Adolf Hitler
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Adolf Hitler

Das Zeitalter der Verantwortungslosigkeit-Ein Mann gegen Europa

  1. 768 Seiten
  2. German
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Adolf Hitler

Das Zeitalter der Verantwortungslosigkeit-Ein Mann gegen Europa

Über dieses Buch

Konrad Heidens vielgerühmte Biografie über Adolf Hitler.Der jüdische Journalist und Sozialdemokrat Konrad Heiden veröffentlichte zwischen 1935 und 1936diese »erste bedeutende Hitler-Biografie« (Joachim Fest).Konrad Heiden, der als einer der schärfster Kritiker der Nationalsozialisten gilt, hat den Aufstieg Adolf Hitlers von Anfang an begleitet und schildert in seiner Biografie vor allem die persönliche Seite im Leben des Führers. Die schonungslose biografische und psychologische Durchleuchtung seiner Gestalt liefert den entscheidenden Schlüssel, um Hitlers politische Ziele und Ideen zu durchschauen und das entscheidende Verständnis dafür zu entwickeln, was für die Welt von Anfang an auf dem Spiel stand. Dementsprechend nennt der Historiker John Lukacs Heidens Biografie »die erste substanzielle Studie über Hitler«.Bevor das ganze Ausmaß des Schreckens bekannt war, das Hitler und die Nationalsozialisten über Europa bringen sollten, warnt Heiden bereits auf eindringliche Weise vor den Absichten dieses Mannes. Aus nächster Nähe beobachtet er die Auftritte des Demagogen, beschreibt detailgetreu und nicht selten mit sarkastischem Unterton die Wirkung auf die Zuhörer, arbeitet das Gewöhnliche und Spießbürgerliche, vor allem aber das Diabolische und Krankhafte an Hitlers Wesen heraus – und das lang vor der Katastrophe des Krieges und des Holocausts. Ausführlich widmet sich »Hitlers Feind Nr. 1« der Analyse des politischen Augenblicks und schildert Geschichte nicht aus der Rückwärtsbetrachtung, sondern während sie passiert.»Es hat kaum einen wortgewaltigeren, exakteren und entschiedeneren Gegner der Nazis gegeben.«die tageszeitung

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Band 2
EIN MANN GEGEN EUROPA
Denn ein vollkommener Widerspruch
bleibt gleich geheimnisvoll für Kluge wie für Toren.
Goethe.
22. Der Mord an Dollfuß
Der österreichische Emigrant
»… der arme Junge hatte sich einst gelobt, nicht eher in das liebe väterliche Dorf zurückzukehren, als bis er etwas geworden wäre.« Adolf Hitler schreibt das in »Mein Kampf« von seinem Vater. Melancholisch fährt er fort: »Allein ihm selber war das Dorf fremd geworden.«
In diesen Worten verbirgt sich die Tragik des Mannes, der sie schrieb. Er spricht von seiner eigenen Heimat. Als Schiffbrüchiger ist er von ihr abgesprungen, voller Haß und scheinbar ohne Treue; er hat sie verachtet, beschimpft, ihr den Dienst mit der Waffe versagt und sie dazwischen dennoch geliebt; hat seine verworrenen Gefühle zu sortieren versucht und dem reinen deutschen Blut im Gewirr der habsburgischen Nationalitäten nachgespürt; hat Wien als »Stadt der Blutschande« verworfen und dem Deutsch-Österreicher nachgerühmt, daß er »mehr als groß dachte«; hat, um vor der Heimat einen Standpunkt zu haben, erst zwischen Staat und Volk und später zwischen Volk und Rasse unterscheiden gelernt; fühlte, der Armenhäusler von Wien, sich voll Stolz als Glied eines Herrenvolkes über Sklavenrassen; war bereit zu lieben, sofern er herrschen konnte, und knirschte, wenn er und sein Volk den Platz mit andern teilen mußten, Heimatliebe als Besitzfreude und Patriotismus als Herrenstolz, wesentliche Merkmale des Kolonial-Deutschtums im ganzen nahen Osten, füllen und prägen das politische Weltgefühl dieses jungen Österreichers. Aus dieser Heimat bringt er seine Vorstellungen von geborener Elite und privilegierter Rasse in ein Deutschland mit, das in gesunden Zeiten für diesen hysterischen Streitruf weder Mund noch Ohr hatte. Um den verquollenen Komplex von Vaterlandsliebe und Heimathaß in sich selbst aufzulösen und eine Jugendlast loszuwerden, lernte Adolf Hitler seine Gefühle nach den Vorschriften der Rasselehren Gobineaus und Chamberlains einteilen. Sein Nationalsozialismus ist der Selbsttrost eines verunglückten österreichischen Patrioten.
