Honoré de Balzac – Gesammelte Werke
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Honoré de Balzac – Gesammelte Werke

Romane und Geschichten

  1. 10,852 Seiten
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Honoré de Balzac – Gesammelte Werke

Romane und Geschichten

Über dieses Buch

Balzac wollte in seinem Werken ein Gesamtbild der Gesellschaft im Frankreich seiner Zeit aufzeichnen. Er nahm (schriftstellerisch) nie ein Blatt vor den Mund.

Balzac liefert in seinen Werken nicht immer – sogar selten – die heile romantische Welt. Seine Texte sind immer voller Leben. Mit seiner relativ ungeschminkten Darstellung der gesellschaftlichen Realität prägte Balzac Generationen nicht nur französischer Autoren und bereitete den Naturalismus vor.

In dieser Sammlung finden Sie seine wichtigsten Werke:

Glanz und Elend der Kurtisanen

Die drolligen Geschichten des Herrn von Balzac

Die alte Jungfer

Menschliche Komödie – Die Bauern

Die dreißig tolldreisten Geschichten

Die Frau von dreißig Jahren

Die Geheimnisse der Fürstin von Cadignan

Die Grenadière

Die Kleinbürger

Die Königstreuen

Die Lilie im Tal

Die Messe des Gottlosen

Ein Drama am Ufer des Meeres

Eine dunkle Geschichte

Die Sorgen der Polizei

Corentins Rache

Ein politischer Prozeß unter dem Kaiserreich

Eine Episode aus der Zeit der Schreckensherrschaft

Eine Evatochter

El Verdugo

Katharina von Medici

Kleine Leiden des Ehestandes

Lebensbilder

u.v.a; mehr als 15.000 Seiten (PDF-Version)

Null Papier Verlag

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Information

Lebensbilder - Band 1

Widmung

Dem Ver­fas­ser des letz­ten Chou­an, oder die Bre­ta­gne im Jah­re 1800.
Aus dem Fran­zö­si­schen über­setzt vom Dr. Schiff
Drei Tei­le in zwei Bän­den
Mit ei­ner Ge­schich­te des Wer­kes und ei­ner Bio­gra­phie Schiffs her­aus­ge­ge­ben von Fried­rich Hirth

