Dombey und Sohn
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Dombey und Sohn

Band 1 & 2

  1. 1,437 Seiten
  2. German
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Dombey und Sohn

Band 1 & 2

Über dieses Buch

Mit 31 Illustrationen

Dickens' "Dombey und Sohn" ist die düster-witzige Geschichte über den Kampf ums Glück zweier Geschwister, die zeitlebens immer im Schatten des stolzen Vaters stehen.

Für Paul Dombey ist das Geschäft sein "ein und alles", Geld kann für ihn alles bewirken und alle Probleme lösen. Genauso steht er auch seiner Familie vor: rational, abschätzend, kaltherzig.

Die einzige Person, um die er sich kümmert, ist sein gebrechlicher Sohn, der ihn für den Eintritt in das Familienunternehmen pflegt. Seine Tochter Florence, verlassen und ignoriert, sehnt sich nach Zuneigung von ihrem lieblosen Vater, für ihn ist sie nur eine "eine falsche Münze, die nirgends angelegt werden konnte – ein missratenes Ding, weiter nichts".

Während sich Dombeys Herzlosigkeit auf andere erstreckt - von seiner trotzigen zweiten Frau Edith bis hin zu Florences Verehrer Walter Gay - sät er die Samen seiner eigenen Zerstörung.

Null Papier Verlag

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Information

Band 1

Kapitän Cuttle

Einleitung.

