Henning Luther - Impulse für eine Praktische Theologie der Spätmoderne
  1. 208 Seiten
  2. German
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  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub
Verfügbar bis 5 Dec |Weitere Informationen

Über dieses Buch

Henning Luther (1947-1991) gilt als einer der anregendsten Praktischen Theologen des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Er trug nicht nur zu einem Paradigmenwechsel des Faches hin zu einer subjekt- und lebensweltorientierten Theologie bei, sondern schärfte auch den Sinn für die Phänomene des Fragmentarischen und Unabgegoltenen. Die Beiträge des Bandes nehmen Denkanstöße Henning Luthers auf und fragen, wie sie heute auch in veränderten Kontexten wirksam werden (können), so dass sich neue praktisch-theologische Perspektiven in Theorie und Praxis eröffnen.In elf Artikeln werden Grundlinien seines Ansatzes nachgezeichnet, verschiedene kirchliche Handlungsfelder erkundet (Bildung, Predigt, Seelsorge und Diakonie) sowie unterschiedliche Lesarten seiner Arbeiten vorgestellt. Der Band enthält auch einen bislang unveröffentlichten pastoraltheologischen Beitrag Henning Luthers zum "Funktionswandel des Pfarramts".

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Information

Jahr
2013
ISBN drucken
9783170225008
eBook-ISBN:
9783170271265

II. Handlungsfelder

Paradoxe Institution

Zum Funktionswandel des Pfarramts im Individualisierungsprozess
Henning Luther
Bislang unveröffentlichtes, nicht autorisiertes Manuskript eines Gastvortrags, den Henning Luther im Sommersemester 1991 an der Theologischen Fakultät der Universität Bern hielt. Der Text wurde der neuen Rechtschreibung angepasst und grammatikalisch stillschweigend berichtigt. Der Abdruck erfolgt ungekürzt, wobei aus dem Original sowohl handschriftliche Kürzungsvermerke (//) als auch Hervorhebungen durch Anstreichungen (*) übernommen wurden. 1 Die Literaturverweise wurden nachrecherchiert und in Fußnoten überführt. 2

I.

Seit der Reformation ist das evangelische Pfarramt eine paradoxe Institution. Das Amt institutionalisiert den Anspruch auf rechte Verwaltung von Wort und Sakrament. Wort und Sakrament machen nun aber nach evangelischem Verständnis alle Getauften zu Priestern. Die Intention der Institution des Pfarramts zielt also auf die Ermöglichung des ‚Priestertums aller Getauften‘. Paradox ist diese Institution also, insofern sie – der Idee nach – ihren eigenen Selbstwiderspruch mit institutionalisiert hat. Diese paradoxe Grundstruktur ist vergleichbar der Institution der Erziehung, die seit der Aufklärung ihren eigenen Widerspruch mit institutionalisiert hat: Die beste Erziehung ist die, die sich selbst überflüssig macht, der beste Erzieher derjenige, der sich selbst überflüssig macht.
Das evangelische Pfarramt kann ähnlich verstanden werden: Der eigentliche Sinn des Pfarramts kommt in der Realisierung des Priestertums aller Getauften – also in der Aufhebung einer Differenz von Klerus und Laien – zum Ziel.
Der wesentliche Charakter der paradoxen Institution besteht gerade darin, über sich hinauszuweisen. Sie ist nicht Selbstzweck, sondern dient der Realisierung eines Zwecks, einer Idee, die durch die Institution angeregt, ermöglicht, nicht aber in ihr selbst verwirklicht wird.
(So ist die Institution der Erziehung nicht um dieser selbst willen eingerichtet, sondern – nimmt man pädagogische Theorien ernst – um der Mündigkeit und Selbstbestimmung der ‚Zöglinge‘.) * Paradoxe Institutionen haben also transitorischen Charakter. *3 Sie weisen immer über sich hinaus. Auch das evangelische Pfarramt kann also wie Kirche als ‚Institution im Übergang‘ (Wolf-Dieter Marsch)4 verstanden werden. Auch die Kirche ist nicht Selbstzweck, sondern Institution, die auf anderes – z. B. [das] Reich Gottes – verweist und diesen Verweisungsbezug repräsentiert und vermittelt. Das Pfarramt ist nicht um des Amtes willen eingerichtet, sondern um des Auftrags willen, den dieses repräsentiert, aber nicht verwirklicht.
Das Pfarramt ist evangelischem Verständnis zufolge um der befreienden Rechtfertigungsbotschaft willen da. Die Rechtfertigungsbotschaft weckt den Glauben der Einzelnen und begründet die individuelle Subjektivität der Glaubenden. * Die Institution des Pfarramts zielt mithin auf die Ermöglichung und Freisetzung der Subjektivität der Glaubenden. *
Das paradoxe Verhältnis von Institution und Individualität, von Amt und Subjektivität kehrt in der internen Struktur des Pfarramts in der Zuordnung von Amt und Person noch einmal wieder. Einerseits wird der Vorrang des Amtes betont, um einer möglichen subjektivistischen Verfälschung des einen Wortes der Rechtfertigung zu wehren. Andererseits kann die Person vom Amt nicht objektivistisch abgetrennt werden. Vielmehr ist die Person des Amtsträgers selber erster Adressat dieses Wortes, das auch ihn als gerechtfertigten Sünder qualifiziert.
Bekanntlich hat sich im Verlauf der protestantischen Kirchengeschichte dieser paradoxale Charakter des Pfarramts nicht verwirklichen lassen. Die Objektivität des Amtes trat in den Vordergrund und begründete die Entwicklung zur Amts- und Pastorenkirche, in dem die Institution des Pfarramts ihr dialektisches Verhältnis zum Gedanken des Priestertums aller Getauften verlor. Auch im internen Amtsverhältnis wurde die Dialektik von Amt und Person weitgehend durch eine Priorisierung des Amtscharakters aufgelöst.
Obwohl diese Entwicklung zur Pastorenkirche und zur Betonung des Amtscharakters theologisch zumindest umstritten war, sind Impulse zur Veränderung dieses Verständnisses vom Amt des Pfarrers weniger aus theologischen Motiven hervorgegangen, sondern aus sozialgeschichtlichen Veränderungen der gesellschaftlichen Bedeutung von Kirche und christlicher Tradition.
Diese gesellschaftlichen Veränderungsprozesse, die ideell zwar bereits in der Reformation angelegt sind, sich aber sozial breitenwirksam erst in diesem Jahrhundert und selbst da erst in den letzten Jahrzehnten durchgesetzt haben, sind als Individualisierung – und damit gekoppelt – als Pluralisierung zu kennzeichnen.
//5 Ich will im Folgenden zunächst die wesentlichen Kennzeichen und Konsequenzen dieses Individualisierungsprozesses beschreiben, um dann zu fragen, was dies für das Verständnis des Pfarramts bedeutet. Meine These ist, dass der Individualisierungsprozess zu einem Funktionswandel des Pfarramts führt.
Bevor ich meine eigene inhaltliche Bestimmung dieses gewandelten Pfarramtsverständnisses näher entfalte, will ich auswahlweise auf einige neuere pastoraltheologische Bestimmungsversuche eingehen, die versuchen, das Pfarramt angesichts der gegenwärtigen gesellschaftlichen und kirchlichen Situation neu zu bestimmen. Ich möchte eingehen auf
  • Manfred Josuttis’ Versuch zur (religionspsychologisch und religionsgeschichtlich abgeleiteten) Resakralisierung des Pfarramts (Der Pfarrer ist anders6);
  • die Professionalisierungsansätze, die die Eigenart des Pfarramts in seiner besonderen (theologischen, missionarischen, therapeutischen etc.) Kompetenz sehen (Eilert Herms7, Würzburg8);
  • die neokonservativen Versuche, die die Besonderheit des Pfarramts in seiner Autorität und seinem Vorbildcharakter sehen (Volker Drehsen9, Reinhard Schmidt-Rost10);
  • schließlich auf jene Ansätze, die versuchen, den Widerspruch von Institution und Individualität zu überwinden und das Pfarramt als ‚Repräsentanz von Subjektivität‘ (Godwin Lämmermann11, Jörg Dierken12) bestimmen.
Mein eigener Versuch knüpft an den letzten Versuch als m. E. einzig tragfähigen an und versucht, das Pfarramt als paradoxe Institution der Ermöglichung von Subjektivität und Individualität zu sehen. Dies soll in einzelnen Punkten näher entfaltet werden. //

II. Individualisierung und Pluralisierung – Folgen der Enttraditionalisierung der modernen Gesellschaft

Die Entdeckung und Betonung der Individualität und Subjektivität des Einzelnen zählt zu den entscheidenden Kennzeichen neuzeitlichen Denkens, dessen Anfänge sich bis in die Reformation und Renaissance zurückverfolgen lassen. Freilich blieb diese ‚Individualisierung‘ weithin auf den ideengeschichtlichen Bereich des philosophischen Diskurses bzw. besondere gesellschaftliche Schichten beschränkt. In der sozialen Ordnung der Gesellschaft ist bis in dieses Jahrhundert hinein das Prinzip der Individualisierung kaum zur Geltung gekommen. Sozialgeschichtlich – und d. h. für die breiten Bevölkerungsschichten – relevant wurde Individualisierung als soziologischer Sachverhalt vor allem seit der Nachkriegszeit. Hier zeigt sich in zunehmendem Maße eine Individualisierung der objektiven Lebenslagen der einzelnen Gesellschaftsmitglieder. Ulrich Beck unterscheidet dabei folgende drei Formen der Individualisierung:
  • die „Herauslösung aus historisch vorgegebenen Sozialformen und -bindungen im Sinne traditionaler Herrschafts- und Versorgungszusammenhänge (‚Freisetzungsdimension‘)“,
  • den „Verlust von traditionalen Sicherheiten im Hinblick auf Handlungswissen, Glauben und leitende Normen (‚Entzauberungsdimension‘)“ und
  • „eine neue Art der sozialen Einbindung (‚Kontroll- bzw. Reintegrationsdimension‘).“13
Die Individualisierung ist insgesamt eine Folge der Enttraditionalisierung der Gesellschaft. Die individuelle Lebensführung des Einzelnen wird immer weniger durch traditionale Vorgaben – wie Geburt, Herkunft, Standeszugehörigkeit – festgelegt, sondern unterliegt immer mehr eigener Entscheidung und individueller Wahl. Die Identität des Einzelnen wird immer weniger askriptiv zugewiesen und von diesen bloß übernommen, sondern selbstständig im Rahmen des Möglichen gestaltet.
Zugleich verbindet sich mit der Freisetzung aus unbefragten, vorgegebenen sozialen Ordnungs- und Lebensmustern eine Veränderung in der Beziehung zur religiösen, weltbildhaften Deutungstradition. Dabei geht es nicht so sehr – wie Kulturkritiker beklagen – um einen prinzipiellen Traditionsabbruch oder Traditionsverlust, sondern primär um einen veränderten Umgang mit Tradition. Während die fraglose Gültigkeit und Plausibilität der religiös-kirchlichen Überlieferungen traditionalen Gesellschaften einfach unterstellt wurde, tritt der Einzelne dieser Tradition zunehmend als selbstständig denkendes und kritisch nachfragendes Subjekt gegenüber, das nur das ‚übernimmt‘, was ihm einzuleuchten und ihn zu überzeugen vermag. An die Stelle einer Lenkung durch Tradition tritt nun die selbstbewusste Auseinandersetzung mit ihr. * Der Rückgang der Kirchlichkeit ist auch Ausdruck dieses veränderten Traditionsbezugs: Die Arbeit an eigenen Sinn- und Deutungsmustern wollen sich viele nicht abnehmen lassen von kirchlich-institutionellen Vorgaben. *
Die dritte von Beck angeführte Dimension des Individualisierungsprozesses hebt darauf ab, dass eine Gesellschaft, die sich wesentlich über Individualisierung der Lebenslagen bildet und gleichsam über den Einzelnen reproduziert, anderer Integrationsmechanismen bedarf, die das leisten, was zuvor Herkunft, Klasse oder Familie bewerkstelligt haben: den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Es kommt nach Beck daher notwendig zu einer institutionenbezogenen Standardisierung.
Die Ausdifferenzierung individualisierter Lebenslagen erfordert eine Formalisierung und Standardisierung durch Institutionen (Recht, Bildung, etc.).
Der Individualisierungsprozess ist nun insgesamt ambivalent zu beurteilen.
Einerseits schafft er die Möglichkeit zur Ausbildung einer unverwechselbaren, individuellen Identität. Andererseits – und darauf macht Beck vor allem aufmerksam – entstehen mit dem Freisetzungsprozess der Individualisierung neue Abhängigkeiten. Der Individualisierungsprozess verläuft damit nicht eindeutig, sondern enthält immanente Widersprüche. Dazu Ulrich Beck:
„In der fortgeschrittenen Moderne vollzieht sich Individualisierung unter den Rahmenbedingungen eines Vergesellschaftungsprozesses, der individuelle Verselbstständigungen gerade in zunehmendem Maße unmögli...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Einleitung
  6. I. Grundlinien
  7. II. Handlungsfelder
  8. III. Lesarten
  9. Anhang