Eine Geschichte von zwei Städten
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Eine Geschichte von zwei Städten

Buch 1-3

  1. 579 Seiten
  2. German
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Eine Geschichte von zwei Städten

Buch 1-3

Über dieses Buch

Illustrierte Fassung

Schauplatz des Romans sind Paris und London. Erzählt wird die Lebensgeschichte von Dr. Manette, seiner Tochter Lucie und deren Ehemann Charles Darnay in den Wirren der Französischen Revolution.

Als Charles von den Revolutionären zum Tode verurteilt wird, rettet ihm der junge Anwalt Sydney Carton, der in Lucie verliebt ist, das Leben: Er will anstelle von Lucies Gatten das Schafott besteigen.

Unter den Eindrücken von seinem Aufenthalt in Paris im Winter 1855 und basierend auf den Berichten des Schotten Thomas Carlyle über die Französische Revolution schrieb Dickens ein Buch voller Traurigkeit.

Null Papier Verlag

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Information

Zweites Buch. Der goldene Faden.

Erstes Kapitel

Fünf Jahre später.

Tell­sons Bank bei Tem­ple Bar war schon im Jahr ein­tau­send­sie­ben­hun­dert­acht­zig ein alt­mo­di­scher Platz, sehr klein, sehr dun­kel, sehr häss­lich und sehr un­be­quem. Man konn­te sie aber auch einen alt­mo­di­schen Platz mit Be­zie­hung auf die mo­ra­li­sche Ei­gen­tüm­lich­keit nen­nen, dass je­der der Ge­schäfts­teil­ha­ber stolz war auf das klei­ne Ge­bäu­de, stolz auf sei­ne Dun­kel­heit, stolz auf sein gars­ti­ges Aus­se­hen und stolz auf sei­ne Un­be­quem­lich­keit. Die­se Ei­gen­schaf­ten schie­nen ih­nen so­gar hohe Vor­zü­ge zu sein, denn sie leb­ten der zu­ver­sicht­li­chen Über­zeu­gung, dass die Bank, wenn man we­ni­ger an ihr zu ta­deln wüss­te, auch we­ni­ger acht­bar wäre. Dies war aber nicht bloß ein pas­si­ver Glau­be, son­dern eine ak­ti­ve Waf­fe, die sie gern auf be­que­mer ein­ge­rich­te­te Ge­schäfts­häu­ser schleu­der­ten. Tell­sons (sag­ten sie) brau­chen kei­nen über­flüs­si­gen Raum, kein Licht, kei­ne Ver­schö­ne­rung. Noa­kes & Komp. oder Ge­brü­der Snooks wer­den es nö­tig ha­ben: aber Tell­sons? Dem Him­mel sei Dank, nein!
Je­der von den Ge­schäfts­teil­ha­bern wür­de sei­nen Sohn ent­erbt ha­ben, wenn die­ser an einen Um­bau von Tell­sons ge­dacht hät­te. In der Be­zie­hung er­ging es dem Hau­se ge­ra­de wie Eng­land, das sehr oft sei­ne Söh­ne ent­erb­te, weil sie Ver­bes­se­run­gen in Ge­set­zen und Bräu­chen be­an­trag­ten, die nichts we­ni­ger als löb­lich, aber eben­des­halb nur umso acht­ba­rer wa­ren.
