Horst Schäfer
»Nie war es der Mann mit den Brötchen oder der Milch«
Der westdeutsche Kommunist Horst Schäfer berichtete seit den 1950er-Jahren für DDR-Medien aus dem kapitalistischen Ausland. Für den ADN war er Korrespondent in Washington, New York und Bonn. Kalter Krieg bedeutete für ihn: Klassenstandpunkt, Hausdurchsuchungen, permanente Anfeindungen.
Diesen Bundespresseausweis nutzte Horst Schäfer zwischen 1964 und 1969 als München-Korrespondent des Berliner Pressebüros (bpb) der DDR. Quelle: Privatarchiv Horst Schäfer
Horst Schäfer wurde am 10. Juli 1930 in Detmold/Lippe geboren und arbeitete seit 1948 gelegentlich als Journalist, von 1955 bis 1991 hauptberuflich. Nach Abschluss des Journalismus-Studiums in Leipzig 1955 war er bis 1972 Korrespondent des Berliner Pressebüros (bpb) der DDR in München und schrieb außerdem für Radio Sofia und Paese Sera, eine kommunistische italienische Abendzeitung. Den größeren Teil seines Arbeitslebens war er als Korrespondent für den Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienst (ADN) und für Zentralbild, der Bildagentur der DDR, tätig: von 1975 bis 1981 in Washington, von 1983 bis 1987 in New York an der UNO und dann von 1987 bis 1991 in Bonn. Sporadisch arbeitete er auch für andere DDR-Medien wie Wochenpost, NBI, Zeit im Bild, Horizont, Für Dich sowie Rundfunk und Fernsehen. Mit seiner Frau Ilse Schäfer, ebenfalls in Leipzig diplomierte Journalistin (1956), bildete Schäfer ein Korrespondententeam. Horst Schäfer, der Englisch spricht, ist nach wie vor journalistisch tätig. Er lebt gemeinsam mit seiner Frau in Berlin.
Frage: Sie haben zu Hochzeiten des Kalten Krieges als Korrespondent der DDR-Nachrichtenagenturen bpb in München und für den ADN in Washington, New York und Bonn gearbeitet – als Bürger der Bundesrepublik und später der DDR sowie als überzeugter Linker. Da wurde man sicherlich nicht überall mit offenen Armen empfangen, oder?
Horst Schäfer: Überall nicht. Insbesondere in meinen 17 Jahren als Korrespondent für die DDR in Bayern zwischen 1956 und 1972 bekam ich das zu spüren. Obwohl ich bei der Landesregierung als DDR-Korrespondent akkreditiert war, mit einem fett unterstrichenen Zusatz in der Presseliste der Staatskanzlei: ›ostzonal‹, gab es immer wieder kleinere und größere Schikanen. Dazu gehörten außer Hausdurchsuchungen auch Telefon-, Fernschreiber- und Post-Überwachung, Beschlagnahme von Postsendungen und Zeitungen aus der DDR, zahlreiche Ermittlungsverfahren wegen Postlieferung der Zeitung Neues Deutschland, Festnahmen bei Terminen, Versiegelung von Telekommunikationsmitteln wie dem Fernschreiber durch die politische Polizei und ein durch die Polizei exekutiertes Verbot des Innenministeriums, bei Veranstaltungen Notizen zu machen.
Vielleicht kann ich meine Situation mit einem Vergleich über den Unterschied zwischen DDR und BRD verdeutlichen, der damals in der bundesdeutschen Presse kolportiert wurde. Der ging in etwa so: Wenn man im Westen aufwacht, weil es laut an der Tür klopft, darf man sich beruhigt wieder hinlegen, denn es kann sich nur um die Brötchen oder die Milch handeln. Beides wurde damals noch an die Haustür gebracht. Ich habe in München mit meiner Familie auch immer darauf gehofft, dass es Milchmann oder Bäcker sein würden. Doch bei uns waren es politische Polizei und Staatsanwalt mit richterlichen Hausdurchsuchungsbefehlen.
Über wie viele derartige Aktionen reden wir?
Ich erinnere mich an zwei größere Hausdurchsuchungen und an einige weitere Besuche der Polizei in Zusammenhang mit den zahlreichen Ermittlungsverfahren gegen mich – unter anderem wegen ›staatsgefährdendem Nachrichtendienst‹, ›Teilnahme an Sicherheitsstörungen‹, ›landesverräterischem Nachrichtendienst‹, ›Haus- und Landfriedensbruch‹ und sogar wegen Verdachts der ›Geheimbündelei‹, ›Agententätigkeit‹ und Spionage.
Könnten Sie etwas ausführlicher auf das eine oder andere Verfahren gegen Sie eingehen, auf die juristische Grundlage dafür und das Echo in der westdeutschen Presse?