Den Ro­man »Dom­bey und Sohn« schuf Di­ckens in den Jah­ren 1846 bis 1848, also nach den »Weih­nacht­s­er­zäh­lun­gen« und vor »Da­vid Cop­per­field«. Der da­mals etwa Fün­fund­drei­ßig­jäh­ri­ge, auf der Höhe sei­nes Schaf­fens ste­hend, be­schäf­tigt sich auch hier wie­der, wie schon in sei­nen frü­he­ren Ar­bei­ten, mit den »mo­ra­li­schen Pro­ble­men« des Le­bens, wenn man sich so aus­drücken darf. Die Pro­ble­me lau­fen alle auf die eine Haupt­fra­ge hin­aus: Wie ist das Le­ben recht zu ge­stal­ten, so­dass wir nicht im Un­maß ver­här­ten? Das rech­te Maß­hal­ten be­dingt den schö­nen, wah­ren und gu­ten Men­schen. Aber al­les Un­maß ist Sün­de und führt ins Ver­der­ben. Un­maß im Be­sitz führt zur Hab­gier und zum Geiz und zu der Ver­ein­sa­mung, wie sie Scr­oo­ge im »Weih­nachts­abend« an sich er­fah­ren hat. Un­maß im Selbst­be­wusst­sein aber lei­ten zu Hoch­mut und Stolz und zu je­ner selbst­ge­wähl­ten grau­sam mar­tern­den Ein­sam­keit, un­ter de­ren Aus­wir­kun­gen die Kin­der des rei­chen Kauf­herrn Dom­bey so schwer lei­den.
Das gan­ze Werk ist eine groß­ar­ti­ge psy­cho­lo­gi­sche Dar­stel­lung der Ge­schich­te ei­nes sol­chen stol­zen, ei­ser­nen Her­zens, das sich mit Hoch­mut um­pan­zert, bis die Ka­ta­stro­phe her­ein­bricht: Wehe dem We­sen, das nicht zu lie­ben ge­lernt hat! Es mag die gan­ze Welt ge­win­nen, sie bleibt äu­ße­rer Glanz und er­wärmt nicht sein In­ne­res. Es mag zu­zei­ten stolz und un­nah­bar da­ste­hen und glau­ben, die lie­ben­de De­mut sei Tor­heit und über­flüs­sig. Aber es wird er­fah­ren, dass zu­letzt al­ler Hoch­mut aus­höhlt, die See­le leer lässt und sie in der Ein­öde der Hei­mat­lo­sig­keit frie­ren lässt, bis sie zu spät ihre Arm­se­lig­keit er­kennt.
Für all das bie­tet der stol­ze Dom­bey das er­schüt­tern­de Bei­spiel. Sein Ehr­geiz lässt ihn über­all auf falsche Kar­ten set­zen. So ver­liert er den sorg­fäl­tig ge­schütz­ten und ge­heg­ten Sohn Paul, den er nicht um des Kin­des selbst wil­len, son­dern um der Fir­ma, des Ge­schäfts, des äu­ße­ren An­se­hens wil­len liebt. So jagt er, den Ver­lust sei­ner ers­ten, wirk­lich gu­ten Frau gar nicht emp­fin­dend, ei­ner blen­dend schö­nen Er­schei­nung nach, der un­glück­se­li­gen Edith, de­ren Mut­ter eine rän­ke­vol­le ele­gan­te Kupp­le­rin ist. Durch die Ver­bin­dung mit die­ser äu­ße­ren Schön­heit, die er nicht liebt, son­dern sich durch rei­che Aus­stat­tung er­kauft, glaubt er sein An­se­hen in der Welt er­hö­hen zu kön­nen. Aber Edith be­trügt ihn mit sei­nem Ge­schäfts­füh­rer, und der äu­ßer­lich vor­neh­me, dün­kel­haf­te Dom­bey wird see­lisch in den völ­li­gen Ban­ke­rott ge­stürzt, den er sich selbst ver­dient hat. Das Schick­sal, das er er­lebt, ist zu­gleich stren­ge Ge­rech­tig­keit.