Im Lichte der Tatsachen ein sehr falscher Trost.
Denn als er nach langem Wege in höchstem Maße »etwas geworden war« und endlich eine im Lichte der frühen Erkenntnisse und neuen Erfolge verklärte Heimat wiederzufinden hoffte, da war »das Dorf ihm fremd geworden«. Hitler, der Österreicher und Herr über Deutschland, klopft als Diktator vergebens an das alte Tor. Auch dort sind neue Dinge im Werden, alten Streit hat die Geschichte gelöscht. Deutsch ist das Land, aber europäische Verantwortung hängt an seinem Schicksal. Die Kräfte eines Erdteils treffen auf die Wünsche eines österreichischen Auswanderers, und das ewige deutsche Verhängnis, europäisch sein zu müssen, ohne das zu begreifen und zu wollen, findet diesmal den Vollstrecker im Jugendgroll eines Heimatlosen.
Die Politik der deutschen Diktatur gegen Österreich ist ein Ausbruch gekränkter Jugendgefühle eines einzelnen Mannes. Keine noch so stolze Phrase, sei es von Volkstum oder von Machtraum-Politik, kann das beschönigen. Abgetrennte deutsche Volkstümer gab es noch an zahllosen anderen Stellen; vom Machtstandpunkt aus aber war ein Angriff auf Österreich ein zweckloses Wagnis, denn er provozierte die Großmacht, deren Hilfe Hitler aufs Innigste erstrebte, nämlich Italien. Nein, das Kapitel, das wir jetzt aufschlagen, enthält Hitlers eigenste und persönlichste Angelegenheit in der ganzen Weltpolitik, wofür die Beweise geliefert werden sollen; kaum jemals ist in neuerer Zeit Völkerschicksal so sehr dem Gelüste eines Machthabers geopfert worden.
Ein christlicher Ständestaat
Drei Tatsachen hielten das schwache Staatswesen Österreich am Leben: der Wille benachbarter großer und mittlerer Mächte, der Wunsch der katholischen Kirche und schließlich ein langsam aus dem Zusammenbruch von 1918 wiederaufkeimendes österreichisches Selbstbewußtsein. Die Mächte, die die Existenz Österreichs wünschten, taten es aus verschiedenen und zum Teil entgegengesetzten Gründen; waren doch unter ihnen so scharfe Gegner wie Frankreich und Italien, Italien und die Länder der Kleinen Entente. Frankreich wünschte ein selbständiges Österreich, um allgemein eine Stärkung Deutschlands zu verhindern; Italien wünschte nicht die deutsche Macht unmittelbar an seiner Grenze zu sehen, vor der Österreich wie ein dämpfendes Kissen lag; die Länder der Kleinen Entente wünschten im Bereich Deutschösterreichs keine große Macht, die ihrer Existenz gefährlich werden konnte, und namentlich wünschten sie kein Wiedererstehen des alten Österreich auch nur der Idee nach, denn dessen Untergang war ihre Geburt gewesen und sein Wiederaufleben mußte ihr Tod sein.
Für die katholische Kirche ist Österreich eins jener Länder, in denen praktisch so gut wie keine Glaubensspaltung besteht, also ein in Form und Wesen katholisches Land. Das untergegangene habsburgische Reich »seiner apostolischen Majestät« war die stärkste Machtposition der Kirche in Europa gewesen; das kleingewordene Österreich blieb ihr als katholische Republik nahe und stets wichtig, doppelt nach der Kirchenverfolgung durch die deutschen Nationalsozialisten.
Der eigene Wille zur Selbständigkeit Österreichs mußte mit natürlicher Kraft aus der tausendjährigen stolzen Geschichte wieder hervorwachsen, sobald die Trümmer der Revolution von 1918 einigermaßen beiseite geräumt waren. Er hing naturgemäß eng zusammen mit dem Kaisergedanken, mit der Sehnsucht nach einer Rückkehr des Hauses Habsburg; er hing ebenso eng zusammen mit der Kirche. Die Politiker der lange mächtigen christlich-sozialen Partei, die ihn pflegten, suchten ihn langsam mit neuen Ideen zu verschmelzen. Dem bedeutenden christlich-sozialen Bundeskanzler Dr. Ignaz Seipel gelang das noch nicht; größeren Erfolg hatte, als neue politische Bewegungen wie die faschistische Heimwehr die alten Parteien zersetzten und schließlich wegspülten, der gleichfalls aus der christlich-sozialen Partei hervorgegangene Bundeskanzler Dr. Engelbert Dollfuß. Er verband den Gedanken des selbständigen Österreich mit dem des christlichen Ständestaates und erhob die päpstliche Enzyklika »Quadragesimo anno«, der der Ständegedanke entnommen war, zur Grundlage der Landesverfassung.
