Lebenslanges Lernen
  1. 205 Seiten
  2. German
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eBook - ePub
Verfügbar bis 5 Dec |Weitere Informationen

Über dieses Buch

Wie kaum ein anderes Konzept beherrscht das "Lebenslange Lernen" bildungspolitische Forderungen und pädagogische Programme. Dennoch sucht man nach einer genauen Definition, was mit diesem "Schlüsselwort" eigentlich gemeint ist, bislang oft vergeblich. Das Buch gibt zunächst eine detaillierte Beschreibung des Konzepts und fokussiert dabei das Lernen der Menschen über die gesamte Lebensspanne - wobei die Grenzen herkömmlicher Bildungsstrukturen und die Einteilung in strikt aufeinanderfolgende Abschnitte des Bildungsweges durchbrochen werden. Des Weiteren werden empirische Forschungsergebnisse dargestellt, die das Lebenslange Lernen als soziales Phänomen beschreiben. Außerdem wird die Frage nach den individuellen und institutionellen Bedingungen lebenslanger Lernprozesse aufgegriffen sowie Herausforderungen für die Bildungsforschung benannt. Schließlich geht dieser Band auch auf die neuen Berufsfelder und Aufgaben ein, die sich für Pädagogen aus dem Konzept des Lebenslangen Lernens ergeben.

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Information

Jahr
2009
ISBN drucken
9783170196032
eBook-ISBN:
9783170277144
Auflage
1
Thema
Bildung