So war es denn da­hin ge­kom­men, dass Tell­sons die tri­um­phie­ren­de Ver­voll­komm­nung der Un­be­quem­lich­keit war. Nach­dem man eine blöd­sin­nig hart­nä­cki­ge Tür knar­rend ge­sprengt hat­te, fiel man bei Tell­sons ein paar Stu­fen hin­ab und kam in ei­nem er­bärm­li­chen Läd­chen mit zwei klei­nen Zahl­ti­schen wie­der zur Be­sin­nung, wo in den Hän­den der äl­tes­ten Män­ner der Wech­sel ei­nes Kun­den wie im Wind zit­ter­te, so­lan­ge sie die Un­ter­schrift an den schmut­zigs­ten von al­len Fens­tern prüf­ten, die von der Fleet­stra­ße aus un­ter dem Ein­fluss ei­nes ste­ti­gen Schlamm­re­gen­ba­des stan­den und vor den ei­ge­nen ei­ser­nen Git­tern und in dem tie­fen Schat­ten von Tem­ple Bar sich nur umso schmut­zi­ger aus­nah­men. War je­mand ge­nö­tigt, ge­schäf­t­ehal­ber mit dem »Haus« zu ver­keh­ren, so wur­de er an der Hin­ter­sei­te in eine Art Ver­brecher­zel­le ge­steckt, wo er über ein übel zu­ge­brach­tes Le­ben nach­den­ken konn­te, bis das Haus, die Hän­de in den Ta­schen, er­schi­en, in dem un­heim­li­chen Zwie­licht aber sich kaum er­ken­nen ließ. Die Geld­be­häl­ter, die der Ein- oder Aus­zah­lung dienten, be­stan­den aus al­ten höl­zer­nen Schub­la­den, aus de­nen beim Her­aus­zie­hen oder Zu­rück­schie­ben das Wurm­mehl ei­nem in Nase und Keh­le flog. Die Bank­no­ten hat­ten einen mod­ri­gen Ge­ruch, als sei­en sie im Be­griff, rasch sich wie­der in Lum­pen zu zer­set­zen. Das an­ver­trau­te Sil­ber­ge­rät wur­de un­ter die üb­ri­gen Schutz­sa­fes ge­stellt und hat­te da so eine un­ge­schlif­fe­ne Ka­me­rad­schaft, so­dass es schon in ei­nem oder zwei Ta­gen sei­ne fei­ne Po­li­tur ver­lor. Die Ur­kun­den fan­den ein Un­ter­kom­men in aus Kü­chen und Spül­plät­zen ent­stan­de­nen Ver­lie­ßen, und ihre Per­ga­men­te ver­lo­ren in der Bank­haus­luft vor Är­ger all ihr Fett. Leich­te­re Fas­zi­kel mit Fa­mi­li­en­pa­pie­ren gin­gen die Trep­pe hin­auf nach ei­nem Bar­ma­ki­den­zim­mer, in dem stets ein großer Spei­se­tisch stand, aber nie et­was zum Spei­sen ge­reicht wur­de; und es war in dem Jahr ein­tau­send­sie­ben­hun­dert­acht­zig noch nicht lan­ge her, dass man die Fa­mi­li­en­brie­fe, die der Eng­län­der statt dem No­tar dem Ban­kier zu über­ge­ben pflegt, von dem Schre­cken be­freit hat­te, durch die Fens­ter je­nes Zim­mers von den Köp­fen an­ge­st­arrt zu wer­den, die man mit der ei­nes Abes­si­niers oder Aschan­ti1 wür­di­gen un­sin­ni­gen Ro­heit auf Tem­ple Bar aus­zu­stel­len ge­wohnt war.
Doch da­mals war das Zu-Tode-Brin­gen ein bei al­len Ge­schäfts­zwei­gen und Be­rufs­ar­ten sehr be­lieb­ter Pro­zess und also auch bei Tell­sons. Der Tod ist das Heil­mit­tel ge­gen al­les; warum soll­te ihn nicht die Ge­setz­ge­bung in dem glei­chen Lich­te be­trach­ten? Dem­ge­mäß traf den Fäl­scher To­dess­tra­fe, den un­recht­mä­ßi­gen Er­öff­ner von Brie­fen To­dess­tra­fe, den ar­men Schel­men, der vier­zig Schil­lin­ge und sechs Pence stahl, To­dess­tra­fe, den Bur­schen, der an Tell­sons Tür ein Pferd hielt und sich da­mit da­von­mach­te, To­dess­tra­fe, den Mün­zer ei­nes falschen Schil­lings To­dess­tra­fe; kurz auf drei Vier­teln der No­ten in der Ton­lei­ter des Ver­bre­chens stand der Tod. Nicht dass da­durch auch nur im min­des­ten vor­beu­gend ge­wirkt wor­den wäre – man