Geschichte des Werkes

Ein schwe­rer blei­er­ner Sarg­de­ckel wur­de ge­sprengt, und eine rei­che Fül­le ge­bun­de­ner geis­ti­gen Ener­gie, die sich seit lan­gem ge­sam­melt hat­te und der Ent­la­dung zu­dräng­te, wur­de frei. Mit sei­ner un­ge­bän­dig­ten Über­kraft und sei­nem un­ge­ber­di­gen Wol­len hat­te ei­ner die in­tel­lek­tu­el­le Ka­pa­zi­tät großer Völ­ker in den en­gen Pferch des Sar­ges ge­preßt und ach­te­te nicht des dumpf­dröh­nen­den Grol­lens, das im­mer wie­der aus dem Sar­gin­nern her­auf­tön­te. Denn der eine wuß­te nur zu gut, daß er vom Wü­ten des Geis­tes, den er in star­re Fes­seln ge­schla­gen hat­te, so gut wie nichts be­fürch­ten müs­se, daß ihn nur rohe phy­si­sche Ge­walt ver­der­ben kön­ne.
Ihr er­lag er end­lich. Und nun schlug auch für den le­ben­dig Ein­ge­mau­er­ten die Be­frei­ungs­stun­de. Voll ewi­ger Ju­gend und Tat­kraft, der selbst die viel­jäh­ri­ge Ein­ker­ke­rung nichts hat­te an­ha­ben kön­nen, ent­floh er sei­ner en­gen Haft und stürm­te in das neu­ge­fun­de­ne Le­ben hin­aus. –
Von Wa­ter­loo und der Be­sei­ti­gung des geis­ti­gen Des­po­tis­mus, den Na­po­le­on Eu­ro­pa als schlimms­te Kon­tri­bu­ti­on auf­er­legt hat­te, und der mit des Kor­sen Stur­ze zu­sam­men­brach, ist die Rede. Man fei­ert Wel­ling­tons und Blü­chers Sieg im­mer nur als po­li­ti­sches Er­eig­nis, wo­mit des­sen his­to­ri­sche Be­deu­tung ge­wiß nicht un­ter­schätzt ist. Aber man soll­te nicht über­se­hen, von wel­chen nach­hal­ti­gen Fol­gen die Über­win­dung des Un­über­wind­li­chen für das Wie­de­rer­wa­chen al­ler er­starr­ten schön­wis­sen­schaft­li­chen Be­stre­bun­gen der Na­tio­nen be­glei­tet war. Am sicht­lichs­ten zu­nächst viel­leicht nur in Frank­reich, dann aber im üb­ri­gen Eu­ro­pa. Alle so­lan­ge ge­hemmt ge­we­se­nen künst­le­ri­schen Re­gun­gen bra­chen sich Bahn und for­der­ten Da­seins­be­rech­ti­gung für sich. Nun konn­te man aber auch dar­an den­ken, al­les morsch und über­lebt Ge­wor­de­ne über Bord zu wer­fen und neue For­men und Ge­stal­ten er­ste­hen zu las­sen.
Die In­va­si­on der »Van­da­len« habe nach Na­po­le­ons Stur­ze in Frank­reich be­gon­nen, rie­fen da­mals die in­tel­lek­tu­el­len Kon­ser­va­ti­ven, die nur über­sa­hen, daß von die­sen »Van­da­len« Frank­reich sei­ne neue Kri­tik, sei­ne neue Phi­lo­so­phie, sei­ne neue Dicht­kunst be­kom­men habe.
Goe­the und Schil­ler er­schie­nen jetzt in der fran­zö­si­schen Haupt­stadt, ge­führt von der feins­ten Geis­tig­keit des neue­ren Frank­reich, der Frau von Staël. Sie setz­te den drei Klas­si­kern der fran­zö­si­schen Büh­ne Lor­beer­krän­ze auf und schick­te sie dann über die Gren­ze. Und nun be­gann die Feh­de zwi­schen Klas­sik und Ro­man­tik. La­mar­ti­ne gab sei­ne »Mé­di­ta­ti­ons«. Mit Stau­nen sah man zu sei­ner Poe­sie auf, die kühn und ge­wal­tig in düs­te­rer Ma­je­stät him­mel­an streb­te, von wun­der­sa­men Me­lo­di­en er­tö­nend wie eine go­ti­sche Ka­the­dra­le, in der alle Glo­cken durch den stil­len Abend läu­ten. Dann er­schi­en »Éloa« von Al­fred de Vigny, ein Ge­dicht voll schau­er­li­cher An­mut wie die Mor­gen­rö­te in den Flam­men ei­nes Ge­wit­ters. Hier­auf ka­men die »O­des et bal­la­des« von Vic­tor Hugo, die »Poë­sies« von J. De­lor­me, »Hen­ri III.