1 Systematische und historische Annäherungen an das Lebenslange Lernen

1.1 Lebenslanges Lernen: Diskurs und Phänomen

Eine Einführung zum Thema »Lebenslanges Lernen« steht vor der Aufgabe, die zentralen Begriffe definieren zu müssen. Dies erweist sich allerdings im Zusammenhang mit der vorliegenden Thematik als nicht einfach, da sich der Begriff des Lebenslangen Lernens sowohl auf das Phänomen des Lernens bezieht als auch auf den öffentlichen Diskurs über das Lernen. Darüber hinaus sind sowohl das Lernen als auch der Diskurs über das Lernen eingebettet in den je konkreten historisch-gesellschaftlichen Zusammenhang – dies manifestiert sich nicht nur im Wandel des Lernens, sondern auch in einem Wandel des Verständnisses vom Lebenslangen Lernen.
Im Blick auf das Phänomen des Lernens verweist der Begriff des Lebenslangen Lernens darauf, dass Menschen im Verlauf ihres Lebens lernen und dass es sich dabei um ein ganz alltägliches Phänomen handelt. Will man diese Seite des Lebenslangen Lernens beschreiben, dann ist ein umfassendes Lernverständnis erforderlich, welches das Lernen des Menschen über den gesamten Lebenslauf und in seinen verschiedenen Formen wie auch vielfältigen Inhalten umfasst. Der Begriff beschreibt somit alle Formen des Lernens über die gesamte Lebensspanne.
Dieses Verständnis vom Lebenslangen Lernen wird unterstellt, wenn darauf verwiesen wird, dass Menschen sich im Laufe ihres Lebens immer wieder neues Wissen aneignen, neue Probleme lösen und Situationen bewältigen, neue Erfahrungen machen und diese verarbeiten, neue Fähigkeiten und Fertigkeiten erwerben. Die Aussage, dass das Lernen über die gesamte Lebensspanne zu den Grunderfahrungen des Menschen gehört, gilt nicht nur für den modernen Menschen, der sich aufgrund rasanter technischer und sozialer Veränderungen immer wieder an veränderte Situationen anpassen muss. Auch in der Geschichte finden sich vielfache Beispiele für die Allgegenwart lebenslanger Lernprozesse (vgl. Casale/Oelkers/Tröhler 2004, Dräger 1979, Kell 1996, Knoll 2007).
Die Selbstverständlichkeit Lebenslangen Lernens lässt sich zum einen aus der Tatsache erklären, dass Lernen eine biologisch und evolutionär bedingte Notwendigkeit darstellt. Denn der Mensch ist – wie die Pädagogische Anthropologie dies formuliert – als »Mängelwesen« (Gehlen 1986, S. 17) zu begreifen, der seine Lebens- und Handlungsfähigkeit lernend zu erwerben hat. Evolutionstheoretisch betrachtet erfordert ein Überleben die Anpassung des Menschen an die Umwelt. Dies geschieht durch die Aneignung von Fertigkeiten und Kenntnissen. Die Entwicklung neuer Kompetenzen orientiert sich dabei an den Anforderungen und Situationen der unmittelbaren Umwelt. In diesem Sinne ist Lernen ein lebenslang notwendiger Prozess (vgl. Gerlach 2000, S. 157) und ein konstitutiver Teil der sozialen Realität (vgl. Kell 1996, S. 48). Leben ist gleichsam identisch mit Lernen (vgl. Lengrand 1972; Singh 2002, S. 17) – eine Sichtweise, die schon Dewey unter dem Theorem der konstitutiven Verbindung von Bildung und Erfahrung ausgeführt hat (Dewey 1994, 2000).
Darüber hinaus ist das Lebenslange Lernen aber auch Gegenstand des öffentlichen Diskurses. So lässt sich seit den 1970er Jahren und verstärkt seit den 1990er Jahren eine explizite Thematisierung des Lebenslangen Lernens feststellen. In diesem Zusammenhang sind vor allem die bildungspolitischen Konzepte zu nennen, die das Lebenslange Lernen als »neue« Antwort auf den beschleunigten Wandel der Lebensverhältnisse im 20. Jahrhundert »entdeckt« haben. Vor allem die supranationalen Organisationen wie die Unesco und die Oecd haben das Thema auf die Agenda gebracht (vgl. Kapitel 2). Lebenslanges Lernen tritt dabei nicht mehr allein als Grundlage menschlichen Lebens auf, sondern erfährt eine strategische und funktionale Zuspitzung. Nun wird die Frage in den Mittelpunkt gerückt, welche Bedeutung dem Lebenslangen Lernen für die Bewältigung gesellschaftlicher Probleme zukommt. Das Thema ist damit nicht das Phänomen des Lernens im Lebenslauf, sondern das Lernen in seiner Funktion für die Gesellschaft oder gesellschaftliche Teilsysteme (zu den Kennzeichen funktionaler Argumentation vgl. Weisser 2002).
Betrachtet man das Lebenslange Lernen als Diskursphänomen, dann rückt die Art und Weise in den Mittelpunkt, in der über das Lernen gesprochen wird. In diesem Zusammenhang ist nicht nur das Aufkommen eines eigenständigen Diskurses zum Lebenslangen Lernen interessant, sondern auch die Tatsache, dass sich das Verständnis vom Lebenslangen Lernen im zeitlichen Verlauf verändert hat.
Beide Dimensionen des Begriffs, das Lebenslange Lernen als Lernphänomen wie auch als Diskursphänomen, müssen in ihrem Zusammenhang und auch in ihrer Einbettung in den historisch gesellschaftlichen Kontext gesehen werden. So wäre es etwa verkürzt, die zunehmende Verbreitung der Idee des Lebenslangen Lernens allein dem politischen Diskurs und der darin fokussierten funktionalen und gegenwärtig vor allem ökonomischen Argumentation zuzuschreiben. Vielmehr ist auch eine (stille) Durchsetzung Lebenslangen Lernens als biographische Realität zu konstatieren, die den politischen Diskurs flankiert (vgl. Field 2006, S. 4). Der eigentliche »Siegeszug des Lebenslangen Lernens« (Nittel/Schöll 2003, S. 3) gründet insofern nicht nur in einer bildungs- oder europapolitischen Programmatik, sondern vor allem auch in der faktischen Durchsetzung dieses Bildungsprinzips (vgl. Brödel 2003, S. 118).
Insgesamt muss die gegenwärtige Bedeutung des Lebenslangen Lernens als zentralem Bildungskonzept im Kontext verschiedener sozialer wie auch konzeptioneller Wandlungsprozesse gesehen werden. Dabei ist zu beachten, dass sich das Verständnis vom Lebenslangen Lernen im Zuge des historischen Ausbaus institutionalisierter Lernmöglichkeiten verändert hat. Darüber hinaus haben verschiedene gesellschaftliche Entwicklungstrends (vgl. Alheit/Dausien 2002 sowie Field 2006) und nicht zuletzt die Fortentwicklung der (Weiter-) Bildungsforschung selber zu dem »erstaunlichen Paradigmenwechsel« (Alheit/Dausien 2002, S. 569) geführt, der das Lebenslange Lernen nun zu neuem Leben erwachen ließ.

