott« nennen und verehren, nur distanziert als das Naturgesetz oder als der Geist wahrnehmbar? In der fraktal aufgebauten Welt konnten wir nachvollziehen, dass das Kleine jeweils im Großen steckt, in ihm aufgeht und zugleich besteht, und dass ebenso das Große im Kleinen angelegt und vorhanden ist. Das Eisen des Kerns der Erde ist auch in uns. Oder wie es Paul Valéry schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts ausdrückt: »Ich bin in einer Welt, die in mir ist.« Genauso wirkt das Naturgesetz, und genauso ist dieser Wille oder der Geist oder Gott – wenn Sie wollen – ganz natürlich in uns. Dann eben als der persönliche Gott. Wir können mit dem Geist, der um und in uns ist, kommunizieren. Er tut es ja mit der Tatsache unseres Lebens, unseres Stoffwechsels und der Möglichkeit zu denken und zu empfinden auch. Da können wir in der unendlichen Weite als kristallisierter Sternenstaub noch so klein sein, das Gesetz der Evolution vollbringt das. Und die wie der findet das schön und hat Lust auf Leben. Das Lied der Christen klingt deshalb: »Alles, was Odem hat, lobe den Herrn.« Den »religiös Unmusikalischen« empfahl der Agnostiker Jürgen Habermas in seiner Dankesrede zum Erhalt des Friedenspreises des deutschen Buchhandels 2001, wenigstens offen zu bleiben »für die normativen Gehalte religiöser Überlieferung«, und spricht schon früher von »jüdischer Gerechtigkeits- und christlicher Liebesethik«.
Der vermeintliche Widerspruch von Wissen und Glauben mit der Vorstellung, Wissen verdränge den Glauben, löst sich durch die Erkenntnis auf, dass paradoxerweise das Wissen mit jedem Fortschritt vor immer mehr zu öffnenden geheimen Kammern steht; so offenbart sich di...

Inhaltsverzeichnis

  1. Umschlag
  2. Haupttitel
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. ATTRAKTIVITÄT ALS CODE DES UNIVERSUMS
  6. I. AUF DER SUCHE
  7. II. DAS KREATIVITÄTSPRINZIP
  8. III. DAS POLARITÄTSPRINZIP
  9. IV. DAS ATTRAKTIVITÄTSPRINZIP
  10. V. DAS REFLEXIONSPRINZIP
  11. VI. DIE UNVERNUNFT DER RATIONALITÄT
  12. Anmerkungen
  13. Bildnachweis