« von Du­mas und end­lich »Her­na­ni«. Es war eine völ­li­ge Re­vo­lu­ti­on im Rei­che des Schö­nen. Der Spi­ri­tua­lis­mus weh­te wie ein geis­ti­ger Früh­ling über dem al­ten Pa­ris, in dem es glüh­te und grün­te und blüh­te und sang, wie nie zu­vor. Das kri­ti­sche Gerüs­te der al­ten Schu­le stürz­te zu­sam­men, die Fes­seln der drei Ein­hei­ten wur­den ge­sprengt, der Alex­an­dri­ner stieg von sei­ner Ro­si­nan­te und schnall­te die klas­si­sche Rüs­tung ab, be­weg­te sich leicht und be­hend und än­der­te die Tracht, je nach­dem es Zeit und Sit­te ge­bo­ten. Mit der re­gel­rech­ten Li­te­ra­tur war es vor­bei. Vom Pub­li­kum und vom »Glo­be« aus dem Fel­de ge­schla­gen, von den klei­nen Blät­tern ge­höhnt, vom »Théâtre français« ver­wünscht, das sich an ih­ren Trau­er­spie­len arm ge­spielt, such­ten die Klas­si­ker Schutz bei der Re­gie­rung, die den Ro­man­ti­kern das Na­tio­nalthea­ter ver­bie­ten soll­te. Ein sol­ches Ge­läch­ter hat­te Pa­ris noch nicht ge­hört, und das Ver­bot wur­de nicht er­las­sen. »Her­na­ni« wur­de in der comé­die françai­se auf­ge­führt, un­ter dem un­ge­heue­ren Bei­falls- und Miß­fal­lens-Tu­mul­te. Es war die Schlacht zwi­schen Van­da­len und Perücken – die Van­da­len sieg­ten. Aber je­den Abend wur­de die­ser Kampf er­neu­ert. Bei »Lu­cre­zia Bor­gia« und »Ma­ria Tu­dor« die­sel­ben Skan­da­le. Es fehl­te nicht viel, und Vic­tor Hugo wäre ge­prü­gelt wor­den. Sha­ke­s­pea­re und Schil­ler wur­den an­ge­klagt, daß sie den jun­gen Leu­ten die Köp­fe ver­dreh­ten. Der »C­on­sti­tu­tion­nel« er­hob täg­lich, von eng­li­schen Blät­tern (E­din­bour­gh re­view, New-Month­ly-Ma­ga­zi­ne, thea­tri­cal Ma­ga­zi­ne) un­ter­stützt, die hef­tigs­ten An­kla­gen ge­gen das jun­ge Ge­schlecht.
Man konn­te es die­sem nicht ver­zei­hen, daß es sich mehr an die Phan­ta­sie als an den Ver­stand (wie die ver­staub­te Klas­sik) wand­te, daß jetzt Men­schen mit mensch­li­chen Lei­den­schaf­ten an die Stel­le der blas­sen, blut­lee­ren Sche­men ge­tre­ten wa­ren.