Aber wun­der­voll ist es nun zu be­ob­ach­ten, wie Di­ckens es ver­steht, ne­ben die­ser Welt der Käl­te, der Be­rech­nung, der lieb­lo­sen Hoff­art eine Welt der Lie­be, Hilfs­be­reit­schaft und Güte auf­blü­hen zu las­sen. Ne­ben der Ge­rech­tig­keit wal­tet nun die Gna­de und das er­lö­sen­de Er­bar­men, das die Ei­ses­star­re des stol­zen Her­zens der Dom­bey-Welt schmilzt und einen Le­bens­früh­ling schließ­lich her­auf­zau­bert im Sin­ne von: Ende gut, al­les gut! Ohne die­se Lo­sung, ohne die­sen Glau­ben an die schließ­li­che Sie­ge­s­kraft des Gu­ten in der Welt, hat Di­ckens, wie wir es schon aus den frü­he­ren Bän­den die­ser Aus­ga­be wis­sen, über­haupt kei­nen Ro­man schrei­ben und zum Ab­schluss brin­gen kön­nen. Die­se Welt der Lie­be blüht auf in den von Dom­bey ver­ach­te­ten Ge­stal­ten, die ihn spä­ter ret­ten: in ei­ner lieb­li­chen Toch­ter, Flo­rence, in der der Dich­ter ein Ideal­bild rei­ner Mäd­chen­haf­tig­keit und Weib­lich­keit ge­zeich­net hat, in den ori­gi­nel­len Käu­zen, wie dem al­ten In­stru­men­ten­ma­cher Gills und dem wa­cke­ren Ka­pi­tän Cutt­le, ei­nem bra­ven See­bä­ren von rüh­rend-ko­mi­scher Un­be­hol­fen­heit, aber dem treues­ten Her­zen, das es auf der Welt ge­ben kann. Di­ckens zeigt hier, wie ech­tes Gold sich oft un­ter un­schein­bar rau­er Au­ßen­hül­le ver­birgt. End­lich in dem präch­ti­gen Wal­ter, dem fri­schen Jun­gen, der sich in schwe­ren Stur­mes­nö­ten zum gut­ge­ar­te­ten Jüng­ling ent­wi­ckelt. In den lie­ben­den Mäch­ten, die die­se Ge­stal­ten ver­kör­pern, lässt der Dich­ter den Ti­tel­hel­den sei­nes Ro­mans die Ret­tung aus dem Zu­sam­men­bruch fin­den.
Au­ßer den im­mer blei­ben­den mensch­li­chen Wahr­hei­ten, die sich in die­sem Wer­ke her­aus­he­ben, bie­tet das Buch ein schon kul­tur­his­to­risch in­ter­essan­tes Spie­gel­bild der da­ma­li­gen eng­li­schen Ge­sell­schaft. Wir sind ge­neigt, über man­che alt­mo­di­sche Um­ständ­lich­kei­ten je­ner emp­find­sa­me­ren Zeit, als die un­se­re ist, zu lä­cheln. Aber wer weiß: wer­den nicht auch un­se­re En­kel wie­der lä­cheln über man­che Tor­hei­ten un­se­rer heu­ti­gen Ge­sell­schaft, über Tor­hei­ten, die wir heu­te noch gar nicht als sol­che emp­fin­den? Man muss Di­ckens mit Zeit und Be­ha­gen le­sen, wie wir schon in der Ein­lei­tung zu den »Pick­wi­cki­ern« aus­führ­ten. Dann wird man ge­ra­de aus dem zeit­li­chen Ko­lo­rit man­chen er­kennt­nis­wer­ten Schatz auch für un­se­re mo­der­ne Zeit mit­neh­men.
Die Durch­ar­bei­tung die­ses Wer­kes fiel für den Her­aus­ge­ber in eine Zeit, da er selbst durch Amts­ge­schäf­te und be­ruf­li­che Tä­tig­keit sehr in An­spruch ge­nom­men war. Umso dank­ba­rer ist er da­her sei­ner bis­he­ri­gen treu­en Hel­fe­rin an die­sem Un­ter­neh­men, Frau Cla­ra Wein­ber­g, für die ge­leis­te­te Un­ter­stüt­zung.
Den 26. Ja­nu­ar 1928.
Paul Th. Hoff­mann