könn­te fast eher das Ge­gen­teil be­haup­ten; son­dern das sum­ma­ri­sche Ver­fah­ren räum­te für die­se Welt mit den An­ge­le­gen­hei­ten je­des ein­zel­nen Fal­les auf; und es wur­de spä­ter nicht nö­tig, sich wei­ter da­mit zu be­fas­sen. So wa­ren auch in ih­rer Zeit Tell­sons gleich an­de­ren grö­ße­ren Ge­schäfts­häu­sern je­ner Pe­ri­ode schuld an so vie­len To­des­ur­tei­len, dass das biss­chen Licht des Erd­ge­schos­ses wahr­schein­lich in ei­ner ziem­lich be­deut­sa­men Wei­se be­ein­träch­tigt wor­den wäre, wenn man statt der Ein­zel­ab­fer­ti­gung die um ih­ret­wil­len ge­fal­le­nen Köp­fe ins­ge­samt über Tem­ple Bar auf­ge­pflanzt hät­te.
In alle Ar­ten von dunklen Käs­ten und Ver­schlä­gen ein­ge­engt, führ­ten bei Tell­sons die äl­tes­ten Män­ner gra­vi­tä­tisch das Ge­schäft. Nah­men sie je ein­mal einen jun­gen Men­schen in Tell­sons Lon­do­ner Haus auf, so ver­steck­ten sie ihn ir­gend­wo, bis er alt war. Sie ver­wahr­ten ihn, gleich dem Käse, an ei­nem dun­keln Platz, bis er den voll­kom­me­nen Ge­schmack und Cha­rak­ter von Tell­sons an­ge­nom­men hat­te. Dann erst wur­de es ihm ge­stat­tet, öf­fent­lich in den Ho­sen und Ga­ma­schen des Eta­blis­se­ments, über großen Bü­chern brü­tend, sich se­hen zu las­sen.
Au­ßen vor Tell­sons – aber ja nie in­nen ohne eine be­son­de­re Be­ru­fung – sah man re­gel­mä­ßig einen Aus­hel­fer, bald Pfört­ner, bald Bote, der als le­ben­di­ges Haus­schild diente. Er fehl­te nie wäh­rend der Bü­ro­stun­den, wenn er nicht etwa einen Auf­trag zu be­sor­gen hat­te, und in die­sem Fal­le wur­de er durch sei­nen Sohn, einen ab­scheu­li­chen Knirps von zwölf Jah­ren, der sein ge­treu­es Eben­bild war, ver­tre­ten. Die Leu­te wa­ren der Mei­nung, Tell­sons dul­de­ten die­ses An­häng­sel um der Ehre des Hau­ses wil­len, weil man im­mer eine Per­son in die­ser Ei­gen­schaft ge­dul­det hat­te und im Lau­fe der Zeit die ge­gen­wär­ti­ge auf den Pos­ten ge­schwemmt wor­den war. Sie hieß Crun­cher mit dem Ge­schlechts­na­men und hat­te bei ei­nem ju­gend­li­chen An­lass, als sie durch einen Be­voll­mäch­tig­ten den Wer­ken der Fins­ter­nis ent­sag­te, in der öst­li­chen Pfarr­kir­che von Hounds­ditch die wei­te­re Be­nen­nung Jer­ry er­hal­ten.
Der Schau­platz war Mr. Crun­chers Pri­vat­woh­nung in Han­ging-sword-Al­ley, Whi­te­fri­ars. Die Zeit war halb acht Uhr an ei­nem win­di­gen März­mor­gen Anno Do­mi­ni Sieb­zehn­hun­dert­acht­zig (Mr. Crun­cher selbst nann­te das Jahr un­se­res Herrn Anna Do­mi­no, au­gen­schein­lich un­ter dem Ein­druck, dass die christ­li­che Zeit­rech­nung sich von der Er­fin­dung ei­nes be­lieb­ten Volkss­piels durch eine Dame her­schrei­be, die die­sem ih­ren Na­men bei­ge­legt habe).