1.2 Historische Veränderungen des Lebenslangen Lernens

1.2.1 Vom individuellen Lernen im Lebenszusammenhang zur Fokussierung des Lernens in Bildungseinrichtungen

Betrachtet man das Lebenslange Lernen in historischer Perspektive, dann ist es nicht nur als selbstverständliches Phänomen anzusehen, sondern auch in seiner Einbettung in den jeweiligen gesellschaftlichen Kontext zu betrachten. Eine historische Betrachtung fokussiert demzufolge die Rahmenbedingungen des Lebens und des Lernens. Sie eröffnet damit einen differenzierteren Blick auf unterschiedliche Lernformen (vgl. hierzu auch die Arbeiten zur historischen Anthropologie: Casale/Oelkers/Tröhler 2004, Tröhler 2004).
In diesem Zusammenhang ist zu konstatieren, dass Lernen in vormodernen Gesellschaften zumeist eingebunden in den Lebenszusammenhang stattfand (vgl. Dräger 1976). Im Vordergrund stand das sozialisatorische Lernen, welches als unmittelbares Tradieren der Kenntnisse und Fertigkeiten der älteren Generation an die jüngere beschrieben werden kann. Es zeichnet sich dadurch aus, dass in konkreten Alltagssituationen neues Wissen erworben wird. Mit dem Übergang in die Moderne ändert sich die Situation. Durch die Wandlung von einer feudalen, agrarischen Gesellschaft zu einer bürgerlichen, industriellen Gesellschaft ist die relative Statik und Unveränderlichkeit des sozialen Lebens aufgebrochen worden. Insbesondere die Entwicklung neuen Wissens und neuer Techniken führten dazu, dass das Lernen durch Imitation und Teilhabe an der Tätigkeit der Älteren nicht mehr ausreichte. Außerdem bewirkten die beginnende Industrialisierung und der Prozess der Verstädterung, dass viele Menschen anderen Berufen nachgingen als ihre Eltern. Entsprechend war es erforderlich, sich neue Kenntnisse und neue Fertigkeiten anzueignen. In dieser Situation entwickelte sich auf der einen Seite ein Bedürfnis der Menschen nach Information und Wissen, auf der anderen Seite etablierten sich verschiedene Lern- und Bildungsangebote. Neben dem Ausbau der Schule und der Einführung der allgemeinen Schulpflicht sind hier diverse Einrichtungen zu nennen, die im 18. und vor allem im 19. Jahrhundert die Selbstbildung der Erwachsenen unterstützen wollten (vgl. Dräger 1984, Hein 2003).
Im Zuge der Etablierung und zunehmenden Ausweitung institutionalisierter Bildungsangebote im 19. Jahrhundert veränderten sich nicht nur die quantitativen Möglichkeiten des Lernens, sondern auch die Qualität des Lernens. Denn zunehmend findet Lernen nun auch außerhalb des konkreten Lebensvollzugs in einer abgetrennten Lernsituation statt. Dies impliziert das Vorhandensein eines Lehrenden, der sich durch einen Wissens- oder Kompetenzvorsprung auszeichnet und dem Adressaten, der durch entsprechende Wissens- oder Kompetenzdefizite charakterisiert ist, durch geeignete Aktivitäten (Vortragen, Vormachen, Arrangieren, Beraten etc.) zu Lernen und Bildung verhelfen will. Ausgangspunkt des Lernens in einem solchen pädagogischen Arrangement (vgl. hierzu auch Prange/Strobel-Eisele 2006) ist demnach die Hierarchie zwischen einem Wissenden und einem weniger Wissenden. Ziel ist die Aufhebung dieser Differenz. Wenn der Lernende den Stand des Lehrenden erreicht hat, dann werde er in der Lage sein, selber sein Leben zu gestalten.
Mit der Entstehung einer Vielzahl von Bildungsinstitutionen, die Angebote zur Bildung Erwachsener machten, vollzog sich somit nicht nur der Ausbau der Erwachsenen- und Weiterbildung als Teil des Bildungssystems, sondern fand auch eine Fokussierung auf das organisierte Lernen statt. Damit verschwand zwar nicht das sozialisatorische Lernen, welches durch unmittelbare Teilhabe an der nun veränderten Kultur und Lebenswelt gekennzeichnet ist, wohl aber veränderte sich die Vorstellung von der relevanten Form des Lernens. So wurde das Augenmerk nun in erster Linie auf organisierte Bildungsangebote gerichtet. Dieser institutionenzentrierte Blick auf die Erwachsenenbildung (Kade/Nittel/Seitter 2007) unterstützte damit (unfreiwillig) die »Generalisierung eines lehrbezogenen Lernbezugs« (Kade/Seitter 2007, S. 139, im Original hervorgehoben). Lernen erscheint damit als Ergebnis von Lehren, und Erwachsenenbildung gilt als Fortsetzung schulisch strukturierten Lernens (vgl. Dräger 1976, S. 69). Dies führt zu einer Ausweitung der ehemals altersmäßig begrenzten Schülerrolle auf den gesamten Lebenslauf eines Individuums – eine Entwicklung, die mit der Wende von der Erwachsenenzur Weiterbildung dazu führt, dass Erziehungs- und Bildungsangebote nicht mehr auf einzelne Lebensphasen beschränkt werden, sondern als lebenslang notwendig erachtet werden.
Dieser Fokus auf das Lernen in Bildungseinrichtungen wird auch in der internationalen bildungspolitischen Diskussion der 1970er Jahre aufgegriffen. Insbesondere der englischsprachige Begriff der ›lifelong education‹ bringt die Forderung nach einer Ausweitung institutionalisierter Bildungsangebote über die gesamte Lebensspanne gut zum Ausdruck. So schreibt etwa der Unesco-Bericht über Ziele und Zukunft unserer Erziehungsprogramme: »Es geht auch nicht mehr darum, punktuell und ein für alle mal Wissen zu erwerben, sondern sich darauf einzustellen, während des ganzen Lebens ein sich ständig entwickeltes Wissen zu erarbeiten und ›leben zu lernen‹« (Faure 1973, S. 22). Bildung – verstanden als Teilnahme an organisierten Lehr-Lern-Arrangements – ist in diesem Verständnis nicht auf einzelne Lebensphasen begrenzt und kann auch nicht irgendwann abgeschlossen sein, sondern weitet sich auf das ganze Leben aus. Insofern wird auch von ›permanenter Erziehung‹ gesprochen.

