
- 9,107 Seiten
- German
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eBook - ePub
Über dieses Buch
Wilhelm Karl Raabe war ein deutscher Schriftsteller. Er war ein Vertreter des poetischen Realismus, bekannt für seine gesellschaftskritischen Erzählungen, Novellen und Romane.
Null Papier Verlag
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Information
Erstes Kapitel
Vom Hunger will ich in diesem schönen Buche handeln, von dem, was er bedeutet, was er will und was er vermag. Wie er für die Welt im ganzen Schiwa und Wischnu, Zerstörer und Erhalter in einer Person ist, kann ich freilich nicht auseinandersetzen, denn das ist die Sache der Geschichte; aber schildern kann ich, wie er im einzelnen zerstörend und erhaltend wirkt und wirken wird bis an der Welt Ende.
Dem Hunger, der heiligen Macht des echten, wahren Hungers widme ich diese Blätter, und sie gehören ihm auch von Rechts wegen, was am Schluss hoffentlich vollkommen klargeworden sein wird. Mit letzterer Versicherung bin ich in einer weiteren Vorrede, welche zur Gemütlichkeit, Erregung und Aufregung des Lesers doch nur das wenigste beitragen würde, überhoben und beginne meine Geschichte mit unbegrenztem Wohlwollen sowohl gegen die Mitwelt und Nachwelt als auch gegen mich selber und alle mir im Lauf der Erzählung vorübergleitenden Schattenbilder des großen Entstehens, Seins und Vergehens – des unendlichen Werdens, welches man Weltentwicklung nennt, welches freilich ein wenig interessanter und reicher als dieses Buch ist, das aber auch nicht wie dieses Buch in drei Teilen zu einem befriedigenden Abschluss kommen muss.
»Da haben wir den Jungen! Da haben wir ihn endlich – endlich!« rief der Vater meines Helden und tat einen langen, erleichternden Atemzug, wie ein Mann, der langes, vergebliches Sehnen, schwere Arbeit, viele Mühen und Sorgen getragen hat und endlich glücklich zu einem glücklichen Ziel gekommen ist. Mit klugen, glänzenden Augen sah er herab auf das unansehnliche, kümmerliche Stück Menschentum, welches ihm die Wehemutter in die Arme gelegt hatte, grad als die Feierabendglocke erklang. Eine Träne stahl sich über die hagere Backe des Mannes, und die scharfe, spitze, kluge väterliche Nase senkte sich immer tiefer gegen das unbedeutende, kaum erkennbare Näschen des Neugeborenen, bis sie plötzlich mit einem Ruck wieder emporfuhr und sich ängstlich fragend gegen die gute, hilfreiche Frau, die soviel zu seinem Entzücken beigetragen hatte, richtete.
»O Frau Gevatterin – Gevatterin Tiebus, es ist doch wirklich, wirklich einer? Sagt’s noch einmal, dass Ihr Euch nicht irrt – dass dem wirklich, wirklich so ist!«
Die Wehemutter, welche bis jetzt mit selbstbewusstem, lächelndem Kopfnicken der ersten zärtlichen Begrüßung zwischen Vater und Sohn zugesehen hatte, hob nun ebenfalls ihre Nase sehr ruckartig, verscheuchte mit einer unnachahmlichen Bewegung beider Arme alle Geister und Geisterchen des Wohlwollens und der Zufriedenheit, von welchen sie bis jetzt umflattert wurde, stemmte die Fäuste in die Seite, und mit Hohn, Verachtung und beleidigtem Selbstgefühl sprach sie:
»Meister Unwirrsch, Ihr seid ein Narr! Lasst Euch an die Wand malen! … Ob es einer ist? – Hat die Welt je so was gehört von solchem alten, verständigen Menschen und Hausvater? … Ob es einer ist!? Meister Unwirrsch, ich glaube, nächstens verlernt Ihr noch, einen Stiefel von einem Schuh zu unterscheiden. Da sieht man’s recht, was für ein Leiden es ist, wenn die Gottesgabe so spät kommt. Ist das kein Junge, den Ihr da haltet? Ist das wirklich kein Junge, kein richtiger, echter Junge? Jesus, wenn die alte Kreatur nicht das arme Geschöpf in den Armen hielte, so möchte ich ihr schon eine Tachtel um solch ’ne nichtsnutzige, fürwitzige Frage stechen! Kein Junge!? Wohl ist es ein Junge, Gevatter Pechdraht – zwar keiner von die schwersten, aber doch ’n Junge wie was! Und wieso, ist’s kein Junge? Ist nicht der Buohnohpartch, der Nahpohlion