Eng­li­sche Blät­ter leis­te­ten, wie oben ge­zeigt, den fran­zö­si­schen in die­sem Kamp­fe freund­nach­bar­li­che Hil­fe. Nur dem fran­zö­si­schen Kai­ser­tum war man ja im Bri­ten­reich feind­lich ge­sinnt ge­we­sen; ei­ner in­tel­lek­tu­el­len Re­vo­lu­tio­nie­rung woll­te man dort eben­so­we­nig das Wort re­den, wie seit 1789 ei­ner po­li­ti­schen. Man über­sah bloß, daß ge­ra­de die be­stän­dig an­ge­fein­de­te fran­zö­si­sche Staats­um­wäl­zung in Eng­land das Auf­tre­ten zwar nicht sei­nes größ­ten, ge­wiß aber meist­ge­le­se­nen Dich­ters des 19. Jahr­hun­derts ge­zei­tigt hat­te. Wal­ter S­cotts Sie­ges­lauf­bahn be­gann. Aus der Fül­le der wel­this­to­ri­schen Er­eig­nis­se, die er selbst mit­er­lebt hat­te, war ihm die An­re­gung ge­wor­den, die Ge­schich­te selbst zum Ge­gen­stand der Dich­tung zu ma­chen. Wohl war er nicht ein­mal in Eng­land der ers­te, der sol­ches wag­te. Wenn schon nicht mehr de Foes »Me­moirs of a Ca­va­lier«, hat­te er doch wohl der Da­men Lee und Por­ter »Re­cess« und »S­cot­tish Chiefs« ge­le­sen, die so et­was wie his­to­ri­sche Ro­ma­ne ge­schaf­fen hat­ten, aber von der ge­schicht­li­chen Treue oft recht weit ab­ge­irrt wa­ren. Scott hat je­den­falls erst die nicht un­wirk­sa­me Ver­bin­dung von his­to­ri­scher Wirk­lich­keit und frei­er Er­fin­dung künst­le­risch ge­ho­ben und ihr Da­seins­be­rech­ti­gung ver­schafft. In Jahr­zehn­ten, die dem mäch­ti­gen Flü­gel­rau­schen ge­wal­ti­ger Be­ge­ben­hei­ten angst­voll hat­ten lau­schen dür­fen, muß­te sei­ne dich­te­ri­sche Tat ein lau­tes Echo we­cken. Es war ein Tau­mel der ju­belnds­ten Be­geis­te­rung, in die man sich bei Scotts Dich­tun­gen hin­ein­las. Ganz Eu­ro­pa stand un­er­schüt­ter­lich in dem Ban­ne sei­nes Kön­nens und ver­schlang gie­rig, was er bot. Ein Pseu­do­his­to­ri­zis­mus spann­te um die Ge­bil­dets­ten al­ler Na­tio­nen sei­ne Net­ze. Es war ein Sieg von un­heim­li­cher Ge­walt.
Er kann nicht un­be­greif­lich er­schei­nen. Da man so viel Ge­schich­te mit­er­lebt hat­te, woll­te man selbst de­ren längst­ver­ges­se­ne Pha­sen wie­der an sich vor­über­zie­hen se­hen. Und so muß­ten Richard Lö­wen­herz, Karl der Küh­ne, Lud­wig XI., Crom­well u. v. a. aus ih­ren Grä­bern em­por­stei­gen und in künst­le­ri­scher Vollen­dung zu den Le­sern spre­chen.
Das wa­ren die zwei­fa­chen Fol­gen der Nie­der­la­ge Na­po­le­ons; ein­mal die Ab­schüt­te­lung des un­er­träg­lich ge­wor­de­nen geis­ti­gen Jo­ches, die Be­frei­ung von über­leb­ten künst­le­ri­schen Rich­tun­gen, die der Kai­ser fa­vo­ri­siert hat­te, dann die Be­fruch­tung der Poe­sie durch die Ge­schich­te. Die zweit­ge­nann­te Wir­kung war viel­leicht noch in­ten­si­ver und wei­ter­rei­chend als die ers­te. Denn nun braus­te durch ganz Eu­ro­pa der Chor der epi­schen Ge­schichts­schrei­ber oder ge­schich­te­schrei­ben­den Epi­ker, de­nen kei­ne his­to­ri­sche Fi­gur und Be­ge­ben­heit zu un­be­deu­tend schi­en, um sie nicht in dich­te­ri­scher Ver­klei­dung auf­er­ste­hen zu las­sen. Ödes­ter Prag­ma­ti­zis­mus be­geg­net da­bei eben­so wie will­kür­lichs­te Ge­schichts­ver­fäl­schung. Aber die Le­ser ver­schlan­gen al­les in wil­des­ter Sen­sa­ti­ons­gier; und wer ge­gen Ende der Zwan­zi­ger­jah­re des 19. Jahr­hun­derts im Ro­man et­was