Erstes Kapitel.

Dombey und Sohn.

Dom­bey saß in der Ecke des ab­ge­dun­kel­ten Zim­mers in dem großen Lehn­stuhl ne­ben dem Bett, und Sohn lag, warm ein­ge­wi­ckelt, in ei­nem Korb­nest­chen, das un­mit­tel­bar vor dem Feu­er auf ei­nem nied­ri­gen Sche­mel stand und der Glut sich so nah be­fand, als ob die Kon­sti­tu­ti­on des jun­gen Herr­leins Ähn­lich­keit habe mit der ei­ner Sem­mel, die braun ge­rös­tet wer­den muss, so­lan­ge sie noch frisch ist.
Dom­bey war un­ge­fähr achtund­vier­zig Jah­re alt, Sohn etwa achtund­vier­zig Mi­nu­ten. Dom­bey war et­was kahl, ziem­lich rot und, ob­schon sonst ein wohl­pro­por­tio­nier­ter Mann, doch zu ernst und zu pomp­haft in sei­nem Äu­ßern, um durch die­ses son­der­lich an­zu­spre­chen, wäh­rend Sohn sehr kahl, sehr rot und, wenn auch un­leug­bar ein sehr schö­nes Kind, im All­ge­mei­nen vor­der­hand et­was zer­drückt und ver­beult aus­sah. Auf Dom­beys Stirn hat­ten Zeit und Sor­ge, wie an ei­nem Baum, der bald zum Fäl­len reif ist, al­ler­lei Merk­ma­le ein­ge­gra­ben: denn be­sag­te bei­den Schwes­tern schrei­ten scho­nungs­los durch die Men­schen­fors­ten und las­sen über­all die Zei­chen ih­res Da­ge­we­sen­seins zu­rück. Das Ge­sicht von Sohn aber war von tau­send klei­nen Fur­chen ge­kreuzt, die die­sel­be hin­ter­lis­ti­ge Zeit mit dem fla­chen Teil ih­rer Sen­se aus­zuglät­ten be­stimmt war – eine Vor­be­rei­tung für die tiefe­ren Ein­drücke spä­te­rer Jah­re.
Über­glück­lich ob der lan­ger­sehn­ten Er­eig­nis­se klim­per­te und klim­per­te Dom­bey mit der schwe­ren gol­de­nen Uhr­ket­te, die un­ter dem ele­gan­ten blau­en Frack her­vor­blitz­te, wäh­rend die Knöp­fe des er­wähn­ten Klei­dungs­stückes in den mat­ten Strah­len des fer­nen Feu­ers phos­pho­risch fun­kel­ten. Sohn da­ge­gen reck­te sei­ne Händ­chen in die Höhe, ball­te sie zu Fäust­chen und schi­en mit dem Da­sein, in das es so un­er­war­tet ge­tre­ten war, Hän­del an­fan­gen zu wol­len.
»Mrs. Dom­bey«, be­gann Mr. Dom­bey, »das Haus wird fort­an nicht bloß der Fir­ma nach, son­dern nun auch wie­der in der Tat Dom­bey und Sohn sein. Dom­bey und Sohn!«
Die­se Wor­te üb­ten einen so star­ken Ein­fluss aus, dass der Spre­cher (frei­lich nicht ohne ei­ni­ges Zö­gern, da er an der­glei­chen nicht ge­wöhnt zu sein schi­en) dem Na­men der Mrs. Dom­bey einen Aus­druck der Zärt­lich­keit bei­füg­te, er sag­te näm­lich:
»Mrs. Dom­bey, mei­ne – mei­ne Lie­be«
Ein flüch­ti­ges Rot, das Merk­zei­chen ei­ner klei­nen Über­ra­schung, glitt über das Ant­litz der Wöch­ne­rin, als sie ihre Bli­cke zu Mr. Dom­bey er­hob.
»Er wird in der Tau­fe den Na­men Paul er­hal­ten, mei­ne Mrs. Dom­bey, – na­tür­lich.«
Sie wie­der­hol­te matt das »na­tür­lich«, oder schi­en es we­nigs­tens durch die Be­we­gung ih­rer Lip­pen tun zu wol­len; dann aber schloss sie die Au­gen wie­der.
»Sei­nes Va­ters Name, Mrs. Dom­bey, und sei­nes Groß­va­ters! Woll­te Gott, sein Groß­va­ter hät­te die­sen Tag er­lebt.«