1.2.2 Vom Ausbau institutionalisierter Weiterbildung zum Lernen im Lebenslauf

Das Konzept permanenter Erziehung ging davon aus, dass die Teilnahme an Bildungsorganisationen mit ihren curricular strukturierten, die Aneignung systematischen Wissens anstrebenden Bildungsgängen eine Vermittlung von Handlungsfähigkeit für alle Menschen ermöglicht. Nun gab es allerdings vielfache Anzeichen dafür, dass dieses Ziel nicht im erhofften Ausmaße erreicht wird. Genannt seien die theoretischen Einsichten (Illich 1971) und empirischen Befunde, die darlegen, dass eine schlichte Ausdehnung der »Beschulung« nicht zu einer Verbesserung der Lernfähigkeit und Lernbereitschaft führt. So belegen eine Reihe von jüngeren empirischen Studien vor allem in Großbritannien, dass der quantitative Ausbau von Weiterbildungsangeboten ohne die drastische Veränderung der Rahmenbedingungen und der Qualität des Lernprozesses bei einer Mehrzahl der Betroffenen zu Motivationsverlust und zu einer instrumentellen Einstellung zum Lernen führt, die keineswegs das eigengesteuerte Weiterlernen in späteren Lebensphasen fördert, sondern eher unterdrückt (vgl. Alheit/Dausien 2002, S. 571).
Vor dem Hintergrund dieser Einsichten verstärkten sich die Bemühungen um eine Veränderung organisierter Lehr-Lern-Arrangements (vgl. Kapitel 3). Den Anknüpfungspunkt hierfür bildete ein Verständnis vom Lernen, das dieses nicht auf formale Lernprozesse einschränkt, sondern die Bildung Erwachsener auch außerhalb organisierter Erwachsenenbildung einbezieht (vgl. Geißler/Kade 1982).
So hatte schon die Oecd 1973 zwischen Education und Learning unterschieden und herausgestellt, dass mit Education alle Formen des »organised and structured learning confined to an intentionally created situation« (Oecd 1973, S. 17) gemeint sind. Dagegen wird Learning definiert als »essential characteristic of the living organism, nessecary for its survival and evolution« (Oecd 1973, S. 17).
Zunehmend wird nun angesprochen, dass Lernen nicht nur in pädagogisch arrangierten Erziehungssituationen stattfindet. Damit wird die Aufforderung verbunden, dass auch die pädagogische Gestaltung von Lernprozessen sich an den Merkmalen des alltäglichen Lernens zu orientieren habe – eine Aufforderung, die man zwar schon in den 1970er Jahren in den bildungspolitischen Papieren lesen kann, die aber erst Mitte der 1990er Jahre Eingang in den deutschen pädagogischen Diskurs gefunden hat (Dohmen 1996). Auch in den bildungspolitischen Programmen der 1990er Jahre wird explizit nicht mehr der Ausbau institutionalisierter Bildungsangebote, sondern die Entwicklung der individuellen Lernkompetenz gefordert (Oecd 1996a, Delors 1996). An die Stelle der permanenten Erziehung rückt also das Lebenslange Lernen. Dieses findet nicht nur in formalen Bildungseinrichtungen, sondern auch außerhalb pädagogisch gestalteter Settings – und damit in Form von informellem Lernen – statt. Entsprechend liegt die Verantwortung für das Lernen nicht allein bei den Lehrenden, sondern insbesondere bei den Lernenden selbst.
Der Titel des Oecd-Berichts »Lifelong Learning for All« bringt die Veränderung zum Ausdruck, die der Diskurs über das Lebenslange Lernen nimmt: An die Stelle einer Ausweitung institutionalisierter Lernangebote tritt nun die Hinwendung zum Lernen als individueller Tätigkeit. So betont der Bericht »the intrinsic as opposed to instrumental value of education and learning« (Oecd 1996a, S. 89). Damit einhergehend wird herausgestellt: »the promotion in learners of the personal characteristics required for subsequent learning, including the motivation and capacity