Mr. Crun­chers Wohn­ge­las­se la­gen in kei­ner durch ge­sun­de Luft sich emp­feh­len­den Ge­gend und wa­ren nur zwei an der Zahl, selbst wenn man den mit ei­ner ein­zi­gen Glas­schei­be ver­se­he­nen Al­ko­ven mit­rech­ne­te. Doch sah es dar­in sehr an­stän­dig aus; denn trotz des win­di­gen frü­hen März­mor­gens war die Stu­be, in der er noch zu Bet­te lag, be­reits sau­ber ge­fegt, und über den wack­li­gen Tan­nen­tisch, auf dem die Früh­stück­stas­sen stan­den, lag ein rein­li­ches Tisch­tuch ge­brei­tet.
Mr. Crun­cher ruh­te un­ter ei­ner aus ver­schie­den­far­bi­gen Fleck­chen zu­sam­men­ge­setz­ten De­cke wie ein Har­le­kin2 in sei­nem Heim­we­sen. An­fangs schlief er tief; aber all­mäh­lich be­gann er im Bett hin und her zu wo­gen, bis er mit sei­nem Spieß­haar, das die Über­zü­ge in Fet­zen zu zer­rei­ßen droh­te, über die Ober­flä­che auf­tauch­te. Nach­dem er so­weit ge­kom­men war, rief er in ei­nem Tone, der grim­mi­ge Ge­reizt­heit ver­riet:
»Alle Ha­gel, ist sie schon wie­der dran!«
Eine Frau­ens­per­son von or­dent­li­chem und em­si­gem Aus­se­hen er­hob sich in ei­ner Ecke von ih­ren Kni­en, und zwar mit ei­ner Hast und Ängst­lich­keit, die an­deu­te­te, dass sie die ge­mein­te Per­son sei.
»Wie!« rief Mr. Crun­cher, aus dem Bett her­aus sich nach sei­nen Stie­feln um­se­hend, »bist du schon wie­der dran, he?«
Nach­dem er den Mor­gen mit die­sem zwei­ten Gruß be­will­kommt hat­te, warf er als drit­ten der Frau einen Stie­fel nach. Es war ein sehr schmut­zi­ger Stie­fel, und wir kön­nen hier eine son­der­ba­re Ei­gen­tüm­lich­keit aus Mr. Crun­chers häus­li­cher Ord­nung be­rüh­ren, dass er näm­lich, wäh­rend er oft nach den Bü­ro­stun­den mit sau­be­ren Stie­feln nach Hau­se kam, nicht sel­ten beim Auf­ste­hen die­sel­ben Stie­fel be­schmutzt fand.
»Nun«, rief Mr. Crun­cher, nach­dem er sein Ziel ver­fehlt hat­te, mit ei­ner Va­ria­ti­on in sei­ner Apostro­phe, »was tust du jetzt, du Ekel?«
»Ich habe nur mein Ge­bet ge­spro­chen.«
»Ge­bet ge­spro­chen – du bist mir ein sau­be­res Weibs­stück! Was soll das hei­ßen, dass du hin­sackst und Ra­che ge­gen mich er­be­test?«
»Ich habe nicht ge­gen dich Ra­che er­be­tet, son­dern für dich ge­be­tet!«
»Ist nicht wahr. Und wenn’s auch wäre, so braucht man sich mit mir kei­ne sol­che Frei­heit zu neh­men. Hörst du, jun­ger Jer­ry, dei­ne Mut­ter ist eine fei­ne Per­son und geht hin, um ge­gen dei­nes Va­ters Wohl­fahrt zu be­ten. Ja, mein Sohn, du hast eine pflicht­ge­treue Mut­ter, du hast eine from­me Mut­ter, Jun­ge – sie geht hin, sackt auf den Bo­den hin und be­tet, dass ih­rem ein­zi­gen Kin­de das But­ter­brot aus dem Mun­de ge­nom­men wer­den möge!«
Der jun­ge Herr Crun­cher, der im Hem­de da­stand, nahm dies sehr übel und ver­bat sich, ge­gen sei­ne Mut­ter ge­wandt, al­les auf sei­ne per­sön­li­che Ver­kö­s­ti­gung sich be­zie­hen­de Ge­bet.
»Und was meinst du, du ein­ge­bil­de­tes Weib«, fuhr Mr. Crun­cher in nicht ge­ahn­ter In­kon­se­quenz fort, »was wohl dein Ge­bet wert sein mag? Sag’, wie hoch schlägst du dein Ge­bet an?«
»Es kommt nur aus dem Her­zen, Jer­ry, und ist nicht mehr wert als die­ses.«