Und aber­mals füg­te er – ge­nau in dem­sel­ben Ton wie frü­her – bei:
»Dom­bey und Sohn!«
Die­se drei Wor­te um­fass­ten die ein­zi­ge Idee von Mr. Dom­beys Le­ben. Die Erde war nur da, da­mit Dom­bey und Sohn Ge­schäf­te dar­in ma­chen konn­ten, und Son­ne und Mond hat­ten bloß die Be­stim­mung, für Dom­bey und Sohn zu schei­nen, Flüs­se und Mee­re wa­ren da, um die Schif­fe der Fir­ma zu tra­gen; die Re­gen­bo­gen ver­spra­chen nur ihr schö­nes Wet­ter; Ster­ne und Pla­ne­ten lie­fen in ih­ren Krei­sen, um un­ab­än­der­lich ei­nem Sys­tem zu fol­gen, von dem Dom­bey und Sohn den Mit­tel­punkt bil­de­te. Ge­wöhn­li­che Ab­kür­zun­gen er­hiel­ten in sei­nen Au­gen ganz neue Be­deu­tun­gen, die bloß auf sei­ne Fir­ma Be­zug hat­ten, und A. D. lau­te­te in sei­ner Zeit­rech­nung nicht als An­nus Do­mi­ni, son­dern als An­nus Dom­bei – und Sohn.
Er hat­te sich, wie vor ihm sein Va­ter, im Lau­fe der Zeit vom Sohn zu Dom­bey her­auf­ge­ar­bei­tet und fast zwan­zig Jah­re lang die Fir­ma als al­lei­ni­ger Re­prä­sen­tant ver­tre­ten. Die Hälf­te die­ser Pe­ri­ode war ihm im Ehe­stand ent­schwun­den – wie ei­ni­ge sa­gen, mit ei­ner Dame, die ihm nicht ihr Herz zur Mor­gen­ga­be brach­te, son­dern ihr Glück in der Ver­gan­gen­heit such­te und sich dar­in fü­gen muss­te, den ge­bro­che­nen Geist an das er­ge­bungs­vol­le Dul­den der Ge­gen­wart zu fes­seln. Der­glei­chen Ge­re­de kam üb­ri­gens nicht leicht Mr. Dom­bey zu Ohren, wie sehr er auch da­bei be­tei­ligt war, und wenn es je auch so weit ge­kom­men wäre, so wür­de er zu al­ler­letzt dar­an ge­glaubt ha­ben. Dom­bey und Sohn hat­ten zwar schon oft in Häu­ten, nie aber in Her­zen Ge­schäf­te ge­macht, denn letz­te­re wa­ren ein Ge­schäfts­zweig, den sie ger­ne jun­gen Bur­schen und Mäd­chen, den Kost­schü­lern und den Bü­cher­schrei­bern über­lie­ßen. Mr. Dom­bey pfleg­te zu sa­gen, dass ein Ehe­bund mit ihm an und für sich je­dem auch nur mit ge­wöhn­li­chem Ver­stand be­gab­ten Frau­en­zim­mer sehr wün­schens­wert und eh­ren­voll sein müs­se, und die Hoff­nung, ei­nem sol­chen Hau­se einen neu­en As­so­cié zu ge­ben, kön­ne nicht feh­len, in der an­spruchs­lo­ses­ten Wei­ber­brust ein Ge­fühl des glü­hends­ten Ehr­gei­zes zu we­cken. Mrs. Dom­bey habe mit ihm die­sen so­zia­len Ehe­ver­trag ein­ge­gan­gen, der ihr, selbst eine Be­zug­nah­me auf die Fort­pflan­zung der Fa­mi­li­en­fir­ma, fast not­wen­dig die Teil­nah­me an ei­ner gen­ti­len und wohl­ha­ben­den Stel­lung si­cher­te, und alle die­se Vor­tei­le voll­kom­men ein­ge­se­hen, ja noch au­ßer­dem durch täg­li­che Er­fah­rung sich über­zeu­gen kön­nen, wel­che Stel­lung er in der Ge­sell­schaft ein­neh­me; sie habe stets an sei­ner Ta­fel oben­an ge­ses­sen, und habe die Hon­neurs sei­nes Hau­ses nicht nur in ge­zie­men­der Wei­se, son­dern auch mit dem An­stand ei­ner fei­nen Dame ge­macht; sie müs­se da­her not­wen­dig glück­lich sein, ob sie nun wol­le oder nicht.