Wille der Mächte, Stütze der Kirche und österreichische Idee waren also die drei Tragpfeiler der österreichischen Selbständigkeit, die nun mit Hitler in Kampf geriet. Die drei Pfeiler ergänzten einander schlecht und hatten in sich Risse.
Der Wille der Mächte und der österreichische Gedanke in der Kaiserform widersprachen einander aufs Bestimmteste; namentlich die Kleine Entente, ihres Ursprungs aus den Trümmern des Hauses Habsburg eingedenk, widersetzte sich der Rückkehr dieses Hauses nach Österreich mit bewaffneter Drohung. Sie wollte ein selbständiges Österreich, aber sie verweigerte ihm die stärkste denkbare Stütze; Tschechoslowakei, Jugoslawien und Rumänien waren hierin gleichmäßig unnachgiebig. Die Kraft der Kirche in Österreich war geschwächt durch jahrzehntealte Kirchenfeindschaft breiter Intellektuellenschichten, erklärbar aus der Absolutheit der geistigen Kirchenherrschaft. Diese sogenante »Los von Rom«Bewegung war kirchenfeindlich und zugleich antisemitisch, hatte dabei demokratisch-freiheitliche Züge; die österreichischen Nationalsozialisten waren aus ihr hervorgegangen, Hitler war eine Zeitlang in ihrer Schule gewesen. Eben diese Bewegung hatte seit Jahrzehnten den Anschluß der deutschen Teile Österreichs an Deutschland verlangt; in diesem Punkt erhielt sie nach dem Zusammenbruch 1918 eine gewaltige Verstärkung durch die mächtige, kurze Zeit allmächtige Sozialdemokratie. Diese hatte das völlige Verschwinden Österreichs und seinen Anschluß an Deutschland zu einem ihrer Ziele gemacht; nur der Machtspruch der Sieger des Weltkrieges verhinderte die Durchführung, die schon als vollzogene Tatsache in die Verfassung beider Staaten aufgenommen war. Je länger Deutsch-Österreich, ein herzlos zusammengeschnittener Rest eines einst großen Reichsgefüges, unter schwersten Bedingungen existierte, desto härter drückte es wirtschaftliche Not; die wieder aufkeimende Erkenntnis, daß das Gebiet der alten Donaumonarchie auch bei Selbständigkeit der einzelnen Teile einer wirtschaftlichen Reorganisation bedürfe, wurde nicht zur Tat. Große Teile des Volkes sahen die wirtschaftliche Rettung im Anschluß an Deutschland; eine kaum begründbare Rechnung, doch suggestiv in ihrer Einfachheit. In Deutschland legten wichtige Wirtschaftskreise auf die Angliederung Österreichs wenig Wert, und so blieb der Zug von beiden Seiten zu einander herzlich, aber platonisch; ein 1931 mehr aus politischen als wirtschaftlichen Gründen unternommener Versuch zur Zollunion wurde vor dem Einspruch der Mächte schnell wieder aufgegeben. Eben in jener Zeit begann der Gedanke einer eigenen politischen Sendung Österreichs festere Gestalt anzunehmen und gegen den Anschlußgedanken in breitere Volkskreise zu dringen; die Macht der weltpolitischen Tatsachen und die Zurückhaltung in Deutschland machten ihm Bahn.
Aufs Neue aber gewann der Zug zum Reiche Kraft, als in Deutschland eine neue Machtpolitik einsetzte, die zunächst in ihrem Gefühlsantrieb sich um die außenpolitischen Realitäten beider Länder wenig kümmerte, mit den alten Methoden der innenpolitischen Propaganda nach einem großen außenpolitischen Triumph im sprachverwandten Nachbarland trachtete und sich auch von wirtschaftlichen Bedenken nicht hemmen ließ, nach dem Grundsatz: »Auch wenn diese Vereinigung wirtschaftlich gedacht, gleichgültig, ja selbst wenn sie schädlich wäre, sie müßte dennoch stattfinden. Gleiches Blut gehört in ein gemeinsames Reich« (Hitler, »Mein Kampf«, S. 1). Die deutsche Diktatur begann um die Seelen der Österreicher zu werben, die Selbständigkeit Österreichs zu untergraben, und die Souveränität seiner Regierung wurde überhaupt nicht anerkannt. Werkzeug dieses Wühlens war die über die Staatengrenze hinüberreichende nationalsozialistische Partei. Sie konnte es sich ersparen, von dem verfänglichen Anschluß zu sprechen; sie verlangte nur die Gleichschaltung, die Herrschaft der Partei über Österreich. Hitler führte den Kampf um Österreich offiziell nicht als Reichskanzler, sondern als Parteiführer.
