Schumpeter für jedermann
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Schumpeter für jedermann

Von der Rastlosigkeit des Kapitalismus

  1. 224 Seiten
  2. German
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Schumpeter für jedermann

Von der Rastlosigkeit des Kapitalismus

Über dieses Buch

Spannend wie ein RomanJoseph Alois Schumpeter (1885–1950) ist nicht nur einer der bedeutendsten, sondern auch einer der schillerndsten Ökonomen aller Zeiten. Sein Leben und seine wissenschaftliche, politische und unternehmerische Karriere lesen sich spannend wie ein Roman.Der dritte Band aus der Reihe "Ökonomen für jedermann" berichtet von Schumpeters Jugend und Studentenzeit im Wiener Fin de siècle; seiner wissenschaftlichen Karriere und den Haupteinflüssen auf sein Denken; seinen Erfolg und Misserfolg als Bankier und Spekulant; privaten Schicksalsschläge; seiner Konkurrenz mit dem großen Ökonomen John Maynard Keynes; seiner Auffassung von der schleichenden Zersetzung des Kapitalismus sowie seinem Einfluss auf unser heutiges Denken und wirtschaftspolitisches Handeln.Kurz und Sturn bringen uns den Mann und dessen Theorien näher, dem wir das geflügelte Wort von der "schöpferischen Zerstörung" verdanken.

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TEIL II
WERK
1 DAS WERK IM ÜBERBLICK
Schumpeter war einer der schriftstellerisch produktivsten Autoren in der bisherigen Geschichte der Wirtschaftsund Sozialwissenschaften. Sein Werk ist im Hinblick auf Umfang, Vielfalt und Güte beeindruckend und wird nur von wenigen anderen überragt. Schumpeters Schaffenskraft, die zeitweise in Schaffenswut umschlägt, speist sich aus mehreren Quellen. Zu nennen ist zum einem sein genuines Interesse an den von ihm behandelten Fragen und seine tiefe Überzeugung, mit grundlegend neuen Einsichten in das Bewegungsgesetz von Wirtschaft und Gesellschaft aufwarten zu können. Schumpeter wird dabei im Verlauf seines Lebens immer klarer, dass die voranschreitende Arbeitsteilung innerhalb der Wissenschaft vom Menschen und seiner Vergesellschaftung nicht nur beträchtliche Vorteile, sondern auch bedeutende Nachteile mit sich bringt. Wie in der Wirtschaft auch steigert Arbeitsteilung in der Wissenschaft die Produktivität in den sich herausbildenden Teildisziplinen – der Politischen Ökonomie, Soziologie, Politologie, Betriebswirtschaftslehre sowie deren immer feineren Verästelungen in Subdisziplinen. Diese weisen im Verlauf ihrer Entwicklung markante Fortschritte im Verständnis wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Sachverhalte auf. Andererseits zerschneidet die Arbeitsteilung existierende Wirkungs- und Sinnzusammenhänge, bringt eine immer weiter voranschreitende Wissensfragmentierung mit sich und verstellt den Blick auf das saumlose Ganze.
Schumpeter ist einerseits Spezialist auf verschiedenen Teilgebieten, andererseits verlangt eine angemessene Auseinandersetzung mit seinem Erkenntnisobjekt einen Universalisten, einen Menschen mit umfänglichem Wissen und der Beherrschung zahlreicher Forschungsmethoden. Dem Bestreben, ein solcher zu sein beziehungsweise zu werden, begegnet man bereits im jungen Schumpeter und verstärkt im reifen. Er trachtet danach, die disziplinär auseinanderstrebenden Teilgebiete soweit möglich wieder zusammenzufügen, das Ganze ins Visier zu nehmen. Sein Blick ist panoptisch und nicht monomanisch. Ihm geht es um die Neufassung einer universalen Sozialwissenschaft, vergleichbar den großen und umfassenden Systementwürfen eines Adam Smith, Karl Marx oder Max Weber. Er will Ökonomie, Gesellschaft und Politik insgesamt analytisch erfassen und durchdringen. „Wer nur ein Ökonom ist,“ sollte Friedrich August von Hayek dereinst sagen, „kann kein guter Ökonom sein.“ Schumpeter pflichtet dieser Sicht implizit bei, und so ist er nicht nur Wirtschaftstheoretiker, sondern auch Ideen- und Theoriegeschichtler, Soziologe, Politologe, Wirtschafts- und Sozialhistoriker, Student der Technik- und Kulturgeschichte und vieles mehr. Wie er in dem 1915 veröffentlichten Buch Vergangenheit und Zukunft der Sozialwissenschaften schreibt, geht es ihm um das Begreifen des „Kulturphänomens“ als Ganzem, um „das Begreifen von möglichst Vielem an uns, von Recht, Religion, Kunst, Politik, Wirtschaft, ja selbst von Logik und psychischen Erscheinungen“ (1915: 133). Es geht ihm um die Ergründung der „sozialen Kulturentwicklung“, lässt er den Leser in der Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung wissen (1912: 546).
Die moderne Forderung nach über- beziehungsweise interdisziplinärer Herangehensweise an komplexe wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme antizipiert Schumpeter um mehrere Jahrzehnte und setzt sie mit nicht geringem Erfolg um. Er ist, so könnte man sagen, ein homo universalis auf dem von ihm beackerten großen Feld der Wissenschaft. Ihm kommen hierbei seine beachtliche humanistische Bildung, seine Kenntnis mehrerer Sprachen, seine Aufgeschlossenheit und Neugierde und sein unbändiger Wunsch, Neues zu schaffen, entgegen. Aber er lässt sich nicht leichtfertig auf ein mehrere Disziplinen umfassendes Forschungsprogramm ein, sondern ist zunächst bestrebt, die seiner Auffassung nach noch nicht ausgereizte Leistungsfähigkeit der Ökonomik zu testen. Denn er ist der Überzeugung, dass das hauptsächliche Treibrad der Entwicklung ökonomisch ist. Im Sinne der von seinem Lehrer Friedrich von Wieser propagierten Korrespondenz von Analysemethode und -gegenstand kann es daher nicht verwundern, dass er die ihn interessierenden großen Fragen zuallererst aus der Perspektive des Ökonomen angeht. Dabei könnte man in geringfügiger Abwandlung einer Eloge Schumpeters auf die von ihm verherrlichten Unternehmerpersönlichkeiten über ihn und Seinesgleichen sagen: „Solche Männer schaffen, weil sie nicht anders können. Ihr Tun ist das großartigste, glänzendste Moment, das das wissenschaftliche Leben [anstatt des wirtschaftlichen] dem Beobachter bietet.“ Schumpeter ist alles andere als ein „Fachidiot“.
Im Folgenden geben wir einen Überblick über Schumpeters Werk an Hand von dessen bedeutendsten Stationen. Wir lassen dabei Schumpeter selbst ausführlich zu Wort kommen.
Zahlreiche der Ideen und analytischen Konzepte, die uns bei Schumpeter begegnen, sind nicht neu. Als gründlicher Kenner der allgemeinen Ideen- und ökonomischen Theoriegeschichte stößt er auf sie im Verlauf seines ausgedehnten Studiums der Werke der Alten Meister und der Gegenwartsliteratur. Als intellektueller Feinschmecker verschmäht er keine der ihm dargebotenen guten Ideen und mustert die schlechten aus. Sein erlesener Geschmack lässt ihn alles, was ihm nützlich und wertvoll erscheint, sammeln und zur weiteren Verwendung mental archivieren. Ihm ist deshalb verschiedentlich vorgeworfen worden, nicht wirklich originell zu sein, sondern im Wesentlichen nur bereits Bekanntes aufzubereiten und neu zu verpacken. Ein ähnlicher Vorwurf ist interessanterweise auch Adam Smith gemacht worden, und zwar von niemand Geringerem als Schumpeter selbst. In beiden Fällen ist der Vorwurf unberechtigt. Zwar stimmt es, dass Schumpeter (ähnlich Smith) viel zehrt von den Erkenntnissen und Funden seiner Vorgänger. Dies ist jedoch nichts Ungewöhnliches: Ideen werden über Raum und Zeit hinweg mittels Ideen erzeugt. Neues entsteht in kritischer und konstruktiver Auseinandersetzung mit Altem. Nicht ohne tieferen Grund versteht Schumpeter unter wirtschaftlichen Innovationen „neue Kombinationen“. Abstrakt gesagt geht es um neue Verbindungen von rekonfigurierten alten Wissenspartikeln. Auf diese Weise entstehen neue Wissenspartikel, ergibt sich neues ökonomisch nutzbares Wissen. Ähnliches lässt sich auch über Neuerungen in der Wissenschaft sagen. Neues Wissen baut auf bekanntem Wissen auf, kombiniert dessen Elemente neu und erzeugt so neue Elemente. Mithilfe der kombinatorischen Metapher lässt sich das Schumpetersche (oder auch das Smithsche) Werk angemessen beschreiben. Selbst wenn keine einzige der von Schumpeter verwendeten Ideen neu sein sollte, was nicht der Fall ist, neu und originell ist deren Fassung und die daraus gewonnene neue theoretische Konstruktion. Hierin liegt die Besonderheit und genuine Novität des Schumpeterschen Werkes.
Hinsichtlich des Gehalts und der Architektur des Werkes lässt sich Folgendes in aller Kürze sagen. Schumpeter verdient sich seine wissenschaftlichen Sporen zunächst vor allem als Popularisierer der Theorie des allgemeinen wirtschaftlichen Gleichgewichts von Léon Walras in Das Wesen und der Hauptinhalt der theoretischen Nationalökonomie (1908). Aber schon in seinem Erstlingswerk drängt auch die rebellische Seite Schumpeters ans Licht, der das Erreichte nicht genug ist. Er hält seiner Zunft vor, die Hauptfrage der Sozialwissenschaft nicht wirklich beantwortet zu haben: die Frage, wieso die moderne Wirtschaft und Gesellschaft aus sich heraus, endogen, die Tendenz hat, sich ständig zu verändern. Warum ist der Kapitalismus rastlos? Dies ist die ihn während seines gesamten Lebens als Wissenschaftler bewegende Frage, und wie sein Untersuchungsobjekt so ist auch er rastlos.
Er wendet sich der Frage in seinem zweiten großen und vielleicht bedeutendsten Werk zu, der Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung (1912). In ihm begegnen uns jene Begriffe und Wörter, die zum Allgemeingut werden sollten: „Innovation“, „ökonomischer Pionier“, „Unternehmer“, „statischer Wirt“, „Wirtschaftszyklen“ und (wohl der Idee, jedoch noch nicht dem genauen Wort nach) „schöpferische Zerstörung“. Von einer Analyse des ökonomischen Kernprozesses aus bringt Schumpeter mit der Wirtschaft interagierende Bereiche ins Spiel und nimmt so allmählich den Gesamtprozess der Entwicklung des Kapitalismus, dessen sozio-ökonomische, kulturelle und politische Dynamik ins Blickfeld.
Sein drittes Hauptwerk, die zwei Bände der Business Cycles. A Theoretical, Historical and Statistical Analysis of the Capitalist Process (1939), gehen in der angedeuteten Richtung ein gutes Stück weiter. Es geht Schumpeter darin um nichts weniger als um eine Theorie der Menschheitsgeschichte im Gefolge der Industriellen Revolution. Das Hauptaugenmerk gilt den die Wirtschaft und Gesellschaft zugleich umwälzenden technologischen Durchbrüchen und der Verbreitung neuer Produkte, Produktionsmethoden, Organisationsformen, Kartell- und Monopolbildungen usw. Es geht ihm um den „Herzschlag“ des Systems, der sich in Zeiten großer Neuerungen beschleunigt und danach verlangsamt, um lange Wellen der Entwicklung, die geschätzte fünfzig Jahre dauern – um die von Schumpeter nach einem berühmten russischen Wirtschaftsforscher und -statistiker benannten „Kondratieffs“.
Drei Jahre nach den Business Cycles veröffentlicht Schumpeter Capitalism, Socialism and Democracy (1942). Darin erweitert er die vorangehende Untersuchung um eine Analyse der noch ausstehenden Teile des Gesamtprozesses der kapitalistischen Entwicklung. Er entwickelt darin eine Theorie der Demokratie und nennt Gründe für die seiner Ansicht nach schleichende Erosion der den Kapitalismus stützenden Institutionen und Mentalität. Jede sozio-ökonomische Formation trägt den Keim ihrer Vergänglichkeit in sich. Und es ist gerade der Erfolg des Kapitalismus, seine gewaltige Steigerung der gesellschaftlichen Produktivkraft und die damit verbundene tiefgreifende gesellschaftliche Transformation, die der Spekulation Schumpeters zufolge schließlich sein Ende bewirkt.
Zahlreiche Aufsätze Schumpeters sind soziologischen Themen gewidmet (Schumpeter 1953), andere finanzwissenschaftlichen und finanzsoziologischen, darunter der 1918 veröffentlichte Essay Die Krise des Steuerstaats, zu dem er sich durch die damals brennende und auch heute aktuelle Frage nach der Bedienung und Tilgung der (kriegsbedingten) Staatsschulden und der Sanierung des Staatshaushaltes veranlasst sieht. Eine große Anzahl von Beiträgen gilt wirtschaftspolitischen Themen. Schumpeter publiziert vorzugsweise in Gustav Stolpers Der Deutsche Volkswirt (vgl. Schumpeter 1985). Zu nennen sind schließlich politische Reden, die Schumpeter unter anderem als „Staatssekretär der Finanzen“ (Finanzminister) hält (vgl. Schumpeter 1992).
Fortschritt in der Wissenschaft basiert, wie gesehen, auf neuen Kombinationen bekannter und weiter entwickelter Ideen und Konzepte. Ein beträchtlicher Teil des Schumpeterschen Oeuvres beschäftigt sich mit den Lehren früherer und zeitgenössischer Autoren. Dies geschieht sowohl in den gerade genannten Werken als auch in zahlreichen Aufsätzen, in denen er sich mit einzelnen Autoren oder ganzen Denkrichtungen auseinandersetzt (Schumpeter 1952 und 1954b). Schließlich sind zwei umfassende theoriegeschichtliche Studien zu nennen: der 1914 veröffentlichte Essay Epochen der Dogmen- und Methodengeschichte sowie die postum erscheinende History of Economic Analysis (1954). Wir werden beide Werke in Auszügen referieren.
Ein Werk, das er lange auf dem Amboss hatte, veröffentlicht Schumpeter nicht: Das Wesen des Geldes. Ein Grund vor allem ist es, der ihn davon abhält: Schumpeter war bestrebt, seine Sicht von der aktiven Rolle des Geldes und Kredits in die Theorie des allgemeinen Gleichgewichts einzubauen, und musste sich nach mühevoller Arbeit eingestehen, dass ihm dies nicht gelingen wollte. Dynamik und Statik der Volkswirtschaft sind wie Feuer und Wasser – zwei Elemente, die sich nicht zusammenspannen lassen. Das Manuskript zum Wesen des Geldes wird erst nach Schumpeters Tod aus dessen Nachlass von Fritz Karl Mann 1970 herausgegeben. Wir gehen hierauf nicht näher ein.
2 DAS WESEN UND DER HAUPT-INHALT DER THEORETISCHEN NATIONALÖKONOMIE
Schumpeter macht im Alter von 25 Jahren im deutschsprachigen Raum mit einem Schlag auf sich aufmerksam: Im Jahr 1908 erscheint sein mehr als 650 Seiten umfassendes Opus mit dem anspruchsvollen Titel Das Wesen und der Hauptinhalt der theoretischen Nationalökonomie. Mit diesem Werk habilitiert er sich im gleichen Jahr an der Universität Wien und erhält die Lehrbefugnis für Volkswirtschaftslehre.
Wie kann ein noch kaum hinter den Ohren Trockener über ein derartiges Thema schreiben? Mit jugendlicher Unbekümmertheit und einem gewaltigen Schuss Selbstsicherheit wildert der junge Schumpeter in einem Revier, das eigentlich ehrwürdigen Fachvertretern vorbehalten ist. Aber Frechheit gepaart mit einem beeindruckenden Maß an Fachkenntnis und Urteilsvermögen siegt. Zwar wird das Buch zunächst eher verhalten bis kritisch aufgenommen, aber schon bald beginnt Schumpeters Stern am Firmament der deutschsprachigen Ökonomik zu leuchten.
Theorie und Geschichte
Einer der Gründe für den Erfolg ist darin zu sehen, dass das Werk mehrere Bedürfnisse zugleich bedient. Zum einen trifft es auf ein wachsendes Bewusstsein darüber, dass der deutsche, von der Historischen Schule geprägte Sonderweg in der Nationalökonomie in die Isolation geführt hat. Der Wunsch unter deutschen Ökonomen, wieder Anschluss an die internationale Entwicklung zu finden, verlangt eine Kenntnis dessen, was an der Forschungsfront geschieht. Diese wird vor allem auch mit der Theorie des allgemeinen wirtschaftlichen Gleichgewichts identifiziert, wie sie der Lausanner Léon Walras in seinem 1874 veröffentlichten Werk Éléments d’économie politique pure vorgelegt hatte. Schumpeter betont, dass es ihm vor allem darum gehe, das Werk des „großen Meisters der exakten Theorie“ – er spricht auch von der „Magna Carta“ der Volkswirtschaftslehre – einer breiteren Öffentlichkeit und vor allem dem deutschen Publikum bekannt zu machen (1908: 261 und XXI).
Ein weiterer Grund für die gute Aufnahme des Werks ist darin zu sehen, dass Schumpeter sein Anliegen äußerst behutsam umsetzt und Rücksicht auf die Befindlichkeit der deutschen Leserschaft nimmt. Eines der Merkmale der Walrasschen Theorie ist die mathematische Formulierung wirtschaftlicher Sachverhalte. Vor Walras hatten unter anderem der britische Ökonom William Stanley Jevons (1871) und der Deutsche Hermann Heinrich Gossen (1854) die Auffassung vertreten, dass die Wirtschaftstheorie nur unter Verwendung der Mathematik zu einer exakten Wissenschaft werden könne, ähnlich wie es die Physik und Chemie bereits seien. Von der Botschaft überzeugt, verbreitet sie Schumpeter bereits in einem zwei Jahre vor dem Wesen und Hauptinhalt erschienenen Aufsatz „Über die mathematische Methode der theoretischen Ökonomie“ (Schumpeter 1906). Da die Begriffe der politischen Ökonomie „quantitativ“ seien, so seine Begründung, „ist unsere Disziplin eine mathematische.“ (Schumpeter 1952 [1906]: 534) Im Buch jedoch hält er sich nicht an sein Bekenntnis, was den Umfang des Werkes beträchtlich anschwellen lässt. Aber er verringert damit die Eintrittsschranken in das in deutschen Landen bis dahin weitgehend unbekannte Gebiet.
Schließlich dürfte für die Aufnahme des Werks von Vorteil gewesen sein, dass Schumpeter sich darin zwar einerseits für eine strenge Theoriebildung in der Walrasschen Tradition einsetzt, andererseits jedoch auch der historischen Betrachtungsweise eines Gustav Schmoller, der in Deutschland immer noch auf eine beträchtliche Anhängerschaft zählen kann, ihre Berechtigung zuerkennt. Der Gegensatz zwischen Vertretern der reinen Theorie und des Historismus ist während des berühmten Methodenstreits zwischen Gustav Schmoller und Carl Menger im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert zur erbitterten Feindschaft geworden. Schumpeter trägt mit seinem Werk zur Glättung der Wogen und zur Überwindung der Gräben bei, indem er beiden Ansätzen Hochachtung entgegenbringt und beide Methoden für unverzichtbar erklärt. Jede der beiden Methoden habe ihre spezielle Funktion und trage mit der jeweils anderen in arbeitsteiliger Manier zu einem besseren Verständnis der untersuchten Sachverhalte bei.
Theorie des allgemeinen wirtschaftlichen Gleichgewichts
Im Vorwort des Buches schickt sich unser junger Autor in die Pose des großen Meisters, der – im Besitz eines umfänglichen Wissens und untrüglichen Urteilsvermögens – abgeklärt dem weiteren Verlauf der Dinge entgegensieht. „Mit Ruhe“, lässt er den Leser wissen, „blicke … ich in den neuen wissenschaftlichen Tag, der, wenn ich nicht irre, zu grauen beginnt.“ (1908: XXII) Was der neue Tag bringen wird, will er selbst in nicht geringem Umfang bestimmen. Er selbst will der noch jungen Wissenschaft den Weg weisen. Dieser Weg verlangt die Revolutionierung des Faches – weg von dessen im Wesentlichen statischen, hin zu einer dynamischen Ausrichtung. Um seine Leser von der Notwendigkeit dieses grundlegenden Wandels zu überzeugen, muss er zunächst sowohl die Stärken als auch die Schwächen der Walrasschen Theorie in ein grelles Licht tauchen. Erst dann kann er als Neuerer tätig werden, der ihm den Titel des größten Ökonomen seiner Zeit eintragen soll.
Hinsichtlich der reinen Theorie vertritt Schumpeter den Standpunkt des „methodologischen Individualismus“ (1908, I. Teil, VI. Kapitel), eine seiner vielen erfolgreichen Wortschöpfungen, die Eingang in den Sprachschatz der Ökonomen gefunden haben. Gemeint ist damit ein Ansatz, der alle ökonomischen Phänomene wie Beschäftigung, Inflation, Größe des Sozialprodukts usw. zurückführt auf die Entscheidungen der einzelnen Wirtschaftssubjekte sowie deren Zusammenspiel auf interdependenten, miteinander kommunizierenden Märkten. Der entsprechende Ansatz geht von folgenden „Daten“ oder „unabhängigen Variablen“ aus:
1. den Wünschen, Bedürfnissen und Interessen der verschiedenen Akteure, ob Konsumenten oder Produzenten, das heißt ihren Präferenzen;
2. der aktuell verfügbaren Ausstattung der Ökonomie mit produktiven Ressourcen – verschiedene Arbeitsqualitäten, verschiedene produzierte Produktionsmittel oder Kapitalgüter, verschiedene Arten von Böden und sonstigen natürlichen Ressourcen –, die zur Erzeugung der...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckel
  2. Titelblatt
  3. Urheberrecht
  4. Inhalt
  5. Einführung
  6. I Leben und Karriere
  7. II Werk
  8. III Wirkung
  9. Literatur
  10. Die Autoren