Oder je­den­falls lag ihr da­bei nur ein ein­zi­ger Hemm­stein im Wege. Ja. Dies wür­de er zu­ge­ge­ben ha­ben. Nur ein ein­zi­ger, der aber zu­ver­läs­sig viel in sich fass­te. Sie wa­ren zehn Jah­re ver­hei­ra­tet ge­we­sen, ohne bis auf die Stun­de, in wel­cher Mr. Dom­bey auf dem Lehn­stuhl ne­ben dem Bet­te mit der gol­de­nen Uhr­ket­te klim­per­te, einen Spröß­ling er­zielt zu ha­ben.
Dass ich’s recht sage, we­nigs­tens kei­nen er­heb­li­chen. Vor etwa sechs Jah­ren war zwar ein Mäd­chen ge­bo­ren, und das Kind, das sich eben erst un­be­merkt ins Ge­mach ge­stoh­len hat­te, duck­te sich jetzt schüch­tern in eine Ecke, von der aus es sei­ner Mut­ter ins Ge­sicht se­hen konn­te. Aber was war ein Mäd­chen für Dom­bey und Sohn! In dem Ka­pi­tel des Fir­man­a­mens und der Fir­ma­wür­de er­schi­en ein sol­ches Kind nur wie eine falsche Mün­ze, die nir­gends an­ge­legt wer­den konn­te – ein miss­ra­te­nes Ding, wei­ter nichts.
Im ge­gen­wär­ti­gen Au­gen­blick war üb­ri­gens Mr. Dom­beys Won­ne­be­cher so zum Über­quel­len an­ge­füllt, dass er fühl­te, er kön­ne wohl ei­ni­ge Tröpf­lein des In­halts miss­en, um den Staub auf dem Ne­ben­pfa­de sei­ner klei­nen Toch­ter da­mit zu be­net­zen. Er sag­te da­her:
»Flo­rence, du kannst hin­ge­hen und dein Brü­der­lein an­se­hen, denn ich den­ke mir, dass dies dein Wunsch ist. Aber rüh­re es bei­lei­be nicht an.«
Die Klei­ne warf einen leb­haf­ten Blick auf den blau­en Frack und die stei­fe wei­ße Hals­bin­de, wel­che nebst ein Paar knar­ren­den Stie­feln und ei­ner laut ti­cken­den Ta­schen­uhr ihre Idee von ei­nem Va­ter ver­kör­per­ten; aber ihre Au­gen kehr­ten un­mit­tel­bar dar­auf wie­der zu dem Ge­sicht ih­rer Mut­ter zu­rück, und sie rühr­te sich nicht von der Stel­le, wäh­rend sie zu­gleich ihre Lip­pen ge­schlos­sen hielt.
Im nächs­ten Mo­ment öff­ne­te die Dame ihre Au­gen und wur­de des Kin­des an­sich­tig. Die Klei­ne eil­te auf sie zu, stand auf die Ze­hen, um ihr Ge­sicht­chen bes­ser an dem müt­ter­li­chen Bu­sen ver­ber­gen zu kön­nen, und klam­mer­te sich an die Wöch­ne­rin mit ei­ner so ver­zwei­fel­ten In­nig­keit, wie man sie in ih­ren Jah­ren nicht er­war­tet hät­te.
»O Gott be­hü­te mich!« sag­te Mr. Dom­bey, in­dem er är­ger­lich auf­stand. »Wahr­haf­tig, dies ist ein sehr un­be­son­ne­nes Be­neh­men und wird das Fie­ber nur stei­gern. Es ist wohl am bes­ten, ich fra­ge bei Dok­tor Peps an, ob er nicht viel­leicht die Güte ha­ben will, noch ein­mal her­auf­zu­kom­men. Ich will hin­un­ter ge­hen. Es wird nicht nö­tig sein, dass ich Euch erst bit­te«, füg­te er bei, wäh­rend er bei der Chai­se­longue vor dem Feu­er einen Au­gen­blick ste­hen blieb, »auf die­sen jun­gen Gent­le­man ganz be­son­de­re Sorg­falt zu ver­wen­den, Mrs. –«
»Blockitt, Sir?« er­gänz­te die Wär­te­rin, ein jung­fer­li­ches Stück­chen ver­bli­che­ner Ge­ziert­heit, das sich nicht er­dreis­te­te, sei­nen Na­men als Tat­sa­che hin­zu­stel­len, son­dern ihn nur in der Form ei­ner mil­den Fra­ge an­deu­ten woll­te.