Angedrohter Einmarsch
Die österreichischen Nationalsozialisten, viel älter als die deutsche Partei, haben vor und neben dieser jahrzehntelang ein meist unbeachtetes Dasein geführt. 1926 erscheinen sie, ein Grüppchen, endgültig als Teil der deutschen Partei, Hitler absolut gehorchend wie irgend ein reichsdeutscher Parteigau. Im Nationalsozialistischen Jahrbuch von 1934 ist Österreich als Gau 33 der Partei verzeichnet, und die österreichische SA untersteht als Obergruppe VIII der Münchner Führung. Zwar der Gauleiter ist ein Österreicher, Frauenfeld in Wien, der wirkliche Leiter aber wird im Juli 1931 ein Mann namens Theodor Habicht, Reichsdeutscher, bis dahin Stadtverordneter in Wiesbaden. Mit dem klingenden Titel eines »Landesinspekteurs« leitet Habicht von Linz aus die Politik der österreichischen Partei; der wahre Leiter befindet sich freilich zunächst in München und später in Berlin.
Die Grundsätze dieser österreichischen Partei haben auch für andere Auslandsorganisationen des Nationalsozialismus, je nach den Umständen mehr oder weniger abgewandelt, ihre Bedeutung; darum mögen sie hier stehen. In dem von Habicht 1932 herausgegebenen Dienstbuch der NSDAP Österreichs heißt es:
»Die NSDAP mit allen ihren Neben-, Unter- und Sonderorganisationen bildet innerhalb des heutigen Systems vergleichsweise einen Staat für sich. Der Parteistaat unterscheidet sich von dem gegenwärtigen Staat nur dadurch, daß er 1. noch nicht alle Staatsbürger umfaßt, beziehungsweise einen Teil bewußt ablehnt, 2. noch nicht alle öffentlichen Körperschaften, Vereine und Organisationen erfaßt hat, 3. noch nicht im Besitze der staatlichen Machtmittel ist. Mit dem Augenblick der vollen Machtergreifung treten die Organe der Partei an die Stelle der Organe des heutigen Staates, beziehungsweise übernehmen diese. Partei und Staat werden eins.«
Ein deutscher Parteiführer hatte also auf dem Boden eines fremden Landes seinen eigenen Staat; ein Ausländer kündigte die bevorstehende Ergreifung der Macht an. Doch würde er nie zugegeben haben, daß es ein fremdes Land sei. Nie? War ihm doch »das Dorf fremd geworden«; eine entschlüpfte Bemerkung freilich, auf die er kaum achtgab.
So stand es schon, als Hitler in Deutschland noch um die Macht kämpfte. Wie brach er erst gegen Österreich los, als er sie in Deutschland hatte!
Er zögerte fast keinen Tag. Zwischen dem 8. und 17. März 1933 triumphierte die sogenante nationalsozialistische Revolution in Deutschland und nimmt sich die letzten widerstehenden Kommandohöhen, so die über Bayern. Bereits am 18. März beginnt von hier aus der Angriff auf Österreich. Hitlers persönlicher Freund, Rechtsberater und von ihm ernannter Reichsjustizkommissar Dr. Frank, nebenher auch Justizminister in Bayern, richtet vom Münchner Sender – nach dem Text des deutschen Wolff-Büros zitiert – einen wilden Gruß »an seine unterdrückten Parteigenossen in Österreich, die unter der ihm unbegreiflichen Unvernunft ihrer Regierung den letzten Terror und die letzte Unterdrückung auszustehen hätten. Österreich sei jetzt der letzte Teil Deutschlands, in dem man es noch wagen könnte, das deutsche nationale Wollen zu unterdrücken. Er möchte die österreichische Regierung in aller Freundschaft und bundesbrüderlicher Zuneigung davor warnen« – und nun ein bedeutungsschwerer Satz, brutal wie ein erhobener eisenbeschlagener Stiefel – »… davor warnen, etwa die Nationalsozialisten im Reiche zu veranlassen, die Sicherung der Freiheit der deutschen Volksgenossen in Österreich zu übernehmen«. Welche Worte von Land zu Land, von Minister zu Minister! Das Nachbarland ein Teil Deutschlands, das Nachbarland regiert von Unvernunft, Terror und Unterdrückung. Und dann klar und kalt: wir werden marschieren!