»Nicht mehr wert als die­ses?« wie­der­hol­te Mr. Crun­cher. »Dann ist’s mit sei­nem Wert nicht weit her. Wie dem üb­ri­gens sei, ich er­klä­re dir, dass nicht ge­gen mich ge­be­tet wer­den soll. Ich kann das nicht brau­chen für mei­ne Haus­hal­tung und will mich nicht durch dei­ne Schlei­che­rei un­glück­lich ma­chen las­sen. Wenn du ein­mal hin­sa­cken willst, so tu es für dei­nen Mann und dein Kind und nicht ge­gen sie. Hät­te ich nicht ein so un­na­tür­li­ches Weib und die­ser arme Kna­be eine un­na­tür­li­che Mut­ter, so wär’ mir si­cher­lich in der letz­ten Wo­che ei­ni­ges Geld zu­ge­flos­sen; statt des­sen aber muss ich ge­gen mich be­ten, mich un­ter­mi­nie­ren und auf die schlimms­te re­li­gi­öse Wei­se zu Grun­de rich­ten las­sen. Hol’ mich der Hen­ker!« sag­te Mr. Crun­cher, der die­se gan­ze Zeit über mit An­le­gen sei­ner Klei­der be­schäf­tigt ge­we­sen war, »wenn ich nicht durch die Fröm­mig­keit und dies und je­nes letz­te Wo­che in so schlim­mes Mal­heur hin­ein­ge­jagt wor­den bin, wie es nur je ei­nem ar­men Teu­fel von ei­nem ehr­li­chen Ge­schäfts­mann zu­ge­sto­ßen ist! Jun­ger Jer­ry, zieh dich an, Bur­sche, und hab’ von Zeit zu Zeit, wäh­rend ich mei­ne Stie­fel put­ze, ein wach­sa­mes Auge auf dei­ne Mut­ter. Merkst du, dass sie wie­der nie­der­sa­cken will, so ruf mir; denn ich sage dir« – dies galt sei­nem Wei­be – »ich lei­d’s nicht, dass man mir im­mer so kommt. Ich wer­de so wack­lig wie eine Miet­kut­sche, so schläf­rig wie ein Mur­mel­tier, und mei­ne Glie­der müs­sen dran, dass ich, wenn sie mir nicht so weh tä­ten, nicht wüss­te, ob sie mir oder je­man­dem an­ders ge­hö­ren; und doch fährt bei al­le­dem mein Por­te­mon­naie nicht bes­ser. Da­rum glau­be ich, du hast von Mor­gen bis in die Nacht mei­nen Ver­dienst ge­hin­dert, so­dass ich nicht vor­wärts­kom­men kann. Nun, was sagst du jetzt, du Wi­der­spruchs­geist?«
Un­ter wei­ter da­zu­ge­füg­ten knur­ren­den Phra­sen, als da wa­ren: »Ah, ja. Du bist fromm. Du willst nicht ge­gen die In­ter­es­sen dei­nes Man­nes und Kin­des han­deln – du na­tür­lich nicht« und un­ter­schied­li­chen wei­te­ren Geis­tes­blit­zen von dem schnur­ren­den Schleif­stein sei­ner Ent­rüs­tung mach­te er sich ans Stie­fel­put­zen und an die all­ge­mei­nen Vor­be­rei­tun­gen für sein Ge­schäft. Mitt­ler­wei­le be­sorg­te sein Sohn, des­sen Kopf mit et­was fei­ne­ren Spie­ßen ver­se­hen war, und des­sen jun­ge Au­gen so nahe bei­ein­an­der stan­den wie die sei­nes Va­ters, die ihm auf­ge­tra­ge­ne Wa­che über sei­ne Mut­ter. Er ängs­tig­te das arme Weib da­mit, dass er von Zeit zu Zeit aus dem Al­ko­ven, wo er sei­ne Toi­let­te mach­te, mit dem Ruf her­aus­fuhr: »Wollt Ihr wie­der hin­sa­cken, Mut­ter? – He, Va­ter!« und dann nach Er­re­gung die­ses falschen Lärms mit ei­nem sehr un­kind­li­chen Grin­sen wie­der hin­ein­stürz­te.