sa­gen woll­te, muß­te es in Scotts Ma­nier tun, um be­ach­tet zu wer­den. Es war nur ein Glück, daß die­ser Dich­ter, dem man sich so völ­lig und wil­lig er­ge­ben hat­te, ein Ge­nie war und selbst sei­ne ober­fläch­lichs­ten Nach­ah­mer noch in­so­weit be­fruch­te­te, daß sie zwar sei­ne Feh­ler, de­ren er ja man­che hat, noch über­trie­ben, aber auch an sei­nen blen­den­den Vor­zü­gen lern­ten und ih­nen mög­lichst nahe zu kom­men such­ten. In Eng­land, Frank­reich und selbst­ver­ständ­lich in Deutsch­land, wo man ja selbst in Zei­ten, als man der sprach­li­chen Aus­län­de­rei am schärfs­ten zu­lei­be ging, die stoff­li­che um so lie­ber er­trug, wie z. B. Phil­ipp von Ze­sens Wir­ken dies zeigt, war die Scott­nach­ah­mung in höchs­ter Blü­te. Die Horace Smith, Cro­we, Cooper und Hope, die Sou­lié, Mes­nard, Sal­van­dy und Me­rimée, die van der Vel­de, Zschok­ke, Spind­ler, Hauff und Ale­xis of­fen­ba­ren nicht als die ein­zi­gen, aber als die mar­kan­tes­ten – all die klei­nen und kleins­ten Nach­bild­ner auf­zu­zäh­len, wäre zu weit­läu­fig – die nach­hal­ti­ge Ein­wir­kung des Scott­schen Vor­bil­des auf ihr Schaf­fen.
Nur von ei­nem, der eben­falls den ge­bie­te­ri­schen Ein­fluß des Eng­län­ders ver­spür­te, muß noch ge­spro­chen wer­den: Tieck ver­ließ da­mals die Ge­fil­de der »wun­der­vol­len Mär­chen­welt« und trat 1826 mit zwei Ab­schnit­ten sei­ner his­to­ri­schen No­vel­le »Der Aufruhr in den Ce­ven­nen« her­vor. Auch an ihm war der epi­sche His­to­ri­zis­mus der Zeit nicht spur­los vor­über­ge­gan­gen, und noch 1840 hul­dig­te er ihm in »Vic­to­ria Ac­co­rom­bo­na«. –
Es ist kein Grund vor­han­den, über die­se weit­ver­zweig­te Nach­ah­mungs­sucht, die in ger­ma­ni­schen und ro­ma­ni­schen Län­dern al­lent­hal­ben üp­pig wu­cher­te, be­weg­li­che Kla­gen an­zu­stim­men. Sie blüh­te ja zu al­len Zei­ten, und die Ge­schich­te des Ro­mans al­ler eu­ro­päi­schen Völ­ker lehrt es, daß im­mer wie­der ein be­deu­ten­des Werk der Aus­gangs­punkt für zahl­lo­se Nach­fol­ger wur­de. Man hat na­ment­lich in Deutsch­land schlech­te­re Vor­bil­der in der Epik rast­los ko­piert, als es Wal­ter Scotts Dich­tun­gen wa­ren.
Aber das kann man auch heu­te noch be­dau­ernd fest­stel­len, daß das Le­se­pu­bli­kum sich zu al­len Zei­ten im­mer nur auf eine Rich­tung fest­schwor, daß im­mer nur ei­nem li­te­ra­ri­schen Gott ge­hul­digt wur­de und man an­de­re Göt­ter ne­ben die­sem nicht dul­de­te. Ein Kreu­zen von Rich­tun­gen und Ge­gen­rich­tun­gen war dem Sinn der Li­te­ra­tur­freun­de nie ge­mäß und ge­nehm, viel­leicht nur des­halb, weil es un­be­quem ist, sich von dem Trott des Ein- und An­ge­wohn­ten los­zu­ma­chen. Für die Ent­wick­lungs­ge­schich­te der Li­te­ra­tu­ren hat­te die­ser Be­har­rungs­trieb si­cher­lich sei­ne Nach­tei­le, für die ein­zel­ner Li­te­ra­ten aber, die