Dr. Dollfuß, der Bundeskanzler eines kleinen Landes, wollte mit diplomatischen Mitteln auskommen. Er ließ seinen Berliner Geschäftsträger protestieren. Dem sagte im Auswärtigen Amt ein Geheimrat, er könne sich nicht äußern, da ihm die Rede Franks unbekannt sei, werde sich aber den Text beschaffen. Dann drei Wochen Schweigen. Am 12. April gellt, voller Geduld, der Gesandte Tauschitz selber in die Wilhelmstraße. Hier trifft er den Ministerialdirektor Köpke; der hat sich, peinlich zu sagen, immer noch keinen »authentischen« Text der Rede besorgen können. Rede eines Kabinettsmitgliedes, gehalten am amtlichen Sender, veröffentlicht vom amtlichen Nachrichtenbüro. Tauschitz hat seine Gedanken über deutsche Zustände. Von Entschuldigung natürlich kein Wort.
Die 1000-Mark-Sperre
Hitler und Frank haben nämlich ihren eigenen Stil der Antwort. Am 13. Mai steigt unerwartet Frank auf dem Flugfelde Aspern bei Wien aus einem deutschen Flugzeug, wie es heißt, um mit den Wiener Nationalsozialisten die Befreiung Wiens von den Türken vor einem Vierteljahrtausend zu feiern. Die Wiener Regierung existiert für diesen hochgestellten Besucher überhaupt nicht; er hat sich nicht bei ihr gemeldet, und noch immer hängt seine nicht zurückgenommene Einmarschdrohung über den Beziehungen beider Länder. Ein ungebetener Gast kam, und gerade dieser mußte es sein. Offenbar wollte Hitler die Wiener Regierung mit Gewalt provozieren. Dollfuß ließ Frank noch auf dem Flugfelde sagen, sein Besuch sei nicht erwünscht; Frank ließ den Polizeivertreter auf dem Flugfeld stehen, nahm seine Ausladung nicht zur Kenntnis, reiste durch Österreich und hielt Reden. In Graz sagte er am nächsten Tage, er sei als Stellvertreter des Reichskanzlers gekommen, und die österreichische Regierung habe in seiner Person den Reichskanzler beleidigt. Den Kanzler Dollfuß verhöhnte er, auf dessen kleine Gestalt anspielend, wiederholt als »kleinen Metternich«. Darauf ließ Dollfuß – immer noch höflich und überkorrekt – auf dem Wege über Berlin »den Dr. Frank ersuchen, Österreich so rasch wie möglich zu verlassen. Mit etwas polizeilicher Nachhilfe geschah das.
Nun war Hitler beleidigt, Tauschitz bekam es zu hören. Schon am 10. Mai hatte ihm der Kanzler persönlich, voller Grimm, die »probeweise Verhinderung jedes reichsdeutschen Besuches in Österreich auf ein Jahre angedroht, wirtschaftlichen Aushungerungskrieg also. Schon fast zwei Monate waren damals seit Franks Drohrede vergangen, sein Besuch und seine Ausweisung aus Österreich folgten gerade in jenen Tagen; endlich ließ sich jetzt die letzte Instanz zu einer Art Erklärung herbei, was es mit dem angedrohten Einmarsch in Österreich auf sich habe. Hitler empfängt Tauschitz am 18. Mai und spricht das Führerwort: »Er könne nicht jedem Redner nachlaufen«. Mit »jedem Redner« meinte er seinen Reichsjustizkommissar.
Der Wiener Regierung bemächtigte sich ernste Sorge. Sie hatte es also entweder in den Nationalsozialisten mit einem Haufen zu allem bereiter und außerdem führerloser Gewalttäter zu tun – oder mit einem ebenfalls zu allem bereiten Führer, dessen Worten nicht zu glauben war.
Hitler wollte Österreich mit Gewalt holen, doch in der Methode de...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckel
  2. Urheberrecht
  3. Titelblatt
  4. Zum Menschen Untauglich
  5. Die Flucht In Die Legende
  6. Ein Deutscher Dämon
  7. Ein Mann Gegen Europa
  8. Dokumente
  9. Inhalt