»Auf die­sen jun­gen Gent­le­man, Mrs. Blockitt.«
»Nein, Sir, ge­wiss nicht. Ich er­in­ne­re mich, als Miss Flo­rence ge­bo­ren wur­de –«
»Ja, ja, schon gut«, ent­geg­ne­te Mr. Dom­bey, in­dem er sich über das Korb­bett­chen beug­te und zu glei­cher Zeit die Stir­ne run­zel­te, »Bei Miss Flo­rence war es schon recht, aber hier ist der Fall an­ders. Die­ser jun­ge Gent­le­man hat eine Be­stim­mung zu er­fül­len. Eine Be­stim­mung, klei­ner Bursch!«
Wäh­rend die­ser An­re­de er­hob er ei­nes von den Händ­chen des Kna­ben an sei­ne Lip­pen und küss­te es: dann aber schi­en er sich zu be­sin­nen, dass die­se Hand­lung sei­ner Wür­de Ab­bruch ge­tan ha­ben könn­te, und er ver­ließ des­halb et­was ver­le­gen das Ge­mach.
Dok­tor Par­ker Peps, ei­ner der Ho­färz­te und ein Mann, der we­gen sei­ner Kunst in der Bei­hil­fe zur Ver­grö­ße­rung be­deu­ten­der Fa­mi­li­en sich ei­nes ho­hen Rufs er­freu­te, ging mit auf dem Rücken ge­kreuz­ten Hän­den im Be­such­zim­mer auf und ab, zur un­aus­sprech­li­chen Be­wun­de­rung des Haus­arz­tes, der schon seit sechs Wo­chen un­ter al­len sei­nen Pa­ti­en­ten, Freun­den und Be­kann­ten den Fall als einen sol­chen aus­po­saunt hat­te, der ihm kei­nen Au­gen­blick Ruhe las­se, weil er Tag und Nacht jede Stun­de ge­wär­tig sein müs­se, in Ge­mein­schaft mit Dok­tor Par­ker Peps bei­ge­zo­gen zu wer­den.
»Habt Ihr ge­fun­den, Sir«, be­gann Dok­tor Par­ker Peps mit tiefer, klang­rei­cher Stim­me, die üb­ri­gens gleich dem Tür­klop­fer für den ge­gen­wär­ti­gen An­lass ge­dämpft war, »dass Eure teu­re Ge­mah­lin durch Eu­ren Be­such auf­ge­regt wur­de?«
»Sti­mu­liert, so­zu­sa­gen?« füg­te der Haus­arzt lei­se bei und ver­beug­te sich so­dann ge­gen den Dok­tor, als woll­te er sa­gen: »Ent­schul­digt, dass ich ein Wört­chen ein­flocht, aber es han­delt sich hier um eine wert­vol­le Kund­schaft.«
Mr. Dom­bey war sehr be­trof­fen ob die­ser Fra­ge, denn er hat­te so we­nig an die Pa­ti­en­tin ge­dacht, dass er nichts dar­auf zu ant­wor­ten wuss­te. Sei­ne Er­wi­de­rung lau­te­te da­hin, dass es ihm zur Be­ru­hi­gung ge­rei­chen wer­de, wenn Dok­tor Peps noch ein­mal oben einen Be­such ma­chen wol­le.
»Gut. Wir dür­fen es Euch nicht ver­ber­gen, Sir«, sag­te Dok­tor Peps, »dass der Man­gel an Kräf­ten bei Ihren Gna­den, der Frau Her­zo­gin – bit­t’ um Ver­zei­hung, ich ver­wechs­le die Na­men: woll­te sa­gen, bei Eu­rer lie­bens­wür­di­gen Ge­mah­lin sehr groß ist. Wir ha­ben es mit ei­nem ge­wis­sen Grad von lan­guor zu tun, mit ei­ner all­ge­mei­nen Ab­we­sen­heit von Elas­ti­zi­tät, die wir lie­ber – nicht –«
»Se­hen möch­ten«, setz­te der Haus­arzt mit ei­ner aber­ma­li­gen Kopf­ver­beu­gung hin­zu.
»Ganz rich­tig«, ent­geg­ne­te Dok­tor Par­ker Peps: »die wir lie­ber nicht se­h...

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