viel­be­tre­te­ne Pfa­de mei­den woll­ten, sei­ne nie­der­drückends­ten Miß­lich­kei­ten. Die Ge­schich­te des Ro­mans der Fran­zo­sen lehrt dies am sinn­fäl­ligs­ten: denn ei­ner der größ­ten Dich­ter der Neu­zeit ver­zet­tel­te jah­re­lang sei­ne bes­ten Kräf­te in den ver­zwei­fel­ten Ver­su­chen, der dik­ta­to­ri­schen li­te­ra­ri­schen For­de­rung des Ta­ges aus­zu­wei­chen und statt der ro­man­haf­ten Ge­schichts­klit­te­rung die Wirk­lich­keit in der Dich­tung ab­zu­spie­geln. Ge­wiß war auch Scott, we­ni­ger sei­ne Nach­ah­mer, Rea­list, in­dem er in nicht sel­ten be­wun­de­rungs­wür­di­ger Ob­jek­ti­vi­tät Na­tur und Per­sön­lich­kei­ten rich­tig sah und dar­stell­te. Aber Stof­fe, Sit­ten und An­schau­un­gen in sei­nen Ro­ma­nen wa­ren doch nur gründ­lich durch­schaut, nie­mals durch­lebt. Die Er­kennt­nis war ei­nem Grö­ße­ren vor­be­hal­ten, daß die Zeit selbst mit ih­rem über­rei­chen In­hal­te, na­ment­lich aber die vom Be­ginn der Re­stau­ra­ti­on an ein­set­zen­de über­ra­schen­de Um­wand­lung al­ler ethi­schen und so­zia­len An­schau­un­gen, be­deu­ten­des Ob­jekt der Dich­tung sein kön­ne.
Ver­su­che, an Stel­le der in der Poe­sie im­mer noch spie­le­risch hin­tän­deln­den Pseu­do­rea­lis­tik dem Le­ben s­ans phra­se Denk­ma­le zu set­zen, brach­ten dem küh­nen Neue­rer nur die schmerz­lichs­ten Mi­ßer­fol­ge, selbst als er es ver­such­te, nach­dem das Pa­ri­ser Pub­li­kum sich von dem Pseud­onym Horace de Saint Au­bin nicht zur Aner­ken­nung hat­te ver­lo­cken las­sen, in der sehr ge­schick­ten und da­mals ak­tu­el­len Ver­klei­dung als Lord R’Hoo­ne sei­ne li­te­ra­ri­sche Auf­war­tung zu ma­chen.
Man er­rät schon, daß Ho­noré de Balzac der be­herz­te, aber un­be­ach­tet ge­blie­be­ne Su­cher ei­ner neu­en Form des rea­lis­ti­schen Ro­mans war. Nach zwei Fron­ten muß­te er einen schwe­ren Kampf füh­ren, um sich und sei­ne Ide­en durch­zu­set­zen: er hat­te die fran­zö­si­sche Ro­man­tik Hu­gos eben­so zu über­win­den, wie die ihr schroff ent­ge­gen­ge­setz­te eng­li­sche Scotts. Mit ei­nem Schla­ge ließ sich ein in die­sen bei­den Ex­tre­men be­fan­ge­nes Pub­li­kum nicht für eine drit­te li­te­ra­ri­sche Rich­tung ge­win­nen, und der jun­ge Balzac muß­te zu­nächst auf ein Kom­pro­miß mit sei­ner Ge­dan­ken­welt sin­nen. Scott kam ihm in­so­fern ent­ge­gen, als er an ihm die Kunst mi­nu­ti­öser De­tail­ma­le­rei be­wun­dern konn­te, die oft un­heim­lich rea­lis­tisch ist. So ent­schloß er sich denn, da pe­ku­ni­äre und li­te­ra­ri­sche Mi­ßer­fol­ge ihn fast auf­ge­rie­ben hat­ten, dem ver­göt­ter­ten Le­ser­lieb­ling Scott be­den­ken­los nach­zu­fol­gen und in des­sen Ma­nier his­to­risch-ro­man­ti­sche Bil­der zu ent­wer­fen. »Pour se dé­lier la main« ge­sch­ah es, wie Balzac spä­ter be­haup­te­te; aber ei­gent­lich wird dem jun­gen Feu­er­kopf nichts an­de­res vor­ge­schwebt ha­ben, als sich kur­zer­hand das Pub­li­kum zu er­obern und den Schul­den­berg, der auf ihm las­te­te, ab­zu­schüt­teln. Woll­ten die Le­ser nicht zu ihm kom­men, so kam er zu ih­nen; und wa­ren die bei­den erst bei­ein­an­der, dann konn­te man ja das auf­merk­sam ge­wor­de­ne Pub­li­kum rasch auf Pfa­de füh­ren, die nicht sei­nen, son­dern des Dich­ters Nei­gun­gen ent­spra­chen.