Ja natürlich. Aber vorweg: Eine wirkliche juristische Grundlage hatte keine dieser Aktionen. Es gab nur juristische Begründungen, die sich aber später als haltlos erwiesen. Alles hatte mehr mit der restaurativen politischen Entwicklung und dem regierungsamtlichen Anti-Kommunismus in der Nachkriegs-BRD zu tun. Ich gebe Ihnen ein paar Beispiele:
Am 12. Mai 1962 sollten auf dem Friedhof von Alt-Aubing bei München am Grab von Philipp Müller Kränze niedergelegt werden. Müller war zehn Jahre zuvor bei einer Jugend-Demonstration gegen die Wiederbewaffnung in Essen von der Polizei erschossen worden. Ich wollte über das Gedenken berichten, wurde aber festgenommen, die Polizei beschlagnahmte alle meine Notizen, meinen Bundespresseausweis sowie den gesamten Inhalt meiner Brieftasche.
Das Münchner Polizeipräsidium – der Oberbürgermeister hieß damals Hans Jochen Vogel, später Parteivorsitzender der SPD – begründete das Vorgehen der Polizei gegen mich am 16. Mai damit, es habe sich um eine geplante Demonstration der verbotenen FDJ gehandelt. In der Begründung für die Beschlagnahme heißt es weiter, Pressereporter Schäfer sei aufgefordert worden, »jede Berichterstattungstätigkeit einzustellen und sich aus der Umgebung des Friedhofes zu entfernen. Diese Weisung hat er nicht befolgt. Er wurde vielmehr dabei beobachtet, wie er sich über den Verlauf der polizeilichen Tätigkeit Notizen fertigte. Schäfer wurde daher […] in Gewahrsam genommen und durchsucht.« Außerdem wird betont: »Die Tätigkeit der sowjetzonalen Reporter erfüllt somit in der Regel objektiv den Tatbestand mit Strafe bedrohter Handlungen (§92 StGB). Zumindest aber ist sie grundsätzlich eine sonstige verfassungsfeindliche Handlung.«
Mit dieser Bestätigung listet das Münchner Polizeipräsidium die Gegenstände, die sie bei einer Hausdurchsuchung der Wohnung des bpb-Korrespondenten Horst Schäfer am 12. Mai 1962 beschlagnahmt hatte. Dort wird die Hausdurchsuchung auch begründet: Die Tätigkeit des »sowjetzonalen Reporters« sei »eine grundsätzlich verfassungsfeindliche Handlung«, da sie in »die Aktionen der SBZ eingegliedert« wäre. Quelle: Privatarchiv Horst Schäfer
Ein weiterer Fall war im Mai 1963 die Aktion unter dem Decknahmen ›Maitest‹. Polizei und Staatsanwaltschaften in der Bundesrepublik und in Westberlin führten am frühen Morgen des 14. Mai gleichzeitig Hausdurchsuchungen bei allen Journalisten durch, die für Medien der DDR arbeiteten. Die Polizeiaktion betraf sowohl DDR-Bürger, so die in Bonn akkreditierten vier Korrespondenten, als auch bundesdeutsche Journalisten wie mich. Insgesamt wurden – so der Spiegel – 26 Journalisten vorläufig festgenommen sowie ihre Büros und Wohnungen durchsucht. Die Begründung sei »Verdacht staatsgefährdenden Nachrichtendienstes und Agententätigkeit«, meldete UPI und fügte hinzu, der Pressedienst der CDU/CSU habe die Aktion als »längst fällig und notwendig« bezeichnet. dpa ergänzte, Schäfer würde auch der »Geheimbündelei« verdächtigt.
Bei mir bestand das Hausdurchsuchungs-Kommando aus vier Beamten der Politischen Abteilung der Kriminalpolizei unter Staatsanwalt Dr. Paul Nappenbach, die fast fünf Stunden lang Büro und Wohnung einschließlich der Kinderzimmer in Anwesenheit meiner drei und sieben Jahre alten Töchter durchwühlten, darunter Spielsachen, Schulbücher und Briefmarkensammlung. Beschlagnahmt wurden Meldungen, Briefe, Arbeitsunterlagen, 80 bpb-Informationsdienste, Exemplare der Zeitung Neues Deutschland, Foto-Kameras, private Fotos und Schriftstücke, Kraftfahrzeugbrief, Tonbänder, etwa zwei Dutzend Bücher und Broschüren, darunter Globke und die Ausrottung der Juden, Die Wahrheit über Oberländer und Gestapo- und SS-Führer sowie Stadtführer von Prag und Sofia, letztere mit der Begründung, sie bewiesen, dass ich diese Städte besucht hätte. Mit gleicher Begründung wurde ein Programmheft der Sofioter Oper beschlagnahmt, obwohl sich herausstellte, dass es sich um ein Gastspiel in München gehandelt hatte. Die Sicht der politischen Staatsanwaltschaft machte Dr. Nappenbach auch deutlich, als er die Beschlagnahme von Schallplatten mit dem alten Gewerkschaftslied Brüder zur Sonne, zur Freiheit, dem im KZ entstandenen Moorsoldatenlied und Ostermarschsongs im Beisein meiner Frau damit begründete, es sei für einen Prozess gegen mich wichtig zu wissen, wie ich denke. Mein Fernschreiber wurde von der Polizei versiegelt.
Die oft dreispaltigen Schlagzeilen der Zeitungen am 15. Mai 1963 lauteten unter anderem Schlag gegen Zonenpresse im Bundesgebiet (Augsburger Allgemeine); Aktion gegen sowjetzonale Journalisten – Verdacht staatsgefährdenden Nachrichtendienstes (Münchner Merkur) oder Elf staatsgefährdende Journalisten verhaftet (8 Uhr-Blatt, Nürnberg). Zeitungen in Bayern und im ganzen Bundesgebiet meldeten, dass »umfangreiches Beweismaterial« sichergestellt worden sei.
Obwohl Der Spiegel erst Monate zuvor Polizei- und Justizwillkür bei einer großangelegten Durchsuchungs- und Verhaftungs-Aktion selbst zu spüren bekam und Kanzler Adenauer einen »Abgrund von Landesverrat« festgestellt hatte, zeigte sich das angeblich linksliberale Magazin nicht etwa solidarisch mit den linken Kollegen, sondern schrieb am 19. Juni 1963: »Die Aktion – Deckname: ›Maitest‹ – war rechtlich unanfechtbar: Die Zonen-Männer standen im Verdacht, ihre journalistische Tätigkeit mit landesverräterischem Nachrichtendienst verbunden zu haben.«
Als sich nach Monaten herausstellte, dass die Verfahren mangels Beweisen eingestellt werden mussten, konnte ich davon allerdings in den meisten Blättern nichts finden. Kann ich noch ein drittes Beispiel anführen?
Ja, bitte.
Am 5. Mai 1968 fragte die Bonner Rundschau am Sonntag in einer rot unterstrichenen Überschrift: »Randalierte Ostberliner Reporter im Bild-Büro?« Die Rundschau und andere Medien berichteten, die Staatsanwaltschaft habe gegen mich wegen »Teilnahme an den Sicherheitsstörungen« in der Münchner Bild-Redaktion am Tage des Mordanschlags auf Rudi Dutschke ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts des Landfriedensbruchs eingeleitet.
Nach dem Mordanschlag auf den Studentenführer am 11. April 1968 in Berlin war es auch in München zu einer Demonstration gegen Springer gekommen, insbesondere gegen die Bild-Zeitung, der vorgeworfen wurde, durch ihre Hetzartikel gegen Dutschke die Bluttat angestiftet zu haben. Während einer Gedenkstunde im Rathaus für den eine Woche zuvor ermordeten US-Bürgerrechtler Martin Luther King rief ein Sprecher des Liberalen Studentenbundes Deutschland (LSD), damals der offizielle Hochschulverband der FDP, zum Protest gegen Bild auf. Als der Zug die Redaktion erreichte, wurde er von etwa 20 Journalisten begleitet. Viele folgten einem Teil der Demonstranten in die Redaktion. Ich allerdings nicht.
Drei Wochen später teilte mir das Polizeipräsidium mit, dass gegen mich »wegen Ihrer Teilnahme an Sicherheitsstörungen« ermittelt werde. Am 4. Mai berichtete die Münchner Abendzeitung unter Berufung auf die Staatsanwaltschaft, DDR-Korrespondent Horst Schäfer sei der »bislang einzige Journalist, gegen den wegen des Verdachts auf Haus- oder Landfriedensbruch Ermittlungen eingeleitet worden sind«. Das Ermittlungsverfahren stützte sich auf ein Gesetz aus dem Jahre 1871 und auf eine Entscheidung des Reichsgerichts dazu von 1921, das Rotkreuz-Schwestern und auch Journalisten verbot, »sich in räumlichem Zusammenhang mit demonstrierenden Menschenmengen aufzuhalten«. Schäfer »sei beobachtet worden, wie er Demonstranten fotografiert und sich dabei in der Menge aufgehalten habe« fasste die Neue Westfälische die Vorwürfe zusammen.
Im Mai 1968 berichtet die Sonntagsausgabe der Bonner Rundschau über Ermittlungen der Münchner Staatsanwaltschaft gegen Horst Schäfer. Dieser habe angeblich an Verwüstungen der Münchner Bild-Redaktion nach dem Mordanschlag auf Rudi Dutschke am 11.4.1968 teilgenommen. Die Ermittlungen werden rund drei Monate später eingestellt. Quelle: Bonner Rundschau am Sonntag vom 5.5.1968
Gegenüber Associated Press (AP) begründete der Münchner Oberstaatsanwalt Dr. Wilhelm Lossos die Ermittlungen damit, Schäfer sei der einzige Journalist gewesen, »von dem wir Kenntnis hatten, dass er an dem Auflauf teilgenommen« habe. Lossos betonte, so AP, »dass bei den Ermittlungen politische Gründe k...