Mr. Crun­cher war nicht in der bes­ten Stim­mung, als er sich end­lich zum Früh­stück nie­der­setz­te. Das Ge­bet, das Mrs. Crun­cher lei­se vor sich hin sprach, er­reg­te bei ihm be­son­de­ren An­stoß.
»Nun, Ekel, was tust du? Schon wie­der da­bei?«
Sein Weib ent­geg­ne­te, dass sie nur einen Se­gen ge­spro­chen habe.
»Das lässt du mir blei­ben!« rief Mr. Crun­cher, in­dem er um­her­schau­te, als er­war­te er, dass un­ter der Wirk­sam­keit von sei­nes Wei­bes Ge­bet der Laib vom Ti­sche ver­schwin­den wer­de. »Ich will nicht von Haus und Herd weg­ge­seg­net wer­den. Das seg­net mir am Ende alle mei­ne Le­bens­mit­tel vom Tisch. Ru­hig also.«
Gräm­lich und mit un­ge­mein ro­ten Au­gen, als sei er die gan­ze Nacht auf und in ei­ner Ge­sell­schaft ge­we­sen, in der es nichts we­ni­ger als ge­sell­schaft­lich zu­ging, würg­te Jer­ry Crun­cher sein Früh­stück hin­un­ter und brumm­te dazu wie nur ir­gend­ein vier­fü­ßi­ger Me­na­ge­rie-In­sas­se. Ge­gen neun Uhr glät­te­te sich sein rau­bors­ti­ges We­sen. Er über­tünch­te sein na­tür­li­ches Ich, so gut er konn­te, mit ei­nem An­strich von Acht­bar­keit und Ge­schäftsei­fer und trat sei­nen Ta­ges­be­ruf an.
Man konn­te die­sen kaum ein Ge­wer­be nen­nen, ob­schon Mr. Crun­cher es lieb­te, sich selbst als »ehr­li­chen Ge­schäfts­mann« zu be­zeich­nen. Sein Ge­schäftsin­ven­tar be­stand bloß in ei­nem Sche­mel, ge­fer­tigt aus ei­nem Stuhl, des­sen zer­bro­che­ne Leh­ne ab­ge­sägt wor­den, und die­sen hat­te der jun­ge Jer­ry je­den Mor­gen un­ter das zu­nächst an Tem­ple Bar gren­zen­de Bank­h­aus­fens­ter zu tra­gen, wo der Aus­hel­fer mit ein paar Stroh­wi­schen als Zu­ga­be, die er ei­nem vor­über­fah­ren­den Fuhr­werk aus­rauf­te und mit de­nen er die Füße ge­gen Näs­se und Käl­te schütz­te, sein Stan­d­quar­tier auf­schlug. Auf die­sem sei­nem Pos­ten war Mr. Crun­cher der Fleet­stra­ße und dem Tem­ple so be­kannt wie die Bar selbst und sah fast eben­so übel aus.
Um drei Vier­tel auf neun, also noch in gu­ter Zeit, um vor den ur­al­ten Män­nern, wenn sie bei Tell­sons ein­gin­gen, an den drei­e­cki­gen Hut zu grei­fen, be­zog Jer­ry an je­nem win­di­gen März­mor­gen sei­nen Pos­ten, und der jun­ge Jer­ry nahm an sei­ner Sei­te sei­nen Stand, wenn er nicht ge­ra­de Streif­zü­ge durch das Bar mach­te, um kör­per­li­che und geis­ti­ge Ver­let­zun­gen der weh­tu­ends­ten Art an vor­über­ge­hen­den Kna­ben zu üben, die für sei­nen lie­bens­wür­di­gen Zweck klein ge­nug wa­ren. Wäh­rend Va­ter und Sohn, mit ih­ren Köp­fen so nahe bei­ein­an­der, wie bei je­dem die Au­gen stan­den, schwei­gend dem Mor­gen­trei­ben in der Fleet­stra­ße zu­sa­hen, n...

Inhaltsverzeichnis

  1. Titel
  2. Impressum
  3. Inhaltsverzeichnis
  4. Danke
  5. Newsletter abonnieren
  6. Einleitung.
  7. Erstes Buch. Ins Leben zurückgerufen.
  8. Zweites Buch. Der goldene Faden.
  9. Drittes Buch. Der Lauf eines Gewitters.
  10. Das weitere Verlagsprogramm