»Die Chou­ans« wa­ren der Ro­man, der Balzac 1829 auf Scotts Spu­ren der Gunst der Kri­tik und der Le­ser zu­führ­te. Die Schil­de­run­gen und die Cha­rak­te­ris­tik ver­ra­ten deut­lich, wie flei­ßig der Fran­zo­se den Eng­län­der stu­diert hat­te. An psy­cho­lo­gi­schem Scharf­sinn über­trifft er ihn frei­lich, na­ment­lich in der fast ana­to­mi­schen Aus­ein­an­der­le­gung der weib­li­chen Cha­rak­tere zeigt sich schon in die­sem Ro­man die Kunst Balzacs, die er spä­ter bis zur höchs­ten Meis­ter­schaft em­por­trieb. –
Hat­te er mit den scot­ti­sie­ren­den »Schleich­händ­lern« das Pub­li­kum ein­mal für sich ein­ge­nom­men, so durf­te er es wa­gen, da sein Name nun­mehr ge­nü­gend Zug­kraft aus­üb­te, auch mit ei­nem Pro­duk­te her­vor­zu­tre­ten, in dem er ganz er selbst war, in dem sei­ne Ge­dan­ken und Ein­fäl­le, sei­ne Psy­cho­ana­ly­sen und -syn­the­sen zum Aus­dru­cke ka­men. In der »Phy­sio­lo­gie der Ehe«, die den »Schleich­händ­lern« noch in dem­sel­ben Jah­re folg­te, ist Balzac der »Al­chi­mist des Ge­dan­kens«, als den ihn Sain­te-Beu­ve glück­lich cha­rak­te­ri­siert hat. Schon aus die­sem Früh­wer­ke spricht der un­er­bitt­li­che Ge­sell­schafts­kri­ti­ker zu dem Le­ser; die wich­tigs­ten Er­kennt­nis­se hat er sei­ner Zeit ab­ge­lauscht, die zwi­schen der Ver­trei­bung und Wie­der­ein­set­zung der Bour­bo­nen die be­deu­tends­ten so­zia­len In­sti­tu­tio­nen, vor­nehm­lich die Ehe, tief­grei­fen­den Ver­än­de­run­gen un­ter­wor­fen, die das Fa­mi­li­en­le­ben auf an­de­re ethi­sche Grund­la­gen ge­stellt und na­ment­lich den Frau­en zu ei­ner selb­stän­di­ge­ren Stel­lung ver­hol­fen hat­te. Das al­les ver­lang­te Dar­stel­lung in der Dich­tung, und Balzac ging an die­ser For­de­rung der Zeit nicht acht­los vor­über. In der »Phy­sio­lo­gie der Ehe« ist sein Rea­lis­mus be­reits zu un­heim­li­cher Grö­ße an­ge­wach­sen; mag man den Au­tor ein­sei­tig nen­nen we­gen der Art, wie er im­mer nur eine be­stimm­te Spe­zi­es des weib­li­chen Ge­schlechts vor Au­gen hat, ein tiefer Se­her und Er­ken­ner ist er in die­sem Bu­che, und sei­ner Zeit hat er alle die oft er­schüt­tern­den Re­fle­xio­nen über ehe­li­che Ver­derb­nis si­cher ab­ge­lauscht. Es ist eine tie­fe Kluft zwi­schen den »Chou­ans«, de­ren Hel­din eine mo­ra­li­sie­ren­de Cour­ti­sa­ne ist, und der »Ehe­phy­sio­lo­gie«, de­ren Ver­fas­ser durch­aus trieb­haf­te und zy­ni­sche Frau­en vor Au­gen hat.
Aber das Pub­li­kum über­sprang die­se Kluft mit Leich­tig­keit und folg­te dem jun­gen Dich­ter nun, wo­hin er es führ­te. Noch mu­te­te ihm Balzac, nach­dem er sich in den Sar­kas­men der »Phy­sio­lo­gie der Ehe« das Herz ein we­nig er­leich­tert hat­te, nicht gleich zu, al­les mit ei­nem Schla­ge zu ver­ges­sen, was es bis­her an­ge­be­tet hat­te. In den Er­zäh­lun­gen, die er un­ter dem Ti­tel »Scè­nes de la vie pri­vée« 1830 ver­öf­fent­lich­te und spä­ter in dem großen Rah­men sei­ner »Comé­die hu­mai­ne« un­ter die­sel­be Ru­brik zum Tei­le auf­nahm, ist er noch nicht der schran­ken­lo­se Rea­list, wie er spä­ter etwa in »Eugé­nie Gran­det« oder »Va­ter Go­ri­ot« zu er­ken­nen ist. Zwar schwingt er auch schon in die­sen Er­zäh­lun­gen mit Ge­schick das geis­ti­ge Se­zier­mes­ser des ana­ly­sie­ren­den Psy­cho­lo­gen, der nichts an­de­res will, als das mensch­li­che Herz in al­len sei­nen Tei­len bloß­zu­le­gen und des­sen Schlä­ge zu er­klä­ren. Aber die­se ers­ten Ge­schich­ten – von den mit dem Haupt­wer­ke un­zu­sam­men­hän­gen­den, post­hum her­aus­ge­ge­be­nen »Övres de Jeu­nes­se« wird ab­ge­se­hen – sind noch die we­ni­gen lich­ten Punk­te auf dem trost­los trü­ben Fir­ma­men­te, das Balzac über sei­ner »Comé­die hu­mai­ne« aus­spann­te, und das ein Ab­bild der Trost­lo­sig­keit war, die über dem Frank­reich der Drei­ßi­ger­jah­re schweb­te. Noch war Balzac kein un­er­bitt­li­cher ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Titel
  2. Impressum
  3. Inhaltsverzeichnis
  4. Danke
  5. Newsletter abonnieren
  6. Adieu
  7. Cäsar Birotteaus Größe und Niedergang
  8. Das Chagrinleder
  9. Das Haus Nucingen
  10. Der Auftrag
  11. Der Ball von Sceaux
  12. Der Diamant
  13. Der Dorfpfarrer
  14. Die alte Jungfer
  15. Menschliche Komödie – Die Bauern
  16. Die Börse
  17. Die dreißig tolldreisten Geschichten
  18. Die Entmündigung
  19. Die falsche Geliebte
  20. Die Frau von dreißig Jahren
  21. Die Geheimnisse der Fürstin von Cadignan
  22. Die Grenadière
  23. Die Kleinbürger
  24. Die Königstreuen
  25. Die Lilie im Tal
  26. Die Messe des Gottlosen
  27. Ein Drama am Ufer des Meeres
  28. Eine dunkle Geschichte
  29. Eine Episode aus der Zeit der Schreckensherrschaft
  30. Eine Evatochter
  31. El Verdugo
  32. Eugénie Grandet
  33. Facino Cane
  34. Glanz und Elend der Kurtisanen
  35. Die drolligen Geschichten des Herrn von Balzac
  36. Junggesellenwirtschaft
  37. Katharina von Medici
  38. Kehrseite der Geschichte unserer Zeit
  39. Kleine Leiden des Ehestandes
  40. Leb wohl!
  41. Lebensbilder - Band 1
  42. Lebensbilder - Band 2
  43. Louis Lambert
  44. Oberst Chabert
  45. Physiologie des Alltagslebens
  46. Sarrasine
  47. Seraphita
  48. Der Landarzt
  49. Vater Goriot
  50. Vendetta
  51. Verlorene Illusionen
  52. Literaturverzeichnis
  53. Index
  54. Das weitere Verlagsprogramm