wieder unterwegens übers Wasser, und gibt’s nicht Krieg und Katzbalgerei zwischen heut und morgen, und braucht man etwan keine Jungen, und werden nicht etwan in jetziger gesegneter und geschlagener Zeit mehr Jungen als Mädchen drum in die Welt gesetzt, und kommen nicht auf ein Mädchen drei Jungen, und kommt Ihr mir so, Gevatter, und wollt einer gewickelten und gewiegten Perschon nichtswürdige Fragen stellen? Lasst Euch an die Wand malen, Gevatter Unwirrsch, und drunter schreiben, wofür ich Euch halte. Gebt her den Jungen, Ihr seid gar nicht wert, dass er sich mit Euch abgibt – marsch, fort mit Euch zu Eurer Frau – am Ende fragt Ihr die auch noch, ob’s – ein – Junge – ist!«
Unsanft wurde das Wickelkind aus den Armen des verachteten, niedergeschmetterten Vaters gerissen, und nach abermaligem Atemholen humpelte der Meister Anton Unwirrsch in die Kammer zu seiner Frau, und die Glocken des Feierabends läuteten immer noch; wir aber wollen weder die beiden Ehegatten noch die Glocken stören – sie sollen ihre Gefühle ausklingen lassen, und niemand soll dreinreden und -schreien dürfen. –
Arme Leute und reiche Leute leben auf verschiedene Art in dieser Welt; aber wenn die Sonne des Glücks in ihre Hütten, Häuser oder Paläste scheint, so vergoldet sie mit ganz dem nämlichen Schein die hölzerne Bank wie den Samtsessel, die getünchte Wand wie die vergoldete, und mehr als ein philosophischer Schlaukopf will bemerkt haben, dass, was Freude und Leid betrifft, der Unterschied zwischen reichen und armen Leuten gar so groß nicht sei, wie man auf beiden Seiten oft, sehr oft, ungemein oft denkt. Wir wollen das dahingestellt sein lassen; uns genügt es, dass das Lachen nicht Monopol und das Weinen nicht Servitut ist auf diesem rundlichen, an beiden Polen abgeplatteten, feuergefüllten Ball, auf welchem wir uns ohne unsern Willen einfinden und von welchem wir ohne unsern Willen abgehen, nachdem uns der Zwischenraum zwischen Kommen und Gehen sauer genug gemacht wurde.
In armer Leute Haus schien jetzt die Sonne, das Glück beugte sein Haupt unter der niederen Tür und trat lächelnd herein, beide Hände offen zum Gruß darbietend. Es war hohe Freude über die Geburt des Sohnes bei den Eltern, dem Schuster Unwirrsch und seiner Frau, welche so lange darauf gewartet hatten, dass sie nahe daran waren, solche Hoffnung gänzlich aufzugeben.
Und nun war er doch gekommen, gekommen eine Stunde vor dem Feierabend! Die ganze Kröppelstraße wusste bereits um das Ereignis, und selbst zum Meister Nikolaus Grünebaum, dem Bruder der Wöchnerin, welcher ziemlich am anderen Ende der Stadt wohnte, war die frohe Botschaft gedrungen. Ein grinsender Schusterjunge, der seine Pantoffeln, um schneller laufen zu können, unter den Arm genommen hatte, brachte die Nachricht dahin und schrie sie atemlos dem Meister in das weniger taube Ohr, was zur Folge hatte, dass der gute Mann während fünf Minuten viel dümmer aussah, als er war. Jetzt aber war er bereits auf dem Wege zur Kröppelstraße, und da er als Bürger, Hausbesitzer und ansässiger Meister die Pantoffeln nicht unter den Arm nehmen konnte, so war davon die Folge, dass ihn der eine treulos an einer Straßenecke verließ, um das Leben auf eigene Hand oder vielmehr auf eigener Sohle anzufangen.
Als der Oheim Grünebaum in dem Hause seines Schwagers ankam, fand er daselbst so viele gute Nachbarinnen mit Ratschlägen und Meinungsäußerungen vor, dass er sich in seiner jammerhaften Eigenschaft als alter Junggesell und ausgesprochener Weiberhasser höchst überflüssig erscheinen musste. Er erschien sich auch in solchem Lichte und wäre beinahe umgekehrt, wenn ihn nicht der Gedanke an den in dem »Lärmsal« elendig verlassenen Schwager und Handwerksgenossen doch dazu gebracht hätte, seine Gefühle zu bemeistern. Brummend und grunzend drängte er sich durch das Frauenvolk und fand endlich richtig den Schwager in einer auch nicht sehr beneidenswerten und leuchtenden Lage und Stellung.
Man hatte den Armen vollständig beiseite geschoben. Aus der Kammer der Wöchnerin hatte ihn die Frau Tiebus hinausgemaßregelt; in der Stube unter den Nachbarinnen war er auch vollkommen überflüssig; der Gevatter Grünebaum entdeckte ihn endlich kümmerlich in einem Winkel, wo er zusammengedrückt auf einem Schemel saß und Teilnahme nur an der Hauskatze fand, die sich an seinen Beinen rieb. Aber in seinen Augen war noch immer jener Glanz, der aus einer anderen Welt zu stammen scheint: der Meister Unwirrsch hörte nichts von dem Flüstern und Schnattern der Weiber, er sah nichts von ihrem Durcheinander, er sah auch den Schwager nicht, bis dieser ihn an den Schultern packte und ihn auf nicht sehr sanfte Art ins Bewusstsein zurückschüttelte.
»Gib ’n Zeichen, dass du noch beis labendige Dasein bist, Anton!« brummte der Meister Grünebaum. »Sei ’n Mensch und ’n Mann, wirf die Weibsleute ’raus, alle, bis auf – bis auf die Base Schlotterbeck dort. Denn obschonst der Deibel die Graden und die Ungraden nimmt, so ist das doch die einzigste drunter, die ’nen Menschen wenigstens alle Stunde einmal zu Worte kommen lässt. Willst du nicht? Kannst du nicht? Darfst du nicht? Auch gut, so fass hinten meine Jacke, dass ich dich sicher aus dem Tumult bringe; komm die Treppe herauf und lass es gehen, wie es will. Also der Junge ist da? Na, gottlob! Ich dachte schon, wir hätten wieder vergeblich gelauert.«
Durch die Weiber schoben sich seitwärts die beiden Handwerksgenossen, gelangten mit Mühe auf den Hausflur und stiegen die enge, knarrende Treppe hinauf, welche in das obere Stockwerk des Hauses führte, allwo die Base Schlotterbeck ein Stübchen, eine Kammer und eine Küche gemietet hatte und wo also die Familie Unwirrsch nur noch über ein Gemach gebot, welches so mit Gegenständen von allerlei Art vollgepfropft war, dass für die beiden ehrenwerten Gildebrüder kaum noch der nötige Platz zum Niederhocken und Seelenaustausch übrigblieb. Kisten und Kasten, Kräuterbündel, Maiskolben, Lederbündel, Zwiebelbündel, Schinken, Würste, unendliche Rumpeleien waren hier mit wahrhaft genialer Geschicklichkeit neben-, unter-, über-, vor- und zwischeneinandergedrängt, -gehängt, -gestellt, -gestopft und -geworfen, und kein Wunder war’s, wenn der Schwager Grünebaum hier seinen zweiten Pantoffel verlor.
Aber die letzten Strahlen der Sonne fielen durch die beiden niedrigen Fenster in den Raum; vor den Nachbarinnen und der Frau Tiebus war man in Sicherheit. Auf zwei Kisten setzten sich die beiden Meister einander gegenüber nieder, reichten sich die Hände und schüttelten sie während wohlgezählter fünf Minuten.
»Gratulabumdum, Anton!« sagte Nikolaus Grünebaum.
»Ich danke dir, Nikolaus!« sagte Anton Unwirrsch.
»Vivat, er ist da! Vivat, er lebe hoch! – nochmals, ab –« schrie aus vollem Halse der Meister Grünebaum, brach aber ab, als ihm der Schwager die Hand auf den Mund drückte.
»Nicht so laut, um Gottes Willen nicht so laut, Niklas! Die Frau liegt hier gerade unter uns und hat so schon ihre liebe Not mit den Weibern.«
Die Faust ließ der neue Onkel auf seine Knie fallen:
»Hast recht, Bruderherz; der Deibel hole die Graden und die Ungraden. Aber nun geh mal los, Alter, wie ist dir denn zumute? Allewege ganz und gar nicht wie sonsten? Hoho! Wie sieht denn die Kröte aus? Alles an die rechte Stelle? Nase, Mund, Arm und Bein? Nichts vermalhört? Alles in Ordnung: Strippen und Schäfte, Oberleder, Spann, Hacken und Sohle? Gut verpicht, vernagelt und adrett gewichst?«
»Alles, wie es sein muss, Bruderherz!« rief der glückliche Vater, die Hände aneinander reibend. »Ein Staatsjunge! Gott segne uns in ihm. O Niklas, tausenderlei wollt ich dir sagen, aber es würgt mich zu sehr in der Kehle; alles geht rund mit mir um –«
»Lass es gehen, wie’s will; wenn die Katze vom Dach geworfen ist, muss sie sich erst besinnen«, sagte der Schwager Grünebaum, »Die Frau ist doch wohlauf?«
»Gott sei’s gedankt. Sie hat sich gehalten wie eine Heldin; keine Kaiserin hätt’s besser gemacht.«
»Sie ist eine Grünebaum«, sagte Nikolaus mit Selbstbewusstsein, »und die Grünebäume können im Notfall die Zähne zusammenbeißen. Auf was für ’n Namen willst du den Jungen gehen lassen, Anton?«
Mit der hageren Hand fuhr der Vater des Neugeborenen über die hohe, furchenreiche Stirn und starrte einige Augenblicke durch das Fenster ins Weite. Dann sagte er:
»Getauft soll er werden auf drei Handwerksgenossen. Johannes soll er heißen wie der Poete in Nürnberg und Jakob wie der hochgelobte Philosophus von Görlitz, und wie zwei Flügel sollen ihm die beiden Namen sein, dass er damit aufsteige von der Erde zum blauen Himmel und sein Teil Licht nehme. Aber zum dritten will ich ihn Nikolaus nennen, damit er immer wisse, dass er auf der Erde einen treuen Freund und Fürsorger habe, an welchen er sich halten kann, wenn ich nicht mehr vorhanden bin.«
»Das nenn ich ’nen Satz mit ’nem Kopf von Sinn und Verstand und ’nem dicken, unsinnigen Schwanz. Die Namen gib ihm, und es soll für uns alle drei Perschonen ’ne Ehre sein; aber mit den alten, närrischen Todesschrullen bleib mir vom Leibe. Fett bist du nicht, und ’nen Ochsen schlägst du auch gerade nicht mit der bloßen Faust nieder; aber den Pechdraht kannst du noch manch hübsches Jährlein ziehen, du alter, spintisierender Bücherhase.«
Der Meister Unwirrsch schüttelte den Kopf und brachte die Rede auf was anderes, und mancherlei sprachen die beiden Schwäger noch miteinander, bis es vollständig dunkel in der Rumpelkammer geworden war.
Es klopfe jemand an die Tür, und der Meister Grünebaum rief:
»Wer ist mich da? Weibervolk wird nicht hereingelassen!«
»Ich bin’s«, rief eine Stimme draußen.
»Wer?«
»Iche!«
»’s ist die Base Schlotterbeck«, sagte Unwirrsch. »Schieb nur den Riegel zurück; wir haben lange genug hier oben gesessen; vielleicht darf ich die Frau noch einmal sehen.«
Brummend gehorchte der Schwager, und die Base leuchtete mit ihrer Lampe in die Kammer.
»Richtig, da sitzen sie. Na, kommt nur, ihr Helden; die Nachbarinnen sind fort. Kriecht hervor! Eure Frau, Meister Unwirrsch? Ja, die ist wohlberaten; sie schläft, und Ihr dürft sie nicht stören; aber ’ne Neuigkeit sollt Ihr wissen und Gott danken. Drüben über der Gasse beim Juden Freudenstein ist’s heute auch so gegangen wie in diesem Hause, aber nicht ganz so. Das Kind ist da – auch ein Junge, aber ’s Blümchen Freudenstein ist tot, und großes Wehklagen ist drüben. Lobet Gott den Herrn, Meister Unwirrsch; Ihr aber, Meister Grünebaum, macht Euch fort nach Haus. Nun, nun, Unwirrsch, steht nicht so betroffen da, der Tod tritt ein oder geht vorbei nach Gottes Befehl. Ich bin wie gerädert und will ins Bett kriechen. Gute Nacht, Gevattern.«
Die Base Schlotterbeck verschwand hinter ihrer Tür, die beiden Meister schlichen auf den Fußspitzen die Treppe hinab, und der Oheim Grünebaum hatte an diesem Abend in seiner Stammkneipe zum Roten Bock viel weniger das große Wort in Politik, Stadtangelegenheiten und anderen Angelegenheiten als sonst. Der Meister Unwirrsch lag die ganze Nacht, ohne ein Auge zuzutun; der Neugeborene schrie mächtig, und es war kein Wunder, dass diese ungewohnten Töne den Vater wach erhielten und ein wirbelndes Heer von hoffenden und sorgenden Gedanken aufstörten und in wilder Jagd durch Herz und Hirn trieben. –
Es ist nicht leicht, eine gute Predigt zu machen; aber leicht ist es auch nicht, einen guten Stiefel zu verfertigen. Zu beiden gehört Geschick, viel Geschick, und Pfuscher und Stümper sollten zum Besten ihrer Mitmenschen lieber ganz davonbleiben. Ich für mein Teil habe eine ungemeine Vorliebe für die Schuster, sowohl in der Gesamtheit bei ihren feierlichen Aufzügen wie auch in ihrer Eigenschaft als Individuen. Es ist, wie das Volk sagt, eine »spintisierende Nation«, und kein anderes Handwerk bringt so treffliche und kuriose Eigentümlichkeiten bei seinen Gildegliedern hervor. Der niedrige Arbeitstisch, der niedrige Schemel, die wassergefüllte Glaskugel, welche das Licht der kleinen Öllampe auffängt und glänzender wieder zurückwirft, der scharfe Duft des Leders und des Pechs müssen notwendigerweise eine nachhaltige Wirkung auf die menschliche Natur ausüben, und sie tun es auch mächtig. Was für originelle Käuze hat dieses vortreffliche Handwerk hervorgebracht! – eine ganze Bibliothek könnte man über »merkwürdige Schuster« zusammenschreiben, ohne den Stoff im mindesten zu erschöpfen! Das Licht, welches durch die schwebende Glaskugel auf den Arbeitstisch fällt, ist das Reich fantastischer Geister; es füllt die Einbildungskraft während der nachdenklichen Arbeit mit wunderlichen Gestalten und Bildern und gibt den Gedanken eine Färbung, wie sie ihnen keine andere Lampe, patentiert oder nicht patentiert, verleihen kann. Auf allerlei Reime, seltsame Märlein, Wundergeschichten und lustige und traurige Weltbegebenheiten verfällt man dabei, worüber die Nachbarn sich verwundern, wenn man sie mit schwerfälliger Hand zu Papier gebracht hat, wobei die Frau lacht oder sich fürchtet, wenn man sie in der Dämmerung mit halblauter Stimme summt. Oder aber man fängt an, noch tiefer zu grübeln, und »Not« wird uns, »zu entsinnen des Lebens Anfang«. Immer tiefer sehen wir in die leuchtende Kugel, und in dem Glase sehen wir das Universum in all seinen Gestalten und Naturen: durch die Pforten aller Himmel treten wir frei und erkennen sie mit all ihren Sternen und Elementen; höchste Ahnungen gehen uns auf und niederschreiben wir, während der Pastor Primarius Richter von der Kanzel den Pöbel gegen uns aufhetzt und der Büttel von Görlitz, der uns ins Gefängnis bringen soll, vor der Tür steht:
»Denn das ist der Ewigkeit Recht und ewig Bestehen, dass sie nur einen Willen hat. Wenn sie deren zweene hätte, so zerbräche einer den anderen und wäre Streit. Sie stehet wohl in viel Kraft und Wundern; aber ihr Leben ist nur bloß allein die Liebe, aus welcher Licht und Majestät ausgehet. Alle Kreaturen im Himmel haben einen Willen, und der ist ins Herze Gottes gerichtet und gehet in Gottes Geist, wohl im centro der Vielheit, im Wachsen und Blühen, aber Gottes Geist ist das Leben in allen Dingen, centrum naturae gibt Wesen, Majestät und Kraft, und der Heilige Geist ist Führer.«
Viel sehen wir in der glänzenden Kugel, durch welche die schlechte Lampe so armes Licht wirft, dass wir dabei kaum zu Papier bringen können, was wir sahen; aber nichtsdestoweniger können wir unter das vollendete Manuskriptum schreiben:
»Geschrieben nach göttlicher Erleuchtung durch Jakob Böhme, sonsten auch Teutonicus genannt.«
Wer gegen die Schuster was hat und ihre Trefflichkeit im einzelnen wie im Allgemeinen nicht nach Gebühr zu schätzen weiß, der bleibe mir vom Leibe....
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