to engage in self-managed, independent learning« (ebd., S. 89). Insgesamt geht dies mit einem neuen Lernverständnis einher: »›Learning as consumption‹ is an imperfect term to describe learning activities that contribute directly to the quality of life rather than aiming mainly to enhance economic potential. The essential difference between learning as consumption and learning as investment is the time perspective. If the education activity is being undertaken with a view to immediate satisfaction, then learning is a consumptive activity. If the learning activity is undertaken with the aim of increasing utility or satisfaction in the future, then the investment motive determines the choice for education« (ebd., S. 90).
Im Rahmen der Oecd wird vom lifelong learning als »attitude« gesprochen (ebd., S. 90). Zu dieser Haltung gehört aber nicht nur die Fähigkeit und Bereitschaft zum Weiter-Lernen, sondern auch die Fähigkeit, mit der Vielfalt an Informationen umzugehen. Außerdem bedürfe es der Kompetenz, Problemsituationen zu analysieren und Lösungsvorschläge zu entwickeln. Diese Fähigkeiten habe das Individuum sich vor dem Hintergrund seiner individuellen Voraussetzungen und der konkreten sozialen Anforderungen selber anzueignen. Da das Lebenslange Lernen als »continuation of conscious learning throughout the lifespan« (ebd., S. 89) nicht nur für den einzelnen Lerner, sondern auch für die ökonomische, politische und soziale Weiterentwicklung wichtig ist – und da die Möglichkeiten der Teilhabe an lebenslangen Lernprozessen sozial ungleich verteilt sind (vgl. hierzu Kap. 4), ist es erforderlich, dass hierbei auch staatliche und ökonomische Organisationen Unterstützung leisten. Ziel müsse es sein, die sozio-ökonomischen, institutionellen und individuell-dispositionalen Barrieren zum Lebenslangen Lernen abzubauen (vgl. ebd., S. 92ff.). Insgesamt thematisiert der Bericht allerdings nicht die pädagogische Gestaltung von Lernen, sondern die Formen und die Ziele Lebenslangen Lernens als individuelle Aufgabe.
Dieser Wechsel von education zum learning wird in den 1990er Jahren auch von den anderen supranationalen Organisationen vollzogen (vgl. Kapitel 2). Lernen wird nun nicht mehr auf pädagogisch strukturierte Lernangebote in Bildungseinrichtungen begrenzt, sondern in seinen vielfältigen Institutionalisierungsformen ernst genommen. »Lebenslanges Lernen umfasst alles formale, nicht-formale und informelle Lernen an verschiedenen Lernorten von der frühen Kindheit bis einschließlich der Phase des Ruhestands. Dabei wird ›Lernen‹ verstanden als konstruktives Verarbeiten von Informationen und Erfahrungen zu Kenntnissen, Einsichten und Kompetenzen« (Blk 2004, S. 13). Im Mittelpunkt steht somit »jede zielgerichtete Lerntätigkeit, die einer kontinuierlichen Verbesserung von Kenntnissen, Fähigkeiten und Kompetenzen dient« (Memorandum 2000, S. 3).
Insgesamt wird nun die Selbststeuerung der Lernenden betont (vgl. Tuijnman/Boström 2002, ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Einleitung
  6. 1 Systematische und historische Annäherungen an das Lebenslange Lernen
  7. 2 Lebenslanges Lernen als bildungspolitisches Programm
  8. 3 Lebenslanges Lernen als dreifache Ausdehnung des Lernens: Herausforderung für die pädagogische Gestaltung
  9. 4 Verbreitung und Bedeutung Lebenslangen Lernens – Empirische Befunde
  10. 5 Das Lebenslange Lernen als Herausforderung für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung
  11. 6 Lebenslanges Lernen als pädagogisches Handlungs- und Arbeitsfeld
  12. An Stelle eines Schlussworts